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BFH-Urteil vom 28.3.1985 (IV R 88/81) BStBl. 1985 II S. 508

1. Veräußert ein Land- und Forstwirt seinen Betrieb, so steht die unmittelbar auf die Veräußerung erfolgende Verpachtung des Betriebs durch den Erwerber an den Veräußerer der Gewährung der Tarifvergünstigung nach § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG i.V. m. § 14 EStG nicht entgegen.

2. Zur Frage, wann bei der Veräußerung eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs zurückbehaltene Grundstücksflächen eine wesentliche Betriebsgrundlage darstellen.

EStG § 14, § 34 Abs. 1 und 2 Nr. 1.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war Eigentümer eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs mit einer landwirtschaftlichen Nutzfläche von rd. 55 ha. Durch Vertrag vom 17. September 1970 verkaufte er zum 1. Oktober 1970 seinen landwirtschaftlichen Betrieb mit Inventar, dem Forstanteil und Anteilen an einer B-Fabrik. Er behielt rd. 3,5 ha Ackerland und rd. 3 ha Hutungen zurück und überführte rd. 3.000 qm Grundstücksfläche mit einem Landarbeiterwohnhaus sowie einen betrieblich genutzten PKW ins Privatvermögen. Zugleich schloß er mit dem Käufer einen Pachtvertrag, nach dem er den Betrieb bis zum Jahr 1982 pachtete. Die zurückbehaltenen Ackerflächen verpachtete der Kläger im Juni 1972; zugleich erklärte er dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) gegenüber die Überführung der Ackerflächen und der Hutungen in das Privatvermögen.

Der Kläger beantragte, den Gewinn aus der zum 1. Oktober 1970 erfolgten Veräußerung in Höhe von 94.290 DM bei der Einkommensteuerveranlagung 1970 nach §§ 14 und 34 des Einkommensteuergesetzes (EStG) tarifbegünstigt zu versteuern. Das FA lehnte diesen Antrag ab; es behandelte den Veräußerungsgewinn als laufenden Gewinn des Wirtschaftsjahrs 1970/71 und verteilte ihn zeitanteilig auf die Kalenderjahre 1970/71. Von den Veräußerungskosten ließ das FA den auf den Grund und Boden entfallenden Anteil bei der Gewinnermittlung gemäß § 55 Abs. 6 EStG nicht zum Abzug zu. Der Einspruch blieb ohne Erfolg, soweit er die Gewährung der Tarifvergünstigung des § 34 Abs. 1 und 2 EStG und den Abzug der dem Grund und Boden zuzurechnenden Veräußerungskosten betraf.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage teilweise statt. Es entschied in dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1982, 22 veröffentlichten Urteil, daß bei der Ermittlung des Gewinns aus der Veräußerung des land- und forstwirtschaftlichen Betriebsvermögens die auf den Grund und Boden entfallenden Veräußerungskosten nicht abgesetzt werden könnten, daß jedoch der Gewinn tarifbegünstigt nach den §§ 14 und 34 EStG zu versteuern sei.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Eine Betriebsveräußerung liege nicht vor, weil der Kläger 3,5 ha Ackerland, 3 ha Hutungen und eine rd. 3.000 qm große Grundstücksfläche mit einem Landarbeiterwohnhaus sowie einen Betriebs-PKW zurückbehalten habe. Die im Eigentum des Klägers verbliebenen Wirtschaftsgüter stellten noch einen landwirtschaftlichen Betrieb dar; deshalb seien nicht alle wesentlichen Grundlagen des Betriebs veräußert worden.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Einkommensteuer 1971 auf 46.387 DM festzusetzen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Das FG hat zutreffend entschieden, daß die Veräußerung des land- und forstwirtschaftlichen Betriebs des Klägers eine Betriebsveräußerung i. S. des § 14 EStG und nach § 34 Abs. 1 und 2 EStG tarifbegünstigt zu versteuern war.

