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BFH-Urteil vom 31.5.1983 (VII R 7/81) BStBl. 1983 II S. 545

1. Wer nach dem AnfG verpflichtet ist, die Vollstreckung zu dulden, kann vom FA durch Duldungsbescheid nach § 191 AO 1977 in Anspruch genommen werden (Bestätigung der Rechtsprechung; keine Abweichung von dem Urteil des BGH vom 3. März 1976 VIII ZR 197/74, NJW 1976, 967).

2. Eine Verfügung ist nicht unentgeltlich i. S. des § 3 Abs. 1 Nr. 4 AnfG, wenn sie durch Sitte oder Anstand geboten war.

AO 1977 § 191 Abs. 1; RsprEinhG § 2 Abs. 1; AnfG §§ 1, 3 Abs. 1 Nrn. 4, 5, 7, 9, 10.

Vorinstanz: FG Münster

Sachverhalt

I.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) betreibt die Zwangsvollstreckung aus bestandskräftigen Umsatz- und Einkommensteuerbescheiden der Jahre 1972 bis 1978 in Höhe von rd. 700.000 DM gegen den Ehemann der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin). Die Vollstreckung in das Vermögen des Ehemannes ist ohne Erfolg geblieben.

Die am 7. Mai 1978 verstorbene Mutter des Ehemannes war Alleineigentümerin zweier Grundstücke. Am 9. Mai 1978 beantragte der Ehemann beim Amtsgericht einen Erbschein als Alleinerbe. Dabei versicherte er, die Erblasserin habe - außer einem Ehe- und Erbvertrag mit ihrem vorverstorbenen Ehemann - keine letztwillige Verfügung hinterlassen. Das Amtsgericht erteilte dem Ehemann der Klägerin einen Erbschein, in dem er nach der gesetzlichen Erbfolge als Alleinerbe ausgewiesen wurde.

Durch Vertrag vom 16. Mai 1978 übertrug der Ehemann eines der beiden Grundstücke "unentgeltlich" auf die Klägerin. Diese übernahm "lediglich die dingliche, nicht aber die schuldrechtliche Verpflichtung" aus den im Grundbuch eingetragenen Lasten. Mit Vertrag vom 18. Mai 1978 übertrug der Ehemann auch das zweite Grundstück auf die Klägerin, die dem Vertrag zufolge den Ehemann von allen Verpflichtungen freistellte. Nachdem das zuständige Grunderwerbsteuer-FA in Höhe der valutierten Lasten eine Gegenleistung gesehen hatte, schlossen die Vertragsparteien am 15. Juli 1978 einen neuen Vertrag, in dem sie klarstellten, daß die Klägerin nur die dinglichen Lasten übernehme.

Am 17. August 1978 kündigte das FA dem Ehemann Vollstreckungsmaßnahmen für den Fall an, daß er nicht unverzüglich mit Ratenzahlungen auf seine Steuerschulden beginne. Die zum 10. September 1978 geforderte Tilgungsrate von 20.000 DM zahlte der Ehemann nicht.

Daraufhin erließ das FA am 29. September und 4. Oktober 1978 jeweils einen auf § 3 Abs. 1 Nr. 4 des Anfechtungsgesetzes (AnfG) gestützten Duldungsbescheid gegen die Klägerin mit folgender Erklärung: Es fechte die durch Verträge vom 16. Mai 1978 bzw. 18. Mai und 15. Juli 1978 vorgenommene unentgeltliche Übertragung der Grundstücke auf sie wegen der Rückstände ihres Ehemannes aus den Jahren 1972 bis 1978 von insgesamt 702.550,93 DM an und mache hiermit die gesetzlichen Rückgewähransprüche geltend. Danach habe sie die Vollstreckung in die ihr übertragenen Grundstücke zu dulden. Die Vollstreckung in das Vermögen ihres Ehemannes sei ohne Erfolg geblieben. Die Einsprüche wies das FA am 15. November 1978 mit folgender Begründung zurück: Der Ehemann sei als Alleinerbe seiner Mutter Eigentümern der Grundstücke geworden. Durch deren unentgeltliche Übertragung auf die Klägerin habe er ihm gehörendes Vermögen dem Zugriff der Finanzbehörde entzogen.

