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BFH-Urteil vom 30.11.1983 (II R 130/81) BStBl. 1984 II S. 158

Der sog. atypische stille Gesellschafter erhält keine Verwertungsmacht i. S. des § 1 Abs. 2 GrEStG an einem Grundstück, das der Inhaber des Handelsgeschäftes (§ 335 Abs. 1 HGB) erwirbt. (Einschränkung des BFH-Urteils vom 11. Dezember 1974 II R 170/73, BFHE 114, 552, BStBl II 1975, 363.)

GrEStG § 1 Abs. 2; HGB § 335.

Vorinstanz: FG Berlin

Sachverhalt

I.

Die Klägerin ist die Rechtsnachfolgerin der X KG (X). Diese war stille Gesellschafterin einer KG, welche 1979 ein Grundstück in Berlin kaufte.

Das beklagte Finanzamt (FA) setzte gegen die X Grunderwerbsteuer fest. Es begründete diese Steuererhebung wie folgt:

Die X sei nach dem Vertrag über die stille Beteiligung an dem Handelsgewerbe der KG nicht nur mit 15,7 % an deren Gewinn und Verlust, sondern auch an deren Geschäftsvermögen beteiligt und erhalte im Falle ihres Ausscheidens ein Auseinandersetzungsguthaben, für dessen Ermittlung die tatsächlichen Werte (mit Ausnahme des sog. Firmenwertes) des Betriebsvermögens der KG maßgebend seien. Mit dem Kauf des Grundstücks durch die KG habe die X daher in Höhe ihrer Beteiligung die Verwertungsmacht i. S. des § 1 Abs. 2 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) Berlin an dem Grundstück erworben.

Der Einspruch der X hatte keinen Erfolg. Auf die Klage hob das Finanzgericht (FG) Berlin den Steuerbescheid und die Einspruchsentscheidung auf. Es gebe keine vertragliche Grundlage, welche es der X gestatten würde, das Grundstück oder auch nur einen Teil davon auf eigene Rechnung zu verwerten. Die X habe auch keine andere wirtschaftliche Möglichkeit, das Grundstück i. S. des § 1 Abs. 2 GrEStG auf eigene Rechnung zu verwerten. Das sei nach der höchstrichterlichen Finanzrechtsprechung dann der Fall, wenn jemand an einem Grundstück Besitz- und Nutzungsrechte habe und an der Substanz des Grundstücks beteiligt sei. Die X habe aber kein solches Besitz- und Nutzungsrecht.

Mit seiner Revision begehrt das FA die Aufhebung des FG-Urteils und die Abweisung der Klage.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des FA ist unbegründet.

Die X hat an dem von der KG erworbenen Grundstück keine Verwertungsmacht i. S. des § 1 Abs. 2 GrEStG erworben.

Nach der genannten Vorschrift unterliegen der Steuer auch solche Rechtsvorgänge, die es ohne Begründung eines Anspruchs auf Übereignung einem anderen rechtlich oder wirtschaftlich ermöglichen, ein Grundstück auf eigene Rechnung zu verwerten. Dieser Tatbestand ist - wie das FG zu Recht ausgeführt hat - regelmäßig dann erfüllt, wenn jemand an der Substanz eines Grundstücks beteiligt ist und an diesem Grundstück Nutzungs- und Besitzrechte hat (vgl. z. B. die Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 22. Dezember 1959 II 228/56 U, BFHE 70, 625, BStBl III 1960, 233; vom 27. Januar 1965 II 60/60 U, BFHE 82, 51, BStBl III 1965, 265, und vom 27. Januar 1972 II 73/65, BFHE 105, 168, BStBl II 1972, 496).

Diese Voraussetzungen sind hier zumindest insoweit nicht erfüllt, als die X keinen Besitz an dem Grundstück hatte. Eigentümer und Besitzer des Grundstücks war - wie sich aus § 335 Abs. 1 des Handelsgesetzbuches (HGB) ergibt - ausschließlich die KG als "Inhaberin des Handelsgeschäftes". Zwar schloß diese Rechtslage nicht aus, daß die X - falls sie vertraglich mit entsprechenden Machtbefugnissen ausgestattet war - Einfluß auf das Schicksal des Grundstücks nehmen konnte. Der Senat ist jedoch der Auffassung, daß solche Machtbefugnisse, welcher Art sie auch immer sein mögen, im Rahmen des § 1 Abs. 2 GrEStG den fehlenden Besitz aus den nachstehend genannten Gründen nicht ersetzen können.

Der - mit § 1 Abs. 2 GrEStG Berlin übereinstimmende - § 1 Abs. 2 GrEStG 1940 diente nach der Begründung dieses Gesetzes (RStBl 1940, 391) als Auffangtatbestand. Er sollte - ebenso wie bisher § 6 GrEStG 1919 - die Besteuerung derjenigen Geschäfte ermöglichen, "die nicht auf den Erwerb des Eigentums selbst gerichtet sind, in ihrem wirtschaftlichen Ergebnis aber den auf den Erwerb des Eigentums gerichteten Geschäften im wesentlichen gleichkommen". Eine dem Grundstückseigentümer gleichkommende Stellung wird aber - auch im Grunderwerbsteuerrecht - nicht schon durch Teilnahme am Wert eines Grundstücks erreicht. Denn auch dem Inhaber von Gesellschaftsrechten, beispielsweise an einer GmbH oder OHG mit Grundstückseigentum, kommen Wertsteigerungen dieses Grundstückseigentums zugute, ohne daß deshalb der Erwerb der Beteiligung an der Gesellschaft schon der Grunderwerbsteuer unterliegt, selbst wenn der Erwerbende eine Machtstellung in der Gesellschaft und damit Einfluß auf das Schicksal des Grundbesitzes erhält. (Erst der Erwerb sämtlicher Anteile führt nach den ausdrücklichen Regelungen des § 738 Abs. 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB - und § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEStG bei der OHG und des § 1 Abs. 3 GrEStG bei der GmbH zur Steuerpflicht.)

Allerdings hat der Senat in seiner bisherigen Rechtsprechung in zwei Ausnahmefällen bei Anwendung des § 1 Abs. 2 GrEStG auf den Besitz als Voraussetzung der Verfügungsmacht verzichtet, und zwar bei dem Treuhandeigentum und bei der sog. Verkaufsermächtigung.

a) Erwirbt der Treuhänder ein Grundstück im eigenen Namen und im Auftrag des Treugebers, so erhält letzterer gleichzeitig an dem Grundstück die Verwertungsmacht i. S. des § 1 Abs. 2 GrEStG. Zwar hat er nicht den Besitz am Grundstück; aber aufgrund des Auftragsverhältnisses kann er gemäß § 667 BGB die Herausgabe des Grundstücks und damit die Einräumung des Besitzes verlangen (BFH-Urteil vom 5. Dezember 1956 II 82/56 U, BFHE 64, 186, BStBl III 1957, 71; vgl. auch das BFH-Urteil vom 28. Juni 1972 II 77/64, BFHE 106, 138, BStBl II 1972, 719). Die X hatte im vorliegenden Fall keinen solchen Herausgabeanspruch gegen die KG.

b) Trotz fehlenden Besitzes erwirbt nach der Rechtsprechung des BFH auch derjenige die Verwertungsmacht i. S. des § 1 Abs. 2 GrEStG, dem ein Grundstück dergestalt zur Veräußerung überlassen wird, daß er den über eine bestimmte Grenze hinausgehenden Mehrerlös nicht an den Eigentümer abzuführen braucht und für sich behalten darf (Urteile vom 21. Juli 1965 II 78/62 U, BFHE 83, 166, BStBl III 1965, 561; vom 2. Dezember 1971 II 136/65, BFHE 105, 165, BStBl II 1972, 495; vom 2. Juli 1975 II R 49/74, BFHE 116, 413, BStBl II 1975, 863, und vom 19. Juni 1975 II R 86/67, BFHE 117, 89, BStBl II 1976, 27). Das hat seinen Grund darin, daß die Befugnis zur Veräußerung eines Grundstücks die stärkste Form der Verwertungsmacht ist (BFHE 105, 165, 168, BStBl II 1972, 495) und vor allem § 1 Abs. 2 GrEStG 1940 entsprechend der Begründung des Gesetzes auch den Bereich des bis dahin geltenden § 5 Abs. 4 Nr. 5 GrEStG 1919 umfaßte (RStBl 1940, 391); danach hatten Rechtsgeschäfte der Besteuerung unterlegen, durch die jemand ermächtigt wird, ein Grundstück ganz oder teilweise auf eigene Rechnung zu veräußern (vgl. dazu den BFH-Beschluß vom 3. Dezember 1968 II B 39/68, BFHE 94, 352, BStBl II 1969, 170). Für den vorliegenden Fall treffen diese Gesichtspunkte nicht zu.

Soweit das BFH-Urteil vom 11. Dezember 1974 II R 170/73 (BFHE 114, 552, BStBl II 1975, 363) auf eine andere Ansicht des Senats zu der hier behandelten Frage hindeuten könnte, hält der Senat daran nicht fest.