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BFH-Urteil vom 10.11.1983 (IV R 191/82) BStBl. 1984 II S. 49

Steuerbescheide, die unter der Geltung der AO aufgrund einer Betriebsprüfung ergangen sind, können nach Inkrafttreten der AO 1977 nur unter den Voraussetzungen des § 173 Abs. 2 AO 1977 abgeändert werden.

AO 1977 § 173 Abs. 2.

Vorinstanz: FG Köln

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute. Der klagende Ehemann (Kläger) war früher als Gastwirt tätig. Im Jahre 1971 verpachtete er die Gaststätte, ohne die Betriebsaufgabe zu erklären. Eine Betriebsprüfung für die Jahre 1971 bis 1973 führte für das Streitjahr 1973 nicht zu einer Änderung gegenüber der abgegebenen Steuererklärung. In einer späteren Betriebsprüfung für die Jahre 1974 bis 1976 stellte sich heraus, daß der Kläger durch notariellen Vertrag vom 16. November 1973 die Hälfte des Betriebsgrundstücks schenkweise auf seine Ehefrau übertragen hatte; in den Jahresabschlüssen waren hieraus keine Folgerungen gezogen worden. Der Betriebsprüfer berichtigte daraufhin die Bilanz zum 31. Dezember 1974 und berücksichtigte den Entnahmegewinn im Jahre 1974; der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) schloß sich dem durch Änderung des Einkommensteuerbescheides 1974 für die Kläger an. Im Einspruchsverfahren kam das FA zu dem Ergebnis, daß der Entnahmegewinn im Jahre 1973 erfaßt werden müsse. Es gab daher dem Einspruch hinsichtlich des Jahres 1974 statt und berichtigte nunmehr den Einkommensteuerbescheid 1973 gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977). Hiergegen legten die Kläger erfolglos Einspruch ein.

Die Klage hatte dagegen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hielt für bedeutsam, daß der geänderte Steuerbescheid nach einer Betriebsprüfung ergangen war; er könne nach § 173 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 nicht geändert werden, da keine Anhaltspunkte für eine Steuerhinterziehung oder leichtfertige Steuerverkürzung vorlägen.

Hiergegen richtet sich die Revision des FA; sie macht geltend, daß die Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO 1977 sich nicht auf Betriebsprüfungen unter der Geltung der Reichsabgabenordnung (AO) beziehe.

Das FA beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache an das FG zurückzuverweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet; der angefochtene Berichtigungsbescheid ist zu Unrecht ergangen.

Nach Inkrafttreten der AO 1977 können Steuerbescheide nur nach Maßgabe der §§ 172 ff. AO 1977 geändert werden. Das gilt nach Art. 79 § 9 Satz 2 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO 1977) vom 14. Dezember 1976 (BGBl I, 3341) auch hinsichtlich solcher Steuerbescheide, die vor dem 1. Januar 1977 noch unter der Geltung der AO ergangen sind. Das FA, das einen solchen Bescheid wegen neuer, eine höhere Besteuerung rechtfertigender Tatsachen berichtigen will, hat seinen Änderungsbescheid demgemäß auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 gestützt. Es hätte dabei aber auch § 173 Abs. 2 AO 1977 berücksichtigen müssen. Danach können abweichend von den in § 173 Abs. 1 AO 1977 aufgeführten Berichtigungsmöglichkeiten Steuerbescheide, die aufgrund einer Außenprüfung ergangen sind, nur dann aufgehoben oder geändert werden, wenn eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt. Diese Bestimmung ist auch im Streitfall beachtlich.

Ein vor dem 1. Januar 1977 erlassener Steuerbescheid kann allerdings nicht aufgrund einer Außenprüfung i. S. der AO 1977 ergangen sein. Daraus folgt jedoch nicht, daß § 173 Abs. 2 AO 1977 für die Änderung von Steuerbescheiden unbeachtlich sei, die nach einer Betriebsprüfung alten Rechts ergingen. Bereits unter der Geltung der AO konnten solche Steuerbescheide nur unter erschwerten Voraussetzungen wegen nachträglich bekanntgewordener Tatsachen zum Nachteil der Steuerpflichtigen geändert werden (vgl. die Nachweise bei Tipke/Kruse, Reichsabgabenordnung, 7. Aufl., § 222 AO Anm. 18). Es kann nicht angenommen werden, daß das EGAO 1977 in den Übergangsfällen die Rechtsstellung der Steuerpflichtigen in diesem Punkte habe verschlechtern wollen. Andererseits läßt sich auch nicht annehmen, daß für die Finanzbehörde insoweit noch die früheren Änderungsgrundsätze maßgebend sein sollten. Vielmehr gelten nach Art. 79 § 9 EGAO 1977 für die Änderung von Steuerbescheiden seit dem 1. Januar 1977 ausschließlich die Vorschriften der AO 1977. Das bedeutet für den Streitfall, daß § 173 AO 1977 uneingeschränkt Anwendung findet und daß an die Stelle der in Abs. 2 erwähnten Außenprüfung die frühere Betriebsprüfung tritt.

