| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

 

BFH-Urteil vom 15.12.1982 (II R 72/81) BStBl. 1983 II S. 384

Der Ablauf einer eigentlich am 31. Dezember 1967 endenden Verjährungsfrist bei einem Grunderwerbsteueranspruch wurde durch eine vor dem 1. Januar 1968 begonnene Betriebsprüfung auch dann gehemmt, wenn erst nach dem 31. Dezember 1967 die Prüfungsanordnung auf die Grunderwerbsteuer erstreckt worden ist und erst nach diesem Zeitpunkt vom Prüfer Ermittlungen zur Grunderwerbsteuer aufgenommen worden sind.

AO in der ab 1. Januar 1966 geltenden Fassung § 146a Abs. 3.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

I.

Die Streitsache befindet sich im zweiten Rechtsgang.

Mit notariell beurkundetem Vertrag vom ... 1961 erwarb die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) von einer Erbengemeinschaft mehrere Grundstücke. Das beklagte Finanzamt (FA) stellte den Erwerb von der Grunderwerbsteuer frei gemäß § 1 Nr. 1 des Niedersächsischen Gesetzes über die Befreiung des sozialen Wohnungsbaues von der Grunderwerbsteuer (GrESWG ND). Im Jahre 1962 hoben die Klägerin und die Erbengemeinschaft den Kaufvertrag wieder auf. Die inzwischen an die Klägerin aufgelassenen Grundstücke wurden auf die Erbengemeinschaft zurückübertragen und von dieser größtenteils anschließend an eine Kommanditgesellschaft weiterveräußert. Das FA erkannte durch eine interne Verfügung an, daß eine steuerfreie Rückgängigmachung des Erwerbsvorganges i. S. des § 17 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) vorliege.

Im Rahmen einer 1967/68 bei der Klägerin vorgenommenen Betriebsprüfung wurden Schriftstücke vorgefunden, die das FA zu der Auffassung kommen ließen, die Vertragsaufhebung sei nicht als eine zur Nichterhebung der Steuer führende Rückgängigmachung anzusehen. Das FA setzte daraufhin 1969 gemäß § 5 GrESWG ND wegen Aufgabe des begünstigten Zwecks Grunderwerbsteuer gegen die Klägerin fest. Auf die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage setzte das Finanzgericht (FG) die Steuer herab; im übrigen wies es die Klage ab. Nur im Umfang der Steuerherabsetzung hatte es einen Rückerwerb anerkannt.

Auf die Revision der Klägerin hob der Bundesfinanzhof (BFH) im ersten Rechtsgang die Vorentscheidung auf und verwies die Sache an das FG zurück. Der BFH führte aus, der Erwerb der Klägerin sei insoweit, als das FG den angefochtenen Bescheid aufrechterhalten habe, nicht i. S. des § 17 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG rückgängig gemacht worden, weil die Veräußerin nicht ihre ursprüngliche Rechtsstellung wiedererlangt habe. Die Aufhebung der Vorentscheidung und die Zurückverweisung der Sache seien im Hinblick darauf erforderlich, daß das FG nicht auf die Frage der Verjährung eingegangen sei. Nach den getroffenen Feststellungen sei davon auszugehen, daß der Lauf der Verjährungsfrist für die nach § 5 GrESWG ND entstandene Grunderwerbsteuer mit dem 1. Januar 1963 begonnen habe. Die regelmäßige Frist von fünf Jahren wäre mit dem 31. Dezember 1967 abgelaufen, falls nicht durch die Betriebsprüfung gemäß § 146a Abs. 3 der Reichsabgabenordnung (AO) i. d. F. ab 1. Januar 1966 eine Ablaufhemmung eingetreten sei. Ob dies zutreffe, lasse sich den Feststellungen des FG nicht entnehmen.

