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BFH-Urteil vom 2.12.1983 (VI R 47/80) BStBl. 1984 II S. 362

Zur Rechtswidrigkeit eines Lohnsteuernachforderungsbescheids, wenn der Tenor einen Gesamtbetrag ausweist und nach Bezeichnung und Inhalt des Bescheids unklar ist, ob das FA eine Lohnsteuerhaftungsschuld oder eine pauschale Lohnsteuerschuld festsetzen wollte.

AO §§ 210 Abs. 1, 211 Abs. 1 Satz 1; AO 1977 §§ 119 Abs. 1, 157 Abs. 1 Satz 2.

Vorinstanz: FG Nürnberg

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) vertreibt eine Werbezeitung, die wöchentlich bzw. zweimal im Monat erscheint und bei allen Haushalten des Verteilungsgebiets kostenlos ausgetragen wird. Zur Verteilung der Zeitung wurden in den Streitjahren etwa ... Personen als Austräger eingesetzt, die darüber hinaus im Betrieb der Klägerin nicht tätig waren. Um die Lohnsteuernachforderung für diesen Personenkreis geht es im vorliegenden Revisionsverfahren.

Anläßlich einer Lohnsteuer-Außenprüfung im Jahre 1977 wurde festgestellt, daß von den an die Austräger gezahlten Vergütungen Steuerabzugsbeträge weder einbehalten noch abgeführt worden waren. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -), der die Tätigkeit der Austräger als nichtselbständig ansah, forderte mit Bescheid vom 14. Juli 1977 für den Zeitraum vom 1. November 1975 bis zum 31. Dezember 1976 Lohn- und Lohnkirchensteuerbeträge in Höhe von ... DM nach. Dieser Betrag ist lediglich nach Lohnsteuer und Lohnkirchensteuer, evangelisch bzw. katholisch, aufgeteilt. Im übrigen handelt es sich aber um Gesamtbeträge. Der Bescheid ist ausdrücklich als Haftungsbescheid bezeichnet. Im Teil "A. Steuerfestsetzung - Haftungsinanspruchnahme" ist folgende Rubrik angekreuzt:

"Nach den Feststellungen der Lohnsteueraußenprüfung im Prüfungsbericht vom 4. März 77 haben Sie Ihre Verpflichtung, die Steuerbeträge einzubehalten und abzuführen, nicht ordnungsgemäß erfüllt.

Nach § 191 Abs. 1 AO i. V. m. § 42 b Abs. 1 EStG und Art. 14 Kirchensteuergesetz haften Sie als Arbeitgeber für die Steuerabzugsbeträge, die Sie zu wenig einbehalten und abgeführt haben (Haftungsschuld).

Für die nach den §§ 40, 40 a und 40 b EStG mit einem Pauschsteuersatz erhobenen Steuern werden Sie als Steuerschuldner in Anspruch genommen (Steuerschuld)."

Im Teil C des angefochtenen Bescheids ("Erläuterung zur Steuerfestsetzung") ist noch einmal auf den Prüfungsbericht hingewiesen. Aus dem Prüfungsbericht und der diesem Bericht angefügten Beilage ist zu entnehmen, daß auf die an die Austräger gezahlten Vergütungen ein Betrag von ... DM (aufgeteilt nach Lohnsteuer und Lohnkirchensteuer) entfällt. Hierzu heißt es im Prüfungsbericht: "Die nachzuentrichtende Lohnsteuer wird für den Prüfungszeitraum pauschaliert. Der Pauschsteuersatz beträgt 10 v. H. (§ 40 a EStG, Abschnitt 95 LStR)." ... DM entfallen nach dem Prüfungsbericht auf die in den Monaten November und Dezember 1976 an andere Arbeitnehmer gezahlten Aushilfslöhne. Hierzu führt der Prüfungsbericht aus: "Die Lohnsteuer wurde von Seiten der Firma pauschaliert und für 1/75 bis 7/76 nachgemeldet. Ab 8/76 erfolgt monatliche Anmeldung der Aushilfslohnsteuer. Für November und Dezember 1976 ergab sich ein noch zu versteuernder Betrag in Höhe von ... DM." Schließlich entfällt der im angefochtenen Bescheid ausgewiesene Gesamtbetrag in Höhe von ... DM nach dem Prüfungsbericht auf die Lohnsteuer einer Arbeitnehmerin K, für die die Lohnsteuer im Februar 1976 versehentlich nicht abgeführt worden sei.

