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BFH-Urteil vom 27.7.1984 (VI R 124/80) BStBl. 1985 II S. 8

1. Bei der Zuordnung eines Kindes geschiedener Eltern nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ist der Tag der Ummeldung und nicht der Tag des Umzuges maßgebend.

2. Der Tag der Ummeldung eines Elternteils ist auch entscheidend für die Beurteilung der Frage, ob eine gemeinsame Wohnung der Eltern i. S. des § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG vorgelegen hat.

EStG § 32 Abs. 4 Sätze 2 und 3.

Vorinstanz: FG Münster

Sachverhalt

Die Ehe des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) wurde am 21. Dezember 1976 rechtskräftig geschieden. Die elterliche Gewalt über das aus der Ehe hervorgegangene, im Jahr 1962 geborene Kind A wurde durch Beschluß des Amtsgerichts vom 10. Juni 1977, einer Vereinbarung der Eltern vom 3. November 1976 folgend, auf die Mutter übertragen. Diese hatte die frühere eheliche Wohnung bereits am 15. Dezember 1976 verlassen und war in eine eigene Wohnung gezogen. Die geschiedene Ehefrau des Klägers meldete sich und die Tochter A am 10. Januar 1977 rückwirkend zum 15. Dezember 1976 in ihre neue Wohnung um.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) veranlagte den Kläger zum Streitjahr 1977 zur Einkommensteuer nach der Grundtabelle und berücksichtigte dabei nicht den Haushaltsfreibetrag nach § 32 Abs. 3 Nr. 2 i.V. m. Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1977. Der hiergegen eingelegte Einspruch hatte im Streitpunkt keinen Erfolg.

Mit der Klage vertrat der Kläger den Standpunkt, ihm sei der Haushaltsfreibetrag zu gewähren, da ihm das Kind zum 1. Januar 1977 zuzurechnen sei. Denn es sei hinsichtlich der Zuordnung auf den Tag der Ummeldung abzustellen. Tatsächlich sei die Tochter auch nicht am 15. Dezember 1976 umgezogen. Sie habe vielmehr tageweise beim Kläger und tageweise bei der Mutter gewohnt. Den dauernden Aufenthalt bei der Mutter habe sie erst nach dem 1. Januar 1977 begründet.

Im Verlaufe des Klageverfahrens erging ein Änderungsbescheid, der dem Steueränderungsgesetz 1979 (StÄndG 1979) vom 30. November 1978 (BGBl I 1978, 1849, BStBl I 1978, 479) Rechnung trug und den der Kläger gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Verfahrens machte.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es führte u.a. aus:

Nach dem Wortlaut des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG sei lediglich der Tag der Ummeldung und nicht der des Umzugs als das die Ummeldung begründende Ereignis maßgebend. Ebensowenig komme es auf die Haushaltszugehörigkeit des Kindes an. Hätte der Gesetzgeber die Zuordnung eines Kindes von der Haushaltszugehörigkeit abhängig machen wollen, dann hätte er auf dieses Tatbestandsmerkmal im § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG abgestellt, so wie dies z.B. im § 33a und im § 32 Abs. 4 Satz 3, 2. Halbsatz EStG geschehen sei. Statt dessen habe er aus Praktikabilitätsgesichtspunkten auf die formale Wohnungsanmeldung abgehoben. Deshalb komme es weder darauf an, welchen Wohnsitz das Kind nach den zivilrechtlichen Vorschriften gehabt habe, noch, ob eine Anmeldung nach den melderechtlichen Bestimmungen früher hätte erfolgen müssen. Ob bei mißbräuchlicher Verzögerung der Ummeldung (§ 42 der Abgabenordnung - AO 1977 -) etwas anderes gelte, könne dahinstehen, da hierfür im Streitfall keine Anhaltspunkte vorlägen. Denn die Meldefrist sei nur geringfügig überschritten worden und der Zeitpunkt des tatsächlichen Umzugs der Tochter sei nicht zweifelsfrei festzustellen, da die Tochter, wie der Kläger vorgetragen habe, nach dem Auszug der Mutter noch tageweise bei ihm gewohnt habe.

