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BFH-Urteil vom 9.6.1983 (V R 71/81) BStBl. 1983 II S. 697

Zum "Abfallmaterial einschließlich Bearbeitungsabfälle" i. S. des § 4 Abs. 1 Nr. 15 BerlinFG gehören nicht Nebenprodukte. Für deren Anfall ist kennzeichnend, daß der Hersteller durch eine besondere Ausgestaltung des Produktionsprozesses sie neben dem Hauptprodukt als weitere Produkte mit eigener Marktgängigkeit erzeugt.

BerlinFG § 4 Abs. 1 Nr. 15.

Vorinstanz: FG Berlin

Sachverhalt

Die Klägerin betreibt eine Bierbrauerei in Berlin. Mit Schreiben vom ... 1979 hat sie beim Senator für Wirtschaft, Berlin (nunmehr als Senator für Wirtschaft und Verkehr Beklagter), beantragt, ihr bei Lieferungen selbst hergestellter Gegenstände an andere Berliner Unternehmer die Selbstausstellung von Ursprungsbescheinigungen gemäß § 8 Abs. 1 des Berlinförderungsgesetzes (BerlinFG) zu gestatten. Als selbst hergestellte Gegenstände gab sie "Naßtreber" an. Diese Naßtreber fallen während des Brauvorgangs an und werden an einen anderen Berliner Unternehmer veräußert. Dieser trocknet die Naßtreber, preßt sie zu Kügelchen und veräußert diese als Futtermittel in das Bundesgebiet.

Mit Bescheid vom... 1980 hat der Senator für Wirtschaft und Verkehr diesen Antrag abgelehnt; Naßtreber seien als Rückstände bei der Herstellung von Bier Bearbeitungsabfälle im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 15 BerlinFG, ihre Weiterlieferung sei deshalb nicht begünstigt.

Mit der Klage hat die Klägerin beantragt, den Bescheid des Senators für Wirtschaft und Verkehr vom... 1980 aufzuheben und diesen zu verpflichten, ihr die Selbstausstellung von Ursprungsbescheinigungen für den Nachweis Berliner Vorleistungen bezüglich der Herstellung der Naßtreber zu gestatten. Naßtreber seien kein Abfallprodukt, sondern ein Nebenprodukt der Bierherstellung, da sie als hochwertiges Futtermittel dienten. Damit die Naßtreber den Anforderungen des Futtermittelgesetzes entsprächen, werde sogar eine geringere Bierausbeute in Kauf genommen.

Das Finanzgericht hat die Klage abgewiesen: Der Geschäftsbetrieb der Klägerin sei auf die Herstellung von Bier ausgerichtet. Die während des Brauvorgangs anfallenden Naßtreber würden für die weitere Produktion des Biers nicht mehr benötigt. Sie seien daher ein typisches Abfallprodukt der Bierherstellung. Als Abfälle seien nicht nur Rückstände im Sinne des Abfallbeseitigungsgesetzes (BGBl I 1977, 42) anzusehen, derer sich ihr Besitzer entledigen wolle, sondern auch verwertbare Rückstände. Das Abfallbeseitigungsgesetz könne deshalb nicht zur Bestimmung des Begriffs "Abfall" herangezogen werden. Naßtreber seien trotz ihrer Verwertbarkeit als Futtermittel auch deshalb Abfall und nicht Nebenprodukt, weil sie während des Brauvorgangs zwangsläufig anfielen.

Gegen dieses Urteil wendet sich die vom Finanzgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassene Revision der Klägerin. Sie rügt mangelnde Sachaufklärung und Verletzung des § 4 Abs. 1 Nr. 15 BerlinFG. Das Finanzgericht habe den Produktionsablauf beim Bierbrauen nicht hinreichend aufgeklärt. Aus diesem ergebe sich, daß die Brauereien bei der Verarbeitung der Braugerste gezielt auf eine hohe Qualität der Naßtreber hinwirkten, um sie als Futtermittel wirtschaftlich verwertbar zu machen und einen hohen Erlös für die Naßtreber zu erzielen. § 4 Abs. 1 Nr. 15 BerlinFG sei verletzt, da Naßtreber nach ihrer Bedeutung im heutigen Wirtschaftsleben nicht mehr Abfallprodukt, sondern Nebenprodukt der Bierherstellung seien. Wenn alles das Abfall sei, was für den weiteren Produktionsvorgang nicht mehr benötigt werde, müßten viele hochwertige Produkte, die im Rahmen der Herstellung eines Hauptprodukts anfielen, als Abfall bezeichnet werden. Abfälle seien vielmehr nur Stoffe im Sinne des Abfallbeseitigungsgesetzes.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist begründet.

Das angefochtene Urteil war aufzuheben und die Sache an das Finanzgericht zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

1. Die Genehmigung zur Selbstausstellung von Ursprungsbescheinigungen für den Nachweis der Herstellung eines Gegenstandes in Berlin (West) bei Ermittlung der Berliner Wertschöpfung kann nicht erteilt werden, wenn für einen hergestellten Gegenstand nach § 4 Abs. 1 BerlinFG ein Kürzungsanspruch nicht besteht (§ 8 Abs. 1, § 6, § 6a Abs. 2 Nr. 1 BerlinFG).

