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BFH-Urteil vom 5.11.1982 (VI R 227/78) BStBl. 1983 II S. 125

Der Geschäftsführer einer GmbH mit Sitz in Berlin (West) bezieht aus dem Dienstverhältnis zur GmbH dann keinen Arbeitslohn für eine "Beschäftigung in Berlin (West)" i. S. von § 23 Nr. 4 a BHG/BerlinFG, wenn die Tätigkeit der GmbH fast ausschließlich in der Geschäftsführung einer außerhalb von Berlin (West) ansässigen und tätigen Kommanditgesellschaft besteht und deshalb der Geschäftsführer der GmbH überwiegend außerhalb von Berlin (West) tätig wird.

BHG (BerlinFG) § 21 Abs. 1, § 23 Nr. 4a.

Vorinstanz: FG Berlin

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist die Witwe und Alleinerbin des verstorbenen Kaufmanns K. K bezog in den Streitjahren 1965 bis 1970 Einkünfte aus der Tätigkeit als Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH). Diese war seit Anfang der sechziger Jahre Komplementärin einer Kommanditgesellschaft (KG), die sich vorwiegend als Vertreterin in- und ausländischer Unternehmen betätigte. Die KG, die in den Streitjahren etwa 40 Mitarbeiter beschäftigte, hatte zunächst ihren Sitz in Berlin (West). Im Jahre 1965 verlegte sie ihren Sitz nach Köln. Die GmbH behielt ihren Sitz in Berlin (West). Dort verblieb in den bisher von der KG genutzten Räumen ein Raum mit eigenem Telefonanschluß für die GmbH und für die Zweigniederlassung der KG. Für beide Gesellschaften war in Berlin (West) nur ein im Ruhestand befindlicher Buchhalter an drei Tagen in der Woche tätig. Im übrigen wurde der Telefonanschluß von einem die GmbH beratenden Rechtsanwalt bedient, der den Raum der GmbH für seine Kanzlei übernommen hatte.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) versagte K die Steuerermäßigung nach § 21 Abs. 1 des Berlinhilfegesetzes 1964/1968 (BHG) mit der Begründung, der Zweck der GmbH sei auf die Geschäftsführung der KG beschränkt gewesen. Da sich die Geschäftsbücher und -unterlagen im wesentlichen bei der KG befunden hätten, seien Sitz und Geschäftsleitung der GmbH in Köln gewesen. Damit sei K auch nicht in Berlin (West), sondern so gut wie ausschließlich in Köln tätig gewesen.

Einspruch und Klage, mit der die Klägerin weiterhin die Gewährung der Berlin-Präferenz von 30 v. H. begehrte, blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) führte in seinem in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1979, 271 veröffentlichten Urteil im wesentlichen aus: K sei nicht im Sinne des § 23 Nr. 4 a BHG in Berlin (West) tätig gewesen, weil er nicht ortsgebunden in Berlin beschäftigt gewesen sei. Eine "Fernwirkung" von Berlin auf das übrige Bundesgebiet genüge nicht. Geschäftsführer von Personengesellschaften übten ebenso wie Geschäftsführer von Kapitalgesellschaften ihre Tätigkeit am Sitz der Gesellschaft aus. Dabei könne es keinen Unterschied machen, ob der leitende Mitarbeiter persönlich haftender Gesellschafter der Personengesellschaft oder ob er Geschäftsführer einer aus haftungs- und steuerrechtlichen Gründen zwischengeschalteten GmbH sei. Im Streitfall habe sich der Zweck der GmbH überwiegend auf die Geschäftsführung der KG beschränkt. Die geschäftliche Oberleitung des Unternehmens aber sei in Köln gewesen. K habe jährlich 23 bis 35 Flüge von Berlin (West) nach Köln unternommen und habe sich dort im Durchschnitt an zwei Tagen pro Woche zum Zwecke der Geschäftsleitung aufgehalten. Außerdem habe er einen wesentlichen Teil seiner Tätigkeit auf Reisen verbracht, so daß für die Annahme einer geschäftlichen Tätigkeit in Berlin (West) wenig Raum bleibe. Mitentscheidend sei auch, daß mangels Delegation der geschäftlichen Oberleitung die regelmäßige Anwesenheit von K in Köln erforderlich gewesen sei. Auch der geringe Umfang der Tätigkeit des für die GmbH in Berlin (West) tätigen Buchhalters belege, daß der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung in Köln gewesen sei. Daran ändere auch der Umstand nichts, daß der das Unternehmen beratende Rechtsanwalt sein Büro in Berlin gehabt und dort mit K gelegentliche Besprechungen geführt habe.