Im zweiten Rechtsgang hat das FG wiederum die Grunderwerbsteuer herabgesetzt und die Klage im übrigen abgewiesen. Hierzu hat es ausgeführt, es sei keine Verjährung eingetreten, weil durch die am 5. Dezember 1967 begonnene Betriebsprüfung der Ablauf der Verjährungsfrist gehemmt worden sei. Nach § 146a Abs. 3 AO in der ab 1. Januar 1966 geltenden Fassung komme es für die Ablaufhemmung nur darauf an, daß der Betriebsprüfer seine Tätigkeit rechtzeitig aufnimmt und im Laufe der Prüfung die betreffende Steuerart prüft. Unerheblich sei, daß die Prüfungsanordnung vom 20. November 1967 erst am 31. Januar 1968 auf die Grunderwerbsteuer ausgedehnt worden sei.

Mit der Revision beantragt die Klägerin, die Vorentscheidung, die Einspruchsentscheidung und den Grunderwerbsteuerbescheid aufzuheben. Sie rügt Verletzung des § 146a Abs. 3 AO in der ab 1. Januar 1966 geltenden Fassung und macht geltend, nach Sinn und Zweck dieser Bestimmung sei der Prüfungsbeginn nur maßgebend, wenn zu diesem Zeitpunkt feststehe, daß die betreffende Steuerart geprüft werden solle.

Das FA ist der Revision entgegengetreten.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet und wird zurückgewiesen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das FG hat zu Recht entschieden, daß der Grunderwerbsteueranspruch beim Erlaß des angefochtenen Bescheides noch nicht verjährt war.

Der Nachversteuerungsanspruch ist gemäß § 5 GrESWG ND im Jahre 1962 entstanden, so daß aufgrund der §§ 144 Satz 1, 145 Abs. 1 AO in der bis zum 1. Januar 1966 geltenden Fassung die 5jährige Verjährungsfrist mit dem 1. Januar 1963 begonnen hat. Sie hätte demzufolge mit dem Jahresschluß 1967 geendet, wenn ihr Ablauf nicht zuvor durch die 1967 bei der Klägerin begonnene Betriebsprüfung gehemmt worden wäre.

Für die Frage, ob eine Betriebsprüfung zur Hemmung des Ablaufs der Verjährungsfrist geführt hat, ist im vorliegenden Fall § 146a Abs. 3 AO in der ab 1. Januar 1966 geltenden Fassung maßgebend. Art. 5 Abs. 2 des Gesetzes zur Änderung der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze (AOÄG) vom 15. September 1965 (BGBl I 1965, 1356) bestimmt, daß grundsätzlich für die vor Ablauf des Kalenderjahres 1965 entstandenen Abgabenansprüche die Vorschriften über die Verjährung in der bis zum 1. Januar 1966 maßgebenden Fassung gelten. Das Gesetz macht hierbei jedoch die Ausnahme, daß vom Inkrafttreten des AOÄG an die Verjährung nur nach den §§ 146, 146a und 147 AO in der vom 1. Januar 1966 an geltenden Fassung gehemmt oder unterbrochen wird.