Die Klägerin hatte mit ihrer Klage keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) ging davon aus, daß die Austräger nichtselbständig tätig geworden seien und das FA deshalb die Klägerin zu Recht für die Steuerabzugsbeträge in Anspruch genommen habe. Auch die Einwendungen der Klägerin gegen die Höhe ihrer Inanspruchnahme wies es zurück. Es führte aus, daß das FA die nachzufordernde Lohnsteuer zulässigerweise nach einem Pauschsteuersatz von 10 v. H. berechnet habe (Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 15. November 1974 VI R 167/73, BFHE 114, 342, BStBl II 1975, 297). Die Besteuerung nach Pauschsteuersätzen setze voraus, daß dabei die Bezüge aller betroffenen Arbeitnehmer berücksichtigt würden.

Mit der Revision wendet sich die Klägerin gegen die Auffassung des FG, daß die Austräger nichtselbständig tätig gewesen seien.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Der angefochtene Bescheid hält einer formalen Überprüfung nicht stand.

1. Nach den Ausführungen des Senats im Urteil vom 5. November 1982 VI R 219/80 (BFHE 137, 46, BStBl II 1983, 91) ist die vom Arbeitgeber geschuldete pauschale Lohnsteuer eine Unternehmenssteuer eigener Art. Daraus folgt, daß die pauschale Lohnsteuer durch Steuer- und nicht durch Haftungsbescheid - unter Beachtung der Vorschriften des § 211 Abs. 1 Satz 1 der Reichsabgabenordnung - AO - (jetzt § 157 Abs. 1 Satz 2 der Abgabenordnung - AO 1977 -) - festzusetzen ist (BFH-Entscheidungen vom 28. Januar 1983 VI R 35/78, BFHE 138, 188, BStBl II 1983, 472, und vom 29. April 1983 VI S 10/82, BFHE 138, 379, BStBl II 1983, 517). Wie der Senat im Urteil in BFHE 138, 188, BStBl II 1983, 472 weiter ausgeführt hat, ist es unzulässig, eine pauschale Lohnsteuer in einem Haftungsbescheid in der Weise festzusetzen, daß der pauschale Lohnsteuerbetrag mit einem Lohnsteuerhaftungsbetrag zusammengerechnet und im Tenor des Bescheids als ein Betrag von dem Arbeitgeber mit dem Hinweis angefordert wird, daß er hierfür hafte. Der Senat hat dies hergeleitet aus der Eigenart der auf einen bestimmten Anspruch bezogenen Steuerfestsetzung, die weder mit Steuern aus einem anderen Steueranspruch noch mit der Anforderung von Haftungsbeträgen in einem Betrag zusammengefaßt werden dürfe, aus der wesensmäßigen Verschiedenheit der pauschalen Lohnsteuer und der Lohnsteuerhaftung sowie aus dem für den verfügenden Teil (Tenor, Entscheidungssatz) eines Steuer- bzw. Haftungsbescheids geltenden Bestimmtheitsgebot (§ 210 Abs. 1 AO, § 119 Abs. 1 AO 1977).

2. Der vorliegende Fall unterscheidet sich vom Urteilsfall in BFHE 138, 188, BStBl II 1983, 472 dadurch, daß der angefochtene Bescheid hier nicht als Haftungsbescheid angesehen werden kann. Zwar ist er als Haftungsbescheid bezeichnet. Seinem Inhalt nach kann er sich jedoch - wie sich aus den nachstehenden Ausführungen unter a) ergibt - auf Steuer- und Haftungsschulden beziehen. Die dadurch bewirkte Rechtsunklarheit führt unter Berücksichtigung der im Urteil in BFHE 138, 188, BStBl II 1983, 472 genannten Gründe, insbesondere des für den Tenor eines Steuer- bzw. Haftungsbescheids geltenden Bestimmtheitsgebots, zur Rechtswidrigkeit des gesamten angefochtenen Bescheids.

