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BVerfG-Beschluß vom 14.1.1986 (1 BvR 209/79, 1 BvR 221/79) BStBl. 1986 II S. 376

1. Es ist nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, daß die Steuerbegünstigung für Einkünfte aus wissenschaftlicher, künstlerischer und schriftstellerischer Nebentätigkeit (§ 34 Abs. 4 EStG a. F.) nur solchen Selbständigen gewährt wurde, die hauptberuflich einen sogenannten Katalog-Beruf im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG ausübten.

2. Die Urteile des Bundesfinanzhofs vom 30. November 1978 IV R 34/74 und IV R 190/74 verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben. Die Sachen werden an den Bundesfinanzhof zurückverwiesen.

Gründe:

A.

Gegenstand der Verfahren ist die Frage, ob es mit dem Grundgesetz vereinbar war, daß die Steuerbegünstigung für Einkünfte aus wissenschaftlicher, künstlerischer und schriftstellerischer Nebentätigkeit nur solchen Selbständigen gewährt wurde, die hauptberuflich einen sogenannten Katalog-Beruf im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG (Ärzte, Rechtsanwälte u. a.) ausübten.

I.

Das Einkommensteuerrecht begünstigte bis zum Ablauf des Jahres 1981 Nebeneinkünfte aus wissenschaftlicher, künstlerischer oder schriftstellerischer Tätigkeit dadurch, daß es für sie in den hier maßgeblichen Veranlagungszeiträumen die Hälfte des durchschnittlichen Steuersatzes vorsah, der sich bei Anwendung der tariflichen Einkommensteuer auf das gesamte Einkommen ergab. Dazu bestimmte das Einkommensteuergesetz in der Fassung des Gesetzes zur Neuordnung von Steuern vom 16. Dezember 1954 (BGBl I S. 373):

§ 34

(1) bis (3)...

(4) Die Steuersätze nach Abs. 1 sind auf Antrag bei Steuerpflichtigen mit Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit oder aus selbständiger Arbeit, die aus einer Berufstätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 bezogen werden, auf Nebeneinkünfte aus wissenschaftlicher, künstlerischer oder schriftstellerischer Tätigkeit unter folgenden Voraussetzungen anzuwenden:

1. Die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit oder die Einkünfte aus der Berufstätigkeit müssen die übrigen Einkünfte überwiegen;

2. die Einkünfte aus wissenschaftlicher, künstlerischer oder schriftstellerischer Tätigkeit dürfen nicht zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gehören und müssen von den Einkünften aus der Berufstätigkeit abgrenzbar sein.

Die Steuersätze nach Absatz 1 sind in diesen Fällen auf die Einkünfte aus wissenschaftlicher, künstlerischer oder schriftstellerischer Tätigkeit anzuwenden, die 50 vom Hundert der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit oder aus der Berufstätigkeit nicht übersteigen.

In § 18 Abs. 1 EStG wird der Begriff der selbständigen Arbeit näher bestimmt. Die Vorschrift lautet:

§ 18

(1) Einkünfte aus selbständiger Arbeit sind

1. Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit.

Zu der freiberuflichen Tätigkeit gehören die selbständig ausgeübte wissenschaftliche, künstlerische, schriftstellerische, unterrichtende oder erzieherische Tätigkeit, die selbständige Berufstätigkeit der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Rechtsanwälte, Notare, Patentanwälte, Vermessungsingenieure, Ingenieure, Architekten, Handelschemiker, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, beratenden Volks- und Betriebswirte, vereidigten Buchprüfer (vereidigten Bücherrevisoren), Steuerbevollmächtigten, Heilpraktiker, Dentisten, Krankengymnasten, Journalisten, Bildberichterstatter, Dolmetscher, Übersetzer, Lotsen und ähnlicher Berufe. ...;

2. und 3 ...

(2) bis (5)...

II.

