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BFH-Urteil vom 28.4.1983 (IV R 255/82) BStBl. 1983 II S. 621

1. Zur Begründung einer Prüfungsanordnung aus § 193 Abs. 1 AO 1977.

2. Ein Begründungsmangel kann auch dadurch geheilt werden, daß der Betriebsprüfer dem Steuerpflichtigen die Gründe für die Anordnung der Prüfung mitteilt; es ist unschädlich, daß die Begründung nicht in die später ergangene Beschwerdeentscheidung aufgenommen worden ist.

AO 1977 § 121 Abs. 2 Nr. 2, § 126 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, § 193 Abs. 1.

Vorinstanz: FG Berlin

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist freiberuflich tätig. Die mit der Veranlagung des Klägers zur Einkommensteuer und Umsatzsteuer befaßte Dienststelle des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt - FA -) regte im Jahre 1977 bei der Betriebsprüfungsstelle des FA eine Prüfung beim Kläger für das Jahr 1976 an, weil die Betriebsausgaben ca. 75 v. H. der Einnahmen ausmachten und die Kosten der Lebensführung mit Betriebsausgaben verquickt seien.

Das FA übersandte dem Bevollmächtigten des Klägers daraufhin eine Prüfungsanordnung, In der Anordnung wird ausgeführt, daß die Prüfung aufgrund der §§ 193, 194 der Abgabenordnung (AO 1977) durchgeführt werde und sich auf die Einkommen- und Umsatzsteuer 1976 bis 1978 erstrecken solle. Nach Beginn der Prüfung legte der Prüfer dem Bevollmächtigten die Gründe für die Anordnung der Prüfung im einzelnen dar; die Prüfung ist noch nicht abgeschlossen. Der Bevollmächtigte erhob gegen die nicht mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehene Prüfungsanordnung mit der Begründung Beschwerde, daß die Verfügung vom Leiter der Betriebsprüfungsstelle unterschrieben worden, hierfür aber der Leiter der Veranlagungsstelle zuständig sei. Die Oberfinanzdirektion (OFD) wies die Beschwerde im April 1982 zurück.

Mit der Klage beanstandete der Kläger nunmehr, daß in der Prüfungsanordnung nicht die Gründe angegeben worden seien, die zur Heranziehung des Klägers zur Betriebsprüfung geführt hätten. Das Finanzgericht (FG) hob die Prüfungsanordnung auf, weil in ihr die Gründe für die Auswahl des Steuerpflichtigen zur Durchführung einer Betriebsprüfung hätten dargelegt werden müssen.

Die Revision des FA rügt eine fehlerhafte Anwendung der §§ 121 und 193 AO 1977 durch das FG.

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage; die Prüfungsanordnung konnte nicht wegen fehlender Begründung aufgehoben werden.

Nach § 121 Abs. 1 AO 1977 muß ein schriftlicher Verwaltungsakt schriftlich begründet werden, soweit dies zu seinem Verständnis erforderlich ist. Im Streitfall war eine Außenprüfung beim Kläger gemäß § 193 Abs. 1 AO 1977 (Betriebsprüfung) schon aufgrund seiner freiberuflichen Tätigkeit zulässig. Wie der Senat in seinem Urteil vom 5. November 1981 IV R 179/79 (BFHE 134, 395, BStBl II 1982, 208) ausgeführt hat, hängt die Prüfungsanordnung - anders als bei den in § 193 Abs. 2 AO 1977 genannten Steuerpflichtigen - in einem solchen Fall nicht von weiteren Voraussetzungen ab; um den sachkundig vertretenen Kläger über diese Rechtsgrundlage zu orientieren, genügte ein Hinweis auf die gesetzliche Vorschrift. Dabei erweist es sich als unschädlich, daß das FA uneingeschränkt auf § 193 AO 1977 Bezug genommen hat; bei Durchsicht dieser Bestimmung mußte sich ergeben, daß für den Kläger eine Prüfung nur aufgrund des § 193 Abs. 1 AO 1977 in Betracht kam.

Nach der Meinung des FG hätte das FA jedoch darlegen müssen, warum es gerade den Kläger zu einer Betriebsprüfung heranzog. Hieran ist zutreffend, daß das FA nach pflichtgemäßem Ermessen entscheidet, ob und bei welchen Steuerpflichtigen eine Betriebsprüfung durchgeführt werden soll (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 24. Oktober 1972 VIII R 8/69, BFHE 108, 143, BStBl II 1973, 275, 276; vom 17. September 1974 VII B 122/73, BFHE 113, 411, BStBl II 1975, 197; BFHE 134, 395, BStBl II 1982, 208). Die Finanzverwaltung hat sich dahin entschieden, daß Großbetriebe lückenlos, andere Betriebe dagegen in zeitlichen Abständen geprüft werden sollen - § 4 der Betriebsprüfungsordnung (Steuer) - . Neben den damit bezeichneten Routineprüfungen kann die Finanzverwaltung auch sonst eine Betriebsprüfung anordnen, wenn der Sachverhalt aus einem besonderen Anlaß prüfungswürdig erscheint (vgl. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 15. Mai 1963 2 BvR 106/63, BVerfGE 16, 124, 128; Wenzig, Steuer und Wirtschaft - StuW - 1982, 321, 322).

