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BFH-Urteil vom 13.12.1985 (VI R 190/82) BStBl. 1986 II S. 486

Auch wenn eine Ehe aufgrund des seit dem 1. Juli 1977 geltenden neuen Ehescheidungsrechts nach dem Zerrüttungsprinzip (§ 1.565 BGB n. F.) geschieden worden ist, weil die Ehegatten übereinstimmend vor dem Familiengericht erklärt haben, ein Jahr getrennt gelebt zu haben, steht dies einer Zusammenveranlagung der Steuerpflichtigen nach den §§ 26, 26b EStG nicht entgegen, sofern die Eheleute zu Beginn des Veranlagungszeitraums noch nicht geschieden waren und tatsächlich nicht dauernd getrennt gelebt haben. Dieses hat das FG unabhängig von den Feststellungen des Familiengerichts und der vor diesem abgegebenen Erklärung der Ehegatten von Amts wegen zu prüfen und zu entscheiden.

EStG 1978 §§ 26, 26b; AO 1977 §§ 4, 88; FGO § 76 Abs. 1 Satz 1.

Vorinstanz: FG Köln

Sachverhalt

Die Ehe des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) ist durch Urteil des zuständigen Familiengerichts vom 26. Januar 1978 aufgrund des seit dem 1. Juli 1977 geltenden Ehescheidungsrechts geschieden worden. Die Ehefrau hatte dazu vorher erklärt: "Wir leben seit über 1 1/2 Jahren getrennt, zwar zusammen in einem Haus, jedoch auf verschiedenen Stockwerken. Ein jeder versorgt sich seit dieser Zeit vollständig selbst."

In seiner Einkommensteuererklärung für das Kalenderjahr 1978 - Streitjahr - hatte der Kläger auf das Ehescheidungsdatum hingewiesen. Auf Anfrage durch den Beklagten und Revisionsbeklagten (das Finanzamt - FA -) hatte er angegeben, seit dem 1. November 1976 dauernd von seiner Ehefrau getrennt gelebt zu haben. Mit dem Bescheid vom 15. Juni 1979 führte das FA gegenüber dem Kläger eine Einzelveranlagung nach § 25 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1977 für das Streitjahr durch. Der hiergegen gerichtete Einspruch, mit dem der Kläger eine Zusammenveranlagung mit seiner geschiedenen Ehefrau begehrt hatte, war erfolglos geblieben. Ebenso wurde die anschließend eingereichte Klage des Klägers mit demselben Ziel vom Finanzgericht (FG) durch dessen in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1983, 174 veröffentlichtes Urteil als unbegründet abgewiesen.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers hiergegen ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG.

Voraussetzung für eine Zusammenveranlagung von Ehegatten zur Einkommensteuer nach § 26 EStG ist u.a., daß beide unbeschränkt steuerpflichtig sind und nicht dauernd getrennt leben.

Das FG hat hier zu Unrecht allein aus der Tatsache, daß der Kläger und seine frühere Ehefrau durch Urteil des zuständigen Familiengerichts vom 26. Januar 1978 aufgrund ihrer Erklärung geschieden worden sind, sie hätten seit mehr als einem Jahr voneinander getrennt gelebt, gefolgert, daß sie deshalb eine der vorgenannten Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 EStG - das Nichtdauerndgetrenntleben - am Jahresanfang des Streitjahres 1978 nicht erfüllt hätten. Zumindest müßten sie sich aber an dieser - vor einem anderen Gericht abgegebenen - Erklärung nach Treu und Glauben festhalten lassen.

Der Senat tritt dem FG darin bei, daß in diesen Erklärungen ein Widerspruch liegt. Denn die Begriffe des Getrenntlebens im Sinne des § 1.567 des Bürgerlichen Gesetzbuches n. F. (BGB) und des § 26 EStG stimmen im wesentlichen überein. Eine Trennung im Sinne des § 1.567 BGB ist nach dem Wortlaut des Gesetzes gegeben, wenn zwischen den Eheleuten "keine häusliche Gemeinschaft besteht und ein Ehegatte sie erkennbar nicht herstellen will, weil er die eheliche Lebensgemeinschaft ablehnt". Erforderlich ist nach der zivilrechtlichen Literatur und Rechtsprechung eine vollkommene tatsächliche Trennung der Ehegatten (vgl. Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, München 1986, 45. Aufl., § 1.567 Anm. 2).

