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BFH-Urteil vom 18.7.1985 (IV R 59/83) BStBl. 1985 II S. 655

Die Berufstätigkeit eines beratenden Volkswirts ist nicht "wissenschaftlich" i. S. des § 34 Abs. 4 EStG, auch wenn sie in der Abfassung von Gutachten und volkswirtschaftlichen Analysen besteht.

EStG 1974 § 34 Abs. 4.

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute. In den Streitjahren 1974 bis 1978 war der Kläger, der den Grad eines Diplom-Volkswirts hat, als Dozent im Fachbereich Wirtschaftswissenschaften an der Universität . . . nichtselbständig tätig. Außerdem war er während dieser Zeit u. a. an der I-GmbH zu 50 v. H. (ab 1976: zu 100 v. H.) beteiligt. Gegenstand der I-GmbH war die Planung von Infrastrukturprojekten und die Beratung von Unternehmen, die sich mit deren Durchführung und Abwicklung befassen, sowie die Beteiligung an solchen Unternehmen. Der Kläger wurde für die I-GmbH als selbständiger Mitarbeiter tätig und erhielt hierfür Vergütungen. Seine Mitarbeit bestand im wesentlichen in der Erarbeitung von Standort- und Wirtschaftlichkeitsanalysen und in der Abfassung von Gutachten über die Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit bestimmter Baumaßnahmen. Außerdem war der Kläger beim "Förderkreis für . . ." (Förderkreis) tätig; dort bestand seine Aufgabe in der beratenden Mitwirkung bei der Seminarprogrammgestaltung des Förderkreises.

In der Einkommensteuererklärung für 1974 bezeichneten die Kläger die Vergütungen der I-GmbH und des Förderkreises als Einkünfte aus wissenschaftlicher Tätigkeit und beantragten hierfür die Steuerermäßigung nach § 34 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG). In den Einkommensteuererklärungen für 1975 bis 1978 beantragten sie die Steuerermäßigung nach § 34 Abs. 4 EStG nur noch für die von der I-GmbH bezogenen Einkünfte.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) lehnte die Anträge auf Steuerermäßigung in den Bescheiden über die Einkommensteuerfestsetzung 1974 bis 1978 ab.

Die Einsprüche und Klagen hatten keinen Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) führte sinngemäß aus, der Kläger habe die Steuerermäßigung nach § 34 Abs. 4 EStG für seine Tätigkeit bei der von ihm beherrschten I-GmbH schon deshalb nicht in Anspruch nehmen können, weil es sich insoweit um gewerbliche Einkünfte gehandelt habe. Der Kläger habe sich von der I-GmbH, die wegen ihrer Rechtsform nur gewerblich tätig sein konnte, die an sie erteilten Aufträge übertragen lassen. Durch eine solche Handhabung könnten die an sich gewerblichen Einkünfte der Gesellschaft nicht in wissenschaftliche Nebeneinkünfte des Klägers umgewandelt werden. Aber auch wenn man die Honorare der I-GmbH nicht als gewerblichen Gewinn ansehe, sei die Steuervergünstigung nicht zu gewähren. In diesem Fall müßte man nämlich die Bezüge als Entgelt für eine praktische Berufstätigkeit des Klägers als beratender Volkswirt ansehen, für die es an der in § 34 Abs. 4 EStG geforderten Abgrenzbarkeit von den Einkünften aus der Berufstätigkeit fehle. Entsprechendes gelte auch für die Einkünfte aus seiner Tätigkeit für den Förderkreis.

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.

Er beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Einkommensteuer unter Anwendung eines ermäßigten Steuersatzes für die "Einkünfte aus wissenschaftlicher Nebentätigkeit" herabzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision hinsichtlich der Einkommensteuer für die Jahre 1975 bis 1978 ist unbegründet. Soweit die Revision das Jahr 1974 betrifft, ist die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.