Die Betriebsprüfung des § 162 AO hatte dieselben Aufgaben wie die in § 193 Abs. 1 AO 1977 bei Unternehmern vorgesehene Außenprüfung. Eine am Zweck der Neuregelung orientierte Auslegung führt deshalb zu dem Ergebnis, daß sich die Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO 1977 auch auf Bescheide erstreckt, die nach einer Betriebsprüfung des § 162 AO ergangen sind (ebenso Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., vor § 172 AO 1977 Anm. 6). Durch die Anwendung der Neuregelung wird zwar die rechtliche Position des Steuerpflichtigen verbessert, da die genannten Bescheide vor dem 1. Januar 1977 nicht nur - wenn auch in eingeschränktem Umfang - wegen neuer Tatsachen, sondern gemäß § 222 Abs. 1 Nr. 3 AO auch nach Fehleraufdeckung durch die Aufsichtsbehörde berichtigt werden konnten. Durch die Neuregelung sollten insbesondere aber die bisher bestehenden Ungewißheiten über die Änderung von Steuerbescheiden aufgrund einer erneuten Betriebsprüfung ausgeräumt werden (Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung [AO 1977]/Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 173 AO 1977 Anm. 7); dieses Ziel wird erreicht, wenn die Neuregelung auch in den Übergangsfällen wirksam wird.

Den abweichenden Ausführungen von Domann (Betriebs-Berater - BB - 1979, 516, 520) und von Koch (Kommentar zur Abgabenordnung 1977, 2. Aufl., § 173 Anm. 32) kann der Senat nicht folgen. Eine Gleichstellung von Betriebsprüfung und Außenprüfung besteht auch in anderen Fällen. Bereits aus Art. 97 § 1 und § 12 EGAO 1977 ergibt sich, daß eine nach altem Recht begonnene Betriebsprüfung als Außenprüfung fortgesetzt wird. Entsprechendes folgt aus Art. 79 § 10 EGAO 1977, der vorsieht, daß für die Festsetzung von vor dem 1. Januar 1977 entstandenen Steueransprüchen noch die Verjährungsvorschriften der AO gelten. In § 146 a AO war bestimmt, daß der Ablauf der Verjährungsfrist durch eine Betriebsprüfung gehemmt wird. Nach Inkrafttreten der AO 1977 tritt innerhalb der noch laufenden Verjährungsfristen alten Rechts die Außenprüfung des § 193 Abs. 1 AO 1977 an die Stelle der früheren Betriebsprüfung des § 162 AO. Diese Gleichbehandlung von Außenprüfung und Betriebsprüfung muß auch im Falle des § 173 Abs. 2 AO 1977 gelten.

Der Senat schließt sich damit der Auffassung des I. Senats an, der in seiner Entscheidung vom 10. Februar 1982 I R 190/78 (BFHE 135, 396, BStBl II 1982, 682) ebenfalls davon ausgegangen ist, daß sich die Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO 1977 auch auf Bescheide erstreckt, die vor dem 1. Januar 1977 aufgrund einer Betriebsprüfung ergangen sind. Der VIII. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) hat in der Entscheidung vom 2. März 1982 VIII R 225/80 (BFHE 136, 28) eine abweichende Auffassung vertreten; er hat jedoch auf Anfrage erklärt, daß er hieran nicht festhält.

Nach allem hätte die vom FA vorgenommene Änderung zur Voraussetzung gehabt, daß auf seiten der Kläger eine Steuerhinterziehung oder leichtfertige Steuerverkürzung vorlag. Das FG hat dafür keine Anhaltspunkte gesehen; die Revision des FA hat dem nicht widersprochen. Sie konnte danach keinen Erfolg haben.