Das Kind könne der Mutter auch nicht nach § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG zugeordnet werden. Da die Mutter vor dem 1. Januar 1977 ausgezogen sei, sei die Wohnung des Klägers zu diesem Zeitpunkt keine gemeinsame Wohnung der Eltern mehr gewesen.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des § 32 Abs. 4 Sätze 2 und 3 EStG. Es führt aus, entscheidend für die Zurechnung eines Kindes sei nicht wann, sondern zu welchem Zeitpunkt die Ummeldung erfolgt sei. Dabei werde an die formale Wohnungsanmeldung angeknüpft. Bei dieser Auslegung sei eher gewährleistet, daß die kinderbedingten Vergünstigungen demjenigen Steuerpflichtigen gewährt würden, der das Kind zu Beginn des Kalenderjahres tatsächlich betreut habe. Stelle man aber - wie das FG - auf den Tag der Ummeldung ab, so sei das Kind deshalb der Mutter steuerrechtlich zuzuordnen, weil am 1. Januar 1977 alle Familienangehörigen noch in der Wohnung des Klägers und somit in der gemeinsamen Wohnung der Eltern gemeldet gewesen seien (§ 32 Abs. 4 Satz 3 EStG).

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Einkommensteuer auf 33.481 DM festzusetzen.

Der Kläger hat keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.

1. Nach § 32 Abs. 3 EStG ist einem Steuerpflichtigen unter den dort genannten Voraussetzungen ein Haushaltsfreibetrag zu gewähren, wenn er im Veranlagungszeitraum mindestens ein Kind hat. Nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ist ein leibliches Kind i. S. des Satzes 1 Nr. 1 dieser Vorschrift eines unbeschränkt steuerpflichtigen Elternpaares, das geschieden ist und bei dem deshalb die Voraussetzungen zur Einkommensteuerveranlagung nach § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG nicht vorliegen, dem Elternteil zuzuordnen, in dessen Wohnung es erstmals im Kalenderjahr mit Hauptwohnung polizeilich gemeldet war.

a) Das FG hat richtig erkannt, daß es insofern nicht darauf ankommt, wo sich das Kind ausschließlich oder überwiegend tatsächlich aufgehalten hat. Die steuerrechtliche Zuordnung des Kindes knüpft vielmehr an die melderechtlichen Verhältnisse an. Wie der Entwicklungsgeschichte des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG entnommen werden kann, hat der Gesetzgeber von seiner ursprünglichen Absicht, das Kind nach der Haushaltszugehörigkeit einem Elternteil zuzuordnen, bewußt Abstand genommen. Um Ermittlungen über die tatsächlichen Wohn- und Unterhaltsverhältnisse zu vermeiden, wurde auf den leicht nachweisbaren Umstand der Anmeldung des Kindes abgestellt und dabei sogar in Kauf genommen, daß die melderechtliche Erklärung von Anfang an unzutreffend war oder später unrichtig geworden ist (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 14. August 1981 VI R 33/78, BFHE 134, 277, BStBl II 1982, 111; vom 4. Juni 1982 VI R 29/79, BFHE 136, 230, BStBl II 1982, 733, und vom 17. September 1982 VI R 86/79, BFHE 136, 481, BStBl II 1983, 9).

b) Dem FG ist auch beizupflichten, daß auf den Tag des Eingangs der Ummeldung bei der Meldebehörde und nicht auf den im Meldeformular angegebenen Tag des Umzugs abzustellen ist. Dadurch wird in leicht nachweisbarer Form Klarheit darüber geschaffen, welchem Elternteil das Kind zuzuordnen ist.

Zweck des auf das formelle Element der Meldung abstellenden Gesetzes ist es, der Finanzbehörde eigene Ermittlungen zu erübrigen. Derartige Ermittlungen könnten aber erforderlich sein, wenn insbesondere bei widersprechenden Angaben der Eltern Streit über die inhaltliche Richtigkeit des meldepflichtigen Vorgangs bestände. Die tatsächlichen Feststellungen hierzu könnten zwar bei einem Umzug, sofern er sich nicht über einen längeren Zeitraum erstreckt, noch vergleichsweise einfach zu treffen sein. Die Entscheidung jedoch z.B. darüber, welches die Hauptwohnung darstellt, nämlich die vorwiegend benutzte Wohnung des Einwohners, wo der Schwerpunkt seiner Lebensbeziehung liegt (vgl. nunmehr § 12 Abs. 3 des Melderechtsrahmengesetzes - MRRG - vom 16. August 1980, BGBl I 1980, 1.429), wäre hingegen vom FA nur schwierig und nicht ohne Eindringen in die persönlichen Lebensverhältnisse des Steuerpflichtigen zu fällen. Weitere Erschwernisse kämen hinzu, wenn über länger zurückliegende Vorgänge, etwa anläßlich des Begehrens auf Berichtigung unrichtiger Daten (§ 9 MRRG), befunden werden müsse.

