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BFH-Urteil vom 6.3.1985 (I R 213/80) BStBl. 1985 II S. 413

Leistet ein Bürge vor Fälligkeit der Hauptschuld (Darlehen nach § 17 Abs. 2 BerlinFG) an den Gläubiger, liegt darin keine vorzeitige steuerschädliche Rückzahlung des Berlindarlehens.

BerlinFG § 17 Abs. 2 und 3.

Vorinstanz: Hessisches FG

Sachverhalt

Die Klägerin ist eine Hypothekenbank in der Rechtsform der AG. Sie gewährte im Streitjahr 1971 u. a. der K KG in Berlin ein verzinsliches Darlehen, für das die Kreditanstalt für Wiederaufbau bürgte. Für ein ebenfalls im Streitjahr der T AG in Berlin überlassenes verzinsliches Darlehen bürgte die Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik). Beide Darlehen wurden außerdem hypothekarisch gesichert.

Für beide Darlehen gewährte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) bei der Körperschaftsteuerveranlagung 1971 die von der Klägerin beantragte Steuerermäßigung nach § 17 Abs. 2 des Gesetzes zur Förderung der Berliner Wirtschaft (BerlinFG).

Im Jahre 1974 wurden in beiden Darlehensfällen die hypothekarisch belasteten Grundstücke zwangsversteigert. In beiden Fällen fielen die Hypotheken der Klägerin aus. Daraufhin zahlten die Bürgen die Darlehenswerte an die Klägerin.

Das FA sah in diesen Leistungen der Bürgen eine vorzeitige Rückzahlung der Darlehen i. S. von § 17 Abs. 3 Satz 3, 1. Halbsatz BerlinFG und erhöhte in geänderten Körperschaftsteuerbescheiden 1971 die Körperschaftsteuer.

Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1981, 68 veröffentlicht.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts.

Die Klägerin beantragt (sinngemäß), das angefochtene Urteil aufzuheben und die Körperschaftsteuer 1971 um 1.306.666 DM herabzusetzen.

Der Bundesminister der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren beigetreten. Er vertritt im wesentlichen die Auffassung, die umstrittenen Darlehen seien vorzeitig zurückgezahlt worden. Die Klägerin habe die als Darlehen hingegebenen Beträge in vollem Umfang zurückerhalten. Dieser bloße Rückfluß von Geld sei als Rückzahlung i. S. von § 17 Abs. 3 Satz 3 BerlinFG zu werten.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist begründet. Der umstrittene Sachverhalt ist nicht als steuerschädliche vorzeitige Rückzahlung der Darlehen zu werten.

1. Nach § 17 Abs. 2 BerlinFG ermäßigt sich bei unbeschränkt Steuerpflichtigen, die verzinsliche Darlehen mit einer Laufzeit von mindestens 25 Jahren zur Förderung bestimmter baulicher Maßnahmen in Berlin (West) gewähren, die Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer für den Veranlagungszeitraum der Hingabe um 20 v. H. der hingegebenen Darlehen. Die Steuerermäßigung wird unter der Bedingung gewährt, daß eine vorzeitige Rückzahlung der Darlehen nicht stattfindet (§ 17 Abs. 3 Satz 3, 1. Halbsatz BerlinFG).

2. Aus den tatsächlichen Feststellungen des FG ist zu folgern, daß die Bürgen ihre Bürgschaftsschulden gegenüber der Klägerin vorzeitig getilgt haben und daß die fortbestehenden Hauptforderungen auf die Bürgen übergegangen sind.

a) Die umstrittenen Darlehen i. S. von § 17 Abs. 2 BerlinFG haben eine Laufzeit von mindestens 25 Jahren. Das FG hat nicht festgestellt, daß eine vorzeitige Fälligkeit - z. B. durch eine außerordentliche Kündigung - eingetreten ist. Vielmehr stellte das FG fest, daß die Klägerin bei einer Zwangsversteigerung der belasteten Grundstücke mit ihren Hypothekendarlehen ausgefallen sei. Diese Formulierung läßt den Schluß zu, daß die dinglichen Sicherungsrechte der Klägerin gemäß § 91 Abs. 1 des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung (ZVG) erloschen sind. Die Darlehen mit ihrer fortbestehenden Sicherung durch die Bürgschaften (vgl. § 1 Nr. 2 des Hypothekenbankgesetzes) wurden dadurch nicht berührt (vgl. Urteil des Reichsgerichts - RG - vom 23. Juni 1897 V. 51/97, RGZ 39, 322).

