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BFH-Urteil vom 3.12.1982 (III R 132/81) BStBl. 1983 II S. 647

Die Frage, ob sog. problemorientierte Standardprogramme materielle oder immaterielle Wirtschaftsgüter sind, beurteilt sich in erster Linie nach den zwischen dem Ersteller und dem Anwender der Programme getroffenen Vereinbarungen (Fortentwicklung zum BFH-Urteil vom 5. Oktober 1979 III R 40/76, BFHE 129, 110, BStBl II 1980, 17).

BerlinFG § 19.

Vorinstanz: FG Berlin

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist selbständiger Steuerberater in Berlin (West). Er ist mit seinem Büro an das Datev-Erfassungssystem angeschlossen. Zu diesem Zweck kaufte er im Jahr 1978 von der Firma ... einen Bürocomputer und ein Zusatzgerät für Datenfernübertragung. Außerdem kaufte er das Standardprogramm "Bilanzdialog" für 400 DM und ein Programm "zur Steuerung der Datenfernübertragung" für 735 DM.

Während der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) dem Kläger für die elektronischen Geräte die Berlinzulage nach § 19 des Berlinförderungsgesetzes (BerlinFG) gewährte, versagte er sie für die beiden Programme. Das FA vertrat die Auffassung, daß es sich bei den Programmen um immaterielle Wirtschaftsgüter handele, für die eine Investitionszulage nicht zu gewähren sei.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es sah in den beiden Programmkassetten materielle Wirtschaftsgüter. Es begründete seine in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1982, 59 veröffentlichte Entscheidung wie folgt:

Als immaterielle Wirtschaftsgüter kämen nur Individualprogramme in Betracht, die nach den speziellen Wünschen eines einzelnen Kunden angefertigt seien. Bei diesen Programmen sei allein der geistige Gehalt von Bedeutung; die Fixierung auf einem Datenträger diene lediglich dazu, den geistigen Gehalt unverlierbar dem Empfänger zugänglich und für die Maschine lesbar zu machen.

Bei Standardprogrammen erhalte jedoch die Verkörperung durch die Vervielfältigung eine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung, die neben den geistigen Inhalt trete. Die Bedeutung der Vervielfältigung komme besonders deutlich in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Herstellung von Filmen und Schallplatten zum Ausdruck. So führe nach dem Urteil vom 20. November 1970 VI R 44/69 (BFHE 100, 555, BStBl II 1971, 186) die Herstellung eines Spielfilms beim Filmhersteller zu einem immateriellen Wirtschaftsgut, während die Kopien dieses Films, die an die Lichtspieltheater zur Vorführung ausgeliehen werden, materielle Wirtschaftsgüter darstellten. In dem Urteil vom 28. Mai 1979 I R 1/76 (BFHE 128, 367, BStBl II 1979, 734) sei entschieden, daß der in einem Unternehmen der Schallplattenindustrie hergestellte Tonträger ein immaterielles Wirtschaftsgut sei und nur die davon kopierten Schallplatten materielle Wirtschaftsgüter darstellten. Vervielfältigte Standardprogramme könnten nicht mit Lizenzen an einem Patent verglichen werden. Denn Lizenzen stellten lediglich Rechte an einem Patent dar. Bei der Vervielfältigung von Standardprogrammen gehe aber die Bedeutung des verkauften Wirtschaftsguts über die Einräumung des Nutzungsrechts an der geistigen Leistung hinaus und der übergebene körperliche Gegenstand besitze eine eigene wirtschaftliche Bedeutung. Die vom Kläger angeschafften Bänder würden von der Firma ... serienmäßig hergestellt, zu einem festen Preis angeboten und seien von ihr bereits in großem Umfang verkauft worden, so daß ein Vergleich mit Schallplatten und Büchern möglich sei.

Dagegen wendet sich das FA mit der Revision. Es ist der Auffassung, daß eine Unterscheidung zwischen Individualprogrammen und Standardprogrammen nicht möglich sei. Der Erwerber eines EDV-Programms wolle damit eine bestimmte betriebliche Aufgabe lösen. Das Interesse bestehe ausschließlich am geistigen Gehalt, am Know-how. Ob er ein Standardprogramm - ggf. mit Anpassungen - oder ein Individualprogramm erwerbe, hänge allein von der Komplexität der zu lösenden Aufgabe und vom Angebot auf dem Software-Markt ab. Ein Programm als solches habe für den Anwender keinen brauchbaren Wert. Es müsse vielmehr auf einem Datenträger erfaßt sein, welcher der EDV-Anlage eingegeben und von ihr gelesen werden könne. Diese Vergegenständlichung auf einem Datenträger sei aber beim Individualprogramm und beim Standardprogramm gleichermaßen notwendig. Auch die Bedeutung des Datenträgers als Eingabemedium für die Zentraleinheit sei bei beiden Programmen nicht unterschiedlich. Ein Unterschied bestehe lediglich im Preis. Davon könne aber die Entscheidung nicht abhängen. Unter Hinweis auf das Urteil des Senats vom 5. Oktober 1979 III R 40/76 (BFHE 129, 110, BStBl II 1980, 17) führt das FA weiter aus, daß die Erstellung von Standardprogrammen nicht so weit entwickelt sei, daß man sie der Produktion und dem Verkauf von Büchern und Schallplatten gleichstellen könne.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

1. Die Verfahrensbeteiligten gehen zutreffend davon aus, daß eine Investitionszulage nach § 19 BerlinFG dem Kläger nur gewährt werden kann, wenn die von ihm erworbenen Programme materielle Wirtschaftsgüter sind. Für immaterielle Wirtschaftsgüter wird eine Berlinzulage nicht gewährt (vgl. BFH-Urteil vom 22. Mai 1979 III R 129/74, BFHE 128, 289, BStBl II 1979, 634).

