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BFH-Urteil vom 8.12.1982 (II R 14/78) BStBl. 1983 II S. 430

1. Die Anwendung des § 77 Abs. 5 StBauFG setzt nicht voraus, daß der zu beurteilende Erwerbsvorgang nach dem Inkrafttreten des StBauFG verwirklicht worden ist.

2. Verwirklicht der Erwerber in diesen Fällen den steuerbegünstigten Zweck des § 77 Abs. 1 Nr. 1 StBauFG innerhalb der Nachversteuerungsfrist des § 77 Abs. 3 Nr. 1 StBauFG, so findet eine Nachversteuerung auch dann nicht statt, wenn vorher, aber nach dem Inkrafttreten des StBauFG, die für den bisher verfolgten steuerbegünstigten Zweck geltende Nachversteuerungsfrist abgelaufen ist.

GrEStG Berlin § 6 Abs. 1 Nr. 4, § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 3; StBauFG § 77.

Vorinstanz: FG Berlin

Sachverhalt

Die Klägerin kaufte durch notariell beurkundeten Vertrag vom 4. Oktober 1967 ein im Sanierungsgebiet Berlin-Kreuzberg belegenes Grundstück. Das beklagte Finanzamt (FA) setzte wegen dieses Erwerbsvorganges zunächst Grunderwerbsteuer fest. Die Klägerin machte dagegen Grunderwerbsteuerfreiheit geltend unter Vorlage einer Bescheinigung des Senators für das Bau- und Wohnungswesen, wonach sie das Grundstück "im Rahmen ihrer Tätigkeit als vorgesehener Sanierungsträger zum Zwecke der Sanierung" erworben habe.

Nach Inkrafttreten des Berliner Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) vom 18. Juli 1969 stellte das FA den Erwerbsvorgang unter Aufhebung des 1967 ergangenen Grunderwerbsteuerbescheides gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b i. V. m. § 34 Abs. 2 Nr. 3 GrEStG von der Grunderwerbsteuer frei.

Am 16. April 1973 verkaufte die Klägerin das Grundstück an die A.

Mit Steuerbescheid vom 24. Mai 1973 setzte das FA nunmehr Grunderwerbsteuer nebst Aufgeld fest, weil das Grundstück nicht innerhalb der für maßgebend gehaltenen Fünfjahresfrist des § 10 Abs. 1 Nr. 3 GrEStG dem steuerbegünstigten Zweck zugeführt worden sei.

Mit ihrem Einspruch machte die Klägerin geltend, daß das Grundstück im Bereich der sog. "Kottbusser-Tor-Bebauung" liege. Sie habe mit dem Land Berlin einen Sanierungsvertrag geschlossen, der öffentlich-rechtlicher Art sei. Nach dem Bebauungsplan vom 7. April 1973 habe die Bebauung durch die A zu erfolgen. Sie fügte eine Bescheinigung des Bezirksamtes Kreuzberg von Berlin vom 27. September 1975 bei, wonach sie "durch baubehördliche Maßnahmen im Sinne des § 10 Abs. 3 und 4 GrEStG daran gehindert wurde, das Grundstück für den steuerbegünstigten Zweck (Veräußerung des abgeräumten Grundstücks an einen Bauwilligen) zu verwenden".

Das FA wies den Einspruch als unbegründet zurück.

Die Klägerin hat Klage erhoben und die Aufhebung des angefochtenen Steuerbescheides beantragt. Sie hat unter anderem vorgetragen:

Aufgrund des von ihr mit dem Land Berlin abgeschlossenen Sanierungsvertrages, der ein öffentlich-rechtlicher Vertrag sei, würden von ihr Grundstücksverkäufe getätigt, und zwar entweder auf Weisung der zuständigen Behörde oder mit deren schriftlicher Zustimmung. Hierin sei eine baubehördliche Maßnahme zu sehen, die die rechtzeitige Verwirklichung des steuerbegünstigten Zwecks verhindert habe.

In der mündlichen Verhandlung legte die Klägerin eine Bescheinigung des Bezirksamtes Kreuzberg von Berlin vor, die dahin lautete, daß das Bezirksamt der Klägerin vor dem 7. April 1973 die erforderliche Genehmigung zur Freimachung und zum Abriß des Gebäudes nicht erteilt hätte, um der Bauleitplanung nicht vorzugreifen.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen und die Revision zugelassen.

Die Klägerin hat Revision eingelegt und ihr Klagebegehren weiterverfolgt. Sie rügt Verletzung des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a und b, § 10 Abs. 3, § 9 Abs. 6 GrEStG und des § 77 Abs. 5 des Städtebauförderungsgesetzes (StBauFG). Sie macht unter anderem geltend, sie sei 1965 vom Land Berlin gegründet worden, um Sanierungsmaßnahmen durchzuführen. § 10 Abs. 3 GrEStG sei anwendbar, weil sie durch Vorlage einer Bescheinigung gemäß § 9 Abs. 6 GrEStG den entsprechenden Nachweis erbracht habe.

Im übrigen seien auch die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a GrEStG und des § 77 Abs. 5 StBauFG erfüllt.

Das FA hat beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Der Senator für Finanzen ist dem Revisionsverfahren beigetreten. Er hat wie folgt Stellung genommen:

Der steuerbegünstigte Zweck des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a GrEStG bestehe in der planungsgemäßen Bebauung des Grundstücks oder - sofern eine (Wieder- oder Neu-)Bebauung nicht vorgesehen sei - in der Durchführung anderer städtebaulicher Erneuerungsmaßnahmen zur Beseitigung städtebaulicher Mißstände. Die Durchführung einer oder mehrerer der im Klammerzusatz genannten Maßnahmen reiche bei der Sanierung durch Bebauung nicht zur Verwirklichung des Tatbestandes des Buchst. a aus. In diesem Falle werde der steuerbegünstigte Zweck erst durch die Bebauung erfüllt (§ 6 Abs. 2 Satz 2 GrEStG). Für diese Auslegung spreche auch § 12 Abs. 1 Nr. 2 StBauFG.

