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BFH-Urteil vom 22.8.1984 (I R 102/81) BStBl. 1985 II S. 61

1. Erzielt ein Wasserversorgungsverband einen Gewinn i. S. von § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG nur in der Absicht, in der Vergangenheit eingetretene Vermögensverluste auszugleichen, so handelt er ohne Gewinnabsicht (Anschluß an BFH-Urteil vom 15. Dezember 1976 I R 58/75, BFHE 121, 78, BStBl II 1977, 250).

2. Entsprechendes gilt, wenn Gewinne ausschließlich zu dem Zweck erzielt werden, Rücklagen für Vermögensverluste zu bilden, mit denen für die Zukunft ernsthaft gerechnet werden muß.

3. Geht dagegen die Absicht des Wasserversorgungsverbandes dahin, Gewinne über den Betrag hinaus zu erzielen, der zum Ausgleich von Verlusten erforderlich ist, so ist eine Gewinnabsicht ab dem Zeitpunkt der entsprechenden Entschlußfassung anzunehmen, selbst wenn zunächst noch Verluste anfallen oder erzielte Gewinne dem Ausgleich von Verlusten dienen.

GewStG § 2 Abs. 1; GewStDV § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist die Gesamtrechtsnachfolgerin des im Jahre 1964 nach dem Zweckverbandsgesetz vom 7. Juni 1939 (RGBl I 1939, 979) gegründeten Wasserversorgungsverbands D. Die Gesamtrechtsnachfolge trat durch Umwandlung gemäß § 59 des Umwandlungsgesetzes vom 6. November 1969 - UmwG - (BGBl I, 2.081) ein.

Der Wasserversorgungsverband D hatte den satzungsmäßigen Zweck, die Einwohner der Mitgliedgemeinden mit Trink- und Brauchwasser zu versorgen. Er sollte keine Gewinne erzielen. Tatsächlich erzielte er bis zum Jahre 1968 einschließlich Verluste und ab dem Jahr 1969 bis zum Umwandlungszeitpunkt Gewinne. Die Gewinne der Jahre 1969 und 1970 waren so hoch, daß sie die Verluste der Jahre 1964 bis 1968 bis auf einen Restbetrag ausglichen. Dieser Restbetrag wurde mit dem Gewinn 1971 in voller Höhe "verrechnet". Den verbleibenden Gewinn 1971 und den Gewinn 1972 führte der Wasserversorgungsverband D satzungsgemäß einer Ersatzbeschaffungsrücklage zu, weil nach den Angaben der Klägerin in damals absehbarer Zeit das bei Gründung übernommene Wasserrohrnetz erneuert werden mußte. Dieses Netz, das noch aus dem vorigen Jahrhundert stammte, verlor etwa 30 v.H. des eingespeisten Wassers.

Nach einer Außenprüfung im Jahre 1977 kam der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) zu der Auffassung, der Wasserversorgungsverband D sei ab dem Jahre 1971 mit Gewinnerzielungsabsicht geführt worden. Er erließ deshalb am 19. Juli 1977 zusammengefaßte Gewerbesteuermeßbescheide u.a. für die Jahre 1971 und 1972. Die gegen diese Bescheide erhobene Sprungklage hatte Erfolg. Durch sein in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1982, 145 veröffentlichtes Urteil hob das Finanzgericht (FG) die angefochtenen Gewerbesteuermeßbescheide auf.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des § 2 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG), § 1 Abs. 1 und § 2 Abs. 1 der Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung (GewStDV).

Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Die Vorentscheidung wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Auf der Grundlage der Feststellungen des FG läßt sich nicht abschließend beurteilen, ob der Wasserversorgungsverband D die Einwohner der Mitgliedsgemeinden in den Streitjahren 1971 und 1972 mit oder ohne Gewinnabsicht mit Trink- und Brauchwasser versorgte.

