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BFH-Urteil vom 3.4.1984 (VII R 18/80) BStBl. 1984 II S. 513

1. Ein Rechtsbehelfsverzicht ist nur dann wirksam, wenn er in einer gesonderten Erklärung ausgesprochen und unterschrieben worden ist.

2. Rum und Melassealkohol aus EWG-Mitgliedstaaten unterlagen im Januar 1977 dem Monopolausgleich nach einem Satz von 1.950 DM/hl W.

AO 1977 § 354 Abs. 2 Satz 1; EWGV Art. 95; BranntwMonG a.F. §§ 27, 37, 58, 76, 84, 151 Abs. 1.

Vorinstanz: FG Hamburg

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) stellt Trinkbranntweine her. Sie unterhält ein Branntweineigenlager. Mit Schreiben vom 7. Februar 1977 meldete sie für den Monat Januar 1977 die Abfertigung von Branntwein zum freien Verkehr an und berechnete die Abgaben nach einem Steuersatz von 1.950 DM/Hektoliter Weingeist (hl W). In der Steueranmeldung war ein Rechtsbehelfsverzicht enthalten, den die Klägerin zusammen mit der Anmeldung unterschrieben hatte und mit Schriftsatz vom 23. Februar 1977 zurücknahm. Der ausgelagerte Branntwein enthielt Melassesprit aus Italien, Basisrum aus Guadeloupe, Rum aus Jamaika, Arrak aus Indonesien, Monopolsprit von der Bundesmonopolverwaltung (BMonV) und Kornsprit von der Deutschen Kornbranntwein-Verwertungsstelle (DKV). Die Branntweine wurden im Branntweineigenlager der Klägerin gemischt. Da möglicherweise später eingelagerte Branntweine vor früher eingelagerten ausgelagert worden sind, enthalten die ausgelagerten Branntweine möglicherweise auch Basisrum aus Surinam, Aruba und Barbados.

Nach Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 13. März 1979 Rs. 91/78 (EuGHE 1979, 935) hob das Finanzgericht (FG) Hamburg den Steuerbescheid vom 7. Februar 1977 in Gestalt des Bescheides vom 28. Juni 1977 auf (Urteil vom 16. November 1979 IV 13/77 S-H, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1980, 167).

Entscheidungsgründe

Die Revision des HZA führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage auch in deren nunmehr eingeschränktem Umfang.

1. Zu Recht hat das FG die Klage nicht deswegen für unzulässig gehalten, weil die Klägerin in der Steueranmeldung vom 7. Februar 1977 auf die Einlegung eines Rechtsbehelfs verzichtet hatte. Dieser Verzicht war unwirksam.

Nach § 354 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) darf der Rechtsbehelfsverzicht keine weiteren Erklärungen enthalten. Diese Regelung entspricht der des § 235 Abs. 2 Satz 1 der Reichsabgabenordnung (AO). Sie ist dahin zu verstehen, daß ein Rechtsmittelverzicht nur wirksam ist, wenn er in einer gesonderten Erklärung ausgesprochen und unterschrieben worden ist. Das ergibt sich aus den folgenden Überlegungen.

An einen Rechtsbehelfsverzicht sind im Interesse der Rechtssicherheit und des Rechtsschutzes des Steuerpflichtigen strenge Anforderungen zu stellen (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 2. August 1955 I 186/54 U, BFHE 61, 345, BStBl III 1955, 331; vom 20. Januar 1967 VI 371/65, BFHE 88, 274, BStBl III 1967, 380, und vom 10. Juli 1980 IV R 11/78, BFHE 131, 267, BStBl II 1981, 5). Das war das gesetzgeberische Motiv für die Regelung des § 354 Abs. 2 Satz 1 AO 1977. Diese schreibt vor, daß der Verzicht keine weiteren Erklärungen enthalten darf. Der Verzichtende soll also eine gesonderte Erklärung mit selbständiger Unterschrift abgeben, damit er sich seines Verzichts auch voll bewußt wird. Die Verzichtserklärung darf mithin nicht Bestandteil eines anderen Textes sein. Das schließt nicht aus, daß sie - als gesonderte und besonders zu unterschreibende Erklärung - auf dem Vordruck einer Steuererklärung abgegeben wird.

