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BFH-Beschluß vom 4.7.1986 (VII B 151/85) BStBl. 1986 II S. 731

Führt eine Finanzbehörde aufgrund eines Vollstreckungsersuchens die Vollstreckung nach den Bestimmungen des Verwaltungs-Vollstreckungsgesetzes durch, so kann sich der Vollstreckungsschuldner ihr gegenüber auf das Fehlen eines Leistungsbescheids berufen.

VwVG § 1 Abs. 1, § 3 Abs. 2 Buchst. a, § 5 Abs. 1; AO 1977 § 250 Abs. 1.

Sachverhalt

Das Arbeitsamt F bat den Beklagten (Hauptzollamt - HZA -) mit Vollstreckungsersuchen - nach Vordruck - vom 21. September 1982, gegen die Klägerin, Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Beschwerdeführerin) geeignet erscheinende Vollstreckungsmaßnahmen durchzuführen. Als Grund der Vollstreckung wurden Rückstände an Pflichtbeiträgen und Mahnkosten im Gesamtbetrag von 4.518,30 DM (zuzüglich der Kosten der Zwangsvollstreckung) angegeben. Außerdem ist in dem Vollstreckungsersuchen ausgeführt, daß "Leistungsbescheid/Zahlungsaufforderung" durch das Arbeitsamt S erteilt worden sei. Der im Vordruck des Vollstreckungsersuchens vorgesehene Freiraum für Angaben über den Zeitpunkt der Erteilung des Leistungsbescheids bzw. der Zahlungsaufforderung enthält keine Angaben.

Mit Verfügung vom 29. Oktober 1982 sprach das HZA wegen der genannten Rückstände und der Vollstreckungskosten im Gesamtbetrag von 4.573,65 DM die Pfändung und Einziehung näher bestimmter Forderungen aus. Die Verfügung enthält ergänzend zur Angabe der Beiträge als Schuldgrund den Hinweis "vgl. Zahlungsaufforderung des Arbeitsamtes S.". Die Beschwerde führte lediglich zur Abänderung der Pfändungsverfügung.

Die daraufhin erhobene Klage begründete die Beschwerdeführerin unter anderem wie folgt: Es werde bestritten, daß ein an sie gerichteter vollstreckbarer Titel vorliege bzw. ihr zugestellt worden sei. Die in der Pfändungsverfügung bezeichnete Zahlungsaufforderung des Arbeitsamts S habe sie nicht erhalten. Nach einem - der Klageschrift beigefügten - Schreiben des Arbeitsamts S vom 14. Januar 1983 sollten die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) B und die AOK H dem Arbeitsamt S bereits im Jahre 1977 bestätigt haben, daß die übergegangenen Beitragsforderungen vollstreckbar seien. Sie - die Beschwerdeführerin - habe aber auch von der AOK B und von der AOK H keine Zahlungsaufforderungen erhalten.

In der Klageschrift beantragt die Beschwerdeführerin auch, ihr Prozeßkostenhilfe zu gewähren. Das Finanzgericht (FG) lehnte den Antrag unter anderem mit der Begründung ab, mit ihren Einwendungen gegen das Bestehen und die Vollstreckbarkeit des zu vollstreckenden Anspruchs (Beitragsrückstände aus der Sozialversicherung) könne die Beschwerdeführerin nicht gehört werden, weil dies in den Verantwortungsbereich des Arbeitsamts F als der um Vollstreckungshilfe ersuchenden Behörde falle. Das HZA sei als die um Vollstreckungshilfe ersuchte Behörde an die Erklärung der ersuchenden Behörde über die Vollstreckbarkeit der beizutreibenden Rückstände gebunden. Die Beschwerdeführerin müsse insoweit ihre Rechte im Wege eines gegen das Arbeitsamt F gerichteten Klageverfahrens geltend machen, für das der Finanzrechtsweg nicht gegeben sei.

Die Beschwerdeführerin legte gegen den Beschluß des FG über den Antrag auf Prozeßkostenhilfe Beschwerde ein.