1. Der Beschwerdeführer zu I) ist selbständig als Komponist und Arrangeur sowie als Dirigent und Pianist tätig. Als Arrangeur bearbeitet er sowohl eigene als auch fremde Kompositionen, als Dirigent und Pianist führt er sowohl eigene als auch fremde Kompositionen und Arrangements auf. Seine Einnahmen erhält er im wesentlichen von einer Rundfunkanstalt und von der GEMA. Die im Jahre 1966 erzielten Einnahmen bezog er etwa zu zwei Dritteln als Honorare für seine Kompositionen und Arrangements und etwa zu einem Drittel als Gagen für Konzerte, an denen er als Dirigent oder Pianist mitwirkte. Seine Betriebsausgaben teilte er im Verhältnis der Einnahmen auf. Er beantragte für die Einkünfte aus der Tätigkeit als Dirigent und Pianist die Anwendung des § 34 Abs. 4 EStG. Das Finanzamt lehnte den Antrag ab, weil die Tätigkeit des Beschwerdeführers als Dirigent und Pianist von seiner Tätigkeit als Komponist und Arrangeur nicht klar und eindeutig abgegrenzt werden könne. Die Klage blieb erfolglos.

2. Der Beschwerdeführer zu II), der mit seiner gleichfalls beschwerdeführenden Ehefrau gemäß § 26 Abs. 1 EStG zusammenveranlagt wurde, war als fest angestellter Orchesterdirigent bei einer Rundfunkanstalt tätig. Außerdem arbeitete er als Dirigent und auch als Komponist freiberuflich. Im Jahre 1970 betrugen seine Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit weniger als 30 vom Hundert der insgesamt erzielten Einkünfte. Werden dagegen die Einkünfte aus der nichtselbständig und selbständig ausgeübten Dirigententätigkeit zusammengefaßt und den Einkünften aus der Komponistentätigkeit gegenübergestellt, belaufen sich die Einkünfte aus der Komponistentätigkeit auf etwas mehr als 40 vom Hundert der Einkünfte aus der Dirigententätigkeit. Der Beschwerdeführer vertrat bei der Einkommensteuerveranlagung gegenüber dem Finanzamt die Ansicht, er sei hauptberuflich Dirigent und übe diesen Beruf teils selbständig, teils nichtselbständig aus. Die Einkünfte aus seiner Tätigkeit als freischaffender Komponist seien von den Einkünften als Dirigent abgrenzbar. Er beantragte demgemäß die Steuerermäßigung nach § 34 Abs. 4 EStG.

Das Finanzamt lehnte diese mit der Begründung ab, die Einkünfte aus der freien Dirigententätigkeit seien keine Einkünfte aus freier Berufstätigkeit im Sinne des § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG, weil hierzu nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nur die Einkünfte aus sogenannten Katalog-Berufstätigkeiten zählten.

Die Klage des Beschwerdeführers hatte Erfolg. Das Finanzgericht führte zur Begründung aus: Die restriktive Auslegung des § 34 Abs. 4 Nr. 1 EStG durch den Bundesfinanzhof (BFHE 107, 524) sei im Schrifttum aus zutreffenden Gründen nahezu einstimmig abgelehnt worden. Im Streitfall sei das Kriterium der Abgrenzbarkeit erfüllt, weil die Haupttätigkeit des Beschwerdeführers durch den teils selbständig, teils nichtselbständig ausgeübten Dirigentenberuf gekennzeichnet sei. Die Einkünfte aus der selbständig ausgeübten Komponistentätigkeit ließen sich hiervon hinreichend klar abgrenzen.

3. Der Bundesfinanzhof hat die Revision des Beschwerdeführers zu I) zurückgewiesen. Das zugunsten der Beschwerdeführer zu II) ergangene Urteil des Finanzgerichts hat er auf die Revision des Finanzamts aufgehoben. In den fast gleichlautenden Urteilen hat er an seine Entscheidung vom 14. Dezember 1972 (BFHE 107, 524) angeknüpft. Für diese sei neben dem Wortlaut des § 34 Abs. 4 Satz 1 EStG ausschlaggebend gewesen, daß ohne die Einschränkung des Begriffs "Berufstätigkeit" auf die sogenannten Katalog-Berufe die in § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG geforderte Abgrenzbarkeit der begünstigten Nebeneinkünfte nicht zufriedenstellend möglich sei und daß der Prüfung, ob die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit oder aus Berufstätigkeit überwögen, unüberwindliche Schwierigkeiten entgegenständen.

