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BFH-Urteil vom 19.12.1984 (I R 7/82) BStBl. 1985 II S. 485

Bestreitet der Kläger, daß ein Steuerbescheid an dem in den Steuerakten vermerkten Datum zur Post gegeben wurde, dann hat das FG das Datum der tatsächlichen Aufgabe zur Post zu ermitteln. Gegebenenfalls hat es in freier Beweiswürdigung darüber zu befinden, ob der Bearbeiter, der das Datum der Aufgabe zur Post in den Steuerakten vermerkte, angesichts des im FA geregelten Postabsendeverfahrens den vermerkten Absendetag hinreichend sicher voraussagen konnte.

AO § 91 Abs. 1; VwZG § 17 Abs. 2.

Vorinstanz: FG Düsseldorf

Sachverhalt

I.

Unter dem 20. April 1976 erließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) gegenüber der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) geänderte Körperschaftsteuerbescheide 1970 bis 1972, denen die Ergebnisse einer in den Jahren 1974 und 1975 durchgeführten Betriebsprüfung zugrunde lagen. Gegen die Bescheide legte die Klägerin am 11. Juni 1976 Einspruch ein. Mit dem Einspruch trug sie vor, der Sammelbescheid sei bei ihr erst am 2. Juni 1976 eingegangen.

Das FA verwarf den Einspruch als unzulässig, weil er verspätet eingelegt worden sei. Die Klage blieb ohne Erfolg.

Mit der Revision rügt die Klägerin mangelnde Sachverhaltsaufklärung sowie Verstöße gegen die Denkgesetze und gegen die allgemeinen Erfahrungssätze. Sie beanstandet, daß das Finanzgericht (FG) das Datum der Aufgabe der Bescheide zur Post nicht festgestellt habe.

Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

III.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zwecks anderweitiger Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die vom FG in tatsächlicher Hinsicht getroffenen Feststellungen tragen die Vorentscheidung nicht.

Der Einspruch der Klägerin ist nur dann unzulässig, wenn er verspätet eingelegt wurde und Nachsicht gemäß § 86 der Reichsabgabenordnung (AO) nicht gewährt werden kann. Nach den den erkennenden Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) legte die Klägerin den Einspruch am 11. Juni 1976 ein. Die Frage, ob an diesem Tag die Frist für die Einlegung des Einspruchs (§ 236 Abs. 1 AO) bereits abgelaufen war, hängt wesentlich davon ab, wann sie zu laufen begonnen hat. Gemäß § 236 Abs. 1 i. V. m. §§ 228 und 229 AO beginnt die Frist für die Einlegung eines Einspruchs mit der Bekanntgabe des anzufechtenden Steuerbescheides. Gemäß § 91 Abs. 1 AO vollzieht sich die Bekanntgabe eines Steuerbescheides grundsätzlich durch den tatsächlichen Zugang gegenüber demjenigen, für den der Bescheid seinem Inhalt nach bestimmt ist. § 91 Abs. 1 AO wird durch § 17 Abs. 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Mai 1972 (BGBl I 1972, 789, BStBl I 1972, 396) dahin gehend ergänzt, daß bei Zusendung des Steuerbescheides durch einfachen Brief der tatsächliche Zugang gegenüber dem Adressaten des Briefs mit dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post vermutet wird (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 7. Oktober 1976 VIII R 76/72, BFHE 120, 142, BStBl II 1977, 133), es sei denn, daß das zuzusendende Schriftstück nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugeht. Gemäß § 17 Abs. 3 VwZG erfolgt die Aufgabe zur Post durch Einwerfen in einen Postbriefkasten oder durch Einlieferung bei der Postanstalt. Bei Einwurf in einen Straßenbriefkasten gilt der Tag der auf den Einwurf folgenden Leerung als Tag der Aufgabe zur Post. Gemäß § 17 Abs. 4 VwZG ist der Tag der Aufgabe zur Post in den Akten zu vermerken.

Aus den tatsächlichen Feststellungen des FG ergibt sich allenfalls mittelbar, daß die angefochtenen Körperschaftsteuerbescheide der Klägerin durch einfachen Brief zugesandt wurden. Vor allem aber hat das FG in seiner Entscheidung nicht den Tag der Aufgabe der Bescheide zur Post festgestellt. Entgegen der Auffassung des FA ergibt sich dieser Tag auch nicht aus dem vom FG festgestellten Datum des Bescheides. Das Datum des Bescheides hat die Funktion, die vom FA vorgenommene Steuerfestsetzung zeitlich zu fixieren und in diesem Sinne den Bescheid zu kennzeichnen. Das Datum der Aufgabe zur Post betrifft nur die Bekanntgabe des Steuerbescheides. Das Datum des Bescheides kann, muß aber nicht mit dem Tag der Aufgabe des Bescheides zur Post identisch sein. In der Praxis hängt dies regelmäßig davon ab, ob das Datum des Bescheides und der Tag der Aufgabe zur Post von demselben oder von verschiedenen Bearbeitern bestimmt wird. Da jedoch das FG diesbezügliche Feststellungen nicht getroffen hat, läßt das Datum des Bescheides im Streitfall keinen Rückschluß auf das Datum der Aufgabe zur Post zu.

Zwar ist der 20. April 1976 als Tag der Aufgabe zur Post in den Steuerakten vermerkt. Jedoch kann der erkennende Senat diesen Vermerk in tatsächlicher Hinsicht nicht verwerten (vgl. Beschluß des Großen Senats des BFH vom 17. Juli 1967 GrS 3/66, BFHE 91, 213, BStBl II 1968, 285), weil er das Vorbringen der Klägerin im Revisionsverfahren dahin versteht, daß sie die Richtigkeit des Vermerks bestreitet. In einem solchen Fall ist der Sachverhalt weiter aufzuklären. Die Aufklärung obliegt dem FG. Dieses wird insbesondere prüfen müssen, ob der 20. April 1976 als Datum der Aufgabe zur Post von einem Bearbeiter in den Akten vermerkt wurde, der die Absendung persönlich vornahm oder sich in anderer Weise von ihrem Vollzug überzeugte. In diesem Fall käme dem Vermerk ein erhöhter Beweiswert zu. Sollte dagegen der Vermerk von einem Bearbeiter stammen, der lediglich glaubte, den Tag der Aufgabe zur Post voraussagen zu können, dann wird das FG in freier Beweiswürdigung darüber befinden müssen, ob angesichts des im FA geregelten Postabsendeverfahrens damals eine solche Voraussage mit hinreichender Gewißheit gemacht werden konnte. Verbleibende Zweifel gehen in sinngemäßer Anwendung von § 17 Abs. 2 Halbsatz 2 VwZG zu Lasten der Behörde (vgl. auch Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., § 122 AO 1977 Anm. 6).