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

Es besteht hinreichende Aussicht auf Erfolg der Klage i. S. des § 114 der Zivilprozeßordnung (ZPO), und zwar deshalb, weil glaubhaft gemacht ist, daß die Voraussetzungen für eine Vollstreckung nicht vorgelegen haben und die Pfändungsverfügung infolgedessen rechtswidrig ist. Denn aufgrund des bisherigen Vorbringens der Beteiligten und des übrigen Akteninhalts kann nicht festgestellt werden, daß ein Leistungsbescheid ergangen ist, durch den die Beschwerdeführerin zur Zahlung der Pflichtbeiträge, die Grundlage der Vollstreckung sind, aufgefordert worden ist.

Die Vollstreckung wegen der Pflichtbeiträge richtet sich nach den Vorschriften des Verwaltungs-Vollstreckungsgesetzes (VwVG). Die Pflichtbeiträge sind öffentlich-rechtliche Geldforderungen des Bundes i. S. des § 1 Abs. 1 VwVG.

Voraussetzung für Einleitung einer Vollstreckung nach dem VwVG ist, daß ein Leistungsbescheid ergangen ist, durch den der Schuldner zur Leistung aufgefordert worden ist (§ 3 Abs. 2 Buchst. a VwVG). Daraus ergibt sich, daß die Rechtmäßigkeit einer Vollstreckung und damit auch einer in deren Rahmen getroffenen Vollstreckungsmaßnahme vom Erlaß eines Leistungsbescheids im vorgenannten Sinne abhängig ist. Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, muß, da sie Rechtmäßigkeitsvoraussetzung einer Vollstreckung ist, in jedem Stadium der Vollstreckung von Amts wegen geprüft werden. Eine Vollstreckungsmaßnahme ist aufzuheben, wenn es an einem wirksamen Leistungsbescheid fehlt (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 30. März 1976 VII R 94/75, BFHE 118, 533, BStBl II 1976, 581).

Die Entscheidung, ob ein Leistungsbescheid im vorgenannten Sinne ergangen ist, wird nicht dadurch entbehrlich, daß die um Vollstreckung ersuchende Behörde der ersuchten Behörde mitteilt, ein Leistungsbescheid mit Zahlungsaufforderung sei ergangen. Da der Leistungsbescheid Voraussetzung für de Einleitung einer Vollstreckung ist, hängt deren Rechtmäßigkeit und damit die Rechtmäßigkeit der einzelnen Vollstreckungsmaßnahme davon ab, daß ein Leistungsbescheid tatsächlich wirksam ergangen ist. Demnach reicht es nicht aus, daß der Erlaß des Bescheids lediglich zugesichert wird.

Dagegen spricht nicht, daß nach der Regelung in § 250 Abs. 1 Satz 2 der Abgabenordnung (AO 1977), die nach § 5 Abs. 1 VwVG anzuwenden ist, die ersuchende Behörde für die Vollstreckbarkeit des Anspruchs verantwortlich ist. Daraus wird zwar entnommen, daß die ersuchende Behörde auch die Verantwortung für das Vorliegen der Vollstreckungsvoraussetzungen trägt (vgl. Schwarz in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., Juli 1980, § 250 AO 1977 Anm. 15). Auch wenn dieser Auffassung gefolgt wird, kann sie nur dahin verstanden werden, daß die ersuchende Behörde diese Verantwortung im Verhältnis zur ersuchten Behörde trägt. Denn § 250 AO 1977 betrifft das Verhältnis zwischen der ersuchenden und der ersuchten Behörde. Damit wäre es nicht vereinbar, wenn aus der Bestimmung der Verantwortung für die Vollstreckbarkeit des Anspruchs in § 250 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 gefolgert würde, daß es in Fällen, in denen die Vollstreckung durch eine ersuchte Behörde vorgenommen wird, für die Rechtmäßigkeit der Vollstreckung nicht darauf ankommt, ob die Vollstreckungsvoraussetzungen vorliegen. § 250 AO 1977 berührt die Vollstreckungsvoraussetzungen nicht.

