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BFH-Urteil vom 19.11.1985 (II R 173/83) BStBl. 1986 II S. 76

§ 29 RSiedlG ist durch § 25 Abs. 12 GrEStG 1983 aufgehoben worden.

RSiedlG § 29; GrEStG 1983 § 25 Abs. 12.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

I.

Die Klägerin kaufte am 15. Februar 1983 Grundstücke in Niedersachsen. Sie versicherte gemäß § 29 des Reichssiedlungsgesetzes (RSiedlG), "daß ein Siedlungsverfahren im Sinne des Reichssiedlungsgesetzes vorliegt und daß nachstehender Kaufvertrag zur Durchführung dieses Verfahrens erfolgt".

Das beklagte Finanzamt (FA) setzte gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) 1983 Grunderwerbsteuer fest. Den Einspruch, mit welchem die Klägerin Steuerbefreiung nach § 29 RSiedlG begehrte, wies es als unbegründet zurück; die genannte Vorschrift sei gemäß § 25 Abs. 12 GrEStG außer Kraft getreten.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab.

Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet.

Das FG ist zu dem Ergebnis gekommen, daß die Klägerin keine Steuerbefreiung nach § 29 RSiedlG in Anspruch nehmen kann; die genannte Vorschrift sei gemäß § 25 Abs. 12 GrEStG 1983 mit Ablauf des 31. Dezember 1982 außer Kraft getreten. Diese Entscheidung ist rechtsfehlerfrei.

1. § 29 RSiedlG war - soweit er die Grunderwerbsteuer betraf - eine grunderwerbsteuerrechtliche Vorschrift eines Landes - hier des Landes Niedersachsen -, wie sie § 25 Abs. 12 GrEStG voraussetzt.

a) Nach dem Grundgesetz (GG) wurde § 29 RSiedlG in seinem grunderwerbsteuerrechtlichen Regelungsbereich bei Zusammentritt des Bundestages (vgl. Art. 123 Abs. 1 GG) Landesrecht. Denn als ehemaliges Reichsrecht war die Vorschrift hinsichtlich der Grunderwerbsteuer weder nach Art. 124 noch nach Art. 125 GG Bundesrecht geworden; die Gesetzgebung über die Grunderwerbsteuer war gemäß Art. 105 Abs. 2 Nr. 1 GG in der vor dem 1. Januar 1970 geltenden Fassung und Art. 70 Abs. 1 GG vielmehr ausschließlich den Ländern zugewiesen.

Die Klägerin meint, das RSiedlG sei als geschlossene, zum Siedlungs- und Heimstättenwesen gehörige Rechtsmaterie Bundesrecht geworden. Denn diese selbständige und in sich abgeschlossene Rechtsmaterie sei einer Trennung in Angelegenheiten der öffentlichen Sicherheit und Ordnung einerseits und etwa dem Recht der Wirtschaft oder der Steuer andererseits nicht zugänglich gewesen.

Der Senat schließt sich dieser Auffassung nicht an. Auch die von der Klägerin behauptete geschlossene Rechtsmaterie ändert nichts daran, daß § 29 RSiedlG teilweise das Grunderwerbsteuerrecht betraf und es dem System des GG schlechthin widerspricht, diese gesetzliche Regelung zum maßgebenden Stichtag (Art. 123 Abs. 1 GG) nunmehr als Bundesrecht anzusehen. Eine bis dahin in einem Gesetz geregelte Rechtsmaterie brauchte nach den Art. 124 und 125 GG nicht geschlossen Bundesrecht zu werden, sondern sie konnte auch teilweise als Bundesrecht und teilweise als Landesrecht fortgelten (vgl. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 1. Dezember 1954 2 BvG 1/54, BVerfGE 4, 115, 131, und vom 30. Mai 1972 2 BvO 1, 2/69 und 1, 2/70, BVerfGE 33, 206, 217). Demnach konnte auch § 29 RSiedlG in seinem grunderwerbsteuerlichen Regelungsbereich Landesrecht werden, obwohl die Vorschrift in anderen Regelungsbereichen (z. B. hinsichtlich der Umsatzsteuerbefreiung) gemäß Art. 105 Abs. 2 und Art. 125 GG ebenso Bundesrecht wurde wie die übrigen Vorschriften des RSiedlG gemäß Art. 74 Nr. 18 und Art. 125 GG (vgl. dazu Schmidt-Bleibtreu/Klein, Kommentar zum Grundgesetz, 6. Aufl., 1983, Art. 74 Rdnr. 38).

b) Art. 1 Nr. 3 Buchst. a des Finanz-Reformgesetzes vom 12. Mai 1969 (BGBl I 1969, 359) hat auf die Beurteilung des vorliegenden Falles keinen Einfluß. Zwar wurde ab 1. Januar 1970 entsprechend dem geänderten Art. 105 Abs. 2 i. V. m. Art. 72 Abs. 2 GG die konkurrierende Gesetzgebung über die Grunderwerbsteuer dem Bund zugewiesen. Damit wurden aber nicht die bisherigen gesetzlichen Regelungen über die Grunderwerbsteuer zu Bundesrecht. Das GG i. d. F. des Finanz-Reformgesetzes ordnet keine derartige Fiktion an.