Mit ihrer hiergegen gerichteten Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts. Sie ist der Auffassung, das FG habe § 21 Abs. 1 und § 23 Nr. 4 a BHG insoweit unrichtig angewandt, als es das Vorliegen einer Beschäftigung in Berlin (West) verneint habe. K habe seine Tätigkeit ortsgebunden in Berlin (West) erbracht. Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 12. August 1960 VI 300/58 S (BFHE 71, 514, BStBl III 1960, 441) komme es bei Organen juristischer Personen nicht auf den Ort der Verwertung der Tätigkeit, sondern auf den Ort der Tätigkeit selbst an. Dies sei bei Kapitalgesellschaften stets der Sitz der Gesellschaft. Die Grundsätze dieser zum Abkommen zwischen dem Deutschen Reiche und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der direkten Steuern und der Erbschaftsteuern vom 15. Juli 1931 ergangenen Entscheidung seien auch auf den Streitfall anzuwenden. Dem FG sei darin nicht zu folgen, daß bei einer GmbH & Co. KG auf den Ort der Geschäftsleitung der KG abzustellen sei, wenn die Tätigkeit der GmbH überwiegend in der Geschäftsführung der KG bestehe. Die Gründe für die Errichtung einer GmbH & Co. KG seien für den Ort der Tätigkeit des Geschäftsführers der GmbH nicht von Bedeutung. Das Steuerrecht habe die vom Steuerpflichtigen zur Teilnahme am Wirtschaftsleben gewählte Rechtsform anzuerkennen, soweit kein Mißbrauch vorliege. Im Streitfall sei aber kein Mißbrauch gegeben. Es komme daher nicht darauf an, daß sich die Geschäftsführertätigkeit für die GmbH bei der KG in Köln ausgewirkt habe.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Nach § 21 Abs. 1 BHG (= § 21 Abs. 1 des Berlinförderungsgesetzes - BerlinFG -) ermäßigt sich bei natürlichen Personen, die ihren ausschließlichen Wohnsitz in Berlin (West) haben, die veranlagte Einkommensteuer, soweit sie auf Einkünfte aus Berlin (West) i. S. des § 23 BHG (= § 23 BerlinFG) entfällt, um 30 v. H. Nach § 23 Nr. 4 a BHG (= § 23 Nr. 4 a BerlinFG) sind Einkünfte aus Berlin (West) i. S. des § 21 BHG (BerlinFG) auch Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, wenn der Arbeitslohn für eine Beschäftigung in Berlin (West) aus einem gegenwärtigen Dienstverhältnis bezogen wird. Diese Voraussetzungen lagen im Streitfall nicht vor.

Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, daß K für seine Geschäftsführertätigkeit für die GmbH Einkünfte aus einem Dienstverhältnis i. S. des § 23 Nr. 4 a BHG (BerlinFG) bezog. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats sind Geschäftsführer von Kapitalgesellschaften steuerrechtlich als deren Arbeitnehmer zu behandeln (Urteil vom 26. Juni 1970 VI R 193/67, BFHE 100, 25, BStBl II 1970, 824).

Gleichwohl sind die auf diese Einkünfte entfallenden Einkommensteuern nicht zu ermäßigen, weil K die Einkünfte nicht für eine Beschäftigung in Berlin (West) bezogen hatte. Zutreffend hat das FG das Tatbestandsmerkmal "Beschäftigung in Berlin (West)" dahin ausgelegt, daß der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung grundsätzlich ortsgebunden in Berlin (West) selbst erbringt, und daß eine Beschäftigung, die weit überwiegend außerhalb von Berlin (West) ausgeübt wird, nicht dazugerechnet werden kann. Diese Auffassung wird im Schrifttum und der Rechtsprechung ausnahmslos vertreten (Herrmann/Heuer/Raupach, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 19. Aufl., §§ 28, 29 BerlinFG, Anm. 2; Sönksen/Söffing, Berlinförderungsgesetz, Kommentar, K § 23 Rdnr. 24; George, Berliner Steuerpräferenzen, Berlinförderungsgesetz, 5. Aufl. 1975, § 23 Anm. V 1 b, S. 295; Urteile des FG Berlin vom 27. Januar 1967 III 207/65, EFG 1967, 218, und vom 14. November 1969 III 197/68, EFG 1970, 159). Der Senat tritt dieser Auffassung bei. Sie entspricht der Zwecksetzung der §§ 21 und 23 Nr. 4 a BHG (BerlinFG), durch die räumliche Bindung von Arbeitnehmern an Berliner Betriebsstätten die Wirtschaftskraft von Berlin (West) zu stützen (vgl. die Begründung zum Regierungsentwurf des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über Steuererleichterungen und Arbeitnehmervergünstigungen in Berlin (West), BT-Drucks. IV 435 S. 11).