Am 6. Februar 1979 legte der Ehemann dem Amtsgericht ein Schriftstück vom 31. März 1978 mit der Bitte vor zu prüfen, ob es sich um ein formgerechtes Nottestament seiner Mutter handele. Nachdem ihm mitgeteilt worden war, das Nottestament sei unwirksam, weil die herangezogenen Zeugen, nämlich er selbst, die Klägerin und sein Sohn, ausgeschlossen seien, erhob er Gegenvorstellungen. Der Amtsrichter lehnte es ab, den Erbschein einzuziehen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde wies das Landgericht zurück. Das Oberlandesgericht (OLG) verwarf die weitere Beschwerde des Ehemannes der Klägerin.

Mit der beim Finanzgericht (FG) erhobenen Klage machte die Klägerin zunächst geltend, ihr Ehemann sei testamentarisch verpflichtet gewesen, ihr die Grundstücke zu übertragen. Das ergebe sich aus dem Schriftstück vom 31. März 1978, das ein Nottestament ihrer Schwiegermutter sei. Am 23. September 1979 teilte die Klägerin dem FG mit, für den Fall, daß das OLG die weitere Beschwerde verwerfe, stütze sie ihre Klage vorsorglich darauf, daß ihr Ehemann ihr die Grundstücke übertragen habe, um Schulden zu tilgen. Sie habe ihrem Ehemann in der Zeit vom 26. September 1963 bis 9. Februar 1965 durch zehn Überweisungen einen Gesamtkredit von 148.109,96 DM gewährt. Diesen Kredit habe ihr Ehemann für eine Kommanditgesellschaft verwendet, deren Komplementär er gewesen sei und der sie als Kommanditistin angehört habe.

Die Klägerin beantragte vor dem FG, die Duldungsbescheide aufzuheben.

Das FG wies die Klage durch Urteil vom 7. August 1980 ab.

Entscheidungsgründe

II.

Das FG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

1. Mit Urteil vom 2. März 1983 VII R 120/82 (BFHE 138, 10, BStBl II 1983, 398) hat der erkennende Senat entschieden, daß sich die Verpflichtung des Anfechtungsgegners zur Duldung der Zwangsvollstreckung aufgrund des § 7 AnfG unmittelbar aus dem gesetzlichen Schuldverhältnis ergibt, auf dem der Rückgewähranspruch beruht, und das FA die Verpflichtung durch Duldungsbescheid nach § 191 Abs. 1 AO 1977 verfolgen kann. Der Senat hält an dieser Entscheidung fest und verweist auf ihre Gründe (vgl. auch Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 16. Dezember 1982 3 K 184/82, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1983, 216). Die Argumente der Klägerin gegen diese Auffassung halten einer näheren Prüfung nicht stand.

§ 191 Abs. 1 AO 1977 setzt voraus, daß jemand verpflichtet ist, die Vollstreckung zu dulden. Diese Verpflichtung kann sich, wie die Klägerin nicht in Abrede stellt, auch aus privatrechtlichen Vorschriften ergeben. Weder Wortlaut noch Sinn und Zweck des § 191 Abs. 1 AO 1977 ergeben Anhaltspunkte dafür, daß diese Vorschrift, wie die Klägerin meint, nur bestimmte Fälle der Verpflichtung zur Duldung der Vollstreckung betreffe, also die sich aus dem AnfG ergebende entsprechende Duldungspflicht ausgenommen wissen wollte. Auch aus dem AnfG ergibt sich nichts für diese Auffassung der Klägerin.

Das Argument der Klägerin, das AnfG habe die Rechtsbehelfe im Falle des Bestehens eines Rückgewähranspruches nach diesem Gesetz abschließend geregelt, trifft nicht zu. In § 1 AnfG heißt es allgemein, daß bestimmte Rechtshandlungen eines Schuldners angefochten werden können, ohne daß bestimmt wird, wie diese Anfechtung erfolgen soll. Die §§ 5 und 9 AnfG regeln einzelne Aspekte der Anfechtung durch Klage und Einrede. Der Wortlaut dieser Vorschriften enthält keinen Hinweis darauf, es handle sich dabei um die allein zulässigen Rechtsbehelfe.