Im vorliegenden Fall war die Verzichtserklärung unselbständiger Bestandteil der Steueranmeldung der Klägerin i. S. des § 150 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 und nur zusammen mit dieser Steueranmeldung von der Klägerin unterschrieben worden. Ihr fehlte also die nach § 354 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 vorausgesetzte Selbständigkeit und damit eine Voraussetzung für ihre Wirksamkeit (vgl. Urteil des FG Hamburg vom 15. Oktober 1969 III 174/67 (VI), EFG 1970, 41; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 354 AO 1977 Anm. 8 und § 50 FGO Anm. 7; v. Wallis in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 354 AO 1977 Anm. 15; Koch, Abgabenordnung - AO 1977, 2. Aufl., § 354 Anm. 9; vgl. auch § 1027 Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozeßordnung - ZPO - und Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 25. Oktober 1962 II ZR 188/61, BGHZ 38, 155, 162 ff.).

Da der Rechtsbehelfsverzicht unwirksam war, ist die von der Klägerin noch innerhalb der Rechtsbehelfsfrist am 25. Februar 1977 erhobene Sprungklage unabhängig davon zulässig, daß die Klägerin ihren Rechtsbehelfsverzicht mit Schriftsatz vom 23. Februar 1977 gegenüber dem HZA zurückgezogen hat.

2. Die Klägerin hat im Revisionsverfahren ihren Klageantrag eingeschränkt. Das ist trotz der Regelung des § 123 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zulässig (vgl. Urteil des BFH vom 16. Juli 1969 I R 81/66, BFHE 96, 510, BStBl II 1970, 15). Das HZA hat zugestimmt (vgl. § 67 Abs. 1 FGO). Der Senat hat also nur noch über die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Steuerbescheide hinsichtlich der Einfuhr von Rum aus Guadeloupe und Melassealkohol aus Italien zu entscheiden.

3. Den Ausführungen des FG zur Frage der Entstehung der Steuerschuld, der Schuldnerschaft, der regelmäßigen Höhe der Steuer und des maßgebenden Zeitpunkts für die Bemessung folgt der erkennende Senat. Die Klägerin hat in ihrer Revisionserwiderung gegen diese Ausführungen auch keine Einwendungen mehr erhoben.

4. Zu Unrecht hat das FG aber entschieden, daß § 151 Abs. 1 des Gesetzes über das Branntweinmonopol in der seinerzeit geltenden Fassung - BranntwMonG - (künftig immer in dieser Fassung zitiert) mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar sei, soweit er vorsieht, daß auch für Rum aus dem französischen überseeischen Departement Guadeloupe und für den Melassealkohol aus Italien Monopolausgleich in Höhe des normalen Steuersatzes von 1.950 DM/hl W zu erheben ist.

Durch die angefochtenen Bescheide ist der Monopolausgleich für die betreffenden Waren in Höhe von 1.950 DM/hl W entsprechend dem damals geltenden nationalen Recht erhoben worden. Nach dem Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts wäre das nationale Recht jedoch unanwendbar, wenn es im Gegensatz zum Gemeinschaftsrecht stünde. Das trifft jedoch nicht zu.

Als entgegenstehendes Gemeinschaftsrecht kommt das steuerliche Diskriminierungsverbot des Art. 95 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) in Betracht. Dieses ist nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats und des EuGH unmittelbar geltendes Recht. Die Frage, ob das nationale Recht Waren aus anderen Mitgliedstaaten bei der Einfuhr hinsichtlich der Erhebung nationaler Steuern diskriminiert, ist nach Art. 95 Abs. 1 EWGV anhand eines Vergleichs der Belastungen für eingeführte und für gleichartige inländische Waren zu entscheiden. Davon ist auch die Vorentscheidung ausgegangen. Das FG hat aber verkannt, daß es bei diesem Belastungsvergleich nicht allein auf die Frage der Gleichartigkeit ankommt, sondern daß nach der Rechtsprechung des EuGH der nationale Gesetzgeber gleichartige (oder gar gleiche) Waren unter bestimmten Voraussetzungen steuerlich unterschiedlich behandeln darf und daß diese Differenzierungen beim Belastungsvergleich berücksichtigt werden müssen. Zur Begründung verweist der Senat auf seine Urteile vom 18. Oktober 1983 VII R 26/77 und VII R 26/78 (BFHE 139, 461 und 466). Für die Frage, welche der unterschiedlichen inländischen Abgabenbelastungen beim Belastungsvergleich konkret heranzuziehen ist, kommt es danach darauf an, welchen der verschiedenen Tatbestände des nationalen Rechts die eingeführte Ware nach ihrer Beschaffenheit und den sonstigen relevanten Umständen tatsächlich erfüllt.