Nach den Feststellungen des FG war K jedoch weit überwiegend außerhalb von Berlin (West) für die GmbH bzw. mittelbar für die KG tätig. Er unternahm jährlich zwischen 23 und 35 Flüge zwischen Berlin (West) und dem Sitz der KG in Köln. Er war dort im Durchschnitt an zwei Tagen pro Woche tätig. Seine regelmäßige wöchentliche Anwesenheit in Köln war nach den Feststellungen des FG dort auch erforderlich, weil K als Geschäftsführer der Komplementär-GmbH die Oberleitung des Unternehmens in der Hand hatte, ohne diese so weit zu delegieren, daß die Geschäftsleitung im wesentlichen von Berlin (West) auszuüben gewesen wäre. Darüber hinaus führte K regelmäßig Reisen in das Bundesgebiet und in das Ausland durch. Nach der aus Rechtsgründen nicht zu beanstandenden tatsächlichen Würdigung durch das FG blieb daher für seine Tätigkeit in Berlin (West) wenig Raum. Dies gilt trotz des Umstandes, daß K häufig von hier aus telefonische Weisungen an die Arbeitnehmer der KG in Köln erteilte. Denn angesichts seiner umfangreichen Tätigkeit außerhalb von Berlin (West) fallen diese zeitlich nicht ins Gewicht.

Der Einwand der Klägerin, die Feststellung des FG, daß K nicht überwiegend in Berlin gewesen sei, sei schon rechnerisch falsch, kann nicht durchschlagen; denn das FG hat eine derartige Feststellung nicht getroffen. Es hat vielmehr im Zusammenhang mit der häufigen Abwesenheit des K von Berlin (West) ausgeführt, daß daher für die Annahme einer geschäftsleitenden Tätigkeit in Berlin (West) wenig Raum verblieben sei. An diese tatsächliche Feststellung, die beinhaltet, daß K überwiegend außerhalb von Berlin (West) für die GmbH tätig war, ist der Senat nach § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gebunden.

Die Klägerin hat auch keinen Erfolg mit dem Hinweis, daß nach dem Urteil vom 12. August 1960 VI 300/58 S, BFHE 71, 514, BStBl III 1960, 441 die Tätigkeit des Geschäftsführers einer Kapitalgesellschaft jedenfalls dann als am Sitz der Gesellschaft ausgeübt anzusehen ist, wenn der Geschäftsführer sich wenigstens gelegentlich an diesem Ort aufgehalten hat. Denn die Bedeutung des BHG (BerlinFG) für die Wirtschaftskraft und den Arbeitsmarkt von Berlin (West) gebietet, den Beschäftigungsort eines überwiegend außerhalb von Berlin (West) tätigen Geschäftsführers einer Kapitalgesellschaft i. S. dieses Gesetzes nicht nach dem registerrechtlichen oder satzungsmäßigen Sitz der Gesellschaft zu bestimmen. Angesichts des Gesetzeszwecks ist vielmehr darauf abzustellen, ob die Gesellschaft selbst in Berlin (West) wirtschaftlich tätig wird.

Diese Voraussetzungen aber lagen im Streitfall nicht vor. Das FG hat festgestellt, daß die Tätigkeit der GmbH sich fast ausschließlich auf die Geschäftsführung der KG beschränkte. Diese aber hatte ihren Sitz in Köln. Dort befand sich nach den Feststellungen des FG auch der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung des Unternehmens (§ 15 Abs. 1 des Steueranpassungsgesetzes). An diese mögliche Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse ist der Senat nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden. Sie entspricht den übrigen Feststellungen zur organisatorischen und personellen Gestaltung des Unternehmens. Danach stand der GmbH in Berlin (West) kein eigener Geschäftsraum zur Verfügung. Der einzige Raum, der ihr von der KG verblieben war, wurde von dem die KG beratenden Rechtsanwalt übernommen, dessen Angestellte auch den für die GmbH und die KG bestehenden Telefonanschluß bedienten. Dementsprechend waren alle zur Durchführung des Unternehmenszwecks erforderlichen Arbeitnehmer in Köln tätig. In Berlin (West) war nur ein bereits in Ruhestand befindlicher Buchhalter für wenige Stunden in der Woche zur Durchführung von nicht der Geschäftsleitung dienenden Arbeiten beschäftigt. Diese Gestaltung der personellen und organisatorischen Verhältnisse des Unternehmens brachte es mit sich, daß K sich, wie ausgeführt, zur Erfüllung von Leitungsaufgaben regelmäßig in Köln, nicht aber in Berlin (West) aufhielt. Damit steht auch ohne Feststellungen zu der Frage, an welchem Ort sich die Geschäftsunterlagen des Unternehmens regelmäßig befanden, fest, daß die GmbH durch K nicht in Berlin (West), sondern in Köln eine wirtschaftliche Tätigkeit entfaltet hat. Auch unter Berücksichtigung der Tätigkeit des K für die GmbH läßt sich somit eine Beschäftigung des K in Berlin (West) nicht feststellen.

Daher erübrigt sich ein Eingehen des Senats auf die Frage, ob die Grundsätze des Urteils in BFHE 71, 514, BStBl III 1960, 441 auch - wie das FG es meint - auf die Geschäftsführer von Personengesellschaften anzuwenden sind.