2. a) Durch § 25 Abs. 12 GrEStG 1983 wurde § 29 RSiedlG als grunderwerbsteuerrechtliche Vorschrift des Landes Niedersachsen mit Ablauf des 31. Dezember 1982 außer Kraft gesetzt. Dabei kann offenbleiben, ob sich diese Rechtsfolge aus Satz 1 oder Satz 2 des genannten Absatzes 12 ergibt. Befreite § 29 RSiedlG noch von weiteren der Niedersächsischen Landesgesetzgebung unterliegenden Gebühren oder Abgaben, so greift Satz 2 ein, andernfalls gilt Satz 1. Für die Entscheidung des vorliegenden Falles ist das ohne Bedeutung.

b) Der Senat sieht keinen Grund zu der Annahme, daß nach dem Willen des Gesetzgebers die Generalklausel des § 25 Abs. 12 GrEStG entgegen ihrem eindeutigen Wortlaut § 29 RSiedlG in seinem grunderwerbsteuerrechtlichen Regelungsbereich nicht erfassen soll. Ob das andernfalls für die Auslegung des Gesetzes von Bedeutung wäre, mag daher offenbleiben.

Der Gesetzentwurf des Bundesrates zum GrEStG zählte in seinem § 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a bis h die aufzuhebenden bundesrechtlichen Vorschriften einzeln auf, während in den Buchst. i und j die Gesetze der Länder insgesamt durch eine Generalklausel erfaßt wurden (vgl. BT-Drucks. 9/251, 9. Wahlperiode). In einer Anlage zur Begründung zu § 24 wurden die landesrechtlichen Vorschriften im einzelnen aufgeführt. Für das Land Niedersachsen war hier unter Nr. 13 auch § 29 RSiedlG genannt.

Der Finanzausschuß des Bundestages schlug dagegen vor, aus rechtsförmlichen Gründen auch die aufzuhebenden Ländervorschriften einzeln im Gesetz aufzuzählen, was in § 25 Abs. 1 bis 11 der vom Finanzausschuß empfohlenen Gesetzesfassung geschah. In dieser Fassung war § 29 RSiedlG nicht genannt. Daß dies bewußt geschah, weil die Vorschrift weiter gelten sollte, ist aber nicht erkennbar. Denn der Finanzausschuß empfahl gleichzeitig, als Abs. 12 "aus Sicherheitsgründen eine Generalklausel über das Außerkrafttreten weiterer, in § 25 Abs. 1 bis 11 möglicherweise nicht genannter Vorschriften" aufzunehmen (Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 9/2114 S. 7). Diese empfohlene Generalklausel (vgl. BT-Drucks. 9/2104 S. 29) ist wörtlich als § 25 Abs. 12 GrEStG übernommen worden und schließt § 29 RSiedlG nicht aus.

Demnach geben der Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens und insbesondere der Bericht des Finanzausschusses zu seiner vorgenannten Empfehlung keinen Anhalt dafür, daß § 29 RSiedlG auch nach dem 31. Dezember 1983 weiter gelten sollte. Die Generalklausel des § 25 Abs. 12 GrEStG sollte ohne Einschränkung gelten. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß der Finanzausschuß in die von ihm vorgeschlagenen Abs. 1 bis 11 des § 25 GrEStG außer dem § 29 RSiedlG auch andere Vorschriften, die in der Anlage zu § 24 des Bundesratsentwurfs enthalten waren, nicht übernommen und trotzdem von der Generalklausel nicht ausgeschlossen hat. Diese Anlage nennt 28 niedersächsische Vorschriften, während der Finanzausschußentwurf ebenso wie das GrEStG in § 25 Abs. 7 für Niedersachsen nur 16 Vorschriften umfaßt. Auch bei den anderen Ländern wurde der Katalog der Anlage des Bundesratsentwurfs gegenüber dem Finanzausschußentwurf (und dem GrEStG) gekürzt. Hierzu heißt es in dem Bericht des Finanzausschusses nur, der Ausschuß habe die in den Ländern nach der Einbringung des Gesetzentwurfs eingetretenen Rechtsänderungen berücksichtigt und außerdem aus rechtsförmlichen Gründen eine Anzahl von landesrechtlichen Normen aufgenommen, die durch Zeitablauf gegenstandslos geworden, formell aber noch in Kraft seien. Damit läßt sich jedoch nur eine Erweiterung, nicht aber eine Kürzung des Katalogs der Anlage zu dem Bundesratsentwurf erklären. Maßgebend war für die Kürzung offensichtlich das Bestreben, den Gesetzestext nicht zu überladen und weniger wichtige Vorschriften pauschal mit der Generalklausel zu erfassen.