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BFH-Urteil vom 29.8.1984 (I R 215/81) BStBl. 1985 II S. 106

1. Ein Verein zur Förderung des Umweltschutzes kann - abweichend von dem im Urteil des Senats vom 29. August 1984 I R 203/81 (BFHE 142, 51, BStBl II 1984, 844) entschiedenen Fall - dann nicht als gemeinnützig anerkannt werden, wenn sich die tatsächliche Geschäftsführung dieses Vereins und seine Förderung der Allgemeinheit nicht im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung gehalten haben.

2. Die rechtsstaatliche Ordnung setzt als selbstverständlich das gesetzestreue Verhalten aller Bürger, Vereine, Verbände und (sonstiger) juristischer Personen ebenso voraus, wie das Beachten der Verfassungsnormen. Diese Ordnung wird schon mit der Ankündigung von gewaltfreiem Widerstand und der Nichtbefolgung von polizeilichen Anordnungen durchbrochen.

KStG § 4 Abs. 1 Nr. 6, § 8 Abs. 2; KStG 1977 § 5 Abs. 1 Nrn. 7 und 9; AO 1977 §§ 51 ff.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger), ein am 7. März 1977 in das Vereinsregister eingetragener Verein, bekennt sich in seiner Satzung vom ... zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung und erklärt sich für parteipolitisch und konfessionell ungebunden (§ 2 2.1 der Satzung). Er verfolgt (§ 2 2.2 und 2.3 der Satzung) "zum Zwecke des Umweltschutzes ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Ziele", und zwar "insbesondere

a) die Bevölkerung über die Umweltgefahren und deren Abwendungsmöglichkeiten aufzuklären;

b) die Bürger anzuregen, Umweltgefahren verhindern, beseitigen oder vermindern zu helfen;

c) Bürger bei der Abwehr von Umweltgefahren zu unterstützen."

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) bescheinigte mit Verfügung vom ... dem Kläger, daß er "nach der eingereichten Satzung ausschließlich und unmittelbar der Förderung des Umweltschutzes und somit gemeinnützigen Zwecken dient".

In den Streitjahren (1977 und 1978) führte der Kläger über seine Ziele Gespräche mit Bundes-, Landes- und Kommunalpolitikern, mit Wissenschaftlern und anderen Fachleuten, beteiligte sich an Vorhaben zur Erforschung alternativer Energien (z.B. Biogasanlagen) und Lebensweisen (z.B. biologischer Anbau) und wirkte mit an einem regional-wirtschaftlichen und ökologischen Gutachten. Im Jahre 1978 wurde eine 1975 abgebrannte Waldfläche (20 ha) gepachtet und unter bundesweiter Beteiligung mit über 70.000 Bäumen bepflanzt. Seit Benennung des Salzstockes von X als möglichem Standort eines nuklearen Entsorgungszentrums Anfang 1977 lag das Schwergewicht der Tätigkeit des Klägers und seiner Mitglieder bei der Aufklärung über Gefahren einer solchen Anlage und über die Risiken der Kernspaltung im allgemeinen u.a. durch Zeitungsanzeigen, öffentliche Aufrufe, Schriften, Seminare sowie Informations- und Diskussionsveranstaltungen. Der Kläger trat den Plänen einer solchen Anlage entgegen und kündigte notfalls gewaltfreien Widerstand an.

Das FA erließ für die Streitjahre mangels eines steuerpflichtigen Einkommens des Klägers Körperschaftsteuerbescheide über jeweils null DM.

Es versagte die Steuervergünstigung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschaftsteuergesetzes 1977 (KStG 1977), weil Bestrebungen, den Bau von Atomkraftwerken überhaupt zu verhindern, nicht als Förderung der Allgemeinheit verstanden werden könnten.

Der Einspruch des Klägers blieb erfolglos. Auf seine Klage hob das Finanzgericht (FG) die angefochtenen Körperschaftsteuerbescheide auf. Die Entscheidung des FG ist in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1981, 588 abgedruckt.

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts (§ 52 der Abgabenordnung - AO 1977 - und § 5 Abs. 1 Nrn. 7 und 9 KStG 1977).