Für das Abstellen auf die Meldung selbst und nicht auf deren Inhalt spricht auch der Wortlaut des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG, demzufolge maßgebend ist, wo das Kind "erstmals im Kalenderjahr ... gemeldet war". Dem kann entnommen werden, daß melderechtliche Verhältnisse bei der Zuordnung von Kindern so lange unverändert zugrunde zu legen sind, bis aufgrund einer abweichenden An-, Ab- oder Ummeldung eine anderweite Zuordnung vorgenommen werden kann.

Danach konnte die Zuordnung des Kindes beim Kläger nicht mit der Begründung versagt werden, daß die Mutter der Meldebehörde am 10. Januar 1977 mitgeteilt hat, sie sei mit ihrer Tochter am 15. Dezember 1976 aus der ehelichen Wohnung ausgezogen.

2. Welchem Elternteil das Kind bei dieser Sachlage zum 1. Januar 1977 zuzuordnen ist, richtet sich nach § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG. Hiernach ist ein Kind eines unbeschränkt steuerpflichtigen geschiedenen Elternpaares, wenn es zu Beginn des Kalenderjahres in der gemeinsamen Wohnung der Eltern mit Hauptwohnung gemeldet war, der Mutter zuzuordnen, sofern nicht der Vater durch eine Bescheinigung der zuständigen Behörde nachweist, daß es zu seinem Haushalt gehört.

Der Begriff der "gemeinsamen Wohnung" in § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG ist ebenso wie der Begriff "Wohnung" in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG im melderechtlichen Sinne zu verstehen. Denn es muß angenommen werden, daß der Gesetzgeber die Verwaltung auch von Ermittlungen darüber hat freistellen wollen, ob das Kind die Wohnung, in welcher es angemeldet ist, auch tatsächlich zum Wohnen benutzt. Aus der Tatsache, daß die Regelung in § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG unmittelbar an § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG anknüpft und in beiden Fällen auf den Vorgang der Anmeldung abgestellt wird, ist zu entnehmen, daß es jeweils ausschließlich auf melderechtliche Verhältnisse ankommt. Hierfür spricht insbesondere, daß in § 32 Abs. 4 Satz 3, 2. Satzteil EStG, wo ausnahmsweise nicht auf die Anmeldung abgehoben wird, nicht mehr von der Wohnung, sondern der Haushaltszugehörigkeit die Rede ist. Eine einheitliche Auslegung der Sätze 2 und 3, 1. Satzteil des § 32 Abs. 4 EStG hat zur Folge, daß es auch bei der Beurteilung der Frage, ob die Wohnung der Eltern zu Beginn des Kalenderjahres noch eine gemeinsame war, auf den Zeitpunkt der Anmeldung und nicht den in ihr angegebenen Tag des Umzugs ankommt.

Da die frühere eheliche Familienwohnung am 1. Januar 1977 melderechtlich noch eine gemeinsame Wohnung der Eltern war, müßte das Kind grundsätzlich der Mutter zugeordnet werden. Der Kläger habe aber nach § 32 Abs. 4 Satz 3, 2. Satzteil EStG die Möglichkeit, eine Bescheinigung der zuständigen Behörde beizubringen, derzufolge das Kind zum 1. Januar 1977 zu seinem Haushalt gehörte (vgl. BFH-Beschluß vom 24. Oktober 1980 VI B 78/80, BFHE 131, 514, BStBl II 1981, 54).

Das FG, das von seinem Standpunkt hierauf nicht einzugehen brauchte und deshalb hierzu auch keine Feststellungen getroffen hat, wird dem Kläger die Möglichkeit geben müssen, eine solche Bescheinigung ggf. nachzureichen.