1. Gemäß § 2 Abs. 1 GewStG ist jeder stehende Gewerbebetrieb gewerbesteuerpflichtig. Dies gilt gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStDV auch für Unternehmen von juristischen Personen des öffentlichen Rechts, wenn sie als stehende Gewerbebetriebe anzusehen sind. Stehende Gewerbebetriebe sind solche Gewerbebetriebe, die keine Reisegewerbebetriebe i. S. des § 35a Abs. 2 GewStG sind (§ 1 Abs. 2 GewStDV). Mithin ist bei Unternehmen von juristischen Personen des öffentlichen Rechts darauf abzustellen, ob sie gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 GewStDV unter Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr als selbständige nachhaltige Betätigung mit Gewinnabsicht betrieben werden.

2. a) Mit Gewinnabsicht handelt, wer nach Gewinnen strebt (§ 1 Abs. 1 Satz 2 GewStDV). Ohne Gewinnabsicht handelt, wer Einnahmen nur erzielt, um seine Selbstkosten zu decken (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 27. Mai 1964 I 226/62 U, BFHE 80, 29, BStBl III 1964, 485, und vom 15. Dezember 1976 I R 58/75, BFHE 121, 78, BStBl II 1977, 250). Kostendeckungsabsicht besteht jedoch nicht nur dann, wenn die laufenden Einnahmen erzielt werden, um die laufenden Selbstkosten abzudecken. Wie der Senat schon in seinem Urteil in BFHE 121, 78, BStBl II 1977, 250 ausgeführt hat, wird dem Kostendeckungsprinzip auch dann noch Genüge getan, wenn ein Gewinn i. S. von § 4 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nur in der Absicht erzielt wird, um Vermögensverluste auszugleichen, die in der Vergangenheit eingetreten sind. Entsprechendes gilt, wenn Gewinne ausschließlich zu dem Zweck erzielt werden, Rücklagen für Vermögensverluste zu bilden, mit denen für die Zukunft ernsthaft gerechnet werden muß. Wirtschaftlich gesehen besteht zwischen den in beiden Fallgruppen verfolgten Absichten kein Unterschied.

b) Allerdings ist die Gewinnabsicht ein subjektives Tatbestandsmerkmal, auf das im Regelfall nur anhand von objektiv erkennbaren Umständen geschlossen werden kann. Zu diesen äußeren Umständen gehört auch das spätere Verhalten des Steuerpflichtigen (BFHE 121, 78, BStBl II 1977, 250). In diesem Sinne sprechen über mehrere Wirtschaftsjahre hinweg erzielte Gewinne dafür, daß sie auf einem Streben nach Gewinn beruhen. Diesem Indiz sind die Gründe gegenüberzustellen, die gegen eine Gewinnabsicht sprechen. Letztlich müssen die Gründe, die für eine bloße Kostendeckungsabsicht sprechen, stärker wiegen, um eine Gewinnabsicht verneinen zu können. In diesem Sinne mögen in der Vergangenheit erzielte Verluste grundsätzlich geeignet sein, die Annahme einer Gewinnabsicht auszuschließen, wenn die später erzielten Gewinne tatsächlich nicht über den Betrag hinausgehen, der zur Erhaltung und Wiedererlangung des Vermögens erforderlich ist. Von diesem Fall unterscheidet sich jedoch der vorliegende dadurch, daß Vermögensverluste allenfalls in der Zukunft anfallen werden und in diesem Sinne der behauptete Ausgleich unsicher ist. Deshalb gelten für die Darlegung der tatsächlich nicht bestehenden Gewinnabsicht erhöhte Anforderungen, wenn die tatsächlich erzielten Betriebsergebnisse gegen eine bloße Kostendeckungsabsicht sprechen. Der Beschluß, Gewinne einer Ersatzbeschaffungsrücklage zuzuführen und die entsprechende buchmäßige Behandlung widerlegen für sich genommen, selbst wenn sie sofort abziehbaren Aufwand betreffen, die Indizwirkung noch nicht, weil sie nichts darüber sagen, welche Kosten künftig erwartet werden und weshalb sie nicht durch die dann zufließenden Einnahmen abgedeckt werden können. Auch kann die tatsächliche Geschäftsführung von gefaßten Beschlüssen abweichen. In einem solchen Fall wäre die tatsächliche Geschäftsführung der steuerlichen Beurteilung zugrunde zu legen. Soll deshalb die Gewinnabsicht verneint werden, so bedarf es der Feststellung, daß konkrete Kosten auf das Unternehmen zukommen, die nach der Wesensart des Betriebs und der Art seiner Bewirtschaftung aus den laufenden Einnahmen nicht gedeckt werden können und einem ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiter die Bildung von Rücklagen schon in den Streitjahren nahelegten.

