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BFH-Urteil vom 9.5.1984 (I R 25/81) BStBl. 1984 II S. 726

Die Beteiligung einer juristischen Person des öffentlichen Rechts an einer Mitunternehmerschaft kann ein Betrieb gewerblicher Art sein. Über das Bestehen der Mitunternehmerschaft ist im gesonderten Feststellungsverfahren zu entscheiden.

KStG 1965 § 1 Abs. 1 Nr. 6; AO 1977 § 180 Abs. 1 Nr. 2a, § 182 Abs. 1.

Vorinstanz: FG Düsseldorf

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine Gebietskörperschaft des öffentlichen Rechts, führte in der Form eines Eigenbetriebes sog. Stadtwerke. Für diese schloß sie im Jahre 1958 mit der R-AG einen Vertrag, der die Stromversorgung der Einwohner und der gewerblichen Niederlassungen im Zuständigkeitsbereich der Stadtwerke zum Gegenstand hatte.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) behandelte den Vertrag als Pachtvertrag mit Substanzerhaltungsverpflichtung der R-AG. Entsprechend aktivierte er erstmalig in der Bilanz der Stadtwerke zum 31. Dezember 1965 die von der R-AG in der Vergangenheit vorgenommenen Erneuerungen, weil die entsprechenden Neuanlagen in das Eigentum der Klägerin übergegangen waren. Außerdem setzte er einen Erneuerungsanspruch der Klägerin als Forderung an. Dadurch erhöhte sich das Einkommen der Stadtwerke für die Streitjahre.

Der Einspruch blieb erfolglos. Auf die Klage der Klägerin hob das Finanzgericht (FG) die Körperschaftsteuerbescheide 1965 bis 1967 auf. Es nahm eine zwischen der R-AG und der Klägerin bestehende Mitunternehmerschaft in der Form der atypischen stillen Gesellschaft an und vertrat die Auffassung, über die steuerliche Behandlung der Mitunternehmerschaft sei in einem Verfahren über die gesonderte Feststellung der Gewinne zu entscheiden.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.

Es beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zwecks anderweitiger Verhandlung und Entscheidung.

1. In der Vorentscheidung hat das FG über den Bestand einer Mitunternehmerschaft zwischen der R-AG und der Klägerin als Besteuerungsgrundlage der angefochtenen Körperschaftsteuerbescheide entschieden. Damit hat es eine Entscheidungskompetenz angenommen, die ihm in dem anhängigen Verfahren nicht zustand. Über das Bestehen oder Nichtbestehen einer Mitunternehmerschaft i. S. von § 15 Abs. 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) kann wegen § 180 Abs. 1 Nr. 2a der Abgabenordnung - AO 1977 - (= § 215 Abs. 2 Nr. 2 der Reichsabgabenordnung - AO -) nur im gesonderten Feststellungsverfahren entschieden werden (vgl. Urteile des Reichsfinanzhofs - RFH - vom 24. Februar 1932 VI A 172 und 173/32, RStBl 1932, 282, und vom 17. Juli 1935 VI A 483/35, RStBl 1935, 1.192; Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 3. Juli 1956 I 221/55 U, BFHE 63, 288, BStBl III 1956, 308; vom 26. Juni 1958 IV 39/58 U, BFHE 67, 237, BStBl III 1958, 364; vom 6. August 1959 IV 127/58 U, BFHE 69, 395, BStBl III 1959, 408; vom 12. Januar 1961 IV 289/58, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1962, 8; vom 11. März 1966 VI 161/63, BFHE 86, 50, BStBl III 1966, 389; vom 25. Juni 1970 IV 190/65, BFHE 99, 513, BStBl II 1970, 730; BFH-Beschluß vom 23. Juni 1971 I B 16/71, BFHE 103, 24, BStBl II 1971, 730). Die Abtrennung der Feststellung einer Besteuerungsgrundlage von dem eigentlichen Steuerfestsetzungsverfahren bewirkt notwendigerweise eine Kompetenzverteilung zwischen den für die Feststellung der Besteuerungsgrundlage und für die Festsetzung der Steuer zuständigen Finanzbehörden. Wegen dieser Kompetenzverteilung und des aus § 86 AO 1977 sich ergebenden Legalitätsprinzips ist ein (positiver oder negativer) Feststellungsbescheid schon dann zu erlassen, wenn das Bestehen einer Mitunternehmerschaft behauptet wird oder auf Grund des (ggf. streitigen) Sachverhaltes möglich erscheint. Die Kompetenzverteilung schlägt auf das finanzgerichtliche Verfahren in dem Sinne durch (vgl. § 42 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -), daß das FG seine Entscheidung immer nur im Rahmen der Entscheidungskompetenz der Finanzbehörde treffen kann, deren Bescheid mit der Klage angefochten wird. Entsprechend konnte das FG in dem anhängigen Verfahren nur prüfen, ob das Bestehen einer Mitunternehmerschaft ernsthaft in Betracht kommt oder außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit liegt.

