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BFH-Urteil vom 7.11.1985 (IV R 44/83) BStBl. 1986 II S. 335

Die tarifbegünstigte Veräußerung eines Praxisanteils (§ 18 Abs. 3, § 34 Abs. 2 EStG) setzt die Übertragung aller wesentlichen vermögensmäßigen Grundlagen der freiberuflichen Tätigkeit auf den Erwerber voraus; dazu gehört auch, daß die freiberufliche Tätigkeit in dem bisherigen örtlich begrenzten Wirkungskreis wenigstens für eine gewisse Zeit eingestellt wird.

EStG § 18 Abs. 3, § 34 Abs. 2.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Bauingenieur und Statiker. Am 2. Januar 1972 schloß er sich gemeinsam mit den Beigeladenen zu einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts zusammen, die unter dem Namen A, B, C in D ein Ingenieurbüro für Statik und Baukonstruktion betrieb. Ihren Gewinn aus selbständiger Arbeit ermittelte die Gesellschaft durch Betriebsvermögensvergleich.

Am 2. Januar 1973 schieden der Kläger und der Beigeladene zu 3. wieder aus der Gesellschaft aus, die von den verbleibenden Gesellschaftern, den Beigeladenen zu 1. und 2., fortgeführt wurde.

Die auf den 2. Januar 1973 erstellte Auseinandersetzungsbilanz weist einen Auseinandersetzungsgewinn von 123.215,84 DM aus, der zu 65.248,39 DM auf den Kläger und zu 57.967,45 DM auf den Beigeladenen zu 3. entfiel und der von den Beigeladenen zu 1. und 2. als Veräußerungsgewinn erklärt wurde. Dieser Auseinandersetzungsgewinn beruhte im wesentlichen auf der Beteiligung an den in den halbfertigen Arbeiten ruhenden stillen Reserven.

Nach seinem Ausscheiden aus der Gesellschaft war der Kläger als freier Mitarbeiter eines staatlich anerkannten Prüfingenieurs in D tätig, wo er in einem ihm zur Verfügung gestellten Büro jeweils vormittags statische Berechnungen geplanter Bauten überprüfte. An den Nachmittagen führte er dann in seinem eigenen Haus in D im Auftrage einzelner Bauherren statische Berechnungen durch, die als Grundlage für Baugenehmigungsverfahren dienten. In den Jahren 1973 bis 1975 entfielen, bei einem Gesamtumsatz von etwa 150.000 DM, 90.000 DM auf die Prüftätigkeit und 60.000 DM auf die jeweils nachmittags erledigten Aufträge. Diese Aufträge stammten etwa zur Hälfte von Kunden, die der Kläger durch seine Tätigkeit bei dem Prüfingenieur kennengelernt hatte. Die übrigen Auftraggeber hatte der Kläger selbst geworben; Kunden der Gesellschaft befanden sich nicht darunter.

Mit dem angefochtenen Bescheid setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) den gesamten bei der Auseinandersetzung entstandenen Gewinn erklärungsgemäß fest, erkannte aber nur den auf den Beigeladenen zu 3. entfallenden Gewinnanteil als begünstigten Veräußerungsgewinn an, während der auf den Kläger entfallende Anteil von 65.248 DM als laufender Gewinn festgestellt wurde. Zur Begründung führte das FA aus, es handele sich nicht um einen begünstigten Veräußerungsgewinn, da die freiberufliche Tätigkeit fortgesetzt werde. Der ebenfalls ausgeschiedene Beigeladene zu 3. hatte seine berufliche Tätigkeit als Angestellter fortgesetzt.

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) hielt die Klage für unbegründet, weil der Kläger nach seinem Ausscheiden aus der Sozietät ohne zeitliche Unterbrechung weiterhin als Architekt und Bauingenieur tätig gewesen sei. Deshalb könne man nicht von einer begünstigten Veräußerung des Praxisanteils ausgehen.

Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Bei Veräußerung seines Gesellschaftsanteils habe er alle wirtschaftlichen Interessen an dieser steuerlich selbständigen Einheit aufgegeben. Wie das FG Hamburg im Urteil vom 28. Oktober 1980 I 25/80 (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1981, 346) ausgeführt habe, könne nach § 16 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht die endgültige Aufgabe unternehmerischer Tätigkeiten verlangt werden, denn diese Vorschrift sei ähnlich objektbezogen wie die Gewerbesteuer. Dies gelte auch bei Einkünften aus selbständiger Arbeit, da § 18 Abs. 3 Satz 2 EStG ausdrücklich auf § 16 EStG verweise. Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 10. Oktober 1963 IV 198/62 S (BFHE 78, 303, BStBl III 1964, 120) sei es auch nicht ausgeschlossen, daß ein Steuerpflichtiger mehrere selbständige wesensmäßig verschiedene Tätigkeiten mit verschiedenen Kundenkreisen zugleich ausübe; werde eine dieser Tätigkeiten beendet, so sei die Steuerbegünstigung zu gewähren.