Da damit eine Anfechtung auf andere Weise als durch Klage oder Einrede nicht ausgeschlossen ist, trifft auch die Auffassung der Klägerin nicht zu, ein Duldungsbescheid des FA könne den Ablauf der in den §§ 3, 12 AnfG genannten Fristen nicht verhindern. Nach dem Wortlaut der genannten Bestimmungen sind diese Fristen eingehalten, wenn vor ihrem Ablauf die "Anfechtung" erfolgt. Die Frist ist also durch jede zulässige Anfechtung gewahrt, somit auch dadurch, daß das FA die Ansprüche aus dem AnfG durch einen entsprechenden Duldungsbescheid geltend macht.

Zu Unrecht beruft sich die Klägerin darauf, daß im AnfG von einer Verpflichtung zur Duldung der Vollstreckung nicht ausdrücklich die Rede ist. Wie der Senat im zitierten Urteil vom 2. März 1983 VII R 120/82 entsprechend der allgemeinen Meinung entschieden hat, steht dem Anspruch des Gläubigers auf Rückgewähr nach § 7 AnfG entsprechend dem Wesen des gesetzlichen Schuldverhältnisses, aus dem sich dieser Anspruch ergibt, die Pflicht des Anfechtungsgegners gegenüber, die Zwangsvollstreckung zur Befriedigung des Gläubigers zu dulden. Der Umstand, daß der Rückgewähranspruch des § 7 AnfG bei einer besonderen Gestaltung der Verhältnisse auch einen anderen Inhalt haben kann, ist entgegen der Auffassung der Klägerin für die hier zu entscheidende Rechtsfrage ohne Belang. Denn § 191 Abs. 1 AO 1977 bezieht sich nach seinem Wortlaut nur auf die Fälle, in denen eine Verpflichtung zur Duldung der Vollstreckung besteht.

Fehl geht schließlich auch der Einwand der Klägerin, die Regelung des § 10 AnfG spreche gegen die Rechtmäßigkeit eines auf das AnfG gestützten Duldungsbescheides. Der vorliegende Fall bietet dem erkennenden Senat zwar keinen Anlaß, darüber zu entscheiden, wie ein Duldungsbescheid auszusehen hat, wenn die Voraussetzungen i. S. des § 10 AnfG gegeben sind. Es ist aber nicht zu erkennen, daß es nicht möglich sein sollte, in einen Duldungsbescheid nach § 191 Abs. 1 AO 1977 eine dem Vorbehalt des § 10 AnfG entsprechende Bedingung aufzunehmen (vgl. auch Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 191 AO 1977 Rdnr. 141).

2. Unzutreffend ist die Auffassung der Klägerin, der Senat müsse wegen der Entscheidung des BGH in NJW 1976, 967 die Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes einholen. Das wäre nur erforderlich, falls er mit der vorliegenden Entscheidung von der genannten Entscheidung des BGH abwiche (§ 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes - RsprEinhG -, BGBl I 1968, 661). Eine solche Abweichung liegt aber nicht vor.

Die entscheidungserheblichen Rechtsfragen beider Urteile sind nicht identisch. Eine Identität wäre allenfalls dann gegeben, wenn der BGH in dem von ihm entschiedenen Fall das Rechtsschutzbedürfnis des klagenden FA nur deswegen bejaht hätte, weil er der Auffassung war, das FA sei zum Erlaß eines Duldungsbescheides nach § 191 Abs. 1 AO 1977 rechtlich nicht befugt. Anhaltspunkte dafür sind dem Urteil des BGH jedoch nicht zu entnehmen. Überdies kann eine solche Abweichung i. S. des § 2 RsprEinhG auch deswegen nicht vorliegen, weil im Zeitpunkt des Erlasses des BGH-Urteils § 191 Abs. 1 AO 1977, der Rechtsgrundlage der im vorliegenden Fall angegriffenen Duldungsbescheide ist, noch nicht galt.