Zum Wesen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes gehört - vereinfacht ausgedrückt - einerseits eine auf Gewinn gerichtete land- und forstwirtschaftliche Betätigung (Viehzucht, Ackerbau etc.) und andererseits ein land- und forstwirtschaftliches Betriebsvermögen, das der Betätigung als Grundlage dient und sie erst ermöglicht. Veräußerbar ist aber nur das Betriebsvermögen, nicht die Betätigung als solche. Knüpft daher das EStG an den Tatbestand der Betriebsveräußerung wegen der damit verbundenen Auflösung der stillen Reserven besondere steuerliche Folgen, so kann damit als entscheidendes Tatbestandsmerkmal nur die Veräußerung des Betriebsvermögens angesprochen sein. Infolgedessen ist eine Betriebsveräußerung i. S. des § 14 EStG stets dann zu bejahen, wenn das (wirtschaftliche) Eigentum an den Gegenständen bzw. Wirtschaftsgütern des land- und forstwirtschaftlichen Betriebsvermögens entgeltlich in einem einheitlichen Vorgang auf den Erwerber übertragen wird. Die Einstellung oder Beendigung der land- und forstwirtschaftlichen Betätigung durch den Veräußerer ist grundsätzlich kein Kriterium der Betriebsveräußerung. Wesentlich ist allein, daß das Eigentum an allen wesentlichen Betriebsgrundlagen übergeht (BFH-Urteile vom 24. Januar 1973 I R 156/71, BFHE 108, 111, BStBl II 1973, 219; vom 24. Juni 1976 IV R 199/72, BFHE 119, 425, BStBl II 1976, 670) und es dem Erwerber möglich ist, den Betrieb fortzuführen; unerheblich ist es, ob er dies tatsächlich tut. Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor.

a) Durch den Kaufvertrag vom 17. September 1970 und seine Erfüllung ist das rechtliche und wirtschaftliche Eigentum an den übertragenen Wirtschaftsgütern auf den Erwerber übergegangen. Dem steht die Verpachtung des Betriebs an den Kläger nicht entgegen; durch die Verpachtung ist das wirtschaftliche Eigentum an dem Betrieb nicht beim Verpächter geblieben.

b) Wirtschaftsgüter bilden für einen Betrieb vor allem dann eine wesentliche Grundlage, wenn sie zur Erreichung des Betriebszwecks erforderlich sind und ein besonderes Gewicht für die Betriebsführung besitzen. Behält bei der Veräußerung eines landwirtschaftlichen Betriebs ein Landwirt landwirtschaftlich genutzte Grundstücksflächen in einem erheblichen Umfang zurück, so können diese Flächen eine wesentliche Betriebsgrundlage darstellen; die Rechtsprechung des BFH hat beim Zurückbehalten von mehr als 40 v.H. des landwirtschaftlich genutzten Grund und Bodens in der Regel das Vorliegen einer wesentlichen Betriebsgrundlage bejaht (Urteil vom 9. Juli 1981 IV R 101/77, BFHE 134, 110, BStBl II 1982, 20). Im Fachschrifttum wird die Auffassung vertreten, daß, wenn die nicht veräußerten landwirtschaftlichen Grundstücksflächen nicht mehr als 10 v.H. ausmachen, diese im allgemeinen nicht als wesentliche Betriebsgrundlagen angesehen werden können (Leingärtner/Zaisch, Die Einkommensbesteuerung der Land- und Forstwirtschaft, Rdnr. 1.298; Felsmann, Einkommensbesteuerung der Land- und Forstwirte, 3. Aufl., Abschn. A, Rdnr. 589). Diese prozentualen Grenzen können aber nur Anhaltspunkte sein, bei denen die absoluten Größen und die Bonität der Grundstücke nicht außer acht gelassen werden dürfen. Danach kommt es unabhängig vom Übersteigen der Grenzen von 10 v.H. und vom Unterschreiten der Grenze von 40 v.H. wesentlich auf die Umstände des Einzelfalles an.

In der Streitsache betrugen die nicht veräußerten Grundstücksflächen etwa 12 v.H. des gesamten Grund und Bodens des landwirtschaftlichen Betriebs des Klägers. Hierzu hat das FG festgestellt, daß die zurückbehaltenen Flächen insgesamt von untergeordneter Bedeutung und deshalb keine wesentlichen Betriebsgrundlagen seien. Diese Feststellungen und die sich daraus ergebende Tatsachenwürdigung sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das FG konnte insbesondere deshalb zu dieser Würdigung gelangen, weil ein erheblicher Teil der nicht veräußerten Flächen in Hutungen - also in landwirtschaftlich wertlosem oder geringwertigem Weideland - bestand. Da außer dem zum Abbruch vorgesehenen Landarbeiterwohnhaus und einem PKW keine weiteren Wirtschaftsgüter zurückbehalten wurden, hat das FG zutreffend entschieden, daß der Kläger mit dem Vertrag vom 17. September 1970 alle wesentlichen Betriebsgrundlagen auf den Erwerber übertragen hat.