Nach den Feststellungen der Vorinstanz habe er, der Kläger, keinerlei materielle und immaterielle Werte aus der fortbestehenden Sozietät mitgenommen. Seine weitere Tätigkeit habe sich daher auch auf ein anderes Gebiet erstreckt; während er nämlich als Gesellschafter der Sozietät die durch den Begriff "Aktivstatik" gekennzeichneten Aufgaben wahrgenommen habe, sei er nach seinem Ausscheiden auf dem Gebiet der Prüfstatik tätig geworden, während die Aktivstatik nur als Nebentätigkeit ausgeübt worden sei. Soweit sich das FG jedoch auf die Rechtsprechung des BFH bezogen habe (Urteile in BFHE 78, 303, BStBl III 1964, 120; vom 14. März 1975 IV R 78/71, BFHE 116, 8, BStBl II 1975, 661, und vom 27. April 1978 IV R 102/74, BFHE 125, 249, BStBl II 1978, 562) habe es sich um mit dem Streitfall nicht vergleichbare Fälle der Veräußerung von Einzelpraxen gehandelt. Schließlich könne sich das FA auch nicht auf das BFH-Urteil vom 24. Juni 1976 IV R 200/72 (BFHE 119, 430, BStBl II 1976, 672) berufen, weil es im Streitfall an der wirtschaftlichen Identität zwischen der aufgegebenen und der fortgeführten Tätigkeit fehle.

Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und unter Änderung der angefochtenen Gewinnfeststellung den Gewinnanteil von 65.248 DM als steuerbegünstigten Veräußerungsgewinn gemäß § 18 Abs. 3, §§ 16, 34 EStG anzuerkennen.

Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Das FG hat die Annahme einer tarifbegünstigten Anteilsveräußerung i. S. des § 18 Abs. 3 i. V. m. § 34 Abs. 1 und 2 EStG im Ergebnis zutreffend verneint. Gemäß § 18 Abs. 3 i. V. m. § 16 Abs. 2 bis 5 und § 34 Abs. 1 und 2 Nr. 1 EStG kann ein steuerbegünstigter Veräußerungsgewinn entstehen, wenn ein freiberuflich Tätiger einen der selbständigen Arbeit dienenden Anteil am Vermögen veräußert. Wie der Senat in ständiger Rechtsprechung zur Veräußerung oder Aufgabe einer Praxis oder Teilpraxis entschieden hat, muß die freiberufliche Tätigkeit in dem bisherigen örtlich begrenzten Wirkungskreis wenigstens für eine gewisse Zeit eingestellt werden (Urteile vom 14. Mai 1970 IV 136/65, BFHE 99, 126, BStBl II 1970, 566; in BFHE 116, 8, BStBl II 1975, 661, und in BFHE 125, 249 BStBl II 1978, 562). Dies folgt daraus, daß die Steuerbegünstigung des § 18 Abs. 3 und des § 34 Abs. 1 und 2 Nr. 1 EStG nur eingreift, wenn alle wesentlichen vermögensmäßigen Grundlagen der freiberuflichen Tätigkeit auf den Praxiserwerber übertragen oder in das Privatvermögen überführt werden. Zu den vermögensmäßigen Grundlagen einer freiberuflichen Praxis gehören aber insbesondere immaterielle Wirtschaftsgüter wie die Beziehungen des Praxisinhabers zu seinen bisherigen Mandanten und das durch den Praxisnamen bestimmte Wirkungsfeld, das die maßgebende Grundlage für die Möglichkeit darstellt, neue Mandanten zu erlangen (BFHE 116, 8, BStBl II 1975, 661).

Diese Grundsätze sind in gleicher Weise auf den Fall der Veräußerung eines Praxisanteils an die Sozietät oder einen Dritten anzuwenden (vgl. A. Grieger, Betriebs-Berater - BB - 1962, 1148; Schick, Die freien Berufe im Steuerrecht S. 129 f.). Auch in derartigen Fällen beruhen die Verbindungen der Mandantschaft zur Sozietät in aller Regel auf persönlichen Beziehungen des Mandanten zu einem der Partner dieser Sozietät. Dieser Partner hat deshalb auch Anteil an dem Praxisnamen der Sozietät, vor allem dann, wenn sein Familienname - wie im Streitfall - Teil des mehrgliedrigen Praxisnamens der Sozietät ist.