Der Ablauf der Verjährungsfrist ist gemäß § 146a Abs. 3 AO in der ab 1. Januar 1966 geltenden Fassung durch den Beginn der Betriebsprüfung vor Ablauf des Jahres 1967 gehemmt worden; die Hemmung hat nicht vor dem Erlaß des angefochtenen Bescheides ihr Ende gefunden. Die zitierte Vorschrift bestimmt für den Fall des Beginns mit einer Betriebsprüfung vor Ablauf der Verjährungsfrist, daß die Ansprüche, auf die sich die Betriebsprüfung erstreckt, nicht verjähren, bevor die aufgrund der Betriebsprüfung ergangenen Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind oder dem Steuerpflichtigen die Mitteilung zugegangen ist, daß eine Festsetzung unterbleibt. Nach den ungerügt gebliebenen Feststellungen des FG hat die Betriebsprüfung bei der Klägerin noch im Jahre 1967 begonnen, so daß damit die Voraussetzungen der Ablaufhemmung vor dem Ende der Verjährungsfrist gegeben waren. Demgegenüber ist es unerheblich, daß der Prüfer die Frage des Entstehens einer Grunderwerbsteuerschuld der Klägerin nicht vor dem 31. Dezember 1967 aufgegriffen hat, wie die Klägerin geltend macht. Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut, der mit Sinn und Zweck der Vorschrift im Einklang steht, kommt es nicht darauf an, wann der Prüfer beginnt, sich mit einer bestimmten Steuerart zu befassen. Ausschlaggebend ist vielmehr allein der Zeitpunkt, zu dem mit der Prüfung begonnen worden ist. Die Vorschrift des § 146a Abs. 3 AO in der vom 1. Januar 1966 an geltenden Fassung ist zwar eingeführt worden, um den Schutz des Steuerpflichtigen dagegen zu verbessern, daß der Ablauf der Verjährungsfrist durch die Finanzbehörde übermäßig hinausgeschoben wird. Die zu diesem Zweck geschaffene Regelung läßt jedoch nicht die Interessen der Allgemeinheit daran unberücksichtigt, daß dem FA die Möglichkeit verbleiben muß, die Ergebnisse einer vor Ablauf der Verjährungsfrist begonnenen Betriebsprüfung steuerlich auszuwerten, ohne durch den Eintritt der Verjährung daran gehindert zu sein. Dieses bei der Neuregelung der Verjährung vom Gesetzgeber ebenfalls berücksichtigte allgemeine Interesse wäre nicht hinreichend gewahrt, wenn statt auf den Beginn der Betriebsprüfung auf den von Zufälligkeiten abhängigen Zeitpunkt abgestellt wurde, zu dem gerade mit der Prüfung des einzelnen Steueranspruchs begonnen worden ist, dessen Verjährung in Betracht kommt.

Ebenfalls unerheblich ist der Umstand, daß die Prüfungsanordnung vom 20. November 1967 erst am 31. Januar 1968, also nach dem Zeitpunkt, zu dem ohne Ablaufhemmung die Verjährung eingetreten wäre, auf die Grunderwerbsteuer erstreckt worden ist. Selbst dann, wenn der Prüfer den Umfang des Prüfungsauftrages oder der Prüfungsanordnung überschreitet, tritt die Ablaufhemmung mit Beginn der Betriebsprüfung ein und nicht etwa erst mit der Vornahme der einzelnen Prüfungshandlung (vgl. BFH-Urteil vom 10. Dezember 1971 III R 35/71, BFHE 104, 282, 284, BStBl II 1972, 331). Zwar wird zu der nunmehr geltenden Vorschrift des § 171 Abs. 4 der Abgabenordnung (AO 1977) die gegenteilige Ansicht vertreten (vgl. hierzu die Darstellung bei Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 171 AO 1977 Rdnr. 16 4. Absatz m. w. N.). Hieraus kann für die Auslegung des § 146a Abs. 3 AO in der nach dem 1. Januar 1966 geltenden Fassung nichts hergeleitet werden, da seinerzeit - anders als jetzt aufgrund des § 196 AO 1977 - nicht von Gesetzes wegen festgelegt war, daß die Finanzbehörde in einer schriftlich zu erteilenden Prüfungsanordnung den Prüfungsumfang festlegt.

Mithin ist der Ablauf der Verjährungsfrist durch den Beginn der Betriebsprüfung im Jahre 1967 gehemmt worden, so daß der Grunderwerbsteueranspruch nicht mit Ablauf des 31. Dezember 1967 verjähren konnte. Der Klägerin ist vor Erlaß des angefochtenen Bescheides auch keine Mitteilung des FA zugegangen, daß eine Steuerfestsetzung unterbleiben werde (vgl. § 146a Abs. 3 AO in der nach dem 1. Januar 1966 geltenden Fassung), so daß die Hemmung der Verjährung nicht vor dem Erlaß des angefochtenen Bescheides geendet hat.