Das FG hat zwar die Einkünfte des Klägers aus dessen Mitarbeit bei der I-GmbH im Ergebnis zu Recht nicht als Einkünfte aus wissenschaftlicher Tätigkeit i. S. des § 34 Abs. 4 EStG angesehen. Seine tatsächlichen Feststellungen zu der Frage, ob die Mitwirkung des Klägers bei der Seminarprogrammgestaltung des Förderkreises als wissenschaftlich anzusehen ist, reichen indessen für eine abschließende Entscheidung über die Gewährung der Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 4 EStG nicht aus; insofern bedarf es noch einer weiteren Sachverhaltsaufklärung durch das FG.

1. Die Tätigkeit des Klägers für die I-GmbH war nicht "wissenschaftlich" i. S. des § 34 Abs. 4 EStG.

a) Auf die steuerrechtliche Beurteilung seiner Einkünfte hat es allerdings keinen Einfluß, daß er im Auftrag einer von ihm beherrschten GmbH tätig war.

Auch wenn die Einkünfte einer GmbH gemäß § 16 der Körperschaftsteuer-Durchführungsverordnung (KStDV) (nunmehr: § 8 Abs. 2 des Körperschaftsteuergesetzes 1977 - KStG 1977 -) stets als Einkünfte aus Gewerbebetrieb zu behandeln sind, besteht doch kein Grund, die von der GmbH in Erfüllung ihres Gesellschaftszwecks an andere Personen gezahlten Vergütungen bei den Empfängern ebenfalls als gewerbliche Einkünfte zu beurteilen. Das gilt auch für Vergütungen, die eine GmbH an ihren beherrschenden Gesellschafter zahlt. Schuldrechtliche Verträge - insbesondere auch Dienstverträge - zwischen einem Gesellschafter und der von ihm beherrschten GmbH werden grundsätzlich auch steuerrechtlich anerkannt (sog. Trennungsprinzip; vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 28. April 1982 I R 51/76, BFHE 135, 519, BStBl II 1982, 612). Die einkommensteuerrechtliche Einordnung der Einkünfte, die der Gesellschafter von seiner Gesellschaft in diesem Zusammenhang erzielt, richtet sich nach den allgemeinen Vorschriften.

b) Es ist jedoch aus der Art der vom Kläger für die I-GmbH ausgeübten Tätigkeit zu entnehmen, daß ihm die Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 4 EStG nicht gewährt werden kann.

Nach § 34 Abs. 4 EStG ist ein tarifbegünstigter Steuersatz (§ 34 Abs. 1 EStG) unter gewissen Voraussetzungen anzuwenden auf "Nebeneinkünfte aus wissenschaftlicher . . . Tätigkeit". Hierzu gehören Einkünfte, die aus einer in § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG namentlich genannten freien Berufstätigkeit bezogen werden, nicht. Denn die praktische Berufstätigkeit bei den in dem Katalog des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG aufgeführten freien Berufen kann nicht der wissenschaftlichen Tätigkeit i. S. des § 34 Abs. 4 EStG gleichgestellt werden, selbst wenn sie auf wissenschaftlicher Grundlage und Vorbildung beruht (BFH-Urteil vom 8. Oktober 1981 IV R 202/79, BFHE 134, 291, BStBl II 1982, 118, m. w. N.). Das muß insbesondere auch für die praktische Berufstätigkeit der in § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG genannten "beratenden Volks- und Betriebswirte" gelten.

Es gibt allerdings kein ausgeprägtes Berufsbild des beratenden Volks- und Betriebswirts (vgl. BFH-Urteile vom 12. August 1965 IV 61/61, 100/61, 336/64 U, BFHE 83, 237, BStBl III 1965, 586, und vom 16. Januar 1974 I R 106/72, BFHE 111, 316, BStBl II 1974, 293). Der gesetzliche Begriff besagt nur, daß der Berufsinhaber eine bestimmte Ausbildung absolviert haben muß.

