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BFH-Urteil vom 16.10.1985 (II R 99/85) BStBl. 1986 II S. 148

Beim Grundstückserwerb durch Abgabe des Meistgebots gehört auch der Betrag zur Gegenleistung, in dessen Höhe der Gläubiger, der das Meistgebot abgegeben hat, mit dem Zuschlag gemäß § 114a ZVG aus dem Grundstück als befriedigt gilt.

GrEStG 1983 § 9 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 Nr. 1; ZVG § 114a.

Vorinstanz: FG Münster

Sachverhalt

Die Klägerin war Gläubigerin einer "voll valutierten" Grundschuld über 127.000 DM, mit der eine Eigentumswohnung belastet war. Bei der Zwangsversteigerung der Eigentumswohnung, deren Wert vom Vollstreckungsgericht auf 114.000 DM festgesetzt worden war, blieb die Klägerin am 17. Februar 1984 mit einem Bargebot von 2.100 DM Meistbietende. Ihr wurde deshalb die Eigentumswohnung zugeschlagen. Vorhergehende Rechte blieben nicht bestehen.

Das beklagte Finanzamt (FA) nahm eine Gegenleistung von 79.800 DM (= 7/10 des festgesetzten Grundstückswertes) an, die sich zusammensetzte aus dem Meistgebot und aus dem Betrag, in dessen Höhe die Klägerin gemäß § 114 a des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung (ZVG) als aus dem Grundstück befriedigt galt.

Mit ihrer Klage, der das FA fristgerecht zustimmte, hat die Klägerin geltend gemacht, daß die Grunderwerbsteuer nach der ihres Erachtens eindeutigen Vorschrift des § 9 Abs. 1 Nr. 4 des Grunderwerbsteuergesetzes vom 17. Dezember 1982 (GrEStG 1983) nur aus dem Meistgebot von 2.100 DM zu erheben sei. Grunderwerbsteuer sei aber deshalb nicht festzusetzen, weil die Gegenleistung nicht den Betrag von 5.000 DM erreiche (§ 3 Nr. 1 GrEStG 1983).

Soweit sie aus dem Grundstück als befriedigt gelte (vgl. § 114 a ZVG), könne eine Gegenleistung nicht angenommen werden. Dies sei schon die Auffassung des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 26. Februar 1958 II 159/57 (BFHE 66, 593, BStBl III 1958, 228) gewesen. Im übrigen sei auch § 11 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 GrEStG 1940, der eine gewisse Hinzurechnung vorgesehen habe, nicht in das neue GrEStG übernommen worden.

Die Klägerin hat beantragt, den angefochtenen Bescheid aufzuheben.

Das FA hat seinen Klagabweisungsantrag vor allem damit begründet, daß insoweit eine zusätzliche Leistung vorliege, als die Klägerin aus dem Grundstück als befriedigt gelte.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen und die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (vgl. Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1985, 461).

Die Klägerin hat Revision eingelegt und ihren Klagantrag weiterverfolgt. Sie ist der Auffassung, daß das angefochtene Urteil gegen § 9 Abs. 1 Nr. 4 GrEStG 1983 verstoße.

Entscheidungsgründe

Ihre Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen.

1. Zur Gegenleistung gehören auch die Beträge, in deren Höhe die Klägerin aufgrund der Fiktion des § 114 a ZVG als befriedigt gilt. Dies folgt aus der Auslegung des § 9 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG 1983 nach seinem Sinn und Zweck unter Berücksichtigung des Gegenleistungsbegriffs, wie er vom erkennenden Senat aus den Einzelregelungen des früheren § 11 GrEStG 1940 abgeleitet worden ist. Daß § 9 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG 1983 auch bei der Besteuerung des Meistgebots zu beachten ist, hat der erkennende Senat bereits zu der Vorgängervorschrift (= § 11 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG 1940) ausgesprochen (vgl. das Urteil vom 3. Februar 1982 II R 141/80, BFHE 135, 228, BStBl II 1982, 334).

