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BFH-Urteil vom 23.10.1985 (VII R 195/83) BStBl. 1986 II S. 158

Zur Inanspruchnahme eines Gesellschafters als Haftungsschuldner für den Rückzahlungsanspruch des FA nach Kürzung von Vorsteuerabzügen bei der Gesellschaft als Leistungsempfänger (§ 17 Abs. 1 Nr. 2 UStG).

UStG § 17 Abs. 1 Nrn. 1 und 2; AO 1977 §§ 191, 219; AO § 113.

Sachverhalt

Streitig ist, ob der Kläger und Revisionskläger (Kläger) in seiner Eigenschaft als Gesellschafter einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts (GdbR) zu Recht für rückständige Umsatzsteuer 1974 der GdbR in Anspruch genommen worden ist.

Der Kläger betreibt als Einzelunternehmer ein Baugeschäft. Im Jahre 1967 schloß er sich mit einer als Kommanditgesellschaft (KG) betriebenen Baufirma zu einer GdbR zusammen, die Straßen- und Tiefbauarbeiten ausführte. Sowohl der Kläger als auch die KG erbrachten an die GdbR Leistungen, die sie der Umsatzsteuer unterwarfen und für die die GdbR ihrerseits den Vorsteuerabzug (§ 15 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes - UStG -) in Anspruch nahm.

Zum 31. Dezember 1974 wurde die GdbR aufgelöst. Zu diesem Zeitpunkt schuldete sie dem Kläger 597.621,20 DM und der KG 294.438,84 DM an Gegenleistungen für erbrachte Leistungen.

Aufgrund des Ergebnisses einer im Jahr 1977 durchgeführten Betriebsprüfung wurden wegen des Ausfalls der Forderungen des Klägers und der KG sowohl beim Kläger und der KG die Umsatzsteuerfestsetzungen herabgesetzt (§ 17 Abs. 2 i. V. m. § 17 Abs. 1 Nr. 1 UStG), wie bei der GdbR die von dieser in Anspruch genommenen Vorsteuerabzüge gekürzt (§ 17 Abs. 2 i. V. m. § 17 Abs. 1 Nr. 2 UStG). Die sich durch die Vorsteuerkürzung ergebende Umsatzsteuerschuld der GdbR wurde, soweit sie Leistungen des Klägers betraf, nämlich in Höhe von 59.223,72 DM, durch Verrechnung mit Guthaben getilgt, die dem Kläger aus dessen Umsatzsteuerveranlagung zustanden. Für die die Leistungen der KG betreffenden Vorsteuerkürzungen bei der GdbR (29.178,29 DM) stand kein verrechenbares Umsatzsteuerguthaben der KG zur Verfügung. Über deren Vermögen war im Februar 1976 ein Konkursverfahren eröffnet und Ende 1977 mangels Masse eingestellt worden. Von den Steuerschulden der KG von ca. 300.000 DM wurde nur ein geringer Teil getilgt. Eine Inanspruchnahme des in Millionenhöhe verschuldeten Komplementärs der KG wegen deren Steuerschulden versprach keinen Erfolg.

Mit Bescheid vom 15. September 1978 nahm der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) den Kläger wegen der aus der Vorsteuerkürzung herrührenden restlichen Steuerschuld der GdbR in Höhe von 29.178,29 DM in Anspruch.

Er bezog sich hierbei auf eine dem Haftungsbescheid beigegebene Verfügung der Oberfinanzdirektion (OFD), derzufolge die Inanspruchnahme des Klägers nicht die einer sachgerechten Ermessensausübung gesetzten Grenzen überschreite. Auch bei Berücksichtigung des Zusammenhangs zwischen der Vorsteuerkürzung bei der GdbR und der Umsatzsteuerherabsetzung bei der KG sei die Inanspruchnahme des Klägers nicht unbillig, weil eine Verrechnung der durch die Vorsteuerkürzung entstandenen Steuerschuld der GdbR mit einem Guthaben der KG mangels Vorhandenseins eines solchen nicht möglich gewesen sei.

Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren mit dem Ziel der Aufhebung des Haftungsbescheids erhobene Klage hat das Finanzgericht (FG) abgewiesen. Es hat ausgeführt: Trotz des sich aus § 17 UStG ergebenden Zusammenhangs zwischen der Kürzung der Umsatzsteuer bei der KG (§ 17 Abs. 1 Nr. 1 UStG) und derjenigen der Vorsteuerabzüge bei der GdbR (§ 17 Abs. 1 Nr. 2 UStG) sei das FA nicht gehalten gewesen, die beiderseitigen Erstattungs-(bzw. Rückzahlungs-)ansprüche miteinander zu verrechnen. Denn es handele sich bei diesen nicht um selbständige Ansprüche, sondern nur um unselbständige Besteuerungsmerkmale, die als solche nicht gegeneinander aufgerechnet oder miteinander verrechnet werden könnten. Im übrigen habe die Umsatzsteuerherabsetzung bei der KG nicht zu einer Erstattung, sondern nur zu einer Herabsetzung anderer noch offener Umsatzsteuerschulden geführt, so daß ein zur Verrechnung zur Verfügung stehendes Steuerguthaben der KG nicht vorhanden gewesen sei. Auch die Subsidiarität der Haftung stehe der Inanspruchnahme des Klägers nicht entgegen. Schuldner des Rückzahlungsanspruchs des FA sei die GdbR, die ebenso wie die KG und deren Komplementär zahlungsunfähig geworden sei, so daß das FA auf die Haftbarmachung des Klägers angewiesen gewesen sei.