Der Senat hat sich in seinem Urteil in BFHE 129, 110, BStBl II 1980, 17 bereits mit der Frage befaßt, ob sog. problemorientierte Standardprogramme materielle oder immaterielle Wirtschaftsgüter sind. Er hat damals unter Berücksichtigung des Schrifttums, das zwischen Individual- und Standardprogrammen nicht unterschied, auch die Standardprogramme als immaterielle Wirtschaftsgüter angesehen. Dabei wurden namentlich in Anlehnung an die Auffassung von Freericks die Erstellung und Veräußerung von Standardprogrammen mit der Produktion und dem Verkauf von Büchern und Schallplatten verglichen. Der Senat hat ausgeführt, daß jedenfalls für das Streitjahr 1971 ein solcher Vergleich noch nicht möglich sei. Ob sich aufgrund der Entwicklung auf dem Software-Markt für spätere Jahre etwas anderes ergebe, brauche nicht entschieden zu werden.

Hieran hat das FG im vorliegenden Fall bei seiner Entscheidung angeknüpft. Es sieht in der weitverbreiteten Vervielfältigung von Standardprogrammen und speziell im vorliegenden Fall in der serienmäßigen Herstellung der vom Kläger erworbenen Programme durch die Firma...entscheidende Gesichtspunkte für die Annahme von materiellen Wirtschaftsgütern.

2. Der Senat ist nach erneuter Überprüfung der Rechtslage der Auffassung, daß eine sachgerechte Einordnung von EDV-Programmen bei der Auslegung der vertraglichen Vereinbarungen zwischen dem Ersteller und dem Anwender der Software beginnen muß. Auf dem Software-Markt gibt es eine große Vielfalt von Verträgen (vgl. Walter in Der Betrieb - DB - 1980, 1766 und 1815). Es werden Mietverträge, Lizenzverträge und Kaufverträge unterschieden (vgl. auch Frank, Standard-Software, Köln-Braunsfeld 1977 S. 48 ff.). Bei so unterschiedlichen Vertragstypen gebührt zunächst der Vertragsauslegung der Vorrang, bevor die allgemeine Entwicklung auf dem Software-Markt berücksichtigt wird. Daß selbst bei Vorliegen von Kaufverträgen die Annahme von materiellen Wirtschaftsgütern nicht selbstverständlich ist, zeigen die bei Zahrnt (Datenverarbeitungsverträge aus der Praxis für die Praxis, München 1981) abgedruckten und in der Praxis weitverbreiteten Musterverträge. Bei dem auf S. 148 ff. dargestellten Vertragstext (betr. die Vertragsbedingungen für den Kauf von EDV-Systemen - also einschließlich der Standardprogramme -) wird dem Auftraggeber (Anwender) zwar das Eigentum am Gerät übertragen, an den Programmen wird ihm aber nur das nicht ausschließliche und nicht übertragbare Recht zur Nutzung auf der gelieferten Zentraleinheit eingeräumt. Der Auftraggeber kann das Nutzungsrecht nur zusammen mit der Zentraleinheit auf einen Dritten übertragen, wobei er dem Dritten die Pflichten aus dem Vertrag auferlegen muß. Die Übertragung bedarf der Zustimmung des Auftragnehmers (Hersteller des EDV-Systems), die nur aus wichtigem Grund versagt werden darf. Nach Beendigung des Nutzungsrechts ist der Auftraggeber verpflichtet, die Kopien der überlassenen Programme sowie alle Programmunterlagen zu vernichten. Ähnliche Regelungen sind in den Vertragsbedingungen für die Überlassung von Programmen (ohne gleichzeitige Überlassung der Hardware) enthalten (vgl. Zahrnt, a. a. O., S. 161 ff.). Vertragliche Vereinbarungen mit diesem oder einem ähnlichen Inhalt könnten für die Annahme eines immateriellen Wirtschaftsguts sprechen. Neben diesen Überlassungsverträgen können für die zutreffende Einordnung der Programme auch die Verträge über deren Pflege bedeutsam sein. Die Pflege von Programmen betrifft deren Weiterentwicklung. Diese kann besonders dann notwendig werden, wenn sich - wie im vorliegenden Fall - rechtliche Vorschriften ändern.

Das FG hat bei seiner rechtlichen Beurteilung die zwischen den Beteiligten getroffenen Vereinbarungen nicht berücksichtigt; der Senat sieht darin einen materiellen Rechtsfehler, der zur Aufhebung der Vorentscheidung führen muß. Die Sache ist nicht spruchreif; sie geht deshalb zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das FG muß nunmehr die Verträge einsehen und entsprechend auslegen. Ob im Anschluß hieran noch andere, außerhalb der Vertragsauslegung liegende Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind, muß das FG entscheiden.

3. Das FG wird je nach dem Ergebnis seiner Entscheidung auch zu der Frage Stellung nehmen müssen, ob die vom Kläger angeschafften Programme sog. datenträgergebundene fixe Standardprogramme sind und ob es sich dabei um materielle Wirtschaftsgüter handelt. Nach Walter (a. a. O. unter IV.4.a, aa) hat bei diesen Programmen der Datenträger keineswegs mehr eine nebensächliche Bedeutung, sondern die ursprünglich geistige Leistung hat sich bei diesen Programmen im wirtschaftlichen Verkehr materialisiert. Hier wird das FG ggf. die Auffassung der beteiligten Wirtschaftskreise feststellen müssen.