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BFH-Zwischenurteil vom 1.12.1982 (I R 75/82) BStBl. 1983 II S. 227

Der Tatbestand eines im schriftlichen Verfahren ergangenen finanzgerichtlichen Urteils liefert keinen Beweis für das schriftsätzliche Vorbringen einschließlich der in den Schriftsätzen gestellten Anträge sowie des sonstigen Akteninhalts.

FGO § 105 Abs. 3, § 155; ZPO § 314.

Vorinstanz: FG Münster

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) - eine Stadtgemeinde - betreibt als körperschaftsteuerpflichtigen Eigenbetrieb eine Friedhofsgärtnerei. In der Revisionsinstanz ist noch streitig, ob die Kosten für die Prüfung dieses Eigenbetriebs durch das städtische Rechnungsprüfungsamt als Betriebsausgaben abzugsfähig sind.

Die Klägerin hatte hierfür folgende Beträge angesetzt:

1969

1970

1972

1972

1973

DM

DM

DM

DM

DM

       

3.00

5.100

5.100

5.000

9.200

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) hatte aufgrund einer Betriebsprüfung diese Kosten nicht als Betriebsausgaben zum Abzug zugelassen. Auf die Körperschaftsteuerveranlagungen der Klägerin für die Jahre 1969 und 1970 wirkte sich diese Entscheidung des FA nicht aus, da die Körperschaftsteuer für diese Jahre infolge von Verlusten weiterhin 0 DM betrug. Von steuerlicher Auswirkung ist die Streitfrage für die Veranlagungen 1971 bis 1973, da insoweit jeweils ein positives Einkommen ermittelt worden ist, das zu einer Steuer führt.

Die Klägerin hatte ursprünglich auch wegen der Körperschaftsteuerveranlagungen 1969 und 1970 Klage erhoben. Auf Veranlassung des Berichterstatters des Finanzgerichts (FG) hat sie die Klage wegen der Veranlagungen 1969 und 1970 zurückgenommen und ihre Klage auf die Körperschaftsteuerveranlagungen 1971 bis 1973 beschränkt.

Das FG hat die Klage, soweit sie die Abzugsfähigkeit der Kosten der Prüfung durch das städtische Rechnungsprüfungsamt betrifft, als unbegründet abgewiesen. Das Urteil erging im schriftlichen Verfahren. Die Klage hatte nur hinsichtlich eines anderen - verhältnismäßig geringfügigen - Streitpunktes Erfolg.

Gegen das Urteil des FG hat die Klägerin Revision eingelegt. Sie rügt Verletzung materiellen Rechts. Die Kosten für die Prüfung durch das städtische Rechnungsprüfungsamt seien abzugsfähige Betriebsausgaben.

Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung und der Einspruchsentscheidung sowie unter Änderung des zugrunde liegenden Sammelkörperschaftsteuerbescheids die Prüfungskosten des Rechnungsprüfungsamts als Betriebsausgaben anzuerkennen und die veranlagte Körperschaftsteuer insoweit zugunsten der Klägerin herabzusetzen.

Das FA beantragt die Zurückweisung der Revision.

Die Verfahrensbeteiligten haben zum Wert des Streitgegenstands Stellung genommen.

Die Klägerin meint, da sich der Abzug eines Verlustes aus 1969 noch im Streitjahr 1971 auswirke (§ 10d des Einkommensteuergesetzes - EStG -) und die Klage auch die Frage betroffen habe, ob die in den Jahren 1969 und 1970 aufgewendeten Kosten für die Prüfung durch das städtische Rechnungsprüfungsamt als Betriebsausgaben abzugsfähig seien, sei der Wert ihrer Beschwer für die Revisionsinstanz aufgrund folgender streitiger Betriebsausgaben zu ermitteln: 1969 3.000 DM, 1970 5.100 DM, 1971 5.100 DM, 1972 5.000 DM und 1973 9.200 DM, insgesamt 27.400 DM. Bei einem Steuersatz von 49 v.H. (§ 19 Abs. 1 Nr. 3 des Körperschaftsteuergesetzes - KStG - a.F.) betrage der Streitwert für die Revision 13.426 DM und überschreite somit die Grenze von 10.000 DM (Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs - BFHEntlG -).

Demgegenüber trägt das FA vor, im Verfahren vor dem FG sei zuletzt - das ergebe sich aus dem Urteil - beantragt worden, die Kosten für die Prüfung durch das Rechnungsprüfungsamt wie folgt zu berücksichtigen: 1971 5.100 DM, 1972 5.000 DM und 1973 9.200 DM = 19.300 DM. Nach Rücknahme der Klage wegen der Körperschaftsteuer 1969 und 1970 habe die Klägerin keinen Antrag mehr auf Berücksichtigung der in 1969 und 1970 geleisteten Ausgaben für das Rechnungsprüfungsamt gestellt. Der Streitwert ihrer Revision könne demnach nur 49 v.H. von 19.300 DM, das seien 9.457 DM, betragen.