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Der Senat vermag nach den bisherigen Feststellungen des FG nicht zu prüfen und zu entscheiden, ob sich die tatsächliche Geschäftsführung des Klägers und dessen Förderung der Allgemeinheit innerhalb der verfassungsmäßigen Ordnung gehalten haben.

...

(Der Text der Entscheidungsgründe unter Nrn. 1 bis 4 sowie 6 bis 8 entspricht im wesentlichen dem der Entscheidungsgründe unter Nrn. 1 bis 4 sowie 5 bis 8 der Entscheidung des Senats vom 29. August 1984 I R 203/81, BFHE 142, 51, BStBl II 1984, 844.)

5. Der Senat vermag jedoch aufgrund der bisherigen Feststellungen des FG weder zu prüfen noch zu entscheiden, ob sich die tatsächliche Geschäftsführung des Klägers (vgl. oben 3.) und seine Förderung der Allgemeinheit (vgl. oben 4.) während der Streitjahre im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung gehalten haben. Das angefochtene Urteil war deshalb aufzuheben und die Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

Zu einer Prüfung, ob der Kläger die verfassungsmäßige Ordnung gewahrt hat, besteht im Streitfall besonderer Anlaß: Das FG hat festgestellt, der Kläger habe angekündigt, daß er "... dem Beginn der Bohrungen notfalls gewaltfreien Widerstand entgegensetzen und möglicherweise Anordnungen der Polizei nicht befolgen werde".

a) Diese tatsächlichen Feststellungen allein reichen für die zu treffende Entscheidung des Senats nicht aus und lassen es auch nicht zu, die vom FG daraus gezogenen Rechtsfolgen abschließend zu prüfen. Es liegt aber insoweit kein Verfahrensmangel vor, der nur auf besondere Rüge zu beachten wäre, sondern ein Mangel der Urteilsfindung, ein sachlicher Mangel. Dieser ist von dem erkennenden Senat als materiell-rechtlicher Fehler von Amts wegen zu beachten (ständige Rechtsprechung; vgl. Urteil vom 27. Mai 1981 I R 123/77, BFHE 133, 412, unter II. 3. S. 418, BStBl II 1982, 211).

b) Im Streitfall kann aufgrund der Ankündigungen nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß sich die Betätigungen des Klägers (seine tatsächliche Geschäftsführung) zur Förderung der Allgemeinheit i.S. des § 52 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 während der Streitjahre im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung (vgl. zu dem Begriff Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 16. Januar 1957 1 BvR 253/56, BVerfGE 6, 32, 36 ff.; Maunz/Dürig/Herzog/Scholtz, Grundgesetz, Art. 2 I Rdnrn. 4, 17 ff. und 75 ff.; Wernike, In Bonner Kommentar, Art. 2 S. 2) gehalten haben (vgl. BFHE 127, 330, BStBl II 1979, 482, unter 4. am Ende). Mit den Ankündigungen - einmal unterstellt, diese wären im Streitfall feststellbar, erweislich und rechtlich erheblich - hat sich der Kläger außerhalb der verfassungsmäßigen Ordnung betätigt: Er hat damit die allgemeine Ordnung, die die materiellen und formellen Normen der Verfassung beachtet, also die verfassungsgemäße Rechtsordnung, verlassen. Dieser Ordnung ist aber auch der Kläger unterworfen. Dazu bedarf es keiner Satzungsbestimmung, in der dies ausdrücklich festgelegt wird. Vielmehr setzt die staatliche Rechtsordnung als selbstverständlich das gesetzestreue Verhalten aller Bürger sowie aller Vereine, Verbände oder (sonstiger) juristischen Personen ebenso voraus wie das Beachten der Verfassungsnormen. Die staatliche Rechtsordnung bindet zugleich die ihr Unterworfenen entsprechend. Sie wird deshalb schon mit der Ankündigung von Verstößen gegen diese Rechtsordnung durch gewaltfreien Widerstand und die Nichtbefolgung polizeilicher Anordnungen durchbrochen: "Gewaltfreier Widerstand" wurde schon in den Streitjahren dahin verstanden, daß bei seiner Anwendung - z.B. bei gezielten Aktionen wie Blockieren und Besetzen von Straßen und Grundstücken - regelmäßig auch rechtswidrige Handlungen (strafbare Handlungen und/oder Ordnungswidrigkeiten) sowie die rechtswidrige Beeinträchtigung oder gar die Verletzung von Rechten Dritter eingeschlossen sind und in Kauf genommen werden; das Nichtbefolgen rechtmäßiger polizeilicher Anordnungen ist schon für sich allein ein Verstoß gegen die Rechtsordnung.

