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BFH-Urteil vom 11.5.1983 (III R 112-113/79) BStBl. 1983 II S. 657

Rückstellungen wegen Rekultivierungskosten für sog. Altabgrabungen aufgrund des zum 1. Januar 1973 in Kraft getretenen AbgrG vom 21. November 1972 (GV NW 1972, 372) dürfen bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens zum 1. Januar 1973 nicht berücksichtigt werden, wenn der Bewertung gemäß § 106 Abs. 2 BewG die Verhältnisse vom vorausgegangenen Abschlußstichtag zugrunde zu legen sind.

BewG §§ 22 Abs. 4, 103 und 106 Abs. 2.

Vorinstanz: FG Münster

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betreibt auf eigenen Grundstücken in X einen Steinbruch zur Gewinnung von Edelsplitt. In ihren Vermögensaufstellungen zum 1. Januar 1971 bis 1. Januar 1973 hatte sie Schuldposten für künftige Rekultivierungskosten zunächst nicht angesetzt. Im Verlauf einer Betriebsprüfung beantragte sie jedoch, Rückstellungen für Rekultivierungsmaßnahmen auch für das bereits 1970 bis 1972 ausgebeutete Gelände - sog. Altabgrabungen - auf der Grundlage des am 1. Januar 1973 in Kraft getretenen Gesetzes zur Ordnung von Abgrabungen vom 21. November 1972 - AbgrG - (Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen - GV NW - 1972, 372) spätestens ab 1. Januar 1973 zu berücksichtigen. Am 4. Januar 1973 hat sie den Steinbruch der Genehmigungsbehörde gemäß § 14 AbgrG angezeigt. Am 12. März 1979 kündigte die Genehmigungsbehörde der Klägerin den Erlaß eines Auflagenbescheids gemäß § 14 Abs. 2 AbgrG an. Bis zum Erlaß der Vorentscheidung wurde ein solcher Bescheid nicht erteilt. Die Klägerin vertritt die Auffassung, nach dem AbgrG sei sie verpflichtet, auch das Gelände von sog. Altabgrabungen zu rekultivieren.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) lehnte es für die hier streitigen Stichtage 1. Januar 1973 und 1. Januar 1977 ab, Rückstellungen für Rekultivierungskosten auf Altabgrabungen zu berücksichtigen. Zwar könne die Genehmigungsbehörde im Einzelfall die Auflage aussprechen, Flächen, die bis zum 31. Dezember 1972 abgegraben worden sind, zu rekultivieren. Eine solche Auflage müsse sich jedoch im Rahmen des Zumutbaren halten. Die Zumutbarkeit bestimme sich nach der wirtschaftlichen Gesamtsituation des Unternehmens. Hieraus folge, daß die Verpflichtung zur Rekultivierung sog. Altabgrabungen - dem Grund und der Höhe nach - von der Konkretisierung durch eine Ermessensentscheidung der zuständigen Behörde abhänge.

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren hielt die Klägerin mit ihren Klagen an dem Begehren fest, bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens spätestens von dem Feststellungszeitpunkt 1. Januar 1973 an eine Rückstellung für Altabgrabungen in Höhe von jeweils 642.000 DM und zum 1. Januar 1977 in Höhe von 548.000 DM zu berücksichtigen. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage für die Stichtage 1. Januar 1973 und 1. Januar 1977 statt. Die Verpflichtung der Klägerin zu Rekultivierungsmaßnahmen ergebe sich - wie das FG ausführte - dem Grunde nach unmittelbar aus § 14 Abs. 2 i.V.m. § 2 Abs. 1 AbgrG. Dem stehe nicht entgegen, daß die Verpflichtung hinsichtlich der Art und des Umfangs der Rekultivierungsmaßnahmen durch einen Bescheid nach § 14 AbgrG konkretisiert werde.