Die Anwendung des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b GrEStG komme wegen Überschreitens der Fünfjahresfrist nicht in Betracht. Die Voraussetzungen des § 10 Abs. 3 GrEStG seien nicht erfüllt.

Auch § 77 Abs. 5 StBauFG sei nicht anwendbar. Voraussetzung für die Anwendung dieser Vorschrift sei nach übereinstimmender Auffassung der obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder, daß die Weiterveräußerung zu den nach § 77 Abs. 1 Nr. 1 StBauFG bezeichneten Zwecken innerhalb der gesetzlichen Frist erfolge, die für die Erfüllung des ursprünglich begünstigten Zweckes gegolten habe.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und des angefochtenen Steuerbescheides in der Gestalt der Einspruchsentscheidung.

Der Nachversteuerung des gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b GrEStG von der Grunderwerbsteuer materiell vorläufig freigestellten Erwerbsvorganges gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 GrEStG stand § 77 Abs. 5 StBauFG entgegen. Nach dieser Vorschrift wird die (nach anderen Vorschriften sonst entstehende) Grunderwerbsteuer nicht nacherhoben, wenn und soweit die Grundstücke, die zu einem steuerbegünstigten Zweck erworben worden sind, für die in § 77 Abs. 1 Nr. 1 StBauFG bezeichneten Zwecke verwendet werden. Für diese Zwecke wird ein erworbenes Grundstück u. a. dann verwendet, wenn der Erwerb zur Vorbereitung von Sanierungsmaßnahmen durch einen Sanierungsträger dient, wobei der Befreiung nicht entgegensteht, daß im Erwerbszeitpunkt eine förmliche Festlegung des Sanierungsgebietes noch nicht erfolgt ist.

§ 77 Abs. 5 StBauFG ist auch dann (vor allem dann) anwendbar, wenn der Erwerb vor dem Inkrafttreten des StBauFG erfolgt ist und wenn die vor dem Inkrafttreten des StBauFG verfolgten steuerbegünstigten Zwecke, wie im vorliegenden Fall, mit dem später durch § 77 Abs. 1 Nr. 1 StBauFG begünstigten Zweck weitestgehend übereinstimmen. Die Anwendung des § 77 Abs. 5 StBauFG auf den Erwerbsvorgang des Erwerbers, der die steuerbegünstigten Zwecke des § 77 Abs. 1 Nr. 1 StBauFG selbst verwirklichen will, setzt im übrigen nicht voraus, daß die Verwirklichung dieser Zwecke bereits bis zum Ablauf der vor Inkrafttreten des StBauFG geltenden Nachversteuerungsfrist stattfindet. Bei einer auf den Zweck der Vorschrift ausgerichteten Auslegung des § 77 Abs. 5 StBauFG reicht es für die Anwendung dieser Vorschrift vielmehr aus, daß die bisher maßgebende Nachversteuerungsfrist bei Inkrafttreten des StBauFG noch nicht abgelaufen war und daß der steuerbegünstigte Zweck des § 77 Abs. 1 Nr. 1 StBauFG durch den Erwerber innerhalb der Frist des § 77 Abs. 3 Nr. 1 StBauFG verwirklicht wird.

Nach Sachlage ist nicht zweifelhaft, daß die Klägerin die Voraussetzung des § 77 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a StBauFG, Erwerb zur Vorbereitung von Sanierungsmaßnahmen durch Abräumung des Grundstücks, erfüllt und daß die Frist des § 77 Abs. 3 Nr. 1 StBauFG noch nicht abgelaufen war, als das FA die Nachsteuer festsetzte. Angesichts der Vorlage der Bescheinigung des Senators für das Bau- und Wohnungswesen vom 2. November 1967, aus der sich ergibt, daß die Klägerin das Grundstück im Rahmen ihrer Tätigkeit als vorgesehener Sanierungsträger zum Zwecke der Sanierung erworben hat, ist die Vorlage einer erneuten Bescheinigung nach § 77 Abs. 2 Nr. 1 StBauFG nicht erforderlich. Aus allem folgt, daß die Nachversteuerungsfrist des § 10 Abs. 1 Nr. 3 GrEStG am 4. Oktober 1972 im vorliegenden Fall nicht mehr von Bedeutung ist.

Ist der Nachversteuerungstatbestand des § 10 Abs. 1 Nr. 3 GrEStG schon wegen des § 77 Abs. 5 StBauFG nicht eingetreten, so bedarf es keines Eingehens auf die Frage, ob ein Fall des § 10 Abs. 3 GrEStG vorliegt oder ob der Erwerbsvorgang auch nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a GrEStG befreit war und deshalb einer zehnjährigen Nachversteuerungsfrist unterlag.

Der Senat weist ausdrücklich darauf hin, daß er nicht die Frage geprüft hat, ob § 77 Abs. 5 StBauFG anzuwenden ist, wenn der Erwerber den steuerbegünstigten Zweck des § 77 Abs. 1 Nr. 1 StBauFG nicht selbst verwirklicht, sondern das Grundstück an einen Sanierungsträger weiterveräußert (zur Verwaltungsmeinung zu dieser Frage vgl. Abs. 1 des bei Schulze/Förger/Hofmann, Grunderwerbsteuer-Kommentar, Teilband Berlin, 5. Aufl., S. 52 unter 4., abgedruckten koordinierten Ländererlasses).