2. Auf der Grundlage der vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen ist eine zwischen der R-AG und der Klägerin bestehende Mitunternehmerschaft denkbar.

a) Zwar ist die Klägerin als juristische Person des öffentlichen Rechts gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 6 des Körperschaftsteuergesetzes 1965 i. d. F. vom 24. Mai 1965 nur mit dem Einkommen aus ihren Betrieben gewerblicher Art körperschaftsteuerpflichtig (vgl. BFH-Urteil vom 1. September 1982 I R 52/78, BFHE 137, 9, BStBl II 1983, 147). Der Begriff "Betrieb gewerblicher Art" ist jedoch im weiten Sinne zu verstehen. Dies ergibt sich aus dem Sinn der Vorschrift, die der Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen und der steuerlichen Gleichmäßigkeit dient (vgl. Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 19. Aufl., § 4 KStG 1977 Anm. 2). Soweit juristische Personen des öffentlichen Rechts sich privatwirtschaftlich betätigen, sollen sie steuerlich gesehen wie Personen des Privatrechts behandelt werden. Deshalb muß der Begriff "Betrieb gewerblicher Art" alle in § 15 EStG genannten Formen einer gewerblichen Betätigung umfassen, sieht man davon ab, daß er gemäß § 1 Abs. 1 der Körperschaftsteuer-Durchführungsverordnung 1965 nur Einnahmeerzielungs- und keine Gewinnerzielungsabsicht voraussetzt. "Betrieb gewerblicher Art" ist auch die Beteiligung einer juristischen Person des öffentlichen Rechts an einer Mitunternehmerschaft i. S. des § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG (vgl. RFH-Urteil vom 8. November 1938 I 347/38, RFHE 45, 155, RStBl 1939, 301; BFH-Urteil vom 6. April 1973 III R 78/72, BFHE 109, 266, BStBl II 1973, 616). Dies gilt unabhängig davon, ob der Betrieb gewerblicher Art nur aus der Beteiligung an der Mitunternehmerschaft besteht oder ob die Beteiligung lediglich vermögensmäßig einem im übrigen bestehenden Betrieb gewerblicher Art zuzuordnen ist. Auch kommt es nicht darauf an, ob an der Mitunternehmerschaft nur juristische Personen des öffentlichen Rechts oder auch Personen des Privatrechts beteiligt sind.

b) Nach dem Wortlaut des zwischen der R-AG und der Klägerin abgeschlossenen Vertrages scheidet die Annahme einer Mitunternehmerschaft nicht schon von vornherein aus. Die Vertragschließenden haben in § 1 Nr. 1 des Vertrages das Rechtsverhältnis zwischen ihnen als stille Gesellschaft bezeichnet. Von einer stillen Gesellschaft ist auch in dem Schreiben der Klägerin an die Oberfinanzdirektion die Rede, das vor Vertragsabschluß abgesandt wurde.