Zur Abgrenzbarkeit der Nebeneinkünfte führe die Begründung zum Zweiten Steuer-Neuordnungsgesetz vom 20. April 1949 aus, daß die Erweiterung der Vergünstigung des § 34 einen steuerlichen Anreiz zur Erzielung eines höheren Einkommens durch eine nicht in den Beruf fallende Nebentätigkeit auf wissenschaftlichem, künstlerischem oder schriftstellerischem Gebiet bezwecke. Deshalb sei in der Rechtsprechung stets die Auffassung vertreten worden, daß die Tätigkeiten, die zur Haupttätigkeit des freien Berufs gehörten, nicht nach § 34 Abs. 4 EStG begünstigt seien. Im Einklang damit habe der Bundesfinanzhof entschieden, daß die Nebeneinkünfte nicht allein von der Berufstätigkeit abgrenzbar sein müßten, sondern überhaupt nicht aus einer typischen, in § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG genannten freien Berufstätigkeit stammen dürften (BFHE 115, 33). Nur so könne dem Anliegen des Gesetzgebers Rechnung getragen werden. Damit werde zugleich bei den meisten Berufen eine ungleiche Behandlung der selbständig und der nichtselbständig Tätigen vermieden. Des weiteren habe der Bundesfinanzhof entschieden, daß sich bei Einkünften aus wissenschaftlicher, künstlerischer oder schriftstellerischer Tätigkeit, die neben solchen aus nichtselbständiger Arbeit erzielt werden, die Abgrenzbarkeit der Nebeneinkünfte nach dem Wortlaut des Gesetzes schon aus der Verschiedenartigkeit der Einkunftsarten ergebe. Dies wirke sich zugunsten der Steuerpflichtigen aus, weil die Steuervergünstigung dann nicht an der fehlenden Abgrenzbarkeit der Tätigkeiten scheitere. Diese Grundsätze belegten das Bemühen, gerechte Lösungen zugunsten der Steuerpflichtigen zu finden, ebenso aber auch die Schwierigkeiten, diese Lösungen in jedem Einzelfall vollständig den Grundsätzen der gleichmäßigen Besteuerung anzupassen. Erwägungen der Praktikabilität dürften daher nicht gänzlich außer Betracht bleiben. Zwar könne auch diese Lösung nicht in jeder Hinsicht befriedigen. Es müsse aber bedacht werden, daß sich aus den anderen denkbaren Lösungen noch weniger befriedigende Folgerungen ergäben.

§ 34 Abs. 4 Satz 1 EStG nenne als Begünstigte neben den Nichtselbständigen nicht die Bezieher von Einkünften aus freiberuflicher Tätigkeit, wie es dem Wortlaut des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG entspräche, sondern die Bezieher von Einkünften aus einer Berufstätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG, verwende also einen Begriff, der dort unmittelbar vor den Katalog-Berufen gebraucht werde. Die von den Kritikern gewünschte unterschiedliche Auslegung des Begriffs der Berufstätigen - einerseits in § 34 Abs. 4 Satz 1, Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 allgemein im Sinne der freiberuflichen Tätigkeit, andererseits in Satz 1 Nr. 2 nur im Sinne der Katalog-Berufstätigkeit - führe zu keinem überzeugenden Ergebnis. Wären Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit als Schauspieler, Regisseur, Musiker oder Buchautor als Einkünfte aus einer freiberuflichen Berufstätigkeit im Sinne von § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und 2 EStG zu behandeln und Nebeneinkünfte aus wissenschaftlicher, künstlerischer oder schriftstellerischer Tätigkeit zu begünstigen, so bliebe doch unklar, welche Einkünfte aus den verschiedenen Tätigkeiten als Haupteinkünfte und welche als Nebeneinkünfte anzusehen seien. Nahezu unmöglich sei eine Abgrenzung, wenn Einkünfte aus selbständiger "rein" wissenschaftlicher, künstlerischer oder schriftstellerischer Tätigkeit verschiedener Art in etwa gleicher Höhe erzielt würden. Der Kritik lasse sich also kein geeignetes Beurteilungskriterium entnehmen.

Der Bundesfinanzhof hat allerdings den Kreis der Begünstigten bezüglich der unterrichtenden und erzieherischen Tätigkeit erweitert, die nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG nicht zu den sogenannten Katalog-Berufen gehört. Der Beschwerdeführer zu I) könne nicht nach § 34 Abs. 4 EStG begünstigt werden, weil er weder Einkünfte aus einem Katalog-Beruf noch aus selbständiger unterrichtender oder erzieherischer Tätigkeit erzielt habe.

