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BFH-Urteil vom 21.5.1985 (VII R 191/82) BStBl. 1985 II S. 488

Leistet ein Finanzamt an eine GmbH auf die von ihr zu Unrecht geltend gemachten Vorsteuerüberschüsse Auszahlungen, so ist die Rückforderung des Staates ein Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO 1977, der - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen der §§ 69, 34 AO 1977 - die Haftung des GmbH-Geschäftsführers begründet.

AO 1977 §§ 69, 34, 37; UStG 1973 §§ 15, 18 Abs. 2 Satz 4; UStG 1980 §§ 15, 18 Abs. 1.

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war Gesellschafter-Geschäftsführer einer Export-GmbH (GmbH). Für die GmbH schloß vor allem im Streitjahr 1979 ein zu diesem Zweck als freier Mitarbeiter eingestellter Kaufmann E, der über besondere Branchenkenntnisse verfügte, Import- und Exportgeschäfte großen Umfangs ab. Die GmbH machte in den Umsatzsteuervoranmeldungen Vorsteuerüberschüsse von mehr als 10 Mio. DM geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) zahlte - zum Teil nach einer Umsatzsteuersonderprüfung - die erklärten Beträge an die GmbH aus. Der Jahressteuerbescheid erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Danach wurde bei einer von der Staatsanwaltschaft veranlaßten Steuerfahndung festgestellt, daß die beteiligten Import- und Exportfirmen nicht existierten. Der Mitarbeiter E hatte die Geschäfte fingiert und gefälschte Dokumente vorgelegt. Die von der GmbH an ihre Lieferanten geleisteten Zahlungen flossen, was dem Kläger nicht bekannt war, dem Mitarbeiter zu.

Das FA änderte den Jahressteuerbescheid (§ 164 der Abgabenordnung - AO 1977 -) und erließ gegen den Kläger einen Haftungsbescheid über einen Rückforderungsanspruch von 1 Mio. DM. Es führte aus, daß eine weitergehende Inanspruchnahme des Klägers ermessensfehlerhaft wäre, da er einen höheren Betrag nicht aufbringen könnte.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es hob den Haftungsbescheid auf, da das Verhalten des Klägers bei Abgabe der unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldungen nicht von dem - hier allein in Betracht kommenden - Haftungstatbestand des § 69 AO 1977 erfaßt werde. Im übrigen habe der Kläger nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt. Es fehle jeder Anhaltspunkt dafür, daß der Kläger die Machenschaften des Mitarbeiters E durchschaut habe.

Mit der Revision beantragt das FA die Aufhebung des angefochtenen Urteils und Abweisung der Klage. Es rügt unrichtige Anwendung des § 69 AO 1977. Auch habe das FG zu Unrecht ein Verschulden des Klägers verneint.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

1. Der erkennende Senat kann sich allerdings nicht der Rechtsansicht des FG anschließen, eine Haftung nach § 69 AO 1977 scheide deshalb aus, weil der mit der Auszahlung von rd. 11,3 Mio. DM auf die geltend gemachten, rechtlich aber nicht bestehenden Vorsteuerabzugsbeträge dem Steuergläubiger in der nämlichen Höhe erwachsene Rückforderungsanspruch nicht von § 69 AO 1977 erfaßt werde und es schon aus diesem Grund an einer tatbestandlichen Haftungsvoraussetzung fehle. Diese Auffassung ist mit Wortlaut und Sinn des § 69 AO 1977 nicht zu vereinbaren. § 69 AO 1977 verweist wegen der - als Haftungsgrundlage in Betracht kommenden - Ansprüche auf "Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis" unter Bezugnahme (Klammerzusatz) auf § 37 AO 1977. Nach § 37 Abs. 1 i. V. m. § 37 Abs. 2 AO 1977 gehört zu diesen auch der Anspruch auf Rückzahlung einer ohne rechtlichen Grund gezahlten Steuervergütung. Darunter fällt auch der Vorsteuerabzugsanspruch, weil dieser seinem Wesen nach - unbeschadet seiner verfahrensrechtlichen Unselbständigkeit - ein Vergütungsanspruch ist (vgl. Schuhmann in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, Umsatzsteuergesetz (Mehrwertsteuer), Kommentar, 4. Aufl., Tz. 30 zu § 16 UStG; Umsatzsteuer-Richtlinien 1985 Ziff. 202 Abs. 6). Besteht er nicht, hat aber der Steuergläubiger - wie im Streitfall - in der - unzutreffenden - Annahme seines Bestehens seinerseits Auszahlungen an den Steuerschuldner vorgenommen, so erwächst dem Steuergläubiger eine Forderung auf Rückzahlung in gleicher Höhe und damit ein Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO 1977. Dabei kann es im Streitfall, in dem das FA hinsichtlich der betroffenen Jahressteuerfestsetzung 1979 einen formell wirksamen Änderungsbescheid (§ 164 AO 1977) erlassen hatte, auf sich beruhen, wann der Erstattungsanspruch entsteht, ob bereits im Zeitpunkt der Auszahlung (so Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., Tz. 14 zu § 37 AO 1977) oder erst mit der formell wirksamen Änderung des dieser zugrunde liegenden Verwaltungsaktes (so wohl Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung (AO 1977)/Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., Anm. 6 zu § 37 AO 1977). Jedenfalls unterscheidet sich der Erstattungsanspruch von den übrigen Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis dadurch, daß er die vorherige ohne rechtlichen Grund erfolgte Erfüllung eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis zur Voraussetzung hat (vgl. Kühn/Kutter/Hofmann, a. a. O.). Er stellt sich somit - ähnlich dem Rückforderungsanspruch des FA bei Berichtigung des Vorsteuerabzugs wegen Herabsetzung der Bemessungsgrundlage des an den Unternehmer bewirkten Umsatzes (§ 17 Abs. 1 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes 1967; vgl. hierzu Urteil des Bundesfinanzhofs vom 15. September 1983 V R 125/78, BFHE 139, 312, BStBl II 1984, 71) - als Umkehrung der sonstigen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 Abs. 1 AO 1977) dar, so daß die abgabenberechtigte Körperschaft Gläubigerin des Erstattungsanspruchs ist (vgl. Kühn/Kutter/Hofmann, a. a. O., unter Abs. 1 und Abs. 6). Daher fällt der genannte Erstattungsanspruch, also die Forderung auf Rückzahlung zu Unrecht geltend gemachter Vorsteuerabzugsbeträge, unter die in § 69 AO 1977 genannten Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis. Er ist deshalb - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen der Vorschrift - haftungsbegründend. Dieses Ergebnis entspricht auch dem Sinn des Gesetzes, weil mit der geänderten Wortfassung von § 69 AO 1977 - von der Einschränkung des Verschuldensmaßstabs abgesehen - eine inhaltliche Änderung gegenüber dem früheren § 109 der Reichsabgabenordnung nicht beabsichtigt war (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur AO 1977, BT-Drucks. VI/1982 S. 119; Kühn/Kutter/Hofmann, a. a. O., § 69 AO 1977 Anm. 1 und Anm. 3 a).

2. Fällt, wie vorstehend dargetan, der Erstattungsanspruch der Finanzbehörde unter die Vorschrift des § 69 AO 1977, so hängt im Streitfall deren Anwendung, also die Inanspruchnahme des Haftungsschuldners, davon ab, ob dem Kläger hinsichtlich der unrichtig deklarierten Vorgänge, die zu den Auszahlungen des FA geführt haben, eine schuldhafte Pflichtverletzung i. S. von § 69 AO 1977 anzulasten ist. Das ist zu verneinen (wird ausgeführt).