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BFH-Beschluß vom 8.3.1984 (VII E 9/83) BStBl. 1984 II S. 422

Der Armenanwalt hat keinen Anspruch darauf, die Auslagen für sämtliche Ablichtungen erstattet zu erhalten, wenn er die ihm zur Einsichtnahme übersandten Gerichts- und Verwaltungsakten ungesichtet Blatt für Blatt hat ablichten lassen.

BRAGO § 126 Abs. 1 Satz 1.

Entscheidungsgründe

Die nach § 128 Abs. 3 BRAGO zulässige Erinnerung ist nicht begründet.

Es geht im vorliegenden Fall allein um den Ersatz der durch die Fertigung von 209 Ablichtungen entstandenen Kosten. Solche Kosten gehören nach §§ 25 Abs. 3, 27 Abs. 1 BRAGO grundsätzlich zu den Auslagen i. S. des § 126 Abs. 1 BRAGO. Sie werden nach der letztgenannten Bestimmung nur dann nicht vergütet, wenn sie zur sachgemäßen Wahrnehmung der Interessen der Armenpartei nicht erforderlich waren. Die Tatsache also, daß solche Kosten entstanden sind, genügt noch nicht, ihre Erstattungsfähigkeit zu rechtfertigen. Andererseits macht die negative Fassung des § 126 Abs. 1 Satz 1 BRAGO deutlich, daß Auslagen, die ein beigeordneter Rechtsanwalt aufgewandt hat, zur sachgemäßen Wahrnehmung der Rechte der von ihm vertretenen Partei im Regelfall erforderlich waren (vgl. Riedel/Sussbauer, Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte, 4. Aufl., § 126 Anm. 7). Es ist im Zweifel also zugunsten des beigeordneten Anwalts zu entscheiden.

Diese Auslegung des § 126 Abs. 1 Satz 1 BRAGO wird durch die Rechtsprechung geteilt. Nach Meinung des Bundesverwaltungsgerichts ist eine Vergütung für Ablichtungen gerechtfertigt, sofern der Besitz der Ablichtungen dem Interesse des Mandanten an einer wirksamen, wenngleich kostensparenden Prozeßführung entsprach; die Auswahl ist dabei nicht engherzig zu beurteilen (Beschluß vom 11. August 1970 III C 70.68, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1971, 209, und Wertpapier-Mitteilungen - WM - 1970, 1280). Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (OLG) ist der Meinung, daß der Armenanwalt darauf Rücksicht zu nehmen habe, die Auslagen möglichst niedrig zu halten, und es nicht angehe, ungesichtet den gesamten Schriftwechsel in Fotokopie einzureichen und dazu noch Durchschläge für die Gegenseite beizufügen, die den Schriftwechsel kennt (Beschluß vom 10. April 1978 9 B 7 b 4/78, Juristisches Büro 1978, 1223; vgl. auch Beschluß vom 19. Mai 1978 8 WF 97/78, Juristisches Büro 1978, 1355). Das OLG Karlsruhe hält die Anlegung eines großzügigen Maßstabs und im Zweifel eine Entscheidung zugunsten des Rechtsanwalts für erforderlich; anders sei es nur, wenn die Zahl der Ablichtungen mit dem Umfang der Akten und der Bedeutung der Sache unvereinbar sei, beispielsweise, weil der Anwalt wahllos den Akteninhalt fotokopiert habe (Beschluß vom 12. April 1972 I Ws 57/72, NJW 1972, 1480). Ähnlich hinsichtlich des anzulegenden großzügigen Maßstabs äußerte sich das OLG Frankfurt im Beschluß vom 25. Juli 1979 20 W 305/79 (Der Deutsche Rechtspfleger 1979, 393). Im übrigen meint das OLG Frankfurt in einem anderen Beschluß, Grundvoraussetzung sei, daß der Anwalt die Fotokopien für notwendig halte; Zweifel gingen zu Lasten der Staatskasse (Beschluß vom 6. Dezember 1977 20 W 743/77, Anwaltsblatt - AnwBl - 1978, 183; so auch Beschluß des Amtsgerichts Darmstadt vom 30. Juli 1981 23 Js 24339/80, AnwBl 1982, 170). Das Amtsgericht Bad Oldesloe vertritt schließlich die Auffassung, nur ein kompletter Aktenauszug ermögliche dem Verteidiger die Verteidigung, weswegen der Umfang allein in sein Ermessen gestellt sei (Beschluß vom 14. Dezember 1981 3 Ds 289/81 Hw, AnwBl 1982, 124; ähnlich Beschluß des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 13. Februar 1978 VS IV 82/77, AnwBl 1978, 184).

Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt zunächst, daß es trotz der gebotenen Großzügigkeit nicht gerechtfertigt ist, dem Erinnerungsführer die Kosten sämtlicher von ihm gefertigten Fotokopien ohne Einschränkung zu erstatten. Der Erinnerungsführer hat die ihm zur Einsichtnahme in seine Kanzlei übersandten vier Aktenstücke ohne jede Einschränkung und Auswahl Blatt für Blatt ablichten lassen. Er hat dabei selbst die Aktendeckel, Briefumschläge, Auslagenaufstellungen, Verfügungen über Schriftsatz- und Aktenaustausch, Empfangsbekenntnisse, eigene Schriftsätze usw. nicht ausgelassen und z. B. allein das Urteil des Niedersächsischen FG vom 15. Mai 1981 VIII 6/80 dreimal in der Ausfertigung und einmal im Entwurf (jeweils einschließlich der Rechtsmittelbelehrung) fotokopieren lassen.

Unrichtig ist auch die Auffassung des Erinnerungsführers, es könne von ihm als beigeordnetem Rechtsanwalt nicht verlangt werden, die ihm kurzfristig überlassenen Akten daraufhin zu "sortieren", was der Ablichtung bedürfe und was nicht. § 126 Abs. 1 Satz 1 BRAGO macht deutlich, daß Auslagen für Fotokopien nur erstattet werden können, wenn sie zur sachgemäßen Wahrnehmung der Rechte der Armenpartei erforderlich waren. Das bedeutet, daß dem Anwalt eine entsprechende Prüfungspflicht auferlegt worden ist, wenn diese auch nicht kleinlich zu begrenzen ist.