Zutreffend ist das FG auch davon ausgegangen, daß die Finanzbehörde zur Begründung einer Ermessensentscheidung regelmäßig im Verwaltungsakt auf die von ihr angestellten Erwägungen hinweisen muß (BFH-Urteil vom 3. Februar 1981 VII R 86/78, BFHE 133, 1, BStBl II 1981, 493, mit weiteren Nachweisen; Einführungserlaß zur AO 1977 vom 1. Oktober 1976 zu § 121, BStBl I 1976, 576, 597). Auch bei einer Ermessensentscheidung kann jedoch von einer Begründung abgesehen werden, wenn dem Adressaten des Verwaltungsakts die Auffassung der Finanzbehörde über die Sach- und Rechtslage bekannt oder doch ohne weiteres erkennbar ist (§ 121 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977). Da den von § 193 Abs. 1 AO 1977 betroffenen Steuerpflichtigen bekannt ist, daß bei ihnen routinemäßig Prüfungen durchgeführt werden, braucht eine aus diesem Grunde erlassene Prüfungsanordnung nicht näher begründet zu werden (BFH-Urteil vom 10. Februar 1983 IV R 104/79, BFHE 137, 404, BStBl II 1983, 286).

Entschließt sich die Behörde jedoch aus besonderem Anlaß zu einer Betriebsprüfung, so muß nach einer verbreiteten Meinung in der Prüfungsanordnung auf diesen Anlaß hingewiesen werden (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 196 AO 1977 Anm. 2; Schick in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 196 Anm. 99, 100; ähnlich Giesberts, Die steuerliche Betriebs- und Außenprüfung, 2. Aufl., 1981, Rdnr. 50; abweichend Wenzig, StuW 1982, 329). Diese Auffassung ließe sich möglicherweise darauf stützen, daß die Finanzbehörde ihre Ermessensentscheidung begründen muß, wenn sie eine vom Steuerpflichtigen beantragte außerordentliche Betriebsprüfung ablehnt (BFH-Urteil vom 20. Juni 1968 V 125/65, BFHE 93, 206, BStBl II 1968, 756), und daß durch die Mitteilung des Anordnungsgrundes am ehesten ausgeschlossen werden kann, daß die Anordnung aus sachwidrigen, willkürlichen Erwägungen heraus getroffen worden ist (vgl. BFHE 134, 395, BStBl II 1982, 208; BVerfGE 16, 124, 128).

Der Senat braucht hierüber jedoch nicht abschließend zu entscheiden, weil im Streitfall ein etwaiger Begründungsmangel nachträglich behoben worden ist. Nach § 126 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 AO 1977 kann nämlich der Verfahrensmangel dadurch geheilt werden, daß die Begründung bis zum Abschluß des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens nachgeholt wird; das gilt auch für die Begründung einer Prüfungsanordnung nach § 193 AO 1977 (BFHE 134, 395, BStBl II 1982, 208; BFHE 137, 404, BStBl II 1983, 286). Im Streitfall hat der Prüfungsbeamte den Bevollmächtigten des Klägers zu Beginn der Betriebsprüfung über die Gründe für die Prüfungsanordnung orientiert; erst geraume Zeit später hat der Kläger gegen die nicht mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehene Prüfungsanordnung Beschwerde erhoben. Der heilenden Wirkung dieser Mitteilung steht nicht entgegen, daß die Begründung nicht in die Beschwerdeentscheidung der OFD aufgenommen worden ist. Aus der Sicht der OFD bestand dazu kein Anlaß, weil der Kläger im Rechtsbehelfsverfahren nur die Unterzeichnung der Prüfungsanordnung durch den Leiter der Betriebsprüfungsstelle als fehlerhaft gerügt hatte. Auch für die Beschwerdeentscheidung gilt nach § 365 AO 1977 die Bestimmung des § 121 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977, daß es der Begründung nicht bedarf, wenn dem Adressaten des Verwaltungsakts die Auffassung der Finanzbehörde über die Sach- und Rechtslage bereits bekannt ist; diese Orientierung kann auch durch eine mündliche Erläuterung des zuständigen Beamten erfolgen (vgl. BFH-Urteil vom 30. Juli 1980 I R 148/79, BFHE 131, 270, BStBl II 1981, 3). Der abweichenden Auffassung des FG kann nicht zugestimmt werden.