Das FA rügt mit der Revision einen Verstoß der Vorentscheidung gegen § 103 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes (BewG) i.V.m. § 152 Abs. 7 des Aktiengesetzes (AktG). Es beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Revision wegen Einheitsbewertung des Betriebsvermögens zum 1. Januar 1973 ist begründet.

1. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats sind Auffüll- und Rekultivierungsverpflichtungen bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens dem Grunde nach gemäß § 103 BewG 1965 als Betriebsschulden abziehbar (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 26. Oktober 1970 III R 150/67, BFHE 100, 465, BStBl II 1971, 82). Dies gilt unabhängig davon, ob eine Auffüll- und Rekultivierungsverpflichtung auf Vertrag oder öffentlichem Recht beruht (BFHE 100, 465, BStBl II 1971, 82). Voraussetzung für den Abzug ist, daß eine rechtliche Verpflichtung am maßgebenden Stichtag bestand, noch nicht erloschen ist und die Verpflichtung eine wirtschaftliche Belastung darstellt.

2. Der Senat teilt nicht die Auffassung des FG, bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens zum 1. Januar 1973 sei wegen Rekultivierungskosten für Altabgrabungen eine Rückstellung im Betrag von 642.000 DM zum Abzug zuzulassen.

a) Soweit das FG Bestand und Inhalt der Vorschriften des AbgrG festgestellt hat, ist der Senat allerdings hieran wie an tatsächliche Feststellungen gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO). Denn bei den Vorschriften des AbgrG handelt es sich um Landesrecht (§ 562 der Zivilprozeßordnung - ZPO - i.V.m. § 155 FGO). Dem BFH als Revisionsgericht ist die Prüfung des angefochtenen Urteils nur im Hinblick auf die Verletzung von Bundesrecht erlaubt (§ 118 Abs. 1 FGO; Urteil vom 15. November 1978 I R 65/76, BFHE 126, 424, BStBl II 1979, 193 mit weiteren Hinweisen). Der V. Senat des BFH hat zwar im Urteil vom 8. Juli 1971 V R 1/68 (BFHE 103, 247, 250, BStBl II 1972, 70) ausgeführt, daß nichtrevisibles Recht, soweit es sich dabei um Vorfragen für die Anwendung von bundesrechtlichen Steuerrechtssätzen handelt, in der Revisionsinstanz nachprüfbar sei (vgl. auch Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 118 FGO Tz. 24). Diese Äußerung bezieht sich aber, worauf bereits der I. Senat im Urteil in BFHE 126, 424, BStBl II 1979, 193 hingewiesen hat, ersichtlich auf den Fall, daß sich das FG mit Existenz und Inhalt als Vorfrage entscheidungserheblichen Landesrechts nicht befaßt hat. Im Streitfall hat jedoch die Vorinstanz eine hinreichend konkretisierte Rekultivierungspflicht für sog. Altabgrabungen ausdrücklich auf § 14 AbgrG i.V.m. § 2 Abs. 1 AbgrG gestützt, so daß dem Senat eine Überprüfung der Vorentscheidung insoweit verwehrt ist.

b) Soweit das FG aus dem von ihm dem Bestand und dem Inhalt nach festgestellten Landesrecht Schlüsse für die Anwendung des § 103 BewG gezogen hat, ist die Vorentscheidung im Hinblick auf die Anwendung von Bundesrecht revisibel.