Gemäß der im Jahre 1975 in das Berlinförderungsgesetz eingefügten Ergänzung des § 4 Abs. 1 durch dessen Nr. 15 können für "Schrott, Alt- und Abfallmaterial einschließlich Bearbeitungsabfälle" Umsatzsteuerkürzungen nicht gewährt werden (stufenweise Anwendung auf Umsätze ab dem Jahre 1976).

2. Ob durch die Herstellung Abfallmaterialien einschließlich Bearbeitungsabfälle entstehen, bestimmt sich nach den Produktionsverhältnissen des Berliner Unternehmers. Denn die Zielsetzung der umsatzsteuerlichen Vorschriften der Berlinhilfe ist darauf gerichtet, die Wirtschaft von Berlin (West) steuerlich zu fördern.

Im Berlinförderungsgesetz sind die Ausdrücke "Abfallmaterial einschließlich Bearbeitungsabfälle", auf die es im Streitfall ankommt, nicht näher beschrieben. Zwar waren schon gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 10 des Berlinhilfegesetzes (BHG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. Juli 1962 (BGBl I 1962, 492) bestimmte NE-Metalle in Form von "Roh-, Alt- und Abfallmaterial" von der Berlinförderung ausgeschlossen. Um aber einer wirtschaftspolitisch unerwünschten Inanspruchnahme der steuerlichen Vergünstigungen entgegenzuwirken, wurde die Begrenzung auf NE-Metalle durch die Herausnahme von "Alt- und Abfallmaterial" aus der Vorschrift des § 6 Abs. 1 Nr. 10 BHG ( = § 4 Abs. 1 Nr. 10 BHG i. d. F. des Berlinhilfegesetzes vom 1. Oktober 1968 - BGBl I 1968, 1049 -) und gleichzeitige Einführung des § 4 Abs. 1 Nr. 15 BerlinFG aufgegeben. Eine Anknüpfung an § 6 Abs. 1 Nr. 10 BHG bzw. § 4 Abs. 1 Nr. 10 BHG a. F. ist daher nicht möglich. Ebenso war mit dieser Ausdehnung die bislang vorhandene Anknüpfung an Begriffsbestimmungen des alten Umsatzsteuergesetzes (UStG 1951) gelöst worden. Sie besteht lediglich noch bei Schrott.

Der Abfallbegriff des Berlinförderungsgesetzes ist demnach anhand des allgemeinen Sprachgebrauchs unter Berücksichtigung der Ziele dieses Gesetzes zu ermitteln.

Abfälle sind Stoffe, die als Reste der für die Produktion verwendeten Ausgangsstoffe nach deren Bearbeitung übrigbleiben. Mit dieser Beschreibung wird nur über die Herkunft entschieden, nicht aber über Wert und Verwertbarkeit. Hieraus ergibt sich, daß zum Abfall im vorbezeichneten Sinne nicht die Nebenprodukte gehören. Ein Nebenprodukt liegt vor, wenn der Hersteller bei der Produktion des Haupterzeugnisses den Anfall weiterer Stoffe durch eine hierauf gerichtete Auswertung der Ausgangsstoffe herbeiführt. Für den Anfall dieser Nebenprodukte ist kennzeichnend, daß der Hersteller durch eine besondere Ausgestaltung des Produktionsprozesses sie neben dem Hauptprodukt als weitere Produkte mit einer eigenen Marktgängigkeit erzeugt. Es kommt somit in dem hier gegebenen Zusammenhang entscheidend darauf an, ob für die anfallenden Stoffe im Hinblick auf ihre spätere Verwendung nach den Umständen des Produktionsablaufs vom Hersteller ein Produktionsverfahren angewendet wird, das neben der Herstellung des Hauptprodukts auch auf die Gewinnung und Qualitätsanforderungen dieser Stoffe abstellt. Mit dieser Begriffsbestimmung wird der Vorstellung des Gesetzgebers Rechnung getragen, daß die Begünstigung der Produktionsvorgänge in Berlin (West) im allgemeinen zur Stärkung der Berliner Wirtschaft beiträgt.

3. Das Finanzgericht hat als Abfälle solche Stoffe angesehen, die bei der Herstellung eines Produkts zwangsläufig anfallen und für den weiteren Produktionsvorgang nicht mehr benötigt werden. Mit dieser Beurteilung hat das Finanzgericht entscheidend auf technisch vorgegebene Produktionsbedingungen abgestellt. Es hat damit die rechtliche Bedeutung des Abfallbegriffs verkannt.

4. Die Sache ist nicht zur abschließenden Entscheidung reif. Die tatsächlichen Feststellungen des Finanzgerichts erlauben keine Entscheidung darüber, ob Naßtreber nach der Ausrichtung des Produktionsprozesses der Klägerin als Bearbeitungsabfälle oder als Nebenprodukte der Herstellung von Bier zu beurteilen sind.