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BFH-Beschluß vom 18.2.1986 (VII B 113/85) BStBl. 1986 II S. 413

Einer Beschwerde darf das FG durch Aufhebung des angefochtenen und Erlaß eines neuen Beschlusses mit dem gleichen Tenor nur abhelfen, wenn die Beschwerde "begründet", d. h. der angefochtene Beschluß mit solchen Mängeln behaftet ist, daß er nicht aufrechterhalten werden kann. Eine solche Abhilfe ist dagegen nicht zulässig, wenn die Begründung des angefochtenen Beschlusses nur verbessert oder ergänzt werden soll.

FGO § 130 Abs. 1.

Vorinstanz: FG Hamburg

Sachverhalt

Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) beantragte beim Finanzgericht (FG) die Aussetzung der Vollziehung der Festsetzung einer Anlieferungs-Referenzmenge - sog. Milchquote - nach der Milch-Garantiemengen-Verordnung (MGVO). Das FG wies mit Beschluß vom 22. Juli 1985 den Antrag mit der Begründung ab, er sei nicht statthaft, da es an einem aussetzbaren Verwaltungsakt fehle. Auf die Beschwerde des Antragstellers half das FG der Beschwerde durch Beschluß vom 16. August 1985 IV 133/85 S-H (vgl. den entsprechenden Beschluß des FG in einem Parallelverfahren in Entscheidungen der Finanzgerichte 1986, 31) ab, indem es den Beschluß vom 22. Juli 1985 aufhob und erneut entschied, der Antrag werde zurückgewiesen. Zur Begründung führte es aus, es sei nach § 130 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zu einer solchen Verfahrensweise befugt. Die erneute Zurückweisung des Antrags begründete das FG wiederum damit, es fehle an einem aussetzbaren Verwaltungsakt. Es ergänzte die Begründung mit dem Hinweis, auch die widerspruchslose Entgegennahme der Mitteilung der Molkerei nach § 4 Abs. 5 MGVO durch den Antragsgegner und Beschwerdegegner (Hauptzollamt - HZA -) sei kein Verwaltungsakt; im übrigen wäre der Antrag auch dann nicht statthaft gewesen, wenn man von der Existenz eines Verwaltungsaktes hätte ausgehen müssen. Seine erneute Beschwerde begründete der Antragsteller damit, das FG sei nicht befugt gewesen, den Beschluß vom 16. Juli 1985 aufzuheben, ein Verwaltungsakt liege vor, und die Voraussetzungen des § 69 Abs. 2 und 3 FGO seien erfüllt. Das FG half dieser Beschwerde nicht ab.

Entscheidungsgründe

Die angefochtene Entscheidung vom 16. August 1985 verletzt § 130 FGO, soweit durch sie der Beschluß des FG vom 22. Juli 1985 aufgehoben worden ist. Sie ist daher insoweit aufzuheben.

Das FG hat nach § 130 Abs. 1 FGO einer Beschwerde abzuhelfen, soweit es sie für "begründet" hält. Begründet in diesem Sinne ist eine Beschwerde, wenn der angefochtene Beschluß mit solchen Mängeln behaftet ist, daß er nicht aufrechterhalten werden kann. Das ist dann der Fall, wenn sich die Entscheidungsformel als unrichtig erweist oder das Verfahren, das zur Entscheidung geführt hat, an wesentlichen Mängeln leidet, insbesondere an Mängeln i. S. des § 119 FGO, bei deren Vorliegen unterstellt wird, daß die Entscheidung auf diesem Mangel beruht. Dagegen ist eine durch Beschwerde angefochtene Entscheidung nicht schon dann "begründet" i. S. des § 130 Abs. 1 FGO, wenn einzelne Argumente der Beschwerdebegründung gegen die Gründe der angefochtenen Entscheidung zutreffend sind oder das FG der Meinung ist, die Begründung seiner Entscheidung müsse verbessert oder ergänzt werden.

Allein eine solche "Nachbesserung" der Gründe seines Beschlusses vom 22. Juli 1985 hat das FG im vorliegenden Fall mit seinem Beschluß vom 16. August 1985 vorgenommen. Es hat die wesentliche Begründung des ersten Beschlusses aufrechterhalten und diese lediglich ergänzt. Aus den Gründen des zweiten Beschlusses ergibt sich, daß das FG nicht etwa seinen ersten Beschluß für unbegründet i. S. des § 130 Abs. 1 FGO gehalten hat, sondern daß es im Gegenteil der Meinung war, seine Begründetheit lasse sich durch weitere Argumente stützen.