b) Zwar mögen die dinglichen Ansprüche der Klägerin im Versteigerungsverfahren gemäß § 111 Satz 1 ZVG als fällig gegolten haben (vgl. Steiner/Riedel, Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung, 8. Aufl. 1976, § 111 Anm. 1 und 2). Daraus kann aber keine Fälligkeit zum Nachteil des Bürgen hergeleitet werden. Umgekehrt tritt die Fälligkeit auch nicht zum Vorteil des Bürgen in dem Sinne ein, daß er vom Gläubiger die Annahme der an sich noch nicht fälligen Leistung fordern könnte (vgl. RG-Urteil vom 18. März 1915 VI. 591/14, Seuffert's Archiv, Bd. 70, Nr. 233, S. 427; Staudinger/Horn, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 12. Aufl. 1982, Vorbem. 60 zu §§ 765 bis 778).

c) Mangels Fälligkeit der Hauptschuld ist davon auszugehen, daß die Bürgen mit Einverständnis der Klägerin vorzeitig auf ihre Bürgschaftsschuld geleistet haben. Befriedigt der Bürge den Gläubiger, bevor dessen Forderung fällig ist, so geht diese auf den Bürgen als eine noch nicht fällige über (Planck/Oegg, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, II. Bd., 2. Hälfte, 4. Aufl. 1928, § 774 Anm. 2c).

3. Dieser durch die vorzeitige Leistung der Bürgen bewirkte Inhaberwechsel der fortbestehenden Hauptforderung kann nicht einer steuerschädlichen vorzeitigen Rückzahlung gleichgesetzt werden. Der Vorgang ist mit einer rechtsgeschäftlichen (entgeltlichen) Abtretung vergleichbar (vgl. auch § 774 i. V. m. § 412 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -; Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 18. Mai 1961 VII ZR 39/60, BGHZ 35, 172).

a) Mit der Frage, ob in der entgeltlichen Abtretung eines Darlehens i. S. von § 16 des Berlinhilfegesetzes (BHG) 1964 eine steuerschädliche vorzeitige Rückzahlung des Darlehens zu sehen ist, hat sich der Bundesfinanzhof (BFH) im Urteil vom 22. Juni 1978 IV R 99/74 (BFHE 126, 97, BStBl II 1979, 2) befaßt. Danach spricht der Sinn des Wortes "Rückzahlung" gegen eine Gleichbehandlung von "echter" Rückzahlung und Abtretung.

b) Der BFH brauchte im vorgenannten Urteil (BFHE 126, 97, BStBl II 1979, 2) nicht zu entscheiden, ob eine unterschiedliche steuerrechtliche Behandlung von Rückzahlung und entgeltlicher Abtretung angesichts des Kreditaufnahmeverbots zu einem sinnwidrigen Ergebnis führen könnte. Dies kann auch im Streitfall dahinstehen, weil § 17 Abs. 2 BerlinFG auch dann anzuwenden ist, wenn die Darlehen in wirtschaftlichem Zusammenhang mit einem Kredit stehen (vgl. § 17 Abs. 3 Satz 2 BerlinFG; BFH-Urteil vom 25. Oktober 1979 VIII R 153/78, BFHE 129, 342, BStBl II 1980, 352).

c) Die entgeltliche Abtretung steht dem Förderungszweck des § 17 BerlinFG nicht entgegen. Die Abtretung des Rückforderungsanspruches aus der Darlehensgewährung berührt nicht die durch den Darlehensvertrag begründete Rechtsstellung (Zinssatz, Laufzeit) des Schuldners. Der Gläubiger wird regelmäßig im Ergebnis keine Vorteile aus einer entgeltlichen Abtretung haben. Zwar kann er über das Entgelt frei verfügen, es z. B. erneut für ein Darlehen nach §§ 16, 17 BerlinFG verwenden und dafür die Steuerermäßigung in Anspruch nehmen. Der Erwerber des Darlehens wird jedoch in der Regel seine Renditeerwartung nach den vorgegebenen Darlehensbedingungen (und der bei ihm nicht anfallenden Steuerermäßigung) abwägen und möglicherweise nicht bereit sein, die Forderung zum Nennbetrag zu erwerben. Erwirbt - wie im Streitfall - der Bürge den Rückforderungsanspruch aus der Darlehensgewährung, für den er einzustehen hätte, sind auch andere Interessen denkbar, z. B. nicht (weiter) für entstehende Zinsansprüche des bisherigen Gläubigers einstehen zu müssen, wenn der Bürgschaftsvertrag eine entsprechende Verpflichtung enthält.

4. Die Frage, welche Folgen eine vorzeitige Darlehensrückzahlung an den neuen Gläubiger hätte, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.