c) Das FG hat zwar die Indizwirkung, die von den tatsächlich erzielten Gewinnen des Wasserverbandes ausgeht, zutreffend erkannt. Es hat jedoch die Auffassung vertreten, alle anderen äußerlich erkennbaren Umstände sprächen gegen eine Gewinnabsicht. Diese Auffassung wird von den tatsächlichen Feststellungen des FG nicht getragen.

aa) Was die Jahre 1969 und 1970 anbelangt, so schließt der tatsächlich erzielte Ausgleich mit Vermögensverlusten der Jahre 1964 bis 1968 die Annahme einer Gewinnabsicht nicht aus. Das FG hat verkannt, daß der Senat in seinem Urteil in BFHE 121, 78, BStBl II 1977, 250 das entscheidende Abgrenzungsmerkmal in einer bestimmten Absicht gesehen hat. Danach kommt es darauf an, ob der Wasserverband mit seiner objektiv geänderten Geschäftsführung auf Dauer gesehen nur Verluste ausgleichen oder darüber hinaus Gewinne erzielen wollte. Sollten die nachzuholenden Feststellungen ergeben, daß z.B. die 1967 geänderten Preise auf die Dauer gesehen auf Gewinnerzielung ausgerichtet waren, so wäre eine Gewinnabsicht mit Inkrafttreten der Preisänderungen anzunehmen. Darauf, ob das FA die Rechtslage zutreffend beurteilt hat, kommt es nicht an.

bb) Der Senat folgt nicht der Auffassung des FG, daß für den Schluß auf eine Gewinnabsicht es eines nach außen hin erkennbaren Willensaktes bedürfe, der vor Beginn eines Gewinnermittlungszeitraums auf eine Änderung der Unternehmensziele hinweise. Die Auffassung des FG findet im Gesetz keine Stütze. Die Gewinnabsicht setzt den Willen voraus, der auf einen bestimmten Erfolg gerichtet sein muß. Ein entsprechender Wille ist bereits mit der dazugehörigen Willensentschließung vorhanden. Es bedarf keiner Kundgabe der Willensentschließung. Schon gar nicht können an die Kundgabe bestimmte Formerfordernisse gestellt werden. Die Willensentscheidung kann als solche jederzeit, d.h. auch während eines Gewinnermittlungszeitraums getroffen werden. Ggf. ist eine Gewinnabsicht ab dem Zeitpunkt der Entschlußfassung gegeben, selbst wenn zunächst noch Verluste anfallen oder erzielte Gewinne dem Ausgleich von Verlusten dienen. Zwar muß auf das Vorhandensein der Willensentscheidung mit Hilfe objektiv erkennbarer Umstände rückgeschlossen werden. Auch kommt es bei juristischen Personen auf die Willensentschließung der für die Geschäftsführung Verantwortlichen an. Jedoch kann der tatsächliche Wille der verantwortlichen Personen sowohl von den Bestimmungen der Verbandssatzung als auch von nach außen abgegebenen Absichtserklärungen abweichen. Deshalb kann das Vorliegen einer Gewinnabsicht nicht allein nach dem Inhalt der Verbandssatzung und dem Fehlen förmlicher Entschließungen beurteilt werden. Vielmehr ist auch zu prüfen, ob die Verbandssatzung tatsächlich durchgeführt wurde.

3. Das FG wird im zweiten Rechtszug zunächst prüfen müssen, auf welche Umstände die seit 1969 erzielten Gewinne zurückzuführen sind. Es wird den oder die Umstände zeitlich fixieren und aus der Sicht der Streitjahre eine Prognose darüber anstellen müssen, ob und ggf. für welche Folgejahre der Wasserverband mit Verlusten rechnen mußte. Soweit die Erwartung solcher Verluste aus der Sicht der Streitjahre konkret festgestellt werden kann, wird das FG weiter prüfen müssen, ob ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter schon in den Streitjahren wegen der erwarteten Verluste Rücklagen gebildet hätte.