Gemäß § 9 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG 1983 gehören zur Gegenleistung auch bestimmte zusätzliche Leistungen an den Veräußerer des Grundstücks. Die genannte Vorschrift ist zwar im Hinblick auf Veräußerungsverträge formuliert worden; denn es werden Leistungen angesprochen, die ein Grundstückserwerber dem Veräußerer neben der beim Erwerbsvorgang vereinbarten Gegenleistung zusätzlich gewährt. Es entspricht aber der ständigen Rechtsprechung des Senats, daß die Definitionen und Zurechnungen des früheren § 11 GrEStG 1940 sinngemäß auch für diejenigen Fälle gelten, die in der Aufzählung des § 11 GrEStG 1940 nicht ausdrücklich enthalten sind (vgl. z. B. die Urteile vom 17. September 1975 II R 42/70, BFHE 117, 280, BStBl II 1976, 126; vom 16. Februar 1977 II R 89/74, BFHE 122, 338, BStBl II 1977, 671, und vom 23. April 1980 II R 84/76, BFHE 131, 85, BStBl II 1980, 595). Der erkennende Senat hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, daß zur Gegenleistung jede Leistung gehört, die der Erwerber als Entgelt (im weiteren Sinne) für den Erwerb des Grundstücks gewährt - soweit sie nicht nur dem Erwerber selbst, sondern dem Veräußerer (oder einem Dritten) zugute kommt - oder die der Veräußerer als Entgelt (im weiteren Sinne) für die Veräußerung des Grundstücks empfängt (so ausdrücklich BFHE 117, 280, BStBl II 1976, 126). Hieran hält der Senat fest.

Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, daß eine Leistung i. S. des § 9 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG 1983 auch dann anzunehmen ist, wenn der Gläubiger, der das Meistgebot abgegeben hat, im Rahmen des § 114 a ZVG wegen bestimmter Forderungen gegen den Vollstreckungsschuldner aus dem Grundstück als befriedigt gilt. Denn der ersteigernde Gläubiger verliert aufgrund seines Meistgebots und des anschließenden Zuschlags seine Forderung gegen den Vollstreckungsschuldner ganz oder teilweise. Der Fall liegt im Ergebnis nicht anders, als wenn ein Käufer im Rahmen des Abschlusses eines Kaufvertrags auf einen Teil einer Forderung gegen den Grundstücksveräußerer verzichtet. Von dem vom erkennenden Senat definierten grunderwerbsteuerrechtlichen Gegenleistungsbegriff aus gesehen macht es keinen Unterschied, ob der Erwerber eines Grundstücks neben dem Kaufpreis eine zusätzliche Leistung erbringt oder ob der Erwerber in der Zwangsversteigerung einer solchen zusätzlichen Leistung aufgrund einer gesetzlichen Vorschrift (hier des § 114 a ZVG) unterworfen wird. Denn der Leistungserfolg tritt in beiden Fällen ein.

Ohne Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, daß die Befriedigungsfiktion die gesetzliche Folge der Abgabe des Meistgebots und des anschließenden Zuschlags ist. Denn der bietende Gläubiger muß aufgrund der gegebenen Rechtslage bereits bei der Abgabe von Geboten wissen, daß er nicht nur sein Gebot in Betracht zu ziehen hat, sondern auch die Rechtsfolgen des § 114 a ZVG.

2. Die Auslegung des Senats steht im Einklang mit dem objektiven Willen des Gesetzes, wie er sich aus dem Wortlaut, dem Sinnzusammenhang und dem Zweck der Vorschrift ergibt. Dies gilt auch dann, wenn der Text des bisherigen § 11 GrEStG 1940 in die Beurteilung einbezogen wird.

Dem Wortlaut des § 9 Abs. 1 Nr. 4 GrEStG 1983, der das Meistgebot einschließlich der bestehenbleibenden Rechte zum Besteuerungsmaßstab bestimmt, läßt sich kein Gesetzeswille dahin entnehmen, daß die sich durch die Befriedigungsfiktion des § 114 a ZVG ergebende zusätzliche Leistung nicht in die Gegenleistung einbezogen werden soll. Gegen einen derartigen objektiven Gesetzeswillen spricht schon, daß der Besteuerungsmaßstab sonst mehr oder weniger weit hinter der Gegenleistung zurückbliebe, wie sie durch § 8 Abs. 1 GrEStG 1983 zum Besteuerungsmaßstab erklärt worden ist.

Auch die Berücksichtigung des Umstandes, daß die Sätze 2 und 3 des § 11 Abs. 1 Nr. 4 GrEStG 1940 nicht in das neue GrEStG übernommen worden sind, führt zu keiner anderen Beurteilung. Werden die Texte des § 11 Abs. 1 Nr. 4 GrEStG 1940 und des § 9 Abs. 1 Nr. 4 GrEStG 1983 miteinander verglichen, so ist unschwer zu erkennen, daß die Sätze 2 und 3 der alten Vorschrift eine Regelung enthielten, der 1940 noch eine selbständige Bedeutung zugekommen ist, die aber durch das zunehmende Zurückbleiben der für maßgebend erklärten Einheitswerte hinter den gemeinen Werten ihre Bedeutung verloren hat.

