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BFH-Urteil vom 8.11.1984 (IV R 33/82) BStBl. 1985 II S. 352

1. Bei einem buchführungspflichtigen Landwirt, der keine nach §§ 141, 142 AO 1977 erforderlichen Bücher und Aufzeichnungen führt, ist den Anforderungen des § 162 Abs. 1 AO 1977 an eine Schätzung genügt, wenn die Gewinne nach einer anerkannten, für die betreffende Landwirtschaft brauchbaren Schätzungsmethode, z. B. anhand der Richtsätze nach Hektarerträgen, ermittelt werden.

2. Ein solcher Landwirt hat in der Regel auch im Rechtsbehelfsverfahren keinen Anspruch darauf, daß für die Veranlagung seine Gewinne durch eine Außenprüfung oder ein Sachverständigengutachten genauer ermittelt werden.

AO 1977 §§ 141, 142, 162 Abs. 1 und 2.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist buchführungspflichtiger Landwirt, führt aber keine Bücher. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) schätzte daher die Gewinne, und zwar nach den Richtsätzen der Oberfinanzdirektion (OFD) Hannover. Dabei reihte es den Betrieb des Klägers nach dem Grünlandanteil (1974/75 und 1975/76 unter, danach über 25 v. H.) und dem Hackfruchtanteil (über 25 v. H., erst 1977/78 rd. 22 v. H.), sowie seiner Lage in den Wirtschaftsjahren 1974/75 und 1975/76 in die Gruppe A 1 (Ackerwirtschaft mit mehr als 25 v. H. Hackfruchtanteil), danach in die Gruppe AG 1 (Ackergemischtwirtschaften mit mehr als 15 v. H. Hackfruchtanteil) des Wirtschaftsgebiets Nord-Hannover ein. Nach den Richtsätzen ergab sich ein Betriebseinkommen je ha von 1.550 DM im Wirtschaftsjahr 1974/75, 2.800 DM im Wirtschaftsjahr 1975/76 und 2.200 DM im Wirtschaftsjahr 1976/77. Der entsprechende Wert von 1.500 DM für das Wirtschaftsjahr 1977/78 ist zwischen den Beteiligten nicht umstritten.

Gegen die Höhe des Gewinns wandte sich der Kläger nach erfolglosem Einspruchsverfahren mit seinen Klagen gegen die Einkommensteuerbescheide 1975 bis 1977, die er damit begründete, daß die Hektarsätze höher seien als seine Betriebserträge, weil er keine Kartoffeln angebaut habe. Dies habe die OFD Hannover in ihrem inzwischen bestandskräftigen Beschwerdebescheid vom 24. April 1981 wegen Aussetzung der Vollziehung des Einkommensteuerbescheids 1977 selbst eingeräumt.

Das Finanzgericht (FG) wies die zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbundenen Klagen als unbegründet ab.

Mit der Revision trägt der Kläger vor, das FG verstoße gegen § 76 der Finanzgerichtsordnung (FGO) und § 162 der Abgabenordnung (AO 1977), da die Schätzungen der Gewinne für die einzelnen Wirtschaftsjahre nicht im Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens erfolgt seien, und das FG es unterlassen habe, die tatsächlichen Hektarsätze und somit die tatsächlichen Gewinne zu ermitteln, obwohl die OFD in ihrer Beschwerdeentscheidung vom 16. Juni 1981 eingeräumt habe, daß für Betriebe ohne Kartoffelanbau im Wirtschaftsjahr 1975/76 die festgesetzten Richtsätze nicht zuträfen. Dem FA sei zwar grundsätzlich zuzustimmen, daß in Wirtschaftsjahren mit normalen Kartoffelerzeugerpreisen Betriebe mit Kartoffel- oder Zuckerrübenanbau in dasselbe Bodennutzungssystem eingeordnet werden könnten. In Wirtschaftsjahren aber, in denen die Kartoffelerzeugerpreise extrem nach oben oder unten abwichen, führe die Einbeziehung von Betrieben, die überhaupt keinen Kartoffelanbau, sondern nur Zuckerrübenanbau betrieben, in ein gemeinsames Bodennutzungssystem mit Kartoffelanbau zu völlig falschen Ergebnissen. Solche außergewöhnlichen Umstände hätten in den Wirtschaftsjahren 1974/75 und 1975/76 vorgelegen. Das FG habe zu Unrecht den Beweisantrag zurückgewiesen, die tatsächliche Höhe der Hektarsätze durch ein Gutachten der Landwirtschaftskammer Hannover überprüfen zu lassen.

