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BFH-Urteil vom 6.11.1985 (II R 217/85) BStBl. 1986 II S. 175

1. Art. 1 Nr. 5 BFH-EntlG in seiner ursprünglichen Fassung ist nur noch anzuwenden, wenn die finanzgerichtliche Entscheidung, gegen die sich die Revision wendet, vor Inkrafttreten des Beschleunigungsgesetzes vom 4. Juli 1985 entweder verkündet oder von Amts wegen an Stelle einer Verkündung zugestellt worden ist.

2. Eine finanzgerichtliche Entscheidung ist auch dann im Sinne des Art. 3 des Beschleunigungsgesetzes vom 4. Juli 1985 verkündet, wenn die Urteilsformel den Beteiligten mit einem Anschreiben des Vorsitzenden des FG-Senats formlos übersandt wird.

FGO § 104 Abs. 1 und 2, § 105 Abs. 4, § 115 Abs. 1; BFH-EntlG Art. 1 Nr. 5; Beschleunigungsgesetz vom 4. Juli 1985 Art. 1 bis 5.

Vorinstanz: FG Berlin

Sachverhalt

Das Finanzgericht (FG) hat in der Streitsache am 18. Juni 1985 mündlich verhandelt und am Ende der mündlichen Verhandlung den Beschluß verkündet, daß die Entscheidung schriftlich zugestellt werde. Das von den Richtern unterschriebene Urteil vom 18. Juni 1985 (ohne Tatbestand, Entscheidungsgründe und Rechtsmittelbelehrung) ist am 20. Juni 1985 der Geschäftsstelle übergeben worden. Mit einem Schreiben des Vorsitzenden ist den Beteiligten formlos eine Abschrift dieses Urteils zugesandt worden (Absendung am 26. Juni 1985). Das Urteil wurde den Klägern dann am 26. August 1985 an Stelle einer Verkündung zugestellt. Es enthält eine Rechtsmittelbelehrung, daß gegen das Urteil den Beteiligten die Revision auch zustehe, wenn der Wert des Streitgegenstandes 10.000 DM übersteigt. Diese Belehrung beruht auf der nach Meinung des FG unklaren Fassung der Übergangsvorschrift des Gesetzes zur Beschleunigung verwaltungsgerichtlicher und finanzgerichtlicher Verfahren (Beschleunigungsgesetz) vom 4. Juli 1985 (BGBl I 1985, 1274) und der umstrittenen Ansicht, für welche Verfahren eine Streitwertrevision nicht mehr gegeben ist.

Die Kläger haben Revision eingelegt, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügen.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Kläger ist zulässig.

Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFH-EntlG) vom 8. Juli 1975 (BGBl I 1975, 1861) ist durch das Beschleunigungsgesetz vom 4. Juli 1985 dahin geändert worden, daß abweichend von § 115 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) die Revision nur stattfindet, wenn das FG oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof (BFH) sie zugelassen hat. Das Beschleunigungsgesetz trat gemäß Art. 5 am Tag nach der Verkündung in Kraft; es ist am 16. Juli 1985 verkündet worden.

1. Entgegen der vom FG offenbar vertretenen Auffassung ist der zeitliche Anwendungsbereich der Neufassung des Art. 1 Nr. 5 BFH-EntlG eindeutig. Das Beschleunigungsgesetz enthält in Art. 1 Regelungen zur Änderung des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFG-EntlG) vom 31. März 1978 (BGBl I 1978, 446), welche nur dessen Art. 1 und 2 betreffen, d. h. die Geltungsdauer und Entlastungsvorschriften für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Geändert wurde u. a. die gerichtliche Zuständigkeit für die Anfechtung von Verwaltungsakten. Art. 2 des Beschleunigungsgesetzes enthält die o. a. Änderung des Art. 1 Nr. 5 BFH-EntlG. In der Übergangsvorschrift des Art. 3 des Beschleunigungsgesetzes ist der zeitliche Anwendungsbereich von dessen Art. 1 und 2 zusammenfassend dahin geregelt, daß die ursprüngliche Fassung anzuwenden ist, "wenn der Verwaltungsakt vor Inkrafttreten dieses Gesetzes bekanntgegeben oder die Entscheidung vor Inkrafttreten dieses Gesetzes verkündet oder von Amts wegen an Stelle einer Verkündung zugestellt worden ist".

