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BFH-Urteil vom 24.7.1985 (II R 227/82) BStBl. 1986 II S. 128

Solange der Widerspruch zwischen § 184 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 und § 19 Abs. 2 Satz 2, Abs. 4 BewG i. d. F. des EGAO 1977 nicht beseitigt ist, ist der Betroffene nicht gehindert, seinen behaupteten Anspruch auf Befreiung von der Grundsteuer auch durch Anfechtung des Einheitswertbescheids geltend zu machen, sofern nicht die Finanzbehörde ausdrücklich die Entscheidung über grundsteuerrechtliche Fragen dem Steuermeßbetragsverfahren vorbehalten hat.

AO 1977 §§ 179, 184 Abs. 1; BewG 1965 i.d.F. des EGAO 1977 §§ 18, 19; GrStG 1973 §§ 2, 8, 13.

Vorinstanz: FG München

Sachverhalt

Die Klägerin ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts und als gemeinnützige Körperschaft von der Vermögensteuer befreit. In den Jahren 1977 und 1978 errichtete sie in zwei Bauabschnitten ein Altenwohn- und Pflegeheim.

Mit Einheitswertbescheid vom 13. Mai 1980 führte das Finanzamt (FA) auf den 1. Januar 1978 eine Wert- und Artfortschreibung durch und stellte einen Einheitswert in Höhe von 2.163.700 DM fest. In den Erläuterungen des Bescheids führte das FA aus: "Bewertet wurde nur der grundsteuerpflichtige Teil." Mit Grundsteuermeßbescheid vom gleichen Tag (Neuveranlagung auf den 1. Januar 1978) setzte das FA unter Berücksichtigung der Grundsteuerbegünstigung nach dem Zweiten Wohnungsbaugesetz (II. WoBauG) den Grundsteuermeßbetrag auf 795,41 DM fest. Unter Einbeziehung des im Jahre 1978 fertiggestellten zweiten Bauabschnitts führte das FA auf den 1. Januar 1979 mit weiterem Bescheid vom 13. Mai 1980 eine Wertfortschreibung durch und erhöhte den Einheitswert auf 2.452.900 DM. Auch in den Erläuterungen zu diesem Bescheid heißt es: "Bewertet wurde nur der grundsteuerpflichtige Teil." Mit Bescheid vom gleichen Tag setzte es den Grundsteuermeßbetrag auf 999,73 DM fest.

Mit Schreiben vom 9. Juni 1980 legte die Klägerin gegen "die Einheitswertbescheide, Wert- und Artfortschreibung auf den 1. 1. 1978 sowie Wertfortschreibung auf den 1. 1. 1979" Einspruch ein. Die Grundsteuermeßbescheide wurden nicht angefochten. Zur Begründung ihres Einspruchs führte die Klägerin aus, im Hinblick auf die Vermögensteuerbefreiung sowie auf die Grundsteuerbefreiung nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 des Grundsteuergesetzes (GrStG) 1973 sei ein Einheitswert nicht festzustellen. Die Appartements des Heimes seien nicht Wohnungen i. S. von § 5 Abs. 2 GrStG 1973.

Nach vorheriger Ankündigung erhöhte das FA in der Einspruchsentscheidung vom 21. Oktober 1980 entsprechend den von der Klägerin mitgeteilten Quadratmeterzahlen den Einheitswert zum 1. Januar 1978 auf 2.205.900 DM und den Einheitswert zum 1. Januar 1979 auf 2.505.300 DM. Es wies die Einsprüche zurück, weil die Appartements als Wohnungen anzusehen seien.

Die unter Berücksichtigung der Einheitswerterhöhung geänderten Grundsteuermeßbescheide vom 12. November 1980 wurden nicht angefochten.

Mit der Klage beantragt die Klägerin, unter Änderung der angefochtenen Einheitswertbescheide in der Gestalt der Einspruchsentscheidung den Einheitswert auf den 1. Januar 1978 auf 39.800 DM und auf den 1. Januar 1979 auf 252.600 DM festzustellen. Sie ist der Ansicht, daß die Appartements keine Wohnungen seien und demgemäß von der Grundsteuerbefreiung des § 3 Abs. 1 Nr. 3 GrStG miterfaßt würden. Ein Einheitswert könne nur für die Heimleiterwohnung, die Hausmeisterwohnung, die Personalappartements sowie für die Cafeteria festgestellt werden.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen. Die von der Klägerin begehrte Entscheidung könne nur im Wege der Anfechtung der Grundsteuermeßbetragsbescheide, nicht aber durch Anfechtung der Feststellungsbescheide über den Einheitswert erreicht werden.

Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter. Sie rügt Verletzung materiellen Rechts.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie zur Zurückverweisung der Sache an das FG zu anderweitiger Verhandlung und Entscheidung.

