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BFH-Beschluß vom 15.12.1982 (I B 41/82) BStBl. 1983 II S. 230

Die Entscheidung über die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung ist als prozeßleitende Maßnahme i. S. des § 128 Abs. 2 FGO nicht mit der Beschwerde anfechtbar.

FGO § 93 Abs. 3 Satz 2, § 128 Abs. 2.

Vorinstanz: FG Köln

Sachverhalt

Die Klägerin, Revisionsklägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) - eine GmbH - führte beim Finanzgericht (FG) einen Rechtsstreit. Am 27. Januar 1982 fand eine mündliche Verhandlung vor dem FG statt. Auf Grund dieser Verhandlung erging ein Urteil, das der Klägerin am 6. März 1982 zugestellt wurde.

Mit Schriftsatz vom 28. Januar 1982 nahm die Klägerin erneut zur Sache Stellung und beantragte, "für den Fall, daß das Gericht die mündliche Verhandlung für geschlossen erklärt" habe, "auf Grund der obigen Ausführungen und Nachweise Wiedereröffnung".

Das FG hat den Antrag der Klägerin auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung durch Beschluß vom 15. Februar 1982 zurückgewiesen ... Der Beschluß, der den Beteiligten mit dem Urteil vom 27. Januar 1982 zugestellt wurde, enthält die Rechtsmittelbelehrung, daß gegen den Beschluß die Beschwerde zulässig sei.

Die Klägerin hat gegen das Urteil des FG Revision eingelegt. Sie hat zugleich den Beschluß vom 15. Februar 1982 mit der Beschwerde angefochten. Das FG habe durch diesen Beschluß ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.

Der Beklagte, Revisionsbeklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist nicht statthaft.

Die Entscheidung über die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung (§ 93 Abs. 3 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) ist als prozeßleitende Maßnahme i. S. des § 128 Abs. 2 FGO nicht mit der Beschwerde anfechtbar (vgl. Hübschmann/Hepp/ Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., Anm. 8 zu § 93 FGO; Ziemer/ Haarmann/Lohse/Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Rdnr. 7840; Redeker/von Oertzen, Verwaltungsgerichtsordnung, 7. Aufl., Anm. 6 zu § 104; Wieczorek, Zivilprozeßordnung und Nebengesetze, 2. Aufl., § 156 Anm. D; Thomas/Putzo, ZPO, Zivilprozeßordnung mit Nebengesetzen, 12. Aufl., Anm. 1 zu § 156).

Den Begriff "prozeßleitende Verfügungen" enthalten die beinahe wortgleichen §§ 128 Abs. 2 FGO, 146 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und 172 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Er ist gesetzlich nicht näher bestimmt. Aus seinem Wortlaut und Sinn ist jedoch zu entnehmen, daß es sich um Entscheidungen des Gerichts oder seines Vorsitzenden handeln muß, die einen gesetzmäßigen und zweckfördernden Verlauf des Verfahrens, eine erschöpfende und doch zügige Verhandlung und eine Beendigung des Rechtsstreits auf kürzestem Wege zum Ziel haben (Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 13. Aufl., § 62 I und II a). Es muß sich also um Entscheidungen handeln, die unmittelbar den Verlauf des gerichtlichen Verfahrens selbst betreffen und mit den in § 128 Abs. 2 FGO (§§ 146 Abs. 2 VwGO, 172 Abs. 2 SGG) ausdrücklich genannten Maßnahmen in ihrer Bedeutung für die Beteiligten vergleichbar sind (vgl. Kopp, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Aufl., Anm. 8 zu § 146). Nach dem Beschluß des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 24. März 1981 VII B 64/80 (BFHE 133, 8, BStBl II 1981, 475) dürfen die Entscheidungen keinen besonders hohen Stellenwert haben.