Der Regelung über die Verantwortung für die Vollstreckbarkeit des Anspruchs in § 250 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 kann auch nicht entnommen werden, daß der Vollstreckungsschuldner sich gegenüber der ersuchten und die Vollstreckung durchführenden Behörde nicht auf das Fehlen von Vollstreckungsvoraussetzungen berufen kann. Da der Leistungsbescheid mit einer Zahlungsaufforderung Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit einer Vollstreckung und der einzelnen Vollstreckungsmaßnahmen ist, muß der Vollstreckungsschuldner sich auch gegenüber der ersuchten Behörde auf das Fehlen eines Leistungsbescheids berufen können. Denn rechtswidrige Verwaltungsakte sind stets der Behörde gegenüber anfechtbar, von der sie getroffen worden sind (vgl. § 357 Abs. 2 Satz 1 AO 1977).

Dieses Ergebnis entspricht auch der Rechtslage, daß der Vollstreckungsschuldner erst bestimmte Vollstreckungsmaßnahmen und nicht schon die Vollstreckungsanordnung i. S. des § 3 Abs. 1 VwVG (vgl. dazu Sadler, Verwaltungsvollstreckungsgesetz, 1983, § 3 Anm. 1) oder das Vollstreckungsersuchen anfechten kann (vgl. Schwarz, a. a. O., Anm. 4).

Da der Erlaß eines Leistungsbescheids Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Vollstreckung ist, kann die Berufung auf das Fehlen eines Leistungsbescheids auch nicht als Einwendung gegen den zu vollstreckenden Verwaltungsakt i. S. des § 256 AO 1977 angesehen werden, der nach § 5 Abs. 1 VwVG anwendbar ist.

Zum Erlaß eines Leistungsbescheids ist erforderlich, daß er bekanntgegeben wird (vgl. § 3 Abs. 2 Buchst. c VwVG; BFHE 118, 533, BStBl II 1976, 581). Die Bekanntgabe erfordert den Zugang des Leistungsbescheids, den in Zweifelsfällen die Verwaltung nachzuweisen hat; zur Begründung dieser Nachweispflicht reicht es grundsätzlich aus, daß der Zugang schlechthin bestritten wird (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 8. Dezember 1976 I R 240/74, BFHE 121, 142, 147, BStBl II 1977, 321, und vom 12. August 1981 I R 140/78, BFHE 134, 213, BStBl II 1982, 102).

Zur Beurteilung der Frage, ob der Beschwerdeführerin ein Leistungsbescheid bekanntgegeben worden ist, der die Vollstreckung rechtfertigt, braucht im Rahmen der Entscheidung über die Gewährung einer Prozeßkostenhilfe wegen deren summarischen Charakters nicht abschließend geklärt zu werden, ob der Beschwerdeführerin tatsächlich ein Leistungsbescheid zugegangen ist. Insoweit reicht es im Streitfall aus, daß die Beschwerdeführerin bestritten hat, einen Leistungsbescheid erhalten zu haben und daß von seiten der Verwaltung weder der Leistungsbescheid, der ergangen sein soll, genau bezeichnet worden ist, noch Umstände dargelegt worden sind, aus denen sich ergibt, daß der Beschwerdeführerin der Leistungsbescheid zugegangen ist. Dazu hätte aber Veranlassung bestanden, weil offenbar schon vor Klageerhebung das Vorliegen der Vollstreckungsvoraussetzungen in Frage gestellt worden ist, wie dem von der Beschwerdeführerin vorgelegten Schreiben des Arbeitsamts S vom 14. Januar 1983 entnommen werden kann, und darüber hinaus auch das Vorbringen der Beschwerdeführerin im Klageverfahren dahin verstanden werden muß, daß sie schon in diesem Verfahren den Zugang eines Leistungsbescheids bestritten hat.