Der Senat hält es für angebracht, durch Zwischenurteil über die Zulässigkeit der Revision vorab zu entscheiden (§ 121 i.V.m. § 97 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig.

Da die Klägerin keine zulassungsfreie Revision (§ 116 FGO) eingelegt hat und die Revision nicht zugelassen worden ist, ist ihre Revision nach § 115 Abs. 1 FGO i.V.m. Art. 1 Nr. 5 Satz 1 BFHEntlG nur zulässig, wenn der Wert des Streitgegenstandes 10.000 DM übersteigt. Der erkennende Senat stimmt der Auffassung der Klägerin zu, daß der Streitwert ihrer Revision 13.426 DM, also mehr als 10.000 DM, beträgt.

Das Begehren der Klägerin ist im Urteil des FG nur unvollständig zum Ausdruck gekommen. Der Tatbestand des Urteils - die Darlegung des Sach- und Streitstands nebst den gestellten Anträgen (§ 105 Abs. 3 FGO) - stellt darauf ab, daß nur die in den Jahren 1971 bis 1973 angefallenen Kosten für das Rechnungsprüfungsamt im Gesamtbetrag von 19.300 DM streitig seien. Demgegenüber ergibt sich aus den FG-Akten, daß die Klägerin im Verlauf des finanzgerichtlichen Verfahrens die Geltendmachung der in den Jahren 1969 und 1970 angefallenen Kosten für die Prüfung durch das Rechnungsprüfungsamt im Gesamtbetrag von weiteren 8.100 DM nicht aufgegeben hat. Ihre Klagerücknahme bezog sich laut Schriftsatz vom 29. Januar 1982 auf die Streitjahre 1969 und 1970 "im Hinblick auf die steuerlichen Verlustabschlüsse". Diese Prozeßerklärung ist auslegungsfähig. Dabei muß berücksichtigt werden, daß diese Erklärung auf Anregung des Berichterstatters des FG abgegeben worden ist, der der Klägerin ausführlich auseinandersetzte, daß der Klage wegen der Körperschaftsteuerbescheide 1969 und 1970 die Beschwer fehle, weil die Steuer hier auf 0 DM laute und über die Höhe des vortragsfähigen Verlustes erst bei der Veranlagung entschieden werden könne, bei der der Verlustvortrag zum Tragen komme; die Klage müßte, soweit sie die Veranlagungen 1969 und 1970 betreffe, in jedem Falle abgewiesen werden, selbst wenn das FG die Abzugsfähigkeit der streitbefangenen Prüfungskosten bejahen sollte. Bei Würdigung dieser Umstände kann entgegen der Auffassung des FA nicht davon ausgegangen werden, daß die Klägerin in der Vorinstanz darauf verzichtet hat, die während der Jahre 1969 und 1970 angefallenen und sich über den Verlustabzug in 1971 noch steuerlich auswirkenden Prüfungskosten weiterhin als Betriebsausgaben geltend zu machen.

Das FA ist offenbar der Meinung, daß der Tatbestand des finanzgerichtlichen Urteils nebst dem dort wiedergegebenen Klageantrag Beweis für das zuletzt maßgebliche Vorbringen der Klägerin erbringe. Es folgert daraus, daß aufgrund des FG-Urteils die Beschwer der Klägerin weniger als 10.000 DM betrage und der Wert des Streitgegenstandes somit nicht die maßgebliche Grenze für eine Streitwertrevision überschreite. Dieser Auffassung stimmt der Senat nicht zu. Das Urteil des FG ist im Schriftlichen Verfahren ergangen. Es kann daher die auch im finanzgerichtlichen Verfahren über § 155 FGO anzuwendende Beweisregel des § 314 der Zivilprozeßordnung keine Anwendung finden. Nach dieser Vorschrift liefert der Tatbestand des Urteils zwar Beweis, aber ausschließlich für das mündliche Parteivorbringen. Im schriftlichen Verfahren gilt der urkundlich belegte Vortrag. Der Tatbestand des im schriftlichen Verfahren ergangenen Urteils beweist nichts über den Inhalt der Schriftsätze und den sonstigen Akteninhalt; demgemäß kommt im Falle des schriftlichen Verfahrens auch keine Tatbestandsberichtigung in Betracht (Wieczorek, Zivilprozeßordnung und Nebengesetze, 2. Aufl., § 314, Anm. A I b, § 320 Anm. A I b 1; Entscheidung des Kammergerichts vom 22. November 1965 16 U 1081/64, Neue Juristische Wochenschrift 1966, 601).

Da nach alledem der Streitwert der von der Klägerin eingelegten Revision mehr als 10.000 DM beträgt, und auch die übrigen Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Revision gegeben sind, ist zu erkennen, daß die Revision zulässig ist.