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BFH-Beschluß vom 28.5.1986 (I B 22/86) BStBl. 1986 II S. 656

Es ist ernstlich zweifelhaft, ob die FÄ des Landes Nordrhein-Westfalen die einer OFD eingegliederten Großbetriebsprüfungsstellen mit der Durchführung einer Außenprüfung beauftragen dürfen.

AO 1977 § 195; FGO § 69.

Vorinstanz: FG Köln

Sachverhalt

In dem mit der Klage vor dem Finanzgericht (FG) anhängigen Hauptverfahren geht der Streit um die Rechtmäßigkeit einer beim Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) zur Zeit durchgeführten Außenprüfung durch die Großbetriebsprüfungsstelle Köln II.

Der Antragsteller unterliegt als Großbetrieb der Außenprüfung nach §§ 193 ff. der Abgabenordnung (AO 1977).

Durch Verwaltungsakt vom 23. November 1984 ordnete der Beklagte, Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) beim Antragsteller eine steuerliche Außenprüfung für die Zeiträume 1979 bis 1984 an. Mit der Durchführung dieser Außenprüfung wurde die Großbetriebsprüfungsstelle Köln II - eine Außenstelle der Oberfinanzdirektion (OFD) Köln - beauftragt. Die Beschwerde gegen die Prüfungsanordnung hatte keinen Erfolg. Einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Prüfungsanordnung lehnte das FA mit Schreiben vom 30. Juli 1985 ab.

Über die im Hauptverfahren erhobene Klage hat das FG noch nicht entschieden; den im vorliegenden Verfahren bei ihm gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Prüfungsanordnung hat es im wesentlichen mit folgender Begründung abgelehnt:

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Prüfungsanordnung (§ 69 Abs. 3 i. V. m. § 69 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) bestünden nicht. Die gesetzliche Grundlage für die Beauftragung der Großbetriebsprüfungsstelle der OFD mit der Durchführung der Prüfung sei in § 195 Satz 2 AO 1977 zu sehen. Die OFDen seien Finanzbehörden im Sinne der AO 1977 (§ 6 Nr. 3 AO 1977) und daher auch i. S. des § 195 Satz 2 AO 1977. Eine einschränkende Auslegung dieser Vorschrift sei nicht zwingend. Das FA bleibe "Herr des Besteuerungsverfahrens".

Mit seiner wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache vom FG zugelassenen Beschwerde hält der Antragsteller an seinem Antrag fest, die Vollziehung der Prüfungsanordnung auszusetzen. Er verweist in diesem Zusammenhang u. a. auf den Zwischenbericht vom September 1984 zur Neuordnung der Betriebsprüfung, der Steuerfahndung und anderer Außenprüfungen (Finanzministerium Nordrhein-Westfalen 0 2013-1/1 - II C2 - S 1540-69 - VA1 - Zwischenbericht -) und auf die Niederschrift über die 13. Sitzung der Projektgruppe "Neuordnung der Betriebsprüfung, der Steuerfahndung und anderer Außenprüfungen" vom 23. Mai 1985.

Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aussetzung der Vollziehung der Prüfungsanordnung des FA vom 23. November 1984 insoweit, als das FA die Großbetriebsprüfungsstelle mit der Durchführung der Prüfung beauftragt hat.

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts i. S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO sind zu bejahen, wenn bei der summarischen Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts im Aussetzungsverfahren neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182; seitdem ständige Rechtsprechung des BFH).

1. Die Finanzverwaltung stützt ihre Auffassung, die Beauftragung der Großbetriebsprüfungsstelle bei der OFD mit der Durchführung einer Außenprüfung sei rechtmäßig, auf § 195 AO 1977. Nach Satz 1 dieser Vorschrift werden Außenprüfungen von den für die Besteuerung zuständigen Finanzbehörden durchgeführt. Diese können andere Finanzbehörden mit der Außenprüfung beauftragen (§ 195 Satz 2 AO 1977). Da die OFD, deren organisatorischer Teil die Großbetriebsprüfungsstellen in Nordrhein-Westfalen sind, eine Finanzbehörde ist (§ 6 Nr. 3 AO 1977), könnte sich die Finanzverwaltung für ihre Auffassung auf den Wortlaut des Gesetzes stützen.