3. Mit der Klägerin ist davon auszugehen, daß eine Verfügung nicht unentgeltlich i. S. des § 3 Abs. 1 Nr. 4 AnfG ist, falls sie als eine Pflicht- oder Anstandsschenkung anzusehen ist. Das ist allgemeine Meinung (vgl. z. B. Jaeger, Die Gläubigeranfechtung, 2. Aufl. 1938, § 3 Anm. 50; Böhle-Stamschräder/Kilger, Anfechtungsgesetz, 5. Aufl., 1979, § 3 Anm. III 10). In solchen Fällen fehlt es an der Unentgeltlichkeit deswegen, weil als Entgelt einer Leistung auch die Befreiung von Pflichten angesehen werden kann, deren Erfüllung das Gesetz dem Anstandsgefühl und der Gewissenhaftigkeit des Verpflichteten anheimstellt (vgl. Jaeger, a. a. O.) oder die einer sittlichen Pflicht entsprechen (vgl. Urteile des Reichsgerichts - RG - vom 16. Oktober 1908 VII 595/07, RGZ 70, 15, 19, und vom 11. Februar 1910 VII 232/09, RGZ 73, 46, 49). Eine solche Pflicht liegt aber nicht schon in der Betätigung der allgemeinen Nächstenliebe (RGZ 70, 15, 19). Erforderlich ist vielmehr das Vorliegen einer besonderen, aus den konkreten Umständen des Falles erwachsenen, in den Geboten der Sittlichkeit wurzelnden Verpflichtung (RGZ 70, 15, 19).

Es ist fraglich, ob die Durchführung von besonderen Anordnungen eines wegen Verstoßes gegen wesentliche Formvorschriften ungültigen Nottestaments durch den Erben allgemein als Erfüllung einer sittlichen Pflicht angesehen werden kann. Sinn und Zweck der strengen Vorschriften hinsichtlich der Errichtung eines Testaments ist vor allem, den wirklichen Willen des Erblassers zur Geltung kommen zu lassen, indem er möglichst deutlich zum Ausdruck gebracht wird (Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 42. Aufl., § 2231 Anm. 1); und gerade an dieser Deutlichkeit fehlt es im Falle eines Nottestaments, bei dem zwei der drei anwesenden Zeugen mit der Erblasserin in gerader Linie verwandt sind. Der Senat braucht aber im vorliegenden Fall diese Frage nicht zu entscheiden. Denn jedenfalls ergeben die hier vorliegenden besonderen Umstände, daß keine Zuwendung vorliegt, die in den Geboten der Sittlichkeit oder des Anstands wurzelt.

Aus dem von der Vorentscheidung in Bezug genommenen Nottestament ergibt sich, daß die Mutter des Ehemannes der Klägerin die beiden Grundstücke deswegen nicht ihrem Sohn, sondern dessen Ehefrau zugute kommen lassen wollte, weil sich der Sohn "geschäftlich bisweilen in schwierige Lagen begeben" habe und "das Vermögen, was Vater und ich im Schweiße unseres Angesichts zusammengetragen haben, auch erhalten" bleiben solle. Die Übertragung der Grundstücke auf die Klägerin sollte danach also der Erhaltung des Vermögens und insbesondere dem Zweck dienen, die Grundstücke nicht dem Zugriff der Gläubiger des Ehemannes der Klägerin zugänglich zu machen. Dieses Bestreben ist zwar aus der Sicht der Erblasserin verständlich und auch sittlich nicht zu mißbilligen. Andererseits reicht es aber auch nicht aus, ein Gebot des Anstands oder der Sittlichkeit zu begründen, das den Ehemann der Klägerin verpflichtet hätte, dieser die Grundstücke zu übertragen. Vielmehr widerspräche es den Wertungen des AnfG, würde man dem Anfechtungsgegner das Recht zugestehen, sich darauf zu berufen, die Verfügung des Schuldners zu seinen Gunsten unterliege deswegen nicht der Gläubigeranfechtung, weil der Schuldner aufgrund einer unwirksamen letztwilligen Verfügung die sittliche Pflicht gehabt habe, die ererbten Vermögensgegenstände dem Zugriff seiner Gläubiger zu entziehen.

