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BFH-Urteil vom 19.10.1982 (VII R 55/80) BStBl. 1983 II S. 162

Auch bei Zusammenveranlagung von Ehegatten zur Einkommensteuer steht der Anspruch auf Auszahlung von überzahlter Lohnsteuer im Regelfall dem Ehegatten zu, der gezahlt hat. Gegen diesen Anspruch kann daher das FA mit rückständigen Steuerschulden des anderen Ehegatten nicht aufrechnen.

AO 1977 § 226; EStG §§ 26b, 36 Abs. 4.

Vorinstanz: FG Berlin

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) und ihr zum Verfahren beigeladener Ehemann sind auf ihren Antrag 1977 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt worden. Nur der Beigeladene hatte Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit erzielt; für ihn waren 1977 insgesamt 14.066,90 DM Lohnsteuer und 987,84 DM Lohnkirchensteuer einbehalten worden.

Wegen eines Verlustabzugs nach § 10d des Einkommensteuergesetzes (EStG) ergab sich 1977 kein zu versteuerndes Einkommen der Eheleute. Der Verlustabzug war aufgrund von Verlusten entstanden, die die Klägerin 1973 in Höhe von insgesamt 367.222 DM aus der Beteiligung an einer KG erlitten hatte. Davon entfielen 70% auf die Klägerin und 30% auf den Beigeladenen. In den Jahren 1974 bis 1976 waren insgesamt 110.625 DM von der Klägerin verbraucht worden. Von dem noch nicht verbrauchten Teil von 175.722 DM sind 1977 41.937 DM beansprucht worden. Da sich daraus kein zu versteuerndes Einkommen mehr ergab, setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) die Einkommen- und Kirchensteuer 1977 für die Klägerin und den Beigeladenen auf null DM fest. Dadurch ergab sich ein Erstattungsbetrag von 14.067 DM Lohnsteuer und 987,84 DM evangelische Kirchensteuer.

Mit Aufrechnungserklärung vom 9. Oktober 1978 erklärte das FA gegenüber der Klägerin die Aufrechnung gegen den Erstattungsanspruch auf überzahlte Einkommensteuer in Höhe von 13.982,29 DM und gegen den Anspruch auf Erstattung überzahlter evangelischer Kirchensteuer in Höhe von 850 DM mit Ansprüchen gegen die Klägerin auf Zahlung rückständiger Steuern, die sie u. a. aufgrund der berichtigten Aufteilungsbescheide vom 18. März 1976 in Höhe von insgesamt 14.832,29 DM schuldete. Es handelt sich dabei um Einkommensteuer 1967 und 1968, um Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer 1978, um evangelische Kirchensteuer 1967 und 1968, um Säumniszuschläge und um Vollstreckungsgebühren.

Die nach erfolgloser Beschwerde erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hob den Bescheid vom 9. Oktober 1978 und die Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion (OFD) vom 11. Januar 1979 auf. Zur Begründung führte es u. a. aus:

Die angefochtene Aufrechnungsverfügung sei rechtswidrig. Die Voraussetzungen des § 226 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) i. V. m. §§ 387 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) seien nicht erfüllt. Grundlage für den Erstattungsanspruch auf überzahlte Lohn- und Lohnkirchensteuer sei § 37 Abs. 2 Satz 2 AO 1977. Die Voraussetzungen für einen in der Person der Klägerin entstandenen Erstattungsanspruch seien nach dieser Vorschrift jedoch nicht gegeben. Der Rechtsgrund für die Zahlung der im Steuerabzugsverfahren vom Beigeladenen erhobenen Steuern sei nachträglich durch die Einkommensteuerfestsetzung auf null DM für 1977 in dem Einkommensteuerbescheid über die Zusammenveranlagung der Klägerin mit dem Beigeladenen vom 28. September 1978 weggefallen. Weil der Beigeladene rechtsgrundlos gezahlt habe, stehe ihm auch der Anspruch auf Rückzahlung zu. Die Klägerin habe keinen Erstattungsanspruch, weil die überzahlten Lohn- und Lohnkirchensteuern nicht für ihre Rechnung "bewirkt" worden seien (vgl. § 37 Abs. 2 Satz 1 AO 1977).