c) Dem FG ist auch darin beizupflichten, daß die Verpachtung des Betriebs an den Kläger die Anwendung der Vorschriften des § 34 Abs. 1 und des Abs. 2 Nr. 1 EStG sowie des § 14 EStG nicht ausschließt (ebenso L. Schmidt, Einkommensteuergesetz, Kommentar, 3. Aufl., § 16 Anm. 10). Wie sich schon aus den eingangs gemachten Ausführungen ergibt, wird der Eintritt der Tatbestandsvoraussetzungen des § 14 EStG und des § 34 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 EStG - nämlich die entgeltliche Übertragung des (wirtschaftlichen) Eigentums am Betriebsvermögen auf den Erwerber mit einkommensteuerrechtlicher Wirkung nicht dadurch rückgängig gemacht, daß durch einen im zeitlichen Zusammenhang mit der Veräußerung stehenden Vertrag die übereigneten Wirtschaftsgüter an den Übereigner verpachtet werden, und dieser damit die land- und forstwirtschaftliche Betätigung fortsetzt. Im gewerblichen Bereich können die Verhältnisse dann anderes liegen, wenn wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter (z.B. die Firma und der Kundenstamm) zurückbehalten und bei der fortgesetzten gewerblichen Betätigung eingesetzt werden (so verhielt es sich im Fall des BFH-Urteils vom 3. Oktober 1984 I R 119/81, BFHE 142, 433, BStBl II 1985, 245).

Dieses Ergebnis entspricht auch dem Sinn und Zweck der §§ 14 und 34 Abs. 1 und 2 Nr. 1 EStG. Nach der Zwecksetzung dieser Vorschriften wird der Veräußerungsgewinn steuerlich begünstigt, weil alle stillen Reserven eines Betriebs aufgedeckt und in einem Veranlagungszeitraum versteuert werden und damit in voller Schärfe der Steuerprogression unterliegen. Die Veräußerung des gesamten Betriebsvermögens und die damit verbundene geballte Realisierung der stillen Reserven rechtfertigt gemäß §§ 14, 16 EStG die Gewährung der Tarifvergünstigung des § 34 Abs. 1 und 2 EStG ohne Rücksicht darauf, ob der Veräußernde die land- und forstwirtschaftliche Betätigung als Pächter "fortsetzt' oder nicht. Daß die Fortsetzung derselben betrieblichen Betätigung der Annahme einer Betriebsveräußerung nicht entgegensteht, wird besonders deutlich, wenn der Inhaber zweier gleichartiger land- und forstwirtschaftlicher Teilbetriebe einen Teilbetrieb im ganzen veräußert und den anderen fortführt. Insoweit weist das FG zu Recht darauf hin, daß auch der Steuerpflichtige, der seinen gesamten Betrieb in eine Mitunternehmerschaft einbringt, den durch Auflösung der stillen Reserven entstehenden Gewinn tarifbegünstigt versteuern kann (§ 24 Abs 3 des Umwandlungs-Steuergesetzes), obwohl er seine betriebliche Tätigkeit weiterhin als Mitunternehmer fortsetzt.

Es kann auch nicht der Auffassung des FA gefolgt werden, daß der veräußerte Betrieb und der gepachtete Betrieb identisch seien. Zwar hat der BFH (Urteil vom 24. Juni 1976 IV R 200/72, BFHE 119, 430, BStBl II 1976, 672) entschieden, daß im Fall einer Betriebsaufgabe und Neueröffnung eines Betriebs die Identität bejaht werden müsse, wenn wesentliche Betriebsgrundlagen mit erheblichen stillen Reserven ohne deren Realisierung in den neuen Betrieb überführt würden. Diese Voraussetzungen liegen aber im Streitfall nicht vor. Werden, wie vorliegend, die wesentlichen Grundlagen eines Betriebs unter Auflösung der stillen Reserven veräußert und verpachtet der Erwerber das Betriebsvermögen an den Veräußerer zurück, kann eine Identität zwischen dem veräußerten und dem gepachteten Betrieb wegen Fehlens der Identität der wesentlichen Betriebsgrundlagen nicht angenommen werden.