Mit der Revision verfolgt der Kläger das Klagebegehren weiter. Die Geltendmachung des Haftungsanspruchs sei unvereinbar mit Recht und Billigkeit und - demgemäß - einer sachgerechten Ermessensausübung (§ 2 Abs. 2 des Steueranpassungsgesetzes - StAnpG -). Das FA hätte jedenfalls die Möglichkeit gehabt, die sich aus der Umsatzsteuerkürzung bei der KG ergebende Steuerminderung mit dem sich aus der Vorsteuerkürzung bei der GdbR ergebenden Rückzahlungsbetrag zu verrechnen, wie dies auch hinsichtlich des gleichartigen Vorganges zwischen der GdbR und dem Kläger selbst geschehen sei. Statt dessen habe das FA die Steuerminderung bei der KG mit anderen Steuerrückständen dieser Gesellschaft verrechnet und den Minderungsbetrag auf diese Weise vereinnahmt. Mit dieser Handhabung sei das FA von dem in anderen Fällen durchaus praktizierten Vorgehen abgewichen, in dem ohne Rücksicht auf die sich aus einer Veranlagung ergebenden Guthaben oder Rückstände verbleibende Steuererstattungsforderungen aus Einzeltatbeständen umgebucht, vergütet oder verrechnet würden. Es sei jedenfalls aus der Sicht des billigen Ermessens (Subsidiarität der Haftung) nicht einzusehen, weshalb im vorliegenden Fall nicht ebenso verfahren worden sei. Dies um so mehr, als der enge Zusammenhang zwischen der Vorsteuerkürzung bei der GdbR und der Umsatzsteuerherabsetzung bei der KG unter dem Gesichtswinkel des § 17 UStG unverkennbar sei.

Schließlich habe es das FA verabsäumt, die KG oder deren Komplementär für einen Ausgleich der Steuerschuld in Anspruch zu nehmen, was dem Grundsatz der Subsidiarität der Haftung zuwiderlaufe.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist unbegründet.

1. Das FG hat zutreffend entschieden, daß das FA mit der Inanspruchnahme des Klägers als Haftenden in seiner Eigenschaft als Gesellschafter der GdbR für die Umsatzsteuerschulden der GdbR weder die Grenzen des ihm eingeräumten Ermessens überschritten noch von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung zur Ermessensausübung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (vgl. § 102 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Denn sowohl die äußeren Grenzen der Ermessensausübung (Ermessensüberschreitung) wie deren innere Grenzen sind gebunden an die in der Ermächtigungsnorm - hier des § 113 der Reichsabgabenordnung (AO) - aufgezeigten tatbestandsbedingten Merkmale und die ihr vorgegebenen Rechtsschranken (vgl. Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., Anm. 4 Buchst. a und c zu § 5 AO 1977). Es kommt im Streitfall also darauf an, ob das FA die Möglichkeit einer Verrechnung der sich aus der Vorsteuerberichtigung bei der GdbR ergebenden - zusätzlichen - Umsatzsteuerschuld (§ 17 Abs. 2 i. V. m. § 17 Abs. 1 Nr. 2 UStG) mit einem Umsatzsteuererstattungsanspruch der KG nach Berichtigung der diese betreffenden Umsatzsteuerschuld (wegen Uneinbringlichkeit von Entgelten, § 17 Abs. 2 i. V. m. § 17 Abs. 1 Nr. 1 UStG) unzutreffenderweise im Rahmen der Ermessensausübung außer Betracht gelassen hat. Dies ist nicht der Fall.

2. Das FG hat rechtlich zutreffend darauf abgestellt, daß es sich sowohl bei dem durch die Vorsteuerkorrektur entstandenen Berichtigungsanspruch des Staates (FA) nach § 17 Abs. 2 i. V. m. § 17 Abs. 1 Nr. 2 UStG, wie dem Berichtigungsanspruch der KG nach § 17 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Nr. 1 UStG um Besteuerungsgrundlagen handelt, die in die Steuerfestsetzung einmünden, ihrerseits aber verfahrensrechtlich unselbständig sind (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 30. September 1976 V R 109/73, BFHE 120, 562, BStBl II 1977, 227, und vom 26. April 1984 V R 128/79, BFHE 141, 443, BStBl II 1984, 776 unter Ziff. 3 c; Hartmann/Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz, Kommentar, 6. Aufl., Tz. 46 zu § 17 UStG mit Hinweisen). Durch den Berichtigungsvorgang entstehen also hier wie dort keine selbständigen Ansprüche, die miteinander verrechnet werden könnten, sondern nur Berechnungsgrundlagen, die auf der einen Seite zu einer Rückforderung des FA (§ 17 Abs. 1 Nr. 2 UStG) und auf der anderen Seite zu einer Steuerminderung beim leistenden Unternehmer - hier der KG - (§ 17 Abs. 1 Nr. 1 UStG) führen. Der erst aufgrund einer Änderungsveranlagung (§ 173 der Abgabenordnung - AO 1977 -) dem letzteren erwachsende Erstattungsanspruch (§ 37 Abs. 2 AO 1977) ist mit dieser Steuerminderung rechtlich nicht identisch. Dies zeigt sich schon darin, daß in eine geänderte Veranlagung auch andere, z. B. zwischenzeitlich bei einer Betriebsprüfung festgestellte - steuererhöhende - Gesichtspunkte einzubeziehen sind, wodurch die als Folge der Berichtigung nach § 17 Abs. 1 Nr. 1 UStG beim leistenden Unternehmer eingetretene Steuerminderung reduziert oder sogar gänzlich in Wegfall kommen kann.