Hat der Gesetzgeber die Entscheidung in das Ermessen des Gerichts gestellt, so spricht dies im allgemeinen dafür, daß es sich um eine nicht anfechtbare prozeßleitende Maßnahme handelt (vgl. BFH-Urteil vom 3. Juli 1970 III R 72/68, BFHE 100, 160, BStBl II 1970, 853; Beschlüsse des Oberverwaltungsgerichts - OVG - Münster vom 13. Dezember 1972 IV B 698/72, Monatsschrift für Deutsches Recht - MDR - 1973, 436, und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 20. Juli 1970, Nr. 38 I 70, Bayerische Verwaltungsblätter - BayVBI - 1971, 395; Hübschmann/Hepp/Spitaler, a. a. O., Anm. 20 zu § 128 FGO; Kopp, a. a. O.; Redeker/von Oertzen, a. a. O., Anm. 7 zu § 146). Es ist dann die Annahme gerechtfertigt, der Gesetzgeber habe diesem Gericht wegen seiner größeren Orts- und Sachnähe die Entscheidung allein und abschließend übertragen wollen.

Die Entscheidung darüber, ob eine bereits geschlossene mündliche Verhandlung wiedereröffnet werden soll, steht gemäß § 93 Abs. 3 Satz 2 FGO im Ermessen des Gerichts (allgemeine Auffassung: vgl. BFH-Urteil vom 29. November 1973 IV R 221/69, BFHE 111, 21, BStBl II 1974, 115; Urteil des Bundessozialgerichts - BSG - vom 31. Januar 1974 4 RJ 183/73, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1974, 464; Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 10. Juli 1979 VI ZR 223/78, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1979, 2109; Gräber, Finanzgerichtsordnung, Anm. 4 zu § 93; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., Tz. 3 zu § 93 FGO; Redeker/von Oertzen, a. a. O., Anm. 5 zu § 104).

Das Gericht entscheidet über die Wiedereröffnung von Amts wegen oder auf Antrag eines Beteiligten. Anträge auf Wiedereröffnung sind lediglich als Anregung aufzufassen. Ein Rechtsanspruch auf Wiedereröffnung besteht grundsätzlich nicht (BGH-Beschluß vom 28. November 1978 X ZB 15/77, MDR 1979, 398).

Eine Pflicht zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung wird nur dann angenommen, wenn durch die Ablehnung der Wiedereröffnung wesentliche Prozeßgrundsätze verletzt würden, wenn z. B. der Vorsitzende seine Pflicht, auf die Beseitigung von Formfehlern oder auf die Stellung von klaren Anträgen hinzuwirken, verletzen würde (BSG-Urteil vom 21. April 1966 9 RV 742/65, NJW 1966, 1478) oder wenn sich bei der Beratung herausstellt, daß die mündliche Verhandlung ohne ausreichende Sachaufklärung geschlossen wurde (BFHE 111, 21, BStBl II 1974, 115 m. w. N.).

Der Ausschluß des Beschwerderechts bei Entscheidungen über die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung führt nicht zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung des Rechtsschutzes der Beteiligten. Denn es bleibt den Beteiligten unbenommen, im Revisionsverfahren mit der Verfahrensrüge geltend zu machen, das FG habe durch die Ablehnung der Wiedereröffnung seine Pflicht zur Sachaufklärung (§ 76 FGO) verletzt.

Auch die Bedeutung der Entscheidung über die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung rechtfertigt es nicht, den Beteiligten gegen die Ablehnung der Wiedereröffnung das Recht der Beschwerde einzuräumen. Denn diese Entscheidung hat kein größeres Gewicht als die anderen in § 128 Abs. 2 FGO genannten Verfügungen.

Der Senat sieht von der Erhebung von Kosten gemäß § 8 Abs. 1 Satz 3 des Gerichtskostengesetzes ab. Nach dieser Vorschrift kann für abweisende Bescheide von der Erhebung von Kosten abgesehen werden, wenn der Antrag auf unverschuldeter Unkenntnis der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse beruht.

Im Streitfall hat das FG eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung erteilt, indem es die Klägerin auf den Beschwerdeweg verwiesen hat. Es ist nicht auszuschließen, daß die Klägerin durch die unzutreffende Rechtsmittelbelehrung zur Einlegung der Beschwerde veranlaßt worden ist.