Bei einem Volkswirt besteht sie aus einem Hochschulstudium, das im allgemeinen mit einem Diplom ("Diplom-Volkswirt") abgeschlossen wird. Zu den Gegenständen, die dem Volkswirt im Rahmen seines Studiums vermittelt werden, gehören u. a. die Erkenntnisse über die wirtschaftlichen Zusammenhänge, das Wissen von den Produktionsfaktoren, den Marktstrukturen, der Preisbildung usw. Darüber hinaus vermittelt die angewandte oder praktische Volkswirtschaftslehre Einsichten in die bestmöglichen Wege zur Erreichung eines wirtschaftlichen Ziels. Die in diesem Bereich vermittelten Erkenntnisse bieten vielfach die Grundlage für spätere Beratungen in volkswirtschaftlichen Fragen.

In welcher Form sich eine beratende Tätigkeit zu vollziehen hat, um dem Berufsbild des beratenden Volkswirts zu entsprechen, kann dem Wortlaut des Gesetzes nicht entnommen werden. Auf keinen Fall läßt sich aber eine analytische oder gutachtende Beratertätigkeit aus diesem Berufsbild ausklammern. Meistens wird der Berater in volkswirtschaftlichen Fragen von verschiedenen Gestaltungs- und Verhaltensmöglichkeiten auszugehen und dem Ratsuchenden die Vor- und Nachteile jeder Lösung darzustellen haben (vgl. Grube, Steuer und Wirtschaft 1981, 34). Daraus kann sich unter den jeweiligen Umständen die Notwendigkeit zu einer eingehenden gutachtlichen Stellungnahme ergeben.

Die Tätigkeit des Klägers, die er im Auftrag der I-GmbH erbracht hat, entspricht ihrem Inhalt nach den Dienstleistungen, die üblicherweise von Volkswirten bei einer Beratung erbracht werden. Es handelt sich um die Erarbeitung von Standort- und Wirtschaftlichkeitsanalysen sowie um die Abfassung von Gutachten über die Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit bestimmter Baumaßnahmen. Es besteht kein Zweifel, daß die Arbeiten des Klägers auf wissenschaftlicher Grundlage, nämlich auf den Erkenntnissen der Volkswirtschaftslehre, beruhen. Gleichwohl kann seine Tätigkeit nicht als "wissenschaftlich" i. S. des § 34 Abs. 4 EStG angesehen werden. Auch wenn die von ihm erbrachten Leistungen im Einzelfall die Gestalt größerer Gutachten angenommen haben, konnte seine Tätigkeit dadurch nicht den Charakter einer volkswirtschaftlichen Beratung - und damit einer praktischen Berufstätigkeit - verlieren. Ziel seiner Tätigkeit war es in jedem Fall, Lösungsvorschläge zu einer volkswirtschaftlichen Frage zu geben. Er hat damit - trotz des möglicherweise erheblichen Umfangs seiner Darlegungen - den Rahmen der praktischen Berufstätigkeit nicht verlassen (zur Gutachtertätigkeit eines Arztes, die ebenfalls seiner praktischen Berufstätigkeit zugerechnet wird, vgl. BFH-Urteil vom 27. März 1980 IV R 48/75, BFHE 130, 328).

2. Dagegen ist eine abschließende Würdigung der Frage, ob die im Jahre 1974 vom Kläger erzielten Einkünfte aus seiner Tätigkeit für den Förderkreis als "wissenschaftlich" i. S. des § 34 Abs. 4 EStG anzusehen sind, aufgrund der bisherigen Sachverhaltsfeststellungen des FG nicht möglich. Das Urteil des FG muß deshalb insoweit aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen werden.

Das FG hat die Vergünstigung des § 34 Abs. 4 EStG für die Einkünfte aus dieser Tätigkeit abgelehnt, weil es ohne die hierzu erforderlichen Feststellungen zu der Auffassung gelangt ist, die Tätigkeit habe dem Berufsbild eines beratenden Volks- oder Betriebswirts entsprochen oder sie sei doch zumindest einem solchen Beruf ähnlich gewesen. Das FG hat eine Prüfung darüber unterlassen, worin die Tätigkeit im einzelnen bestand und ob es sich insoweit nicht um eine von der übrigen Berufstätigkeit des Klägers abgrenzbare wissenschaftliche Tätigkeit handelte. Hierzu wird das FG noch die nötigen Sachverhaltsfeststellungen nachzuholen haben.