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BFH-Urteil vom 10.2.1983 (IV R 104/79) BStBl. 1983 II S. 286

1. Ordnet das FA die Erweiterung einer Außenprüfung über den in § 4 Abs. 2 BpO(St) vorgesehenen Zeitraum von drei Jahren hinaus an, weil für den erweiterten Prüfungszeitraum mit nicht unerheblichen Steuernachforderungen zu rechnen ist, so muß die Erweiterung der Prüfungsanordnung entsprechend begründet werden.

2. Fehlt einer Prüfungsanordnung die hiernach erforderliche Begründung, so kann dieser Mangel dadurch geheilt werden, daß die Begründung nachträglich - z. B. in einer Beschwerdeentscheidung - gegeben wird.

AO 1977 § 196, § 121 Abs. 1, § 126 Abs. 1 Nr. 2; BpO(St) § 4 Abs. 2.

Vorinstanz: FG Münster

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) übernahm im Jahre 1973 einen Getränkevertrieb. Seine Gewinne für die Jahre 1973 und 1974 ermittelte er durch Schätzungen; für die Jahre ab 1975 führte er Gewinnermittlungen aufgrund von Bestandsvergleichen durch.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) ordnete mit Verfügung vom 5. Mai 1977 unter Hinweis auf § 193 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) eine Betriebsprüfung an. Die Anordnung betraf u.a. die Umsatzsteuer, Einkommensteuer, Gewerbesteuer, Vermögensteuer sowie die Einheitsbewertung des Betriebsvermögens für die Zeiträume 1974 bis 1976.

Am 24. Mai 1977 erweiterte das FA seine Verfügung vom 5. Mai 1977, indem es die Prüfung hinsichtlich der genannten Steuerarten nunmehr auch für das Jahr 1973 anordnete. Auch in dieser Prüfungsanordnung wurde auf § 193 Abs. 1 AO 1977 verwiesen; eine weitere Begründung wurde nicht gegeben.

Gegen die Erweiterung der Prüfungsanordnung auf das Jahr 1973 erhob der Kläger Beschwerde, die die Oberfinanzdirektion (OFD) mit Entscheidung vom 25. November 1977 zurückwies. Zur Begründung führte die OFD aus, die Erstreckung des Prüfungszeitraums auf das Jahr 1973 sei rechtmäßig; denn es sei damit zu rechnen gewesen, daß sich für dieses Jahr nicht unerhebliche Steuernachforderungen ergeben würden. Für die Jahre 1974 und 1975 seien bei den vorangemeldeten Umsätzen erhebliche Unrichtigkeiten festgestellt worden. Deshalb sei zu vermuten, daß sich ähnlich erhebliche Abweichungen auch für das Jahr 1973 ergeben würden.

Die Klage hatte keinen Erfolg.

Mit seiner - vom Finanzgericht (FG) wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen - Revision rügt der Kläger, daß das FG die - als Ermessensentscheidung der Finanzverwaltung zu beurteilende - Anordnung über die Ausdehnung der Prüfung auf das Jahr 1973 gebilligt habe. Eine derartige Anordnung sei nur zulässig, wenn mit nicht unerheblichen Steuernachforderungen zu rechnen sei. Daran habe es im Streitfall gefehlt. Aus den Prüfungsergebnissen der Jahre 1974 bis 1976 hätten keine Schlüsse auf das Ergebnis des Jahres 1973 gezogen werden können. - Außerdem rügt der Kläger, daß der Verwaltungsakt über die Ausdehnung des Prüfungszeitraums auf das Jahr 1973 nicht mit einer Begründung versehen gewesen sei, die diesen Verwaltungsakt nachprüfbar gemacht hätte. Die nachgeschobene Begründung in der Beschwerdeentscheidung der OFD genüge hierfür nicht.

Der Kläger beantragt, die Anordnung der Ausdehnung des Prüfungszeitraums auf das Jahr 1973, die Beschwerdeentscheidung der OFD sowie das Urteil des FG ersatzlos aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Es hat auf Anfrage mitgeteilt, daß die Durchführung der angeordneten erweiterten Betriebsprüfung bis zur Entscheidung über die Revision zurückgestellt worden sei.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Dem FG ist darin beizupflichten, daß die Erweiterung der Prüfungsanordnung auf das Jahr 1973 rechtmäßig war.

1. Gesetzliche Grundlage für die Anordnung einer Außenprüfung bei Steuerpflichtigen, die einen gewerblichen Betrieb unterhalten, ist die Vorschrift des § 193 Abs. 1 AO 1977. Hiernach ist bei dem genannten Personenkreis "eine Außenprüfung ... zulässig".

Macht das FA von der Prüfungsmöglichkeit des § 193 Abs. 1 AO 1977 Gebrauch, so kann es den sachlichen und zeitlichen Umfang der Außenprüfung bestimmen (§ 196 AO 1977). Während sich der sachliche Umfang auf die zu prüfenden Steuerarten (bzw. auf die zu prüfenden einzelnen Sachverhalte) bezieht, geht es beim zeitlichen Umfang um die Besteuerungszeiträume, die geprüft werden sollen.