Ein dauerndes Getrenntleben im Sinne des § 26 EStG ist nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) gegeben, wenn die zum Wesen der Ehe gehörende Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft nach dem Gesamtbild der Verhältnisse nicht mehr besteht, wobei einer auf Dauer herbeigeführten räumlichen Trennung bei Abwägung der für und gegen die Annahme eines dauernden Getrenntlebens sprechenden Merkmale regelmäßig eine besondere Bedeutung zukommt (Urteil vom 15. Juni 1973 VI R 150/69, BFHE 109, 363, BStBl II 1973, 640 und die dort erwähnte Rechtsprechung). Ein Vergleich der Rechtsprechung zu den genannten Vorschriften zeigt, daß an die Trennung nach § 1.567 BGB noch strengere Anforderungen als an die nach § 26 EStG zu stellen sind. Erklären daher Eheleute, sie lebten getrennt im Sinne des § 1.567 BGB, so schließt dies ein dauerndes Getrenntleben im Sinn des § 26 in der Regel mit ein.

Entgegen der Auffassung des FG hat jedoch die Rechtsprechung der Steuergerichte zu den Vorschriften des bis zum 30. Juni 1977 geltenden Eherechts (vgl. dazu Soergel/Roth/Stielow, Bürgerliches Gesetzbuch, 11. Aufl., Rz 6 vor § 1.564 BGB n. F.) eine generelle Bindung des Steuerpflichtigen an seine Erklärung im Ehescheidungsprozeß unter Berücksichtigung des Verbots des venire contra factum proprium verneint (vgl. dazu Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., § 4 AO 1977 Tz. 61), es vielmehr für erforderlich gehalten, daß die Frage, ob ein nicht dauerndes Getrenntleben der Ehegatten bestanden hat oder nicht, nach den Gesamtumständen des Einzelfalles beurteilt wird (vgl. die Urteile des erkennenden Senats vom 5. Oktober 1966 VI 42/65, BFHE 87, 208, BStBl III 1967, 84; vom 9. März 1973 VI R 396/70, BFHE 109, 44, BStBl II 1973, 487, sowie die Urteile des FG Berlin vom 15. Juni 1976 V 32/76, EFG 1977, 319; FG Düsseldorf vom 29. September 1980 VIII (V) 129/76 E, EFG 1981, 239, FG Berlin vom 5. März 1982 III 466/79, EFG 1982, 574; FG Bremen vom 16. März 1982 I 192/81 K, EFG 1982, 518).

Der Senat sieht keine Veranlassung, im Hinblick auf das seit dem 1. Juli 1977 geltende Ehescheidungsrecht von dieser Rechtsprechung abzuweichen. Zwar kann nach § 1.565 BGB n. F. eine Ehe geschieden werden, wenn sie gescheitert ist. "Die Ehe ist gescheitert, wenn die Lebensgemeinschaft der Ehegatten nicht mehr besteht und nicht erwartet werden kann, daß die Ehegatten sie wieder herstellen." Hiernach ist eine Ehe ohne weitere Nachprüfung dann zu scheiden, wenn - wie das § 1.565 Abs. 2 BGB n. F. noch modifiziert - die Ehegatten mindestens ein Jahr getrennt gelebt und sie dies gegenüber dem Familiengericht erklärt haben. Da indes sowohl die Finanzverwaltungsbehörden als auch die FG nicht aufgrund fiktiver Sachverhalte entscheiden dürfen, sondern den wahren Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln haben (vgl. § 88 der Abgabenordnung - AO 1977 -, § 76 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -), hatte das FG hier aufgrund einer Beweisaufnahme festzustellen, ob die nunmehrige Behauptung des Klägers zutrifft, daß er und seine Ehefrau zu Beginn des Streitjahres 1978 nicht dauernd getrennt im Sinne des § 26 EStG gelebt haben. Dabei können die Erklärungen der Ehegatten vor dem Familiengericht zwar ein wichtiges Indiz abgeben; das FG muß jedoch noch weitere Ermittlungen anstellen (z.B. Vernehmung der früheren Ehefrau als Zeugin oder des Klägers als Beteiligten), um aus dem Gesamteindruck der Beweisaufnahme die entsprechenden Schlußfolgerungen zu ziehen. Da das FG von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen und die Sache noch nicht entscheidungsreif ist, war - wie geschehen - das Urteil der Vorinstanz nach § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen, damit dieses die erforderlichen Feststellungen nachholt.