Für den vorliegenden Fall ergibt sich daraus folgendes: Nach § 58 BranntwMonG ist Branntwein, soweit er nach § 76 BranntwMonG nicht ausdrücklich von der Ablieferungspflicht ausgenommen ist, an die BMonV abzuliefern. Die Ausnahme von der Ablieferungspflicht nach § 76 BranntwMonG gilt lediglich für Obst- und Kornbranntwein (§ 76 Abs. 1 BranntwMonG). Weder Rum noch Melassealkohol zählt zu diesen ablieferungsfreien Branntweinen. Die beiden Branntweinarten entsprechen daher Alkohol, der von der BMonV verwertet wird. Dieser unterlag im entscheidungserheblichen Zeitraum einem Steuersatz von 1.950 DM/hl W (§ 84 Abs. 2 Nr. 1 BranntwMonG), dem gleichen also, der in den angefochtenen Steuerbescheiden für den Rum und den Melassesprit aus Mitgliedstaaten aufgrund des § 151 Abs. 1 BranntwMonG zugrunde gelegt wurde. Ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 95 EWGV liegt somit nicht vor.

5. Den Einwendungen der Klägerin gegen diese Auffassung folgt der Senat nicht. Zu Recht hat das FG - entgegen der Ansicht der Klägerin - entschieden, daß die Branntweinsteuererhöhung aufgrund des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Branntweinmonopol vom 2. Mai 1976 (BGBl I 1976, 1145) mit dem Diskriminierungsverbot des Art. 95 EWGV in Einklang steht. Zur Begründung verweist der Senat auf sein Urteil vom 18. Oktober 1983 VII R 24/82 (BFHE 139, 476).

Im wesentlichen beruft sich die Klägerin auf die durch Erlaß des Bundesministers der Finanzen (BMF) gewährten Beihilfen für selbstvermarktende Kornbrenner; diese führten nach ihrer Auffassung zu einer Kostenüberdeckung für die begünstigten Brenner und damit zu einer Verringerung der Steuerbelastung, die in Anwendung des Art. 95 EWGV ihr zugute kommen müsse. Die Klägerin verkennt mit diesem Vorbringen jedoch die Rechtslage.

Der Senat hat über die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Steuerbescheide zu entscheiden. Diese entsprechen dem innerstaatlichen Recht, was die Höhe der erhobenen Steuer anlangt, insbesondere dem § 151 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 84 Abs. 2 Nr. 1 BranntwMonG in der damals geltenden Fassung. Die Steuerbescheide verletzten die Klägerin nur dann in ihren Rechten, wenn die genannten Vorschriften ganz oder teilweise unanwendbar wären. Das wäre nach dem Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts nur der Fall, wenn sie mit Gemeinschaftsrecht kollidierten, d.h. wenn "sowohl eine entscheidungserhebliche Rechtsnorm des Gemeinschaftsrechts als auch eine von ihr abweichende grundsätzlich ebenfalls entscheidungserhebliche nationale Rechtsnorm bestehen" (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 5. Februar 1980 VII R 101/77, BFHE 130, 90, 92). Im vorliegenden Fall kommt eine Kollision mit Art. 95 EWGV in Betracht. Nach den obigen Ausführungen (Nr. 4) entspricht aber die Regelung des Steuersatzes beim Monopolausgleich nach § 151 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 84 Abs. 2 Nr. 1 BranntwMonG den Anforderungen des Art. 95 EWGV, d. h. eine Kollision von Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht liegt nicht vor. Daran vermag die Erlaßregelung hinsichtlich der an selbstvermarktende Kornbrenner zu gewährenden Beihilfen nichts zu ändern.