1. Die Vorschriften der Abgabenordnung (AO 1977), des Bewertungsgesetzes und des GrStG, die die Entscheidung über die Steuerpflicht bzw. -befreiung nach dem GrStG betreffen, sind inhaltlich nicht aufeinander abgestimmt.

a) Das grundsteuerrechtliche Besteuerungsverfahren vollzieht sich in drei Stufen: Auf der ersten Stufe wird der Einheitswert für die wirtschaftliche Einheit des Grundbesitzes (des Steuergegenstandes i. S. des GrStG, vgl. § 2) festgestellt, wobei gleichzeitig Art- und Zurechnungsfeststellungen zu treffen sind (§ 179 Abs. 1, § 180 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977, § 19 des Bewertungsgesetzes i. d. F. durch Art. 6 Nr. 3 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung - BewG -). Auf der zweiten Stufe wird der Steuermeßbetrag durch Anwendung der Steuermeßzahl auf den Einheitswert oder seinen steuerpflichtigen Teil ermittelt (§ 13 GrStG; vgl. auch § 8 Abs. 1 GrStG); durch den Steuermeßbescheid wird über die persönliche und sachliche Steuerpflicht entschieden (§ 184 Abs. 1 AO 1977). Auf der dritten Stufe schließlich erfolgt die eigentliche Grundsteuerfestsetzung auf der Grundlage des Grundsteuermeßbetrags (§§ 25 ff. GrStG 1973).

Nach dem vorgegebenen begrenzten Regelungsgehalt der einzelnen Verwaltungsakte müßte sich auch der Umfang ihrer Anfechtbarkeit (§ 351 AO 1977, § 42 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) richten, mit anderen Worten, die Frage der (ganzen oder teilweisen) Befreiung nach dem GrStG könnte - wie das FG es angenommen hat - nur im Wege der Anfechtung des Steuermeßbescheids geklärt werden.

b) Die Rechtswirklichkeit, bestimmt durch die in sich widersprüchliche Gesetzeslage, ergibt jedoch einen anderen Befund. Wenngleich § 184 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 (in Nachfolge des § 212 a Abs. 3 der Reichsabgabenordnung - AO -) die Entscheidung über die sachliche und persönliche Steuerpflicht ausdrücklich dem Steuermeßbetragsverfahren zuweist, verweist § 19 BewG (in Nachfolge des Eingangssatzes des § 214 sowie des § 214 Nr. 3 b AO) diese Entscheidung in das Verfahren zur Feststellung der Einheitswerte. Nach § 19 Abs. 4 BewG erfolgen Einheitswertfeststellungen nur, wenn und soweit sie für die Besteuerung von Bedeutung sind. § 19 Abs. 2 Satz 2 BewG schließlich ordnet die gesonderte Feststellung unterschiedlicher Einheitswerte für jeweils steuerpflichtige Teile einer wirtschaftlichen Einheit dann an, wenn die wirtschaftliche Einheit den einzelnen einheitswertabhängigen Steuern (und dazu zählt neben der Vermögensteuer - § 17 Abs. 1 BewG - auch die Grundsteuer - § 17 Abs. 2 BewG -) in verschiedenem Ausmaß unterliegt. Darüber hinaus spricht § 13 GrStG auch noch davon, daß der Steuermeßbetrag durch Anwendung eines Tausendsatzes "auf den Einheitswert oder seinen steuerpflichtigen Teil" zu ermitteln sei.

c) Diese Rechtslage führt dazu, daß die Finanzbehörde selbst durch ihr Verhalten bestimmen kann, auf welcher Stufe des grundsteuerrechtlichen Besteuerungsverfahrens (erste oder zweite) der etwaige Streit über Grund und Umfang persönlicher und sachlicher Grundsteuerbefreiung stattfindet. Folglich muß es dem Betroffenen gestattet sein, auf jeder dieser ersten beiden Stufen des Verfahrens im Anfechtungsweg seinen (behaupteten) Anspruch auf Grundsteuerbefreiung geltend zu machen, es sei denn, das FA hat ausdrücklich die Entscheidung über grundsteuerrechtliche Fragen dem Steuermeßbetragsverfahren vorbehalten.

Die durch die unabgestimmte Gesetzeslage verursachte Unsicherheit ist ebensowenig hinnehmbar wie der Umstand, daß es der Finanzbehörde im Ergebnis freigestellt ist, auf welcher Stufe sie erstmals über die Grundsteuerbefreiung eine Entscheidung trifft (etwa gar durch Stillschweigen, indem sie, ausgehend von der Annahme voller Grundsteuerpflicht, einen Einheitswertbescheid erläßt). Der Gesetzgeber ist verpflichtet, die Unabgestimmtheit der Vorschriften zu beseitigen und - insbesondere auch im Hinblick auf das Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes) - Rechtsklarheit zu schaffen.

2. Im vorliegenden Fall, in dem das FA ausweislich des Inhalts des angefochtenen Verwaltungsakts die Entscheidung über den Umfang der Grundsteuerpflicht in das Verfahren zur Feststellung des Einheitswerts verlegt hat, kann die Klägerin ihre Rechte - unbeschadet § 184 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 - auch durch Anfechtung des Verwaltungsakts der ersten Stufe geltend machen. Denn solange der Gesetzgeber nicht für die Widerspruchslosigkeit der einzelnen Vorschriften Sorge getragen hat, kann dem Betroffenen nicht verwehrt werden, seine Rechte durch Anfechtung entweder des Einheitswertfeststellungs- oder des Steuermeßbescheids (oder beider) geltend zu machen. Das hat die angefochtene Entscheidung nicht beachtet.

3. Da das FG - von seinem Standpunkt aus zu Recht - keine tatsächlichen Feststellungen getroffen hat, die eine sachliche Entscheidung über das Begehren der Klägerin ermöglichen, ist die nicht spruchreife Sache an das FG zurückzuverweisen.