Der erkennende Senat folgt nicht der Meinung des FG, das in den Ankündigungen "einen Verstoß gegen die Rechtsordnung nicht" erkennen konnte. Dabei hat sich der Senat u.a. von der Erwägung leiten lassen, daß die (steuerliche) Vergünstigung der Gemeinnützigkeit nicht (mehr länger) gewährt werden kann, wenn das (künftige) Verhalten des Klägers nach Wort und Tat auf einen Verstoß gegen die verfassungsmäßige, staatliche Ordnung und auf ein Abweichen von den (stillschweigend) unter der Gesetzestreue stehenden Satzungsbestimmungen hinauslaufen würde. Von einer Förderung der Allgemeinheit kann bei einer Mißachtung der Rechtsordnung, die gerade den Schutz des einzelnen und damit auch den der Allgemeinheit sichern soll und sichert, nicht (mehr) die Rede sein.

Die Ankündigungen können jedoch nur dann in diesem Sinne gewertet werden, wenn sie sich nach der notwendigen Konkretisierung aufgrund weiterer tatsächlicher Feststellungen des FG als steuerrechtlich erheblich erweisen sollten. Dazu wird das FG noch zu ermitteln haben, in welcher Form (schriftlich, mündlich, in einer Vorstandssitzung oder bei einer öffentlichen Versammlung) die Ankündigungen ergangen sind, wer (ein Vorstandsmitglied, (nur) ein Mitglied des Klägers) sie mit welcher Verbindlichkeit (damit betrautes Vorstandsmitglied aufgrund eines entsprechenden Vorstandsbeschlusses, ausschließlich aus eigener Initiative) bekanntgegeben hat und schließlich in welchem Maße sie in der Öffentlichkeit (einmalige Bekanntgabe an die Mitglieder oder öffentlich z.B. in einer öffentlichen Versammlung, Verteilen von Flugblättern und sonstigen Schriften) verbreitet worden sind. Wenn sich dabei herausstellen sollte, daß die Ankündigungen für den Kläger von einem dazu vom Vorstand autorisierten Vorstandsmitglied oder in anderer dem Kläger aber verbindlich zuzurechnenden Weise bekanntgegeben sein sollten, wird dem Kläger bei Berücksichtigung der dargelegten Rechtsauffassung des Senats nicht (mehr länger) die Gemeinnützigkeit zuerkannt werden können. Sollten dagegen entsprechende tatsächliche Feststellungen - aus welchen Gründen auch immer - nicht möglich sein, wäre dies zu Lasten des FA zu werten und dem Kläger die Begünstigung der Gemeinnützigkeit für die Streitjahre zu belassen.

c) In diesem Zusammenhang weist der Senat für die nachfolgenden Jahre vorsorglich auf folgendes hin: Die Gemeinnützigkeit wird dem Kläger auch dann nicht (länger) gewährt werden können, wenn z.B. der Kläger und seine Mitglieder in ihm zurechenbarer Weise im Verfolg der Vereinsziele dabei mitgewirkt haben sollten, unangemeldete und rechtswidrige Versammlungen, Aufzüge oder Demonstrationen (vgl. das Gesetz über die Versammlung und Aufzüge - Versammlungsgesetz - i.d.F. vom 15. November 1978, BGBl I 1978, 1790) zu organisieren und durchzuführen, rechtswidrig Straßen und Grundstückszugänge zu blockieren, widerrechtlich Grundstücke und Gebäude zu besetzen, Ungehorsam gegen rechtmäßige polizeiliche Anordnungen anzuregen und zu verwirklichen und/oder gar rechtswidrig Gewalt gegen Sachen und Personen anzuwenden.