Zu Unrecht beruft sich das FG auf den Beschluß des erkennenden Senats vom 30. März 1976 VII B 105/75 (BFHE 119, 122, BStBl II 1976, 595). Dieser Beschluß betraf einen Fall, in dem die Beschwerde deswegen begründet war, weil das FG der Antragstellerin das rechtliche Gehör versagt hatte und die angefochtene Entscheidung des FG daher zu Unrecht ergangen war, das FG aber, nachdem sich die Antragstellerin Gehör verschafft hatte, seine Entscheidung unter einem neuen Gesichtspunkt für richtig hielt. Die Erkenntnis des Senats, daß in einem solchen Fall das FG nach § 130 Abs. 1 FGO berechtigt ist, eine neue Entscheidung mit neuer Begründung zu erlassen, ist, wie sich aus den Gründen seines Beschlusses deutlich ergibt, allein auf diesen Fall abgestellt. Daß dieser Beschluß nicht ohne weiteres verallgemeinert werden kann, hat der Senat überdies auch in den beiden späteren vom FG zitierten Entscheidungen deutlich gemacht (Beschlüsse vom 30. November 1976 VII B 1/75, BFHE 120, 460, BStBl II 1977, 164, und vom 2. Februar 1977 VII B 13/75, BFHE 121, 167, BStBl II 1977, 331).

Das FG kann sich nicht mit Erfolg auf Stimmen im Schrifttum zu der dem § 130 FGO entsprechenden Vorschrift des § 571 der Zivilprozeßordnung (ZPO) berufen. Im Schrifttum wird - übereinstimmend mit dem Beschluß in BFHE 119, 122, BStBl II 1976, 595 - teilweise die Auffassung vertreten, daß das Gericht der Beschwerde durch Erlaß eines neuen Beschlusses mit Gründen abhelfen kann, wenn es den angefochtenen Beschluß im Ergebnis für richtig hält, aber aus einem anderen Grund, als in ihm dargelegt (vgl. Thomas/Putzo, ZPO, Zivilprozeßordnung mit Nebengesetzen, 13. Aufl., § 571 Anm. 1 c; Baumbach/Lauterbach, Zivilprozeßordnung, 44. Aufl., § 571 Anm. 1 A; Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 20. Aufl., § 571 Anm. 6; Rosenberg/Schwab, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, 13. Aufl., § 149 ZPO IV 1; Blomeyer, Zivilprozeßrecht, 2. Aufl., § 105 ZPO III 1). Es ergibt sich jedoch aus dem angeführten Schrifttum auch, daß das - entsprechend dem Wortlaut der Vorschrift - nur gilt, wenn das Gericht die Beschwerde für begründet erachtet (vgl. insbesondere Rosenberg/Schwab, a. a. O.). Dies trifft aber, wie dargelegt, nicht schon dann zu, wenn das Gericht allein die Begründung seiner Entscheidung für teilweise nicht richtig und für verbesserungs- oder ergänzungsbedürftig hält.

Da der Beschluß vom 16. August 1985 aufgehoben worden ist, besteht der Beschluß vom 22. Juli 1985 weiter. Auch gegen diesen Beschluß hat der Antragsteller Beschwerde eingelegt. Dieser Beschwerde hat das FG im Ergebnis nicht abgeholfen, wie dem (aufgehobenen) Beschluß vom 16. August 1985 im Zusammenhang mit dem diesen Beschluß betreffenden Nichtabhilfebeschluß des FG vom 3. September 1985 zu entnehmen ist. Die Besonderheiten des Falles rechtfertigen die Annahme, daß hinsichtlich der Beschwerde gegen den Beschluß vom 22. Juli 1985 zugleich ein Nichtabhilfebeschluß ergangen und daß auch insoweit eine Vorlage an den Bundesfinanzhof (BFH) i. S. des § 130 Abs. 1 FGO gegeben ist. Ein anderes Ergebnis erscheint auch im Interesse der Prozeßökonomie nicht vertretbar.

Die Beschwerde gegen den Beschluß des FG vom 22. Juli 1985 ist nicht begründet. Das FG hat den Antrag des Antragstellers, die Vollziehung der streitigen Referenzmengen-Feststellung auszusetzen, im Ergebnis zu Recht abgewiesen.