Der Kläger beantragt, die Einkommensteuer für 1975 bis einschließlich 1977 in der Weise festzusetzen, daß für den Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft im Wirtschaftsjahr 1974/75 ein Hektarsatz von 1.000 DM, im Wirtschaftsjahr 1975/76 ein Hektarsatz von 1.700 DM und im Wirtschaftsjahr 1976/77 ein Hektarsatz von 1.500 DM zugrunde gelegt wird.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Nach § 162 Abs. 1 AO 1977 ist das FA zur Schätzung berechtigt, wenn es die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen kann. Nach § 162 Abs. 2 AO 1977 hat das FA die Besteuerungsgrundlagen insbesondere zu schätzen, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann. Diese Voraussetzung trifft für den Kläger zu. Da der buchführungspflichtige Kläger für die Streitjahre keine Bücher und Aufzeichnungen i. S. der §§ 141, 142 AO 1977 geführt hat, war das FA verpflichtet, seine Gewinne aus Land- und Forstwirtschaft im Wege einer Vollschätzung zu ermitteln.

Was die erforderliche Genauigkeit einer solchen Schätzung betrifft, so sind dabei gemäß § 162 Abs. 1 AO 1977 alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind. Dieser Grundsatz findet aber eine durch die Natur der Sache vorgegebene Grenze. Alle Umstände, die für die Vollschätzung des Gewinns eines einzelnen Veranlagungszeitraums eines sog. Schätzungslandwirtes, der keine Bücher und Aufzeichnungen führt, von Bedeutung sind, könnten jeweils nur durch eine besondere Betriebsprüfung bei dem betreffenden Landwirt für den betreffenden Veranlagungszeitraum oder durch ein individuelles Gutachten eines Sachverständigen ermittelt werden, das dem Aufwand einer Betriebsprüfung gleichkäme. Auf eine derartige Ermittlung seines jährlichen Gewinns durch eine Außenprüfung oder ein Sachverständigengutachten hat ein Schätzungslandwirt, der pflichtwidrig keine Bücher führt, keinen Anspruch. Ziel und Verpflichtung bei der notwendigen Vollschätzung des Gewinns eines Schätzungslandwirts im Veranlagungsverfahren kann es nur sein, den Gewinn nach einer anerkannten, für den betreffenden Landwirt brauchbaren Schätzungsmethode zu ermitteln, die unter allen möglichen Methoden die größte Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit für sich hat. Für ein gegen eine solche Veranlagung angestrengtes Klageverfahren kann grundsätzlich nichts anderes gelten.

Bei buchführungspflichtigen Landwirten, die keine Bücher und Aufzeichnungen führen, ist für die Veranlagungsstelle des FA die Schätzung nach Richtsätzen, die bei einer Vielzahl buchführender Vergleichsbetriebe ermittelt werden (im Streitfall hat das FG festgestellt, daß es rd. 400 Richtsatzbetriebe waren), in der Regel die brauchbarste Methode, den Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft in einer Höhe zu schätzen, die dem wirklichen Gewinn möglichst nahekommt. Das gilt auch für die Richtsätze der OFD Hannover, die von den durchschnittlichen Hektarerträgen der Vergleichsbetriebe ausgehen, wobei bei den Hektarerträgen zwischen mehreren Ertragsgruppen unterschieden wird, je nach dem Grünland-, Getreide- und Hackfruchtanteil.

Solche Schätzungen beruhen auf Tatsachenfeststellungen und ihrer Würdigung. Da aber der Bundesfinanzhof (BFH) als Revisionsgericht keine Tatsacheninstanz, sondern Rechtsinstanz ist, ist er gemäß § 118 Abs. 2 FGO an alle vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen im Rahmen einer Schätzung gebunden, es sei denn, daß in bezug auf die tatsächlichen Feststellungen zulässige und begründete Revisionsrügen vorgebracht werden. Der BFH kann also hinsichtlich der Höhe solcher Schätzungen nur nachprüfen, ob bei der Schätzung gegen die Denkgesetze und die allgemeinen Erfahrungssätze verstoßen worden ist (insbesondere, ob die gezogenen Folgerungen schlüssig sind), ob das FG den Sachverhalt hätte weiter aufklären müssen, oder ob sonstige Verfahrensfehler vorgekommen sind. Gelangt der BFH zu dem Ergebnis, daß die Schätzung ohne Verfahrensverstoß zustande gekommen ist und nach den Denkgesetzen und allgemeinen Erfahrungssätzen zumindest möglich war, ist er an die Schätzung des FG gebunden.