Es ist nach Auffassung des Senats zweifelsfrei, daß danach Art. 1 Nr. 5 BFH-EntlG in seiner ursprünglichen Fassung nur anzuwenden ist, wenn die finanzgerichtliche Entscheidung, gegen die sich das Rechtsmittel wendet, vor Inkrafttreten des Beschleunigungsgesetzes entweder verkündet oder von Amts wegen an Stelle einer Verkündung zugestellt worden ist.

2. Wenngleich somit Art. 1 Nr. 5 BFH-EntlG i. d. F. des Art. 2 des Beschleunigungsgesetzes im vorliegenden Fall anzuwenden ist, ist die Revision gleichwohl zulässig, weil das angefochtene Urteil des FG i. S. des Art. 3 des Beschleunigungsgesetzes vor dessen Inkrafttreten als verkündet gilt.

Nach § 104 Abs. 1 Satz 1 FGO wird das Urteil, wenn eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, in dem Termin, in dem die mündliche Verhandlung geschlossen wird, oder in einem sofort anzuberaumenden besonderen Termin verkündet. Die Verkündung des Urteils erfolgt durch Verlesung der Formel; das Urteil ist den Beteiligten zuzustellen (§ 104 Abs. 1 Satz 2 FGO). Nach § 104 Abs. 2 FGO ist statt der Verkündung die Zustellung des Urteils zulässig; es ist dann binnen zwei Wochen nach der mündlichen Verhandlung der Geschäftsstelle zu übergeben. Diese Vorschrift enthält für nicht verkündete Urteile die Regelung, die § 105 Abs. 4 FGO für verkündete Urteile trifft. Diese sind nach § 105 Abs. 4 Satz 1 FGO grundsätzlich vor Ablauf von zwei Wochen nach der Verkündung vollständig abgefaßt der Geschäftsstelle zu übergeben. Sofern dies ausnahmsweise nicht geschehen kann, ist innerhalb dieser Frist die von den Richtern unterschriebene Urteilsformel der Geschäftsstelle zu übergeben (§ 105 Abs. 4 Satz 2 FGO). Nach ständiger Rechtsprechung ist der Vorschrift des § 104 Abs. 2 FGO auch dann genügt, wenn die unterschriebene Urteilsformel fristgemäß der Geschäftsstelle übergeben wurde (vgl. BFH-Urteile vom 30. Oktober 1974 I R 40/72, BFHE 114, 85, BStBl II 1975, 232; vom 22. Februar 1980 VI R 132/79, BFHE 130, 126, BStBl II 1980, 398, sowie zu den im wesentlichen gleichlautenden Vorschriften der §§ 116, 117 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - den Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 24. August 1970 I B 129.67, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1970, 2132, sowie das Urteil des BVerwG vom 11. November 1971 I C 64.67, BVerwGE 39, 51).

Sinn und Zweck des § 104 Abs. 2 FGO liegen in erster Linie darin, die Förmlichkeiten einer Verkündung zu ersetzen. Allerdings wäre die vorgeschriebene Übergabe (zumindest) der Urteilsformel eine nutzlose Formalität, wenn sie nicht dazu führen würde, die Beteiligten über die Entscheidung des Gerichts schon vor der Zustellung des vollständigen Urteils in Kenntnis zu setzen (vgl. BVerwG-Beschluß vom 24. Juni 1971 I CB 4.69, BVerwGE 38, 220, 223, 224). Wird - wie im vorliegenden Fall - die der Geschäftsstelle übergebene und von den Richtern unterschriebene Urteilsformel mit Anschreiben des Vorsitzenden des erkennenden Senats des FG den Beteiligten - wenn auch formlos - durch Übersendung einer Abschrift bekanntgemacht, so gilt die Entscheidung des FG i. S. von Art. 3 des Beschleunigungsgesetzes als verkündet.