Die Vorinstanz ist von diesen Grundsätzen ausgegangen und hat zutreffend ausgeführt, für die Frage, ob immaterielle Wirtschaftsgüter geschaffen worden seien, mache es wegen der stärker personenbezogenen Leistung des Freiberuflers keinen Unterschied, ob die Tätigkeit im Rahmen einer Einzelpraxis oder einer Sozietät ausgeübt worden sei. Das FG hat zwar festgestellt, daß der Kläger keinen Mandanten der Sozietät in seine Einzelpraxis mitgenommen hat; nach diesen das Revisionsgericht bindenden Feststellungen (§ 118 Abs. 2 FGO) hat er jedoch seine freiberufliche Tätigkeit im bisherigen Wirkungskreis weder endgültig noch wenigstens vorübergehend eingestellt und zumindest an den Nachmittagen eine als Aktivstatik bezeichnete freiberufliche Tätigkeit wie bisher in der gleichen Stadt, wenn auch in einem anderen Stadtteil, fortgesetzt. Das FG hat ferner festgestellt, daß der Kläger während der kurzen Zugehörigkeit zur Gesellschaft einen Kundenstamm mitgeschaffen hat und dafür eine Vergütung beanspruchen konnte, die in der Auseinandersetzungsbilanz als "Praxiswert" ausgewiesen wurde. Die Vorinstanz hat daraus gefolgert, daß der unter anderem auch vom Kläger geschaffene Praxisname der Sozietät nach seinem Ausscheiden als Grundlage der vom Kläger weitergeführten freiberuflichen Tätigkeit fortgewirkt habe und daß es insoweit nicht darauf ankomme, ob der Kläger tatsächlich frühere Mandanten der Sozietät weiter betreut habe. Dies ist eine mögliche Würdigung, die weder gegen die Lebenserfahrung verstößt noch Denkgesetze verletzt und die die Entscheidung daher trägt.

Diese mögliche Würdigung wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß der Kläger, wie die Vorinstanz ebenfalls festgestellt hat, im Streitjahr und den folgenden Jahren jeweils vormittags eine freiberufliche Tätigkeit ausgeübt hat, die nicht als Fortsetzung der bisherigen in der Sozietät verrichteten Betätigung angesehen werden kann und die deshalb ihrer Art nach auch von der jeweils an den Nachmittagen verrichteten Tätigkeit zu unterscheiden ist. Nach den auch vom Kläger bestätigten Feststellungen des FG entfielen etwa 40 v. H. des Gesamtumsatzes der Jahre 1973 bis 1975 auf die an den Nachmittagen erledigten Aufträge. Die bisherige Tätigkeit wurde danach in einem Umfang fortgeführt, der es ausschließt, sie als bloße Nebentätigkeit wegen Geringfügigkeit zu vernachlässigen.

Die unter Hinweis auf die Entscheidung des FG Hamburg (EFG 1981, 346) vom Kläger vertretene Auffassung, für die Anwendung der §§ 16, 18 Abs. 3 und § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG genüge bereits die Veräußerung des Gesellschaftsanteils, ohne daß es zusätzlich der endgültigen Aufgabe der unternehmerischen Tätigkeit bedürfe, vermag der Senat nicht zu teilen. Ob der Senat diese Auslegung, nach der § 16 EStG seinem Wortlaut nach ähnlich objektbezogen sei wie die Gewerbesteuer, folgen würde, kann im Streitfall dahinstehen. Nach § 18 Abs. 3 Satz 1 EStG gehört unter anderem auch der Gewinn aus der Veräußerung eines Anteils am Vermögen, das der selbständigen Arbeit dient, zu den Einkünften aus selbständiger Arbeit, insbesondere aus freiberuflicher Tätigkeit i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Diese Tätigkeit aber wird entscheidend durch die persönliche Arbeitsleistung des Berufsträgers geprägt, die auch für die Auslegung des § 18 Abs. 3 EStG von Bedeutung sein muß. Daß § 18 Abs. 3 Satz 2 EStG auf § 16 Abs. 1 Nr. 1 letzter Halbsatz und Abs. 2 bis 5 EStG verweist, widerspricht dem nicht. Verweisungsnormen werfen in der Regel die besondere Auslegungsfrage auf, ob und wie weit sie im Hinblick auf die tatsächlichen Verschiedenheiten der Regelungsbereiche nur zu einer sinngemäßen, entsprechenden Anwendung der verwiesenen Vorschrift führen können (Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 1982, 458 f.; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5. Aufl., 1983, 251). Die in § 18 Abs. 3 Satz 2 EStG enthaltene Verweisung auf § 16 EStG kann deshalb nicht dazu führen, die Personenbezogenheit freiberuflicher Einkünfte für den Sonderfall der Veräußerung eines Praxisanteils nur deshalb außer acht zu lassen, weil § 16 EStG objektbezogen auszulegen ist (vgl. Littmann/Blitz/Meincke, Das Einkommensteuerrecht, 14. Aufl., 1985, § 16 Anm. 138), denn darin liegt gerade der wesentliche Unterschied zwischen beiden Formen wirtschaftlicher Betätigung.