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BFH-Urteil vom 16.4.1986 (I R 32/84) BStBl. 1986 II S. 736

1. Der Fortsetzungsfeststellungsantrag nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO kann auch hilfsweise gestellt werden (entgegen BFH-Urteil vom 25. Juni 1975 I R 78/73, BFHE 117, 4, BStBl II 1976, 42).

2. Die Vorlage von Bilanzen und Erfolgsrechnungen gemäß § 17 Abs. 1 AStG kann auch zur Bestimmung und zur Überprüfung einer behaupteten Niedrigbesteuerung i. S. des § 8 Abs. 3 AStG angebracht sein.

FGO § 100 Abs. 1 Satz 4; AStG § 8 Abs. 3, § 17 Abs. 1.

Vorinstanz: FG München

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) führt den Rechtsstreit als Alleinