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BFH-Urteil vom 13.12.1983 (VIII R 16/83) BStBl. 1984 II S. 311

Ein bürgerlich-rechtlich wirksamer, beide Vertragsparteien bindender Vorvertrag ist als Veräußerung im Sinne des § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG anzusehen.

EStG § 22 Nr. 2, § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a.

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute; sie werden im Streitjahr zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. Die Kläger hatten durch notariellen Vertrag vom 3. August 1978 die zusammenhängenden Grundstücke X und Y in Z zum Preis von 231.400 DM gekauft. Der Kaufvertrag umfaßte neben den Grundstücken ein noch zu errichtendes Einfamilienhaus mit Garage.

Durch notariell beurkundeten Vertrag vom 30. Januar 1980 vereinbarten die Kläger mit den Eheleuten R, bis zum 1. September 1980 einen Kaufvertrag über die Grundstücke X und Y abzuschließen. Als Tag der Übergabe war der 1. September 1980 bestimmt. Der Kaufpreis von 277.000 DM sollte in Höhe eines Teilbetrages von 100.000 DM bis zum 1. März 1980 und in Höhe eines weiteren Teilbetrages von 20.000 DM bis zum 15. Juni 1980 gezahlt werden. Zur Sicherung dieser Beträge bewilligten und beantragten die Vertragsbeteiligten die Eintragung einer Sicherungshypothek auf den zu verkaufenden Grundstücken. Der Restbetrag war bis zum 15. August 1980 auf einem Anderkonto des beurkundenden Notars zu hinterlegen. Zur Sicherung des Anspruchs auf Übertragung des Eigentums bewilligten und beantragten die Vertragsbeteiligten die Eintragung einer Auflassungsvormerkung zugunsten der Eheleute R. Die Auflassungsvormerkung wurde am 12. Juni 1980 im Grundbuch eingetragen.

Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 12. August 1980 verkauften die Kläger die Grundstücke an die Eheleute R. Als Tag der Übergabe wurde der 1. Oktober 1980 vereinbart. Der noch offene Restbetrag des Kaufpreises (157.000 DM) sollte bis zum 15. September 1980 auf einem Anderkonto des amtierenden Notars hinterlegt werden.

Bei der Veranlagung der Kläger zur Einkommensteuer 1980 behandelte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) die Differenz zwischen dem Anschaffungs- und Veräußerungspreis (45.600 DM) als Spekulationsgewinn im Sinne von § 23 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Dabei ging er davon aus, daß der Vertrag vom 30. Januar 1980 wirtschaftlich einem Veräußerungsgeschäft gleichzustellen sei.

Der Einspruch blieb erfolglos. Die Klage führte zu einer Änderung des angefochtenen Einkommensteuerbescheides. Das Finanzgericht (FG), dessen Urteil in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1983, 234 veröffentlicht ist, setzte den vom FA ermittelten Spekulationsgewinn um 7.485 DM niedriger fest. Im übrigen wies es die Klage als unbegründet ab.

Mit ihrer Revision rügen die Kläger Verletzung des § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG. Der Differenzbetrag zwischen dem Anschaffungs- und Veräußerungspreis der Grundstücke sei entgegen der Ansicht des FG kein Spekulationsgewinn im Sinne dieser Vorschrift. Maßgebend für den Zeitpunkt der Veräußerung könne nur der Kaufvertrag vom 12. August 1980 sein. Dieser Vertragsabschluß liege aber unstreitig außerhalb der Zweijahresfrist des § 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG.

Die Kläger beantragen, das angefochtene Urteil aufzuheben und den angefochtenen Einkommensteuerbescheid in der Gestalt der Einspruchsentscheidung dahin abzuändern, daß keine sonstigen Einkünfte angesetzt werden.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Der strittige Gewinn aus der Veräußerung der Grundstücke gehört zu den sonstigen Einkünften im Sinne von §§ 22 Nr. 2, 23 EStG, weil er aus einem Spekulationsgeschäft erzielt wurde. Spekulationsgeschäfte sind Veräußerungsgeschäfte, bei denen - falls es sich um Grundstücke handelt - der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als zwei Jahre beträgt (§ 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG). Bei der Berechnung dieses Zeitraums ist in aller Regel vom Zeitpunkt des Abschlusses der schuldrechtlichen Verträge auszugehen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 30. November 1976 VIII R 202/72, BFHE 120, 522, BStBl II 1977, 384 m. w. N.). Zeitpunkt der Veräußerung ist deshalb beim Verkauf eines Grundstücks grundsätzlich der Zeitpunkt des Abschlusses des notariell beurkundeten Kaufvertrages. Die Annahme einer vor diesem Zeitpunkt liegenden Veräußerung ist nur dann gerechtfertigt, wenn die Vertragspartner vor Abschluß des Kaufvertrages Verhältnisse geschaffen haben, die einer Veräußerung im Sinne von § 23 EStG gleichstehen, also das Ergebnis des obligatorischen Veräußerungsgeschäfts bei wirtschaftlicher Betrachtung vorwegnehmen. Dies kann dadurch geschehen, daß die Vertragspartner dem obligatorischen Veräußerungsgeschäft gleichzustellende Vereinbarungen treffen oder das dingliche Rechtsgeschäft vor dem Abschluß des obligatorischen Vertrages vollziehen (BFH-Urteile vom 7. August 1970 VI R 166/67, BFHE 100, 93, BStBl II 1970, 806; vom 3. August 1976 VIII R 192/74, BFHE 120, 42, BStBl II 1977, 382; BFHE 120, 522, BStBl II 1977, 384).