Diese begrenzte revisionsgerichtliche Überprüfung, bei der die Schätzungen nicht insgesamt sachlich nachgeprüft und aufgerollt werden können, im Streitfall vor allem nicht geprüft werden kann, ob die vom Kläger begehrten selbst berechneten Hektarsätze mehr dem tatsächlichen Ergebnis entsprechen als die vom FA und auch vom FG anerkannten amtlichen Richtsätze, führt zu dem Ergebnis, daß die vom Kläger vorgebrachten Rügen nicht gerechtfertigt sind und an dem Ergebnis der Schätzungen nichts zu ändern vermögen.

Was die vom Kläger gerügte fehlende Differenzierung innerhalb der Richtsätze für die Hackfruchtanteile betrifft, so weist das FG mit Recht darauf hin, daß darin kein im Rechtsbehelfsverfahren vom FG zu beachtender Mangel zu erblicken ist, da bei der Richtsatzermittlung für Hackfrüchte nicht nur Betriebe mit Kartoffelanbau, sondern auch Betriebe ohne Kartoffelanbau herangezogen werden und somit bei dieser Ertragsgruppe der Durchschnittsertrag aller Hackfrüchte dem Richtsatz zugrunde gelegt wird. Der Kläger kann nicht beanspruchen, daß bei den Hektarsätzen für Hackfrüchte nochmals nach Betrieben mit und Betrieben ohne Kartoffelanbau unterteilt wird und dabei zusätzlich zwischen dem Kartoffelanbau mit Beregnung und dem Kartoffelanbau ohne Beregnung unterschieden wird, um dadurch noch differenziertere und genauere Richtsätze zu erhalten. Bei der zeitraubenden alljährlichen Ermittlung der Richtsätze bei den vielen Vergleichsbetrieben kann nicht für jede mögliche kleine Gruppe von Landwirten ein eigener Richtsatz zusammengestellt werden. Das würde die Anforderungen, die im Rahmen der Gewinnermittlung bei Schätzungslandwirten an die Verwaltungsbehörden billigerweise gestellt werden können, übersteigen. Dazu kommt, daß nach den Feststellungen des FG die durch die mangelnde Differenzierung auftretenden Nachteile nur gering sind und durch entsprechende Vorteile in anderen Jahren ausgeglichen werden.

Nach der angeführten Beschwerdeentscheidung der OFD Hannover, an deren Richtigkeit zu zweifeln für das FG keine Veranlassung bestand, hat sich die erwähnte mangelnde Differenzierung bei den Hackfrüchten bei Landwirten ohne Kartoffelanbau mit Beregnung nur im Wirtschaftsjahr 1975/76 nachteilig ausgewirkt, nicht hingegen im Wirtschaftsjahr 1974/75. Die Benachteiligung im Wirtschaftsjahr 1975/76 wurde dadurch ausgeglichen, daß das Betriebseinkommen der Landwirte ohne Kartoffelanbau im Wirtschaftsjahr 1974/75 in etwa gleichem Umfang über dem Betriebseinkommen der Landwirte mit Kartoffelanbau lag, wie es im Wirtschaftsjahr 1975/76 darunterlag. Daraus ergibt sich, daß dieser Nachteil infolge der Halbierung der Gewinne der Wirtschaftsjahre zumindest im Veranlagungszeitraum 1975 voll ausgeglichen wurde und zu keinem steuerlichen Nachteil führen konnte. Gewisse Ungenauigkeiten müssen bei Vollschätzungen, die naturgemäß nur Annäherungswerte ergeben können, in Kauf genommen werden. Sie wirken sich einmal zum Nachteil, aber nicht selten auch zum Vorteil des Steuerpflichtigen aus. Wenn buchführungspflichtige Landwirte vermeiden wollen, daß sie durch die Anwendung von Richtsätzen in einem einzelnen Jahr möglicherweise einen geschätzten Gewinn versteuern müssen, der über ihrem tatsächlichen Gewinn liegen kann, so müssen sie ihrer Pflicht zur Buchführung nachkommen. Das FG hat es daher mit Recht abgelehnt, ein Gutachten der Landwirtschaftskammer Hannover über die individuellen Hektarerträge des Klägers einzuholen.