3. Sind allerdings Änderungsveranlagungen bei den am Leistungsaustausch unmittelbar beteiligten Unternehmern lediglich und ausschließlich wegen eines Berichtigungsvorganges nach § 17 Abs. 1 UStG durchgeführt worden und haben - demzufolge - die auf seiten des leistenden Unternehmers entstandene Steuerminderung und die auf seiten des FA entstandene Rückforderung zu wechselseitigen Ansprüchen geführt, die letztendlich betragsmäßig identisch sind, so könnte die Frage auftauchen, ob nicht das FA - jedenfalls unter dem Gesichtswinkel der Subsidiarität der Haftung (vgl. Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 219 AO 1977 Tz. 3; Klein/Orlopp, Abgabenordnung, 2. Aufl., § 219 Anm. 2; Kühn/Kutter/Hofmann, a. a. O., § 219 AO 1977 Anm. 1; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., § 219 AO 1977 Tz. 1 und 3; BFH-Urteil vom 28. Februar 1973 II R 57/51, BFHE 109, 164, BStBl II 1973, 573) - gehalten ist, die wechselseitigen Ansprüche miteinander zu verrechnen, bevor es wegen des Rückforderungsanspruchs (§ 17 Abs. 1 Nr. 2 UStG) einen Dritten als Haftungsschuldner in Anspruch nimmt, der seinerseits an dem berichtigten Leistungsaustausch überhaupt nicht beteiligt war. Diese Frage kann jedoch im Streitfall auf sich beruhen. Denn ein verrechenbares Guthaben, also ein Erstattungsanspruch des leistenden Unternehmers, der KG, hat nach den revisionsrechtlich verbindlichen Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) im Zeitpunkt der Berichtigung nach § 17 UStG nicht bestanden und ist - was entscheidungserheblich ist - auch durch die Kürzung der Umsatzsteuerschuld der KG (§ 17 Abs. 1 Nr. 1 UStG) - wegen der darüber hinausgehenden Umsatzsteuerrückstände der KG - nicht zur Entstehung gelangt. Ein Anspruch (Erstattungsanspruch) der KG, gegen den das FA mit seinem Rückzahlungsanspruch hätte aufrechnen können, ist also im maßgeblichen Zeitpunkt gar nicht vorhanden gewesen.

Bei dieser Sachlage läuft das Begehren des Klägers darauf hinaus, ein nur gedanklich konstruiertes - also fiktives - Guthaben (aus Umsatzsteuerminderung nach § 17 Abs. 1 Nr. 1 UStG) als Erstattungsanspruch der KG zunächst einmal als bestehend anerkannt zu bekommen und es - im Anschluß daran - zur Verrechnung zu bringen. Dies ist auch im Rahmen der Ausübung sachgerechten Ermessens (§ 118 AO) - selbst bei weitestgehender Berücksichtigung der Subsidiarität der Haftung - nicht möglich.

4. Die eigentliche Ursache für die Inanspruchnahme des Klägers liegt in seinem Mißgeschick, sich mit einem Gesellschafter zusammengeschlossen zu haben, der für die Schulden der GdbR - auch soweit sie in dessen Sphäre begründet waren - nicht herangezogen werden kann, weil er in Konkurs gefallen ist. Somit ist die Haftbarmachung des Klägers letztlich auf die Vorschriften des bürgerlichen Rechts über die Gesamtschuld der BGB-Gesellschafter (§§ 427 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches) gegenüber Dritten - zu denen auch das FA gehört - zurückzuführen, nicht aber auf eine nicht sachgerechte Ausübung des Ermessens bei der Inanspruchnahme als Haftungsschuldner gemäß § 113 AO. Daß das FA hierbei aus anderen Gründen gegen den Grundsatz der Subsidiarität der Haftung verstoßen haben könnte, ist nicht erkennbar. Denn nach den mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen und daher für den erkennenden Senat rechtsverbindlichen Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) wäre eine Beitreibung der Steuerforderung bei der GdbR wie der KG wie deren Komplementär von vornherein erfolglos gewesen, nachdem die GdbR seit Ende 1974 aufgelöst, das über das Vermögen der KG eröffnete Konkursverfahren bereits Ende 1977 mangels Masse eingestellt und deren Komplementär hoch verschuldet war.