Entgegen der Auffassung des FA fehlt es auch nicht an einem gemeinsamen Zweck i. S. des § 705 des Bürgerlichen Gesetzbuches. Im Sinne dieser Vorschrift ist ein Zweck dann ein gemeinsamer, wenn jeder Partner ihn sowohl als den eigenen als auch als den Zweck des anderen zu fördern verspricht (vgl. Ballerstedt, Der gemeinsame Zweck als Grundbegriff des Rechts der Personengesellschaften, Juristische Schulung 1963, 253, 255). Diese Aussage darf allerdings nicht dahin mißverstanden werden, daß es sich bei dem gemeinsamen Zweck um den individuellen Zweck eines Gesellschafters handele und jeder Gesellschafter nur auch den Zweck seines Mitgesellschafters zu fördern verspreche. Der gemeinsame Zweck ist weder Eigen- noch Fremdzweck, sondern überindividuell der Gesellschaft als Personengemeinschaft zugehörig (vgl. Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 1. Band, Die Personengesellschaft, Seite 38). Entsprechend kann der gemeinsame Zweck von den Interessen des einzelnen Gesellschafters abweichen. So gesehen reicht es für die Annahme einer stillen Gesellschaft aus, daß die Klägerin den mit dem Teilbetrieb der R-AG verbundenen Zweck, die entgeltliche Stromversorgung der Einwohner und der gewerblichen Niederlassungen im Zuständigkeitsbereich der Stadtwerke sicherzustellen, zu einem gemeinsamen erklärte.

Die Beteiligung der Klägerin an dem Teilbetrieb der R-AG kann auch eine mitunternehmerschaftliche sein. Zwar hat die höchstrichterliche Rechtsprechung stille Gesellschaften im Grundsatz nur dann als Mitunternehmerschaften angesehen, wenn der stille Gesellschafter auch an den stillen Reserven des Anlagevermögens des Handelsgewerbes einschließlich dem Geschäftswert beteiligt war (vgl. BFH-Urteile vom 14. Juni 1972 II R 116/69, BFHE 106, 239, BStBl II 1972, 734, und vom 5. Juli 1978 I R 22/75, BFHE 125, 545, BStBl II 1978, 644). Von diesem Grundsatz sind jedoch Ausnahmen zugelassen worden. Atypisch stiller Gesellschafter und Mitunternehmer kann auch sein, wer zwar nicht am Verlust, an den stillen Reserven und am Geschäftswert beteiligt ist, jedoch auf das Schicksal des Unternehmens wie ein Unternehmer Einfluß nehmen kann. Eine entsprechende Mitunternehmerstellung ist zu bejahen, wenn dem stillen Gesellschafter die Geschäftsführung des Unternehmens überlassen ist (vgl. BFH-Urteil vom 28. Januar 1982 IV R 197/79, BFHE 135, 297, BStBl II 1982, 389). Ob die entsprechende Ausnahme auch für juristische Personen des öffentlichen Rechts gilt und bejahendenfalls ihre Voraussetzungen im Streitfall erfüllt sind, kann nur in dem vorgreiflichen Feststellungsverfahren entschieden werden.

3. Entgegen der Auffassung des FA durfte das FG das Einkommen des Betriebes gewerblicher Art der Klägerin nicht gemäß §§ 155 Abs. 2, 162 Abs. 3 AO 1977 schätzen. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG hat das FA die Klägerin als Alleinbezieher von gewerblichen Einkünften angesehen und aus dieser Beurteilung die eigene Zuständigkeit für die "endgültige" Festsetzung der Einkünfte als Besteuerungsgrundlage der Körperschaftsteuerbescheide 1965 bis 1967 abgeleitet. Es hat keine Schätzung gesondert festzustellender Einkünfte gemäß § 162 Abs. 3 AO 1977 vorgenommen, sondern eine gesonderte Feststellung nicht für erforderlich gehalten. In einem solchen Fall darf das FG in dem anhängigen Besteuerungsverfahren nicht seinerseits zu einer Schätzung gemäß § 162 Abs. 3 AO 1977 übergehen, sondern es muß die Entscheidung über die Besteuerungsgrundlage in dem gesonderten Feststellungsverfahren abwarten (vgl. BFH-Urteil vom 26. Juli 1983 VIII R 28/79, BFHE 139, 335, BStBl II 1984, 290). Es kann auch das anhängige Verfahren bis zum Abschluß des Feststellungsverfahrens gemäß § 74 FGO aussetzen.