4. Die Klägerin rügt auch zu Unrecht, das FG hätte nicht offenlassen dürfen, ob ihr Darlehensforderungen gegen ihren Ehemann zustehen. Das AnfG enthält keine Vorschriften, die dem Anfechtungsgegner gegenüber dem in § 7 AnfG geregelten Rückgewähranspruch des Gläubigers ein Zurückbehaltungsrecht einräumen. Es kann dahinstehen, ob dennoch auf das Verhältnis zwischen dem Gläubiger und dem Anfechtungsgegner die für rechtsgeschäftliche Schuldverhältnisse in Betracht kommenden Zurückbehaltungsvorschriften des § 273 BGB anwendbar sind. Denn jedenfalls wären diese in bezug auf die angeblichen Darlehensforderungen der Klägerin nicht erfüllt. Nach § 273 BGB kann der Schuldner die geschuldete Leistung nur verweigern, wenn er aus demselben rechtlichen Verhältnis, auf dem seine Verpflichtung beruht, einen fälligen Anspruch gegen den Gläubiger hat. Der angebliche Anspruch der Klägerin auf Rückzahlung von Darlehen betrifft jedoch nicht das Verhältnis, auf dem ihre Verpflichtung gegenüber dem FA aus § 7 AnfG beruht. Es steht in keinerlei erkennbarem Zusammenhang mit der unentgeltlichen Verfügung des Ehemannes über seine beiden Grundstücke zugunsten der Klägerin.

5. Der Erlaß der beiden Duldungsbescheide vom 29. September und 4. Oktober 1978 war eine Ermessensentscheidung (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 14. Juli 1981 VII R 49/80, BFHE 133, 501, BStBl II 1981, 751). Dabei hatte das FA sein Ermessen nach § 5 AO 1977 entsprechend dem Zweck der ihm durch § 191 Abs. 1 AO 1977 erteilten Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten.

Ein nach § 191 Abs. 1 AO 1977 erlassener Duldungsbescheid muß grundsätzlich die von der Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens angestellten Erwägungen, die Abwägung des Für und Wider der sich gegenüberstehenden Belange, erkennen lassen. Denn der Staatsbürger, in dessen Rechte eingegriffen wird, hat einen Anspruch darauf, die Gründe dafür zu erfahren, um seine Rechte sachgerecht verteidigen zu können. In Ausnahmefällen kann aber von einer Begründung abgesehen werden, insbesondere dann, wenn dem Betroffenen die Auffassung der Behörde über die Sach- und Rechtslage bereits bekannt oder auch ohne schriftliche Begründung für ihn ohne weiteres erkennbar ist (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 3. Februar 1981 VII R 86/78, BFHE 133, 1, BStBl II 1981, 493).

Im vorliegenden Fall enthalten die Duldungsbescheide in der Fassung, die sie durch die Einspruchsentscheidung erhalten haben, hinsichtlich der Frage, weshalb das FA von der ihm durch § 191 Abs. 1 AO 1977 eingeräumten Möglichkeit, die Klägerin in Anspruch zu nehmen, Gebrauch gemacht hat, nur die kurze Bemerkung, die Vollstreckung in das Vermögen des Ehemannes sei ohne Erfolg geblieben. Dies reicht aus, weil der Klägerin bekannt war, daß sie beide Grundstücke vor wenigen Monaten von ihrem Ehemann unentgeltlich erhalten hatte und nach den Umständen des Falles diese Vermögensgegenstände allein für eine zumindest teilweise Befriedigung des FA in Betracht kamen.

Es liegen keine Anhaltungspunkte dafür vor, daß das FA durch den Erlaß der Duldungsbescheide die gesetzlichen Grenzen seines Ermessens überschritten oder von seinem Ermessen in einer dem Zweck des § 191 Abs. 1 AO 1977 nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hätte (vgl. § 102 der Finanzgerichtsordnung).