a) Die wesensmäßige Verschiedenheit von pauschaler Lohnsteuer und Lohnsteuerhaftung, die durch das Schulden einer eigenen Steuerschuld einerseits und das Einstehen für eine fremde Steuerschuld andererseits gekennzeichnet ist, bewirkt unterschiedliche Rechtsfolgen. So sind insbesondere - je nachdem - unterschiedliche Personen anfechtungsberechtigt, und für die pauschale Lohnsteuer hat das Gesetz zudem in § 40 Abs. 3 Satz 3 und 4 des Einkommensteuergesetzes spezielle Rechtsfolgen angeordnet. Schon diese Unterschiede gestatten es nicht, die Anforderung desselben Betrages auf beide Rechtsgrundlagen zu stützen. So ist es aber hier. Denn im Tenor des Bescheids sind beide Rechtsgründe nebeneinander genannt und die nachgeforderten Steuerbeträge (Lohnsteuer und Lohnkirchensteuer) jeweils in einem Betrag ausgewiesen, so daß die Zuordnung zu einem bestimmten Rechtsgrund nicht möglich ist. Dieser Mangel bewirkt, daß dem Tenor des Bescheids nicht entnommen werden kann, ob das FA hinsichtlich eines bestimmten Betrages einen Haftungs- oder Steuerbescheid erlassen wollte. Erst recht kann der Bescheid nicht als - rein äußerliche - Zusammenfassung eines Steuer- und Haftungsbescheids angesehen werden, deren Zulässigkeit der Senat im Urteil in BFHE 138, 188, BStBl II 1983, 472 offengelassen hat. Der Mangel rechtlicher Klarheit wiegt im Hinblick auf das für den Tenor eines Steuer- bzw. Haftungsbescheids geltende Bestimmtheitsgebot schwer.

b) Die Frage, ob das FA einen Bescheid über pauschale Lohnsteuer oder einen Lohnsteuerhaftungsbescheid erlassen wollte, kann auch nicht unter Vernachlässigung des Tenors aus dem sonstigen (erläuternden) Inhalt des angefochtenen Bescheids beantwortet werden. Der Senat hat in den Entscheidungen in BFHE 138, 188, BStBl II 1983, 472 und in BFHE 138, 379, BStBl II 1983, 517 auf die Bedeutung hingewiesen, die dem Tenor gerade auch für die Klassifizierung des Bescheids als pauschalen Lohnsteuerbescheid oder als Haftungsbescheid zukommt. Die damaligen Fälle boten keine Veranlassung, zu der Frage Stellung zu nehmen, ob ein objektiv mehrdeutiger Tenor unter Rückgriff auf eindeutig für Steuerfestsetzung oder Haftungsinanspruchnahme sprechende Ausführungen in den Erläuterungen des Bescheids, insbesondere einem zur weiteren Begründung beigefügten Prüfungsbericht, ausgelegt werden kann. Auch im vorliegenden Fall bedarf es einer Entscheidung dieser Frage nicht. Denn auch hier lassen die einschlägigen Ausführungen im Prüfungsbericht, auf den im Teil C des angefochtenen Bescheids hingewiesen ist, nicht eindeutig erkennen, ob das FA einen Steuerbescheid oder einen Haftungsbescheid erlassen wollte. Während nämlich hinsichtlich des die Arbeitnehmerin K betreffenden Nachforderungsbetrages von ... DM wohl von einer Haftungsschuld ausgegangen werden müßte, läßt sich dies für die anderen beiden, die Austräger und die sonstigen Aushilfskräfte betreffenden Punkte schon wegen der insoweit erfolgten Bezugnahme auf gesetzliche Pauschalierungsvorschriften nicht oder jedenfalls nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit sagen.

3. Da der angefochtene Bescheid aus den vorstehenden Gründen rechtswidrig ist, kommt es für die Entscheidung nicht auf die - vom Senat im Beschluß in BFHE 138, 379, BStBl II 1983, 517 als ernstlich zweifelhaft erachtete - materiell-rechtliche Frage an, ob bei einer Inanspruchnahme des Arbeitgebers im Haftungswege die nachzufordernde Lohnsteuer unter Anwendung eines durchschnittlichen Steuersatzes ermittelt werden darf.