Gegen die Rechtmäßigkeit einer Prüfungsanordnung der hier zu beurteilenden Art werden jedoch im Schrifttum unter dem Gesichtspunkt eines umfassenderen Sinnzusammenhanges gewichtige Einwände vorgebracht, die dafür sprechen, § 195 Satz 2 AO 1977 einschränkend auszulegen. Diese Einwände stützten sich vor allem auf die Erwägung, daß die OFD nach § 8 Abs. 1 des Finanzverwaltungsgesetzes (FVG) die Finanzverwaltung des Landes in ihrem Bezirk leitet, während demgegenüber die FÄ für die Verwaltung der Steuern zuständig sind (§ 17 Abs. 2 FVG). Dazu gehört auch die Durchführung einer Außenprüfung (BFH-Urteil vom 4. April 1984 I R 269/81, BFHE 140, 509, BStBl II 1984, 563). Eine Übertragung von Aufgaben der FÄ auf die OFD ist nach dieser Auffassung im Gesetz nicht vorgesehen; eine § 19 Abs. 3 FVG entsprechende Vorschrift (Ermächtigung zur Durchführung von Betriebsprüfungen durch das Bundesamt für Finanzen - BfF -) besteht für die OFD nicht (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., § 195 AO 1977 Tz. 4, § 208 AO 1977 Tz. 1). Es wird die Ansicht vertreten, eine Beauftragung der OFD durch das FA verstoße gegen die Grundsätze der funktionellen Zuständigkeit (Frotscher in Schwarz, Kommentar zur Abgabenordnung, § 195 Rdnr. 5).

2. Der erkennende Senat mißt diesen gegen die Rechtmäßigkeit der im Streitfall erlassenen Prüfungsanordnung vorgetragenen Bedenken das Gewicht ernstlicher Zweifel zu. Dies gilt um so mehr, als die Ansicht des FG, das FA bleibe auch nach Beauftragung der OFD "Herr des Verfahrens", in dieser Allgemeinheit nicht zutrifft. Im Laufe einer Außenprüfung kann der Prüfer Einzelmaßnahmen treffen, die sich als Regelungen von Einzelfällen mit unmittelbarer Rechtswirkung nach außen und damit als Verwaltungsakte (§ 118 AO 1977) darstellen und als solche gesondert angefochten werden können (§ 349 Abs. 1 AO 1977). In diesen Fällen wird es deutlich, daß nur die OFD der Beschwerde abhelfen könnte. Bei Nichtabhilfe müßte das Finanzministerium über die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts befinden (§ 368 Abs. 2 AO 1977). Wäre die Auffassung, daß schlechthin jede Finanzbehörde mit der Durchführung einer Außenprüfung beauftragt werden darf, richtig, so müßte dies auch für die Hauptzollämter (HZA) gelten; denn auch diese sind Finanzbehörden (§ 6 Nr. 4 AO 1977 a. F., § 6 Nr. 5 AO 1977 in der Fassung des Steuerbereinigungsgesetzes vom 19. Dezember 1985, BGBl I, 2436, BStBl I, 735). Ein solcher Gesetzeswille kann nicht unterstellt werden.

Der erkennende Senat sieht sich in diesen ernstlichen Zweifeln bestärkt durch die von der Projektgruppe zunächst im Zwischenbericht unter Tz. 3.2.4 wiedergegebenen "Bedenken gegen Beibehaltung des gegenwärtigen Zustands". Danach werden unter Berufung auf § 195 Satz 2 AO 1977 zum einen die größten und bedeutendsten Betriebsprüfungsfälle (ca. 50 v. H. der gesamten Betriebsprüfungstätigkeit), zum anderen die Lohnsteuerangelegenheiten der größten und bedeutendsten Arbeitgeber (von den Großbetriebsprüfungsstellen der OFD) abgewickelt. Hiergegen könne - so die Projektgruppe - eingewandt werden, daß Aufgabenverlagerungen dieses Umfanges durch gesetzliche Zuständigkeitsregelungen getroffen werden sollten, so daß § 195 Satz 2 AO 1977 nur ausnahmsweise in atypischen Fällen zum Zuge komme. Unter diesem Gesichtspunkt mißt die Projektgruppe den Stimmen Gewicht zu, "die in letzter Zeit die Frage nach einer gesetzlichen Zuständigkeitsregelung für den Kernbereich der Prüfungstätigkeit gestellt haben" (vgl. auch Niederschrift der Projektgruppe vom 23. Mai 1985). Diese Bedenken mögen in erster Linie rechtspolitisch gedacht sein. Sie berühren jedoch bereits die Rechtmäßigkeit des zur Zeit im Lande Nordrhein-Westfalen bestehenden Rechtszustandes.

3. Es muß der Entscheidung im Hauptverfahren überlassen werden, ob die Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit von Prüfungsanordnungen der hier zu beurteilenden Art letztlich durchgreifen. Sie begründen jedenfalls ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit solcher Verwaltungsakte.

Nicht erforderlich erscheint es dem erkennenden Senat, die Vollziehung der Prüfungsanordnung in vollem Umfang auszusetzen. Diese begegnet - außer in ihrem die Beauftragung der Großbetriebsprüfungsstelle betreffenden Teil - keinen ernstlichen Zweifeln.