aa) Die Feststellung des Einheitswerts des Betriebsvermögens der Klägerin zum 1. Januar 1973 wurde durch Wertfortschreibung gemäß § 22 BewG durchgeführt. Nach § 22 Abs. 4 BewG werden der Fortschreibung - vorbehaltlich des § 27 BewG - die Verhältnisse im Fortschreibungszeitpunkt zugrunde gelegt. Die Vorschrift des § 106 BewG, nach der auch ein anderer Zeitpunkt für die Bestimmung dieser Verhältnisse maßgebend sein kann, bleibt jedoch unberührt. Gemäß § 106 Abs. 2 BewG ist für Betriebe, die regelmäßig jährliche Abschlüsse auf den Schluß des Kalenderjahres machen, dieser Abschlußtag zugrunde zu legen. Dies ist jeweils der 31. Dezember 24.00 Uhr (BFH-Urteil vom 3. März 1978 III R 126/75, BFHE 124, 548, BStBl II 1978, 366). Änderungen, die nach diesem Zeitpunkt in den für den Bestand und für die Bewertung maßgebenden Verhältnissen eintreten, bleiben außer Betracht. Aus dieser Erwägung hat es der Senat im Urteil in BFHE 124, 548, BStBl II 1978, 366 abgelehnt, eine Erhöhung der Listenpreise für das gewerbliche Vorratsvermögen zum 1. Januar eines Jahres bereits bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens, die gemäß § 106 Abs. 2 BewG nach den Verhältnissen des vorangegangenen Abschlußtages (31. Dezember) erfolgte, zu berücksichtigen. Diese Auswirkungen des sog. Stichtagsprinzips gelten im Grundsatz in jeder Hinsicht, insbesondere etwa in bezug auf die Zurechnung einer wirtschaftlichen Einheit, die Zugehörigkeit von Wirtschaftsgütern zum Betriebsvermögen, den Bestand und die der Bewertung zugrunde zu legenden tatsächlichen Verhältnisse. Soweit gesetzliche Vorschriften für den Bestand und die Bewertung von Bedeutung sind, ist die Rechtslage am Abschlußtag maßgebend. Eine Änderung gesetzlicher Vorschriften mit Wirkung vom Feststellungszeitpunkt (1. Januar) tritt erst nach dem gemäß § 106 Abs. 2 BewG maßgebenden Abschlußtag (31. Dezember) ein und muß bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens zum 1. Januar unberücksichtigt bleiben. Diese Auffassung entspricht der Erwägung, wonach das Stichtagsprinzip bildlich mit einer Momentaufnahme des Vermögens am maßgebenden Stichtag verglichen wird und aus Gründen der Praktikabilität bisweilen Ergebnisse in Kauf genommen werden müssen, die sachlich nicht befriedigend sind (BFHE 124, 548, BStBl II 1978, 366).

bb) Die Klägerin erstellt regelmäßig jährliche Abschlüsse auf den Schluß des Kalenderjahres. Gemäß § 106 Abs. 2 BewG sind bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens zum 1. Januar 1973 die Verhältnisse vom 31. Dezember 1972 maßgebend (§ 106 Abs. 2 BewG). Das AbgrG ist mit Wirkung vom 1. Januar 1973 in Kraft getreten (§ 16 AbgrG). Am 31. Dezember 1972 bestand mithin für die Klägerin noch keine Rechtspflicht zur Herrichtung des von ihr ausgebeuteten Geländes. Die Rückstellung für Rekultivierungskosten durfte daher bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens zum 1. Januar 1973 nicht berücksichtigt werden.

3. Die Vorentscheidung, der eine andere Rechtsauffassung zugrunde liegt, war aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die Klage ist abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO), da das FA zum 1. Januar 1973 den Abzug eines Schuldpostens für Rekultivierungskosten zu Recht versagt hat.

II.

Die Revision wegen Einheitsbewertung des Betriebsvermögens zum 1. Januar 1977 ist nicht begründet. Soweit das FG erkannt hat, eine hinreichend konkretisierte Rechtspflicht zur Rekultivierung für Altabgrabungen bestehe gemäß § 14 i.V.m. § 2 Abs. 1 AbgrG, ist der Senat an diese Auslegung wie an eine tatsächliche Feststellung (§ 118 Abs. 2 FGO) gebunden. Denn es handelt sich dabei um eine Auslegung von Landesrecht (§ 562 ZPO i.V.m. § 155 FGO). Hinsichtlich der Anwendung von - revisiblem - Bundesrecht ist ein Rechtsfehler nicht erkennbar.