Verzichtet hat der Gesetzgeber auf eine Vorschrift, die bei ihrer Einführung im Jahre 1940 über den Bereich der Befriedigungsfiktion des damaligen § 3 der Verordnung über Maßnahmen auf dem Gebiet der Zwangsvollstreckung vom 26. Mai 1933 (RGBl I, 302) hinausging. Der Verzicht auf eine derartige besondere steuerrechtliche Regelung, die sich überdies wegen der Anknüpfung an die Einheitswerte als unzulänglich erwiesen hatte, läßt aber nicht auf einen objektiven Gesetzeswillen dahin gehend schließen, daß darüber hinaus auch die Befriedigungsfiktion des § 114 a ZVG unbeachtet bleiben soll; denn eine solche Annahme verstieße gegen eine Grundentscheidung des Gesetzes, der Besteuerung nach der Gegenleistung. Darüber hinaus müßte auch die Frage nach der Wahrung des Gleichheitssatzes aufgeworfen werden.

Daß der erkennende Senat durch Urteil vom 26. Februar 1958 II 159/57 U (BFHE 66, 593, BStBl III 1958, 228) den § 114 a ZVG für im Grunderwerbsteuerrecht unbeachtlich erklärt hat, findet seine Begründung darin, daß damals noch die Sonderregelung des § 11 Abs. 1 Nr. 4 Sätze 2 und 3 GrEStG 1940 galt. Mit ihrem ersatzlosen Wegfall aber ist der Weg frei zur Beachtung des § 114 a ZVG über den § 9 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG 1983.

Es ergeben sich auch keine unterschiedlichen Ergebnisse in den Fällen, in denen der meistbietende Gläubiger das Grundstück zugeschlagen erhält, und den Fällen, in denen der meistbietende Gläubiger das Meistgebot vor dem Zuschlag abtritt. Auch im letzteren Falle gilt nach herrschender Meinung die Befriedigungsfiktion des § 114 a ZVG (vgl. Storz, Praxis des Zwangsversteigerungsverfahrens, 3. Aufl., Tz. 6.1.3 S. 461, m. w. N.). Indessen braucht diese Frage hier nicht weiter vertieft zu werden, weil die Klägerin auf ihr Meistgebot den Zuschlag erhalten und damit schon vom Wortlaut her die Voraussetzungen des § 114 a ZVG erfüllt hat.

3. Der Entstehungsgeschichte kommt unter diesen Umständen keine besondere Bedeutung mehr zu. Denn sie wäre ohnehin nur insofern zu beachten, als sie die Richtigkeit einer nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen ermittelten Auslegung bestätigt oder Zweifel behebt, die auf dem angegebenen Weg allein nicht ausgeräumt werden können (vgl. den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Mai 1960 2 BvL 11/59, 11/60, BVerfGE 11, 126, 129 bis 131).

Die Begründung zu dem vom Land Niedersachsen eingebrachten Entwurf eines GrEStG (BT-Drucks. 9/251) läßt nur erkennen, warum die Sätze 2 und 3 des § 11 Abs. 1 Nr. 4 GrEStG 1940 nicht in den Entwurf aufgenommen worden sind, wobei die Begründung zu manchen Zweifeln hinsichtlich ihrer rechtlichen Aussage Anlaß gibt.

4. Ohne Bedeutung für die Auslegung ist, daß das neue Recht ggf. zu einer höheren Gegenleistung führt als das bisherige Recht. Dies ist in erster Linie eine Folge des Umstandes, daß das bisherige Recht wegen der Anknüpfung des § 11 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 GrEStG 1940 an den Einheitswert den mit dieser Vorschrift angestrebten Zweck, Ansatz eines angemessenen Besteuerungsmaßstabes, nicht mehr erreichen konnte. Der Gesetzgeber hätte durchaus die Möglichkeit gehabt, die Sätze 2 und 3 beizubehalten und nunmehr an den gemeinen Wert anzuknüpfen. Wenn er statt dessen die Vorschrift gestrichen hat und nunmehr über den Gegenleistungsbegriff, wie er der Gesamtregelung des § 9 GrEStG 1983 immanent ist, die Anwendung des § 114 a ZVG in Betracht kommt, so tritt hierdurch keine unangemessene Ausweitung der Besteuerung ein.