Die Klägerin habe auch als Gesamtgläubigerin (vgl. §§ 428, 429 BGB) keinen Anspruch auf Erstattung der von ihrem Ehemann überzahlten Lohn- und Lohnkirchensteuern erworben. Das Steuerrecht bestimme nicht, daß Gesamtschuldner zu Gesamtgläubigern würden, wenn die Gesamtschuld weggefallen oder übererfüllt sei. Dafür fehle eine dem § 44 AO 1977 entsprechende Regelung für die Gesamtgläubigerschaft im Steuerrecht. Das FG folge der Ansicht nicht, die Gesamtgläubigerschaft sei die selbstverständliche Kehrseite des Gesamtschuldverhältnisses. Im Falle der Zusammenveranlagung von Ehegatten stünde diese Ansicht mit dem ehelichen Güterrecht im Widerspruch. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung tilge jeder Ehegattengesamtschuldner nur seine eigene Steuerschuld. Der Erstattungsanspruch stehe deshalb nur dem Ehegatten zu, der die Zahlung geleistet habe.

Auch § 36 Abs. 4 Satz 3 EStG mache zusammenveranlagte Ehegatten nicht zu Gesamtgläubigern eines Erstattungsanspruchs auf überzahlte Lohn- oder Einkommensteuer. Diese Vorschrift wolle keinen Erstattungsanspruch für jeden Ehegatten unabhängig von der Zahlung schaffen. Sie schaffe keine Aufrechnungslage, sondern setze sie voraus. Das ergebe sich aus dem Wortlaut, dem Ziel und der Entstehungsgeschichte der Vorschrift.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Für die Aufrechnung mit und gegen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis gelten nach § 226 Abs. 1 AO 1977 die Vorschriften des bürgerlichen Rechts sinngemäß. Nach § 387 BGB ist Voraussetzung für eine Aufrechnung, daß der Schuldner der einen Forderung der Gläubiger der anderen ist. Diese Gegenseitigkeit der Forderungen ist im vorliegenden Fall nur gegeben, wenn die Klägerin Gläubigerin des Erstattungsanspruchs war, gegen den das FA mit seiner Steuerforderung gegen die Klägerin aufrechnete. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt; denn Gläubiger dieses Erstattungsanspruches ist allein der Beigeladene.

Die Klägerin und der Beigeladene sind zusammen zur Einkommensteuer veranlagt worden. Nach § 26 b EStG werden sie daher "gemeinsam als Steuerpflichtiger" behandelt. Wenn sich nach der Abrechnung ein Überschuß zugunsten des Steuerpflichtigen ergibt, wird er diesem nach Bekanntgabe des Steuerbescheides ausgezahlt (§ 36 Abs. 4 Satz 2 EStG). Mit dem Steuerbescheid vom 28. September 1978 hat das FA dementsprechend die Erstattung der überzahlten Beträge angeordnet. Daraus ergab sich ein entsprechender Erstattungsanspruch (der vorliegende Fall erfordert keine Entscheidung der Frage, ob Rechtsgrundlage für diesen Erstattungsanspruch allein die entsprechende "Anrechnungsverfügung" im Steuerbescheid - zum Begriff vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 24. Juni 1977 VI R 175/74, BFHE 122, 510, BStBl II 1977, 805 -, § 36 Abs. 4 Satz 2 EStG oder § 37 Abs. 2 AO 1977 ist).