Im Falle der Beschwerdeführer zu II) spreche gegen die Ansicht des Finanzgerichts, daß die Einkünfte aus der selbständigen Tätigkeit als Dirigent zu den Nebeneinkünften gehören sollten, wenn der Beschwerdeführer ausschließlich als Dirigent sowohl nichtselbständig als auch selbständig tätig sei und die Einkünfte aus der nichtselbständigen Arbeit die übrigen Einkünfte - einschließlich der freiberuflich erzielten Dirigenteneinkünfte - überwögen, daß aber die Dirigenteneinkünfte den Berufseinkünften zugeschlagen werden sollten, wenn noch Einkünfte aus der Komponistentätigkeit hinzuträten, weil sich sonst keine Steuerbegünstigung nach § 34 Abs. 4 EStG ergäbe. Dies könne nicht der Sinn des Gesetzes sein. Es lasse sich auch nicht begreiflich machen, daß ein selbständiger Dirigent oder Komponist ohne weitere Einkünfte seine Einkünfte nach der Steuertabelle zu versteuern habe, während ein selbständig tätiger Dirigent, der auch noch als Komponist tätig sei, oder ein freischaffender Komponist, der zudem selbständig dirigiere, die zusätzlichen Einkünfte ermäßigt versteuern könne.

III.

Mit ihren gegen diese Urteile gerichteten Verfassungsbeschwerden beanstanden die Beschwerdeführer vor allem, daß die Beschränkung der steuerlichen Vergünstigung gemäß § 34 Abs. 4 EStG, die sich aus der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ergebe und auf der auch die angegriffenen Entscheidungen beruhten, mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) unvereinbar sei. Sie haben ein Rechtsgutachten von Professor Dr. Tipke vom 12. Juni 1975 vorgelegt und zur weiteren Begründung ihrer Verfassungsbeschwerden darauf verwiesen.

IV.

Zu den Verfassungsbeschwerden haben der Bundesminister der Finanzen namens der Bundesregierung, die Bundessteuerberaterkammer und der Deutsche Komponisten-Verband e. V. Stellung genommen.

1. Der Bundesminister hat sich lediglich zu der Frage geäußert, ob die Anwendung des § 34 Abs. 4 EStG vor der einschränkenden Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zu Schwierigkeiten in der Praxis geführt habe. Hierzu hat er die Finanzminister und Finanzsenatoren der Länder befragt.

...

2. Die Bundessteuerberaterkammer hat mitgeteilt, ihr lägen keine Erkenntnisse über praktische Schwierigkeiten bei der Anwendung des § 34 Abs. 4 EStG in seiner ursprünglichen Auslegung vor.

3. Der Deutsche Komponisten-Verband e. V. hat Mitglieder mit Einkünften aus interpretatorischer und kompositorischer Tätigkeit befragt. Nach ihren Auskünften sind bei der früheren Handhabung des § 34 Abs. 4 EStG keine wesentlichen Probleme aufgetaucht. Die Abgrenzung der Einnahmen aus den beiden Tätigkeitsbereichen habe sich mühelos durchführen lassen, weil sich die Einnahmen aus der Komponistentätigkeit aus den Abrechnungen bestimmter stets gleichbleibender Abrechnungsstellen - insbesondere der GEMA - ergeben hätten. Die Aufteilung und Zuordnung der Betriebsausgaben zu den einzelnen Tätigkeitsbereichen sei häufig im Schätzungswege - überwiegend prozentual - erfolgt. Dies sei von den Finanzämtern, auch nach Betriebsprüfungen, anerkannt worden. Seit dem Bekanntwerden der einschränkenden Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs hätten die Finanzämter die Steuerbegünstigung allgemein abgelehnt. Der Versuch, unter Berufung auf das Gutachten von Professor Dr. Tipke eine Änderung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zu erwirken, sei nicht geglückt.

B.

Die zulässigen Verfassungsbeschwerden sind begründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG.

I.

Der Bundesfinanzhof hat § 34 Abs. 4 EStG in einer Weise ausgelegt, die die Grenzen zulässiger Rechtsfortbildung überschreitet.

1. Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) gebietet Rechtsanwendungsgleichheit als eine Grundforderung des Rechtsstaates. Das bestehende Recht ist ausnahmslos ohne Ansehen der Person zu verwirklichen; jeder wird in gleicher Weise durch die Normierungen des Rechts berechtigt und verpflichtet. Es ist den Gerichten verwehrt, bestehendes Recht zugunsten oder zu Lasten einzelner Personen oder Personengruppen nicht anzuwenden (vgl. BVerfGE 66, 331 [335f.]). Das schließt nicht aus, daß die Gerichte das geltende Recht fortbilden. Das Bundesverfassungsgericht hat ihre Befugnis zur Rechtsfortbildung stets anerkannt (vgl. BVerfGE 34, 269 [287f.]; 49, 304 [318], jeweils m. w. N.; ferner BVerfGE 65, 182 [190f.]). Die Grenzen dieser Befugnis werden aber jedenfalls dann überschritten, wenn der an Gesetz und Recht gebundene Richter eine Vergünstigung, die der Gesetzgeber nach dem Wortlaut des von ihm erlassenen Gesetzes verschiedenen Personengruppen im Interesse ihrer Gleichbehandlung zugebilligt hat, einer Personengruppe allgemein verweigert, und zwar mit Gründen, die ihn nach dem gleichen Gesetz nur im Einzelfall zur Verweigerung berechtigen.

2. Die angegriffenen Entscheidungen verstoßen gegen diesen verfassungsrechtlichen Grundsatz.

Nach § 34 Abs. 4 EStG konnten Steuerpflichtige mit Einkünften aus selbständiger Arbeit, die aus einer Berufstätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG bezogen wurden, für Nebeneinkünfte aus wissenschaftlicher, künstlerischer oder schriftstellerischer Tätigkeit die Anwendung des günstigen Steuersatzes nach § 34 Abs. 1 EStG verlangen. Der Wortlaut der Vorschrift läßt nicht erkennen, daß der Gesetzgeber mit der Beschränkung auf die sogenannten Katalog-Berufe gerechnet oder diese gar gebilligt hätte. Die Auslegung durch den Bundesfinanzhof weicht mithin vom Gesetzeswortlaut ab.

Es ist den Gerichten allerdings nicht generell verwehrt, gesetzliche Bestimmungen, die Vergünstigungen für den Bürger vorsehen, in Übereinstimmung mit den anerkannten Grundsätzen der Gesetzesinterpretation restriktiv auszulegen. Dafür mag es unter Umständen gewichtige Gründe geben, zu denen auch die vom Bundesfinanzhof angeführten Praktikabilitätserwägungen gehören können; für die Entscheidung zwischen mehreren möglichen Auslegungen kann es durchaus von Bedeutung sein, daß eine von ihnen zu klareren und auch im Gesetzesvollzug leichter anwendbaren Ergebnissen führt als alle anderen. Die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung sind aber jedenfalls dann überschritten, wenn das Gesetz die Berücksichtigung solcher Gesichtspunkte im Einzelfall ausdrücklich vorsieht, der Richter dieselben Gesichtspunkte aber dazu verwendet, um die generelle Einschränkung des Anwendungsbereiches des Gesetzes zu begründen. In den vorliegenden Fällen hat der Bundesfinanzhof die Anwendbarkeit des § 34 Abs. 4 EStG auf andere als die sogenannten Katalog-Berufe generell verneint, weil es bei diesen im allgemeinen nicht möglich sei festzustellen, ob die aus ihnen stammenden Einkünfte die Nebeneinkünfte aus wissenschaftlicher, künstlerischer oder schriftstellerischer Tätigkeit überwiegen, und weil ferner ihre Abgrenzung von diesen nicht möglich sei. Gerade diesen Gesichtspunkten ist nach § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und 2 EStG aber im Einzelfall Rechnung zu tragen. Die Auslegung des Gesetzes durch den Bundesfinanzhof unterläuft die Entscheidung des Gesetzgebers für eine Gleichbehandlung der in § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG genannten Personengruppen und verletzt die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht auf Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 3 Abs. 1 GG).

II.

Bei dieser Rechtslage kommt es nicht mehr darauf an, ob die angegriffenen Entscheidungen auch gegen andere Grundrechte der Beschwerdeführer verstoßen.