Das FG hat zu Recht angenommen, daß der Vorvertrag vom 30. Januar 1980 einem Verkauf wirtschaftlich gleichzustellen ist.

Zwar verpflichtete diese Vereinbarung die Vertragsbeteiligten unmittelbar nur zum Abschluß eines Hauptvertrages (Kaufvertrages). Aus dem zweiseitig verpflichtenden, bürgerlich-rechtlich wirksam zustande gekommenen Vorvertrag, wie er hier zu beurteilen ist, ergibt sich jedoch bereits eine so feste Bindung beider Vertragspartner im Hinblick auf die künftige Übertragung des Eigentums an dem Kaufgegenstand, daß es gerechtfertigt ist, ihn als Veräußerung im Sinne des § 23 EStG anzusehen. Denn ein wirksamer Vorvertrag setzt voraus, daß sich die Vertragspartner über alle wesentlichen Punkte geeinigt haben und daß der Inhalt des abzuschließenden Hauptvertrages im übrigen zumindest bestimmbar ist (§ 154 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -; Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 8. Juni 1962 I ZR 6/61, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1962, 1.812; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Band II, Das Rechtsgeschäft, 3. Aufl., S. 614 f.; Kramer in Münchener Kommentar, 1978, Vorbem. vor § 145 BGB, Anm. 36; Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 43. Aufl., Einf. vor § 145, Anm. 4). Der Senat braucht in diesem Zusammenhang nicht zu der Streitfrage Stellung zu nehmen, ob an einen Vorvertrag hinsichtlich der Vollständigkeit der vertraglichen Regelung die gleichen Anforderungen zu stellen sind wie an einen Hauptvertrag (so Flume, a.a.O. und Kramer, a.a.O.) oder ob es für die Wirksamkeit des Vorvertrages genügt, wenn die (unvollständige) Regelung nach dem mutmaßlichen Parteiwillen ergänzt werden kann (so BGH-Urteile vom 17. Dezember 1952 II ZR 19/52, Lindenmaier/Möhring - LM - Nr. 3 zu § 705 BGB, und vom 3. Juni 1958 I ZR 83/57, LM Nr. 4 zu § 154 BGB). Denn im Streitfall haben die Vertragsbeteiligten im Vorvertrag den Inhalt des abzuschließenden Kaufvertrages in allen Einzelheiten festgelegt. In einem solchen Fall besteht bei wirtschaftlicher Betrachtung kein Unterschied zwischen Vor- und Hauptvertrag (Flume, a.a.O.; Keßler in Klein/Flockermann/Kühr, Einkommensteuergesetz, 3. Aufl., § 23 Anm. 21).

Durch den Vertrag vom 30. Januar 1980 haben sich beide Vertragsbeteiligten unwiderruflich und unbedingt zum Abschluß eines Kaufvertrages und mittelbar zur entgeltlichen Übertragung (zum entgeltlichen Erwerb) des Eigentums an den Grundstücken verpflichtet. Die Entstehung der künftigen Ansprüche auf Verschaffung des Eigentums und Zahlung des Kaufpreises konnte deshalb nicht mehr durch einseitige Erklärung eines der Vertragsbeteiligten verhindert werden.

Die mit Abschluß des Vorvertrages eingegangene Bindung der Kläger wurde noch verstärkt durch die Eintragung einer Auflassungsvormerkung und einer Sicherungshypothek zugunsten der Eheleute R.

Bei dieser Sachlage kann dem Umstand, daß die Eheleute R. vor Ablauf der Spekulationsfrist weder den Abschluß des Kaufvertrages noch die Auflassung der Grundstücke verlangen konnten, keine entscheidende Bedeutung beigemessen werden.

Die Kläger berufen sich für ihre entgegenstehende Ansicht zu Unrecht auf das Urteil in BFHE 100, 93, BStBl II 1970, 806. In diesem Fall hatte der BFH es abgelehnt, ein bindendes Verkaufsangebot wirtschaftlich einem Verkauf gleichzustellen. Bei einem lediglich den Eigentümer verpflichtenden Verkaufsangebot bleibt es bis zur Annahme dieses Angebots durch den Berechtigten ungewiß, ob es zu einem Verkauf kommt. Dagegen sind bei einem zweiseitig verpflichtenden Vorvertrag beide Vertragspartner bereits mit Abschluß des Vorvertrages gebunden.