In welchem Umfang im Einzelfall eine (gesetzlich zulässige) Prüfung anzuordnen ist, ist eine Ermessensfrage (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 29. April 1970 IV R 259/69, BFHE 99, 365, BStBl II 1970, 714, und vom 6. Dezember 1978 I R 131/75, BFHE 126, 379, BStBl II 1979, 162). Die Finanzverwaltung hat bei der Ausübung dieses Ermessens die Allgemeine Verwaltungsvorschrift für die Betriebsprüfung - BpO(St) - zu beachten. Hiernach soll der Prüfungszeitraum bei anderen Betrieben als Großbetrieben nicht über die letzten drei Besteuerungszeiträume, für die vor Bekanntgabe der Prüfungsanordnung Steuererklärungen abgegeben wurden, zurückreichen, es sei denn, daß die Besteuerungsgrundlagen nicht ohne Erweiterung des Prüfungszeitraums festgestellt werden können oder mit nicht unerheblichen Steuernachforderungen zu rechnen ist (§ 4 Abs. 2 BpO(St) i. d. F. vom 23. Dezember 1965). In dieser Vorschrift liegt nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. BFHE 99, 365, BStBl II 1970, 714; BFHE 126, 379, BStBl II 1979, 162) eine Selbstbeschränkung des Verwaltungsermessens.

Die Voraussetzungen, unter denen nach § 4 Abs. 2 BpO(St) eine Erweiterung des Prüfungszeitraums vorgesehen ist, haben im Streitfall vorgelegen. Nach den Feststellungen des FG konnte das FA unter den gegebenen Umständen davon ausgehen, daß sich die für die Jahre 1974 und 1975 vom Steuerberater des Klägers ermittelten Besteuerungsgrundlagen als zu niedrig erwiesen haben und deshalb für diese Jahre mit nicht unerheblichen Steuernachforderungen gerechnet werden mußte. Entgegen der Auffassung des Klägers bedeutet es keinen Verstoß gegen allgemeine Erfahrungssätze oder gegen Denkgesetze, wenn hieraus der Schluß gezogen wurde, daß auch für das Jahr 1973 mit nicht unerheblichen Steuernachforderungen gerechnet werden konnte. Dieser Schluß wird durch die Tatsache gerechtfertigt, daß bei den Umsatzsteuervoranmeldungen für 1974 und 1975 erhebliche Unrichtigkeiten unterlaufen sind; das FA konnte annehmen, daß ähnliche Unrichtigkeiten auch im Jahre 1973 vorgekommen sind.

2. Auch dem Erfordernis, die Erweiterung der Prüfungsanordnung zu begründen, ist im Streitfall hinreichend Rechnung getragen worden.

Die Prüfungsanordnung (§ 196 AO 1977) ist ein schriftlicher Verwaltungsakt. Er ist - wie andere Verwaltungsakte auch - gemäß § 121 Abs. 1 AO 1977 "schriftlich zu begründen, soweit dies zu seinem Verständnis erforderlich ist".

Für die Anordnung einer routinemäßigen Prüfung bei Steuerpflichtigen, die unter § 193 Abs. 1 AO 1977 fallen, genügt es im allgemeinen, wenn als Begründung die Rechtsgrundlage - d. h. die für die Prüfungsanordnung maßgebende Rechtsvorschrift - angegeben wird (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 196 AO 1977 Tz. 2 mit weiteren Nachweisen).

Weicht die Anordnung allerdings vom üblichen Prüfungszeitraum ab oder wird der Prüfungszeitraum erweitert, so muß die Begründung die vom FA angestellten Ermessenserwägungen erkennen lassen (Urteil in BFHE 126, 379, BStBl II 1979, 162). Stützt das FA die Ausdehnung der Prüfungsanordnung auf die Erwartung von nicht unerheblichen Steuernachforderungen - § 4 BpO(St) -, so müssen die Tatsachen, aus denen diese Erwartung hergeleitet wird, angegeben werden (BFHE 126, 379, BStBl II 1979, 162).

Fehlt der Prüfungsanordnung (bzw. deren Erweiterung) die hiernach erforderliche Begründung, so ist sie fehlerhaft. Der Mangel einer fehlenden oder unzureichenden Begründung kann aber geheilt werden. Nach § 126 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 ist die Verletzung der Vorschriften über den Begründungszwang unbeachtlich, "wenn die erforderliche Begründung nachträglich gegeben wird". Wie der Senat bereits entschieden hat, kann ein Begründungsmangel durch die Ausführungen in der Beschwerdeentscheidung geheilt werden (Urteil vom 5. November 1981 IV R 179/79, BFHE 134, 395, BStBl II 1982, 208).

Im Streitfall hat das FA als Grund für die Erweiterung der Prüfungsanordnung lediglich die Vorschrift des § 193 Abs. 1 AO 1977 genannt; dagegen fehlte es an der Angabe von Tatsachen, auf die die Erweiterung gestützt wird. Dieser Mangel ist jedoch durch die Ausführungen in der Beschwerdeentscheidung der OFD vom 25. November 1977 geheilt worden.