Es braucht hier nicht die Frage erörtert zu werden, ob anders zu entscheiden wäre, wenn ein unmittelbarer und enger Zusammenhang zwischen der Gewährung der Beihilfe und dem Steuersatz in dem Sinne bestünde, daß praktisch von den begünstigten inländischen Erzeugern nur noch eine Steuer in Höhe der Differenz zwischen gesetzlichem Steuersatz und Beihilfe erhoben würde. An einem solchen Zusammenhang fehlt es hier, wie der Senat bereits in seinem Urteil in BFHE 139, 476 im einzelnen ausgeführt hat. Die Beihilfegewährung hängt nicht mit den Steuerregelungen des BranntwMonG zusammen, sondern mit dessen marktordnenden Vorschriften.

Auf die EuGH-Urteile in EuGHE 1979, 935 und vom 21. Mai 1980 Rs. 73/79 (EuGHE 1980, 1533) beruft sich die Klägerin zu Unrecht. Der Senat verweist auch insoweit auf sein Urteil in BFHE 139, 476. Die Klägerin übersieht, daß der EuGH in seinem Urteil in EuGHE 1979, 935 (insbesondere Absätze 12 und 13 der Gründe) in Ausdeutung der Fragen des FG nur zu der Frage Stellung genommen hat, ob "die Verbindung einer Beihilfenregelung mit der Tätigkeit eines staatlichen Monopols ... eine Zuwiderhandlung gegen die Verbote des Art. 37" darstellen kann; zur Frage des Zusammenhangs zwischen einer Beihilfe und einer Steuererhebung im Lichte des Art. 95 EWGV hat der EuGH ersichtlich nicht Stellung genommen. Im Falle des Urteils in EuGHE 1980, 1533 verkennt die Klägerin, daß dort der EuGH über eine Abgabe zu entscheiden hatte, die ausschließlich der Beihilfenfinanzierung dienen sollte, und außerdem ausdrücklich entschieden hat, daß der Tatbestand des Art. 95 EWGV auch bei dieser Abgabe nicht erfüllt worden wäre, wenn deren Ertrag dem allgemeinen Haushalt zugeführt worden wäre (Absatz 18 der Gründe).

Wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, beruft sich die Klägerin auch zu Unrecht auf Art. 95 Abs. 2 EWGV. Diese Vorschrift betrifft gleichfalls die Diskriminierung von Gemeinschaftswaren im Rahmen der inländischen Besteuerung. Sie enthält keine Regelung, daß etwa diskriminierende Beihilfen bei der Steuererhebung für eingeführte Gemeinschaftswaren in Abzug zu bringen sind.

Einer Vorabentscheidung des EuGH nach Art. 177 Abs. 3 EWGV bedarf es entgegen der Auffassung der Klägerin nicht. Wegen der von der Klägerin behaupteten Diskriminierung durch die erwähnten Beihilfen ist der EuGH nicht zu befragen, da diese Frage nicht entscheidungserheblich ist. Der EuGH ist auch nicht berufen zur Auslegung nationalen Rechts. Er kann daher nicht angerufen werden zu der Frage, welche Rechtsnormen des innerstaatlichen Rechts für die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Steuerbescheids rechtserheblich sind. Er kann ferner für die Frage, ob eine Kollision zwischen innerstaatlichem Recht und Gemeinschaftsrecht vorliegt, nur zur Auslegung des in Betracht kommenden Gemeinschaftsrechts Stellung nehmen, während die Auslegung des nationalen Rechts - die auch für die Frage, ob ein Widerspruch zum Gemeinschaftsrecht vorliegt, eine wesentliche Rolle spielt - weiterhin Sache der nationalen Gerichte bleibt. Soweit danach der vorliegende Fall noch die Entscheidung über Fragen des Gemeinschaftsrechts erfordert, hält der erkennende Senat die Entscheidung in Anbetracht der umfangreichen und nach Auffassung des Senats eindeutigen Rechtsprechung des EuGH zu den verwandten Rechtsfragen des Gemeinschaftsrechts auch bei Anlegung des hier gebotenen strengen Maßstabes für offenkundig im Sinne des EuGH-Urteils vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81 (EuGHE 1982, 3415, 3430, Absatz 16 der Gründe).