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH steht, wenn Eheleute zusammenveranlagt werden, ein etwaiger Erstattungsanspruch demjenigen Ehegatten zu, der die zu erstattende Steuer an das FA gezahlt hat (Urteile vom 11. Oktober 1961 VII 157/60, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1962, 235, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Reichsabgabenordnung, § 229, Rechtsspruch 11; vom 23. September 1964 I 362/62, HFR 1965, 111, StRK, Reichsabgabenordnung, § 151, Rechtsspruch 6; vom 9. Dezember 1969 VII R 83/67, BFHE 98, 9, BStBl II 1970, 351; vgl. auch BFH-Urteile vom 20. März 1964 V 302/60, StRK, Reichsabgabenordnung, § 150, Rechtsspruch 17; vom 7. Oktober 1970 I R 145/68, BFHE 100, 346, BStBl II 1971, 119). Dem entspricht die Regelung des § 37 Abs. 2 AO 1977, wonach, wenn der rechtliche Grund für die Zahlung einer Steuer später weggefallen ist, derjenige einen Erstattungsanspruch hat, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist. Der erkennende Senat hat keinen Anlaß, von dieser Rechtsprechung, der im Schrifttum überwiegend zugestimmt wird, abzuweichen. Da im vorliegenden Fall kein Zweifel daran besteht, daß die sich aus dem Einkommensteuerbescheid 1977 ergebende Erstattung allein auf die Lohnsteuerzahlungen des Beigeladenen zurückzuführen sind, steht der Erstattungsanspruch diesem und nicht der Klägerin zu.

Aus dem Umstand, daß zusammenveranlagte Ehegatten als ein Steuerpflichtiger behandelt werden (§ 26b EStG), ist nicht zu entnehmen, Ehegatten seien für Erstattungsansprüche der streitbefangenen Art Gesamtgläubiger. Ungeachtet der Zusammenveranlagung bleiben die Ehegatten getrennte Steuersubjekte (vgl. Nissen in Hartmann/Böttcher/Nissen/Bordewin, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, Stand Juni 1982, § 26b Anm. 5).

Die zusammenveranlagten Ehegatten sind zwar hinsichtlich einer etwaigen Steuerschuld Gesamtschuldner (§§ 44, 268 AO 1977). Daraus ergibt sich aber, wie das FG zu Recht ausgeführt hat, nicht, daß die Ehegatten auch Gesamtgläubiger eines Erstattungsanspruches sind, der aus von ihnen entrichteten Überzahlungen herrührt. Zwar ist dem Steuerrecht die Rechtsfigur der Gesamtgläubigerschaft (vgl. §§ 428 ff. BGB) nicht völlig fremd (vgl. Offerhaus in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., AO 1977 § 44 Anm. 40). Wegen der besonderen Belastungen aber, die im Verhältnis mehrerer Gesamtschuldner untereinander entstehen, wenn sie Gesamtgläubiger etwaiger aus dem Gesamtschuldverhältnis entstandener Erstattungsansprüche sind, kann vom Bestehen einer solchen Gesamtgläubigerschaft nur ausgegangen werden, wenn eine entsprechende ausdrückliche gesetzliche Regelung vorliegt. Daran fehlt es hier. Die überwiegende Meinung im Schrifttum geht daher auch mit der zitierten Rechtsprechung des BFH davon aus, daß auch bei Gesamtschuldnerschaft für die Feststellung des Erstattungsberechtigten ermittelt werden muß, wer gezahlt hat (vgl. Offerhaus in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., AO 1977 § 37 Anm. 55; Kruse in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., AO 1977 § 37 Anm. 20; Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung (AO 1977)/Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., AO 1977 § 37 Anm. 6; Herrmann/Heuer/Raupach, Kommentar zum Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, 19. Aufl., § 26b EStG Anm. 9; anderer Ansicht - ohne weitere Begründung - Klein/Orlopp, Abgabenordnung, 2. Aufl., § 37 Anm. 3).

Auch Littmann (Das Einkommensteuerrecht, 13. Aufl., § 26b EStG Anm. 21, § 36 EStG Anm. 40) hält die im vorstehenden Absatz geschilderte überwiegende Meinung grundsätzlich für richtig. Er ist aber der Auffassung (a.a.O., § 26b EStG Anm. 21), daß, wenn Erstattungsansprüche auf gewerblichen Verlusten beruhen, derjenige Ehegatte den Erstattungsanspruch geltend machen kann, in dessen Person die Verluste eingetreten sind. Das wäre im vorliegenden Fall die Klägerin. Littmann bleibt aber die Begründung für eine solche Zuordnung der Erstattungsberechtigung schuldig. Es kann dahinstehen, ob eine solche Regelung rechtspolitisch sinnvoll wäre. Im geltenden Recht findet sie jedenfalls keine Stütze. Es ist aus dem gleichen Grund auch Bühler/Paulick (Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 2. Aufl., § 36 EStG Anm. 9) nicht zu folgen, die meinen, daß das FA mit rückständigen Steuerschulden eines Ehegatten gegenüber dem Auszahlungsanspruch des anderen Ehegatten aufrechnen kann, falls sie diese Möglichkeit nicht durch einen Aufteilungsantrag nach den §§ 268 ff. AO 1977 verhindern.

Das Bestehen einer Gesamtgläubigerschaft ergibt sich auch nicht aus § 36 Abs. 4 Satz 3 EStG. Danach wirkt bei Ehegatten, die zusammenveranlagt worden sind, die Auszahlung i. S. des § 36 Abs. 4 Satz 2 EStG an einen Ehegatten auch für und gegen den anderen Ehegatten. Diese Bestimmung besagt nach ihrem Wortlaut nur, daß das FA befugt ist, nach seiner Wahl an den einen oder den anderen Ehegatten auszuzahlen. Dagegen regelt sie nicht, welcher der Ehegatten die Auszahlung des Erstattungsbetrages fordern darf. Auch dem Sinn und Zweck dieser Bestimmung ist nicht zu entnehmen, daß sie über den Wortlaut hinaus eine Regelung der Anspruchsberechtigung enthält. Die Vorschrift hat zwar zur Erleichterung der Arbeit des FA einen besonderen Schuldbefreiungstatbestand geschaffen, d. h. bestimmt, daß das FA von seiner Zahlungspflicht unabhängig von den Ausgleichspflichten der Ehegatten im Innenverhältnis frei wird, wenn es an einen der beiden Ehegatten gezahlt hat. Zur weiteren Erleichterung der Arbeit des FA, d. h. um dem FA die Prüfung der Frage, welcher der Ehegatten anspruchsberechtigt ist, völlig zu ersparen, hätte der Gesetzgeber sicherlich auch bestimmen können, daß der Erstattungsanspruch beiden Ehegatten gemeinsam als Gesamtgläubiger zustehe. Gerade das hat er aber nicht getan.

Der Entstehungsgeschichte der Vorschrift ist nichts Gegenteiliges zu entnehmen. Zwar heißt es in der Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des § 124 des Steuerreformgesetzes - der später im wesentlichen unverändert als § 36 in das Einkommensteuerreformgesetz 1977 aufgenommen wurde - (BT-Drucks. 7/1470): "Dabei ist der Begriff, Auszahlung' im materiellen Sinne verwendet worden; er schließt z. B. eine Aufrechnung oder Gutschrift nicht aus." Dieser Begründung ist jedoch, wie das FG zu Recht ausgeführt hat, nicht zu entnehmen, der Gesetzgeber habe in Wahrheit eine Gesamtgläubigerschaft der Ehegatten regeln wollen. Sie kann vielmehr unschwer auch so verstanden werden, daß sie Fälle der Aufrechnung meine, in denen die Aufrechnungslage bereits gegeben ist, nicht aber dartun will, daß durch die Neuregelung des § 36 Abs. 4 Satz 3 EStG die Voraussetzungen für eine Aufrechnungslage erst geschaffen werden sollen.

Die angefochtene Aufrechnungsverfügung ist daher rechtswidrig. Die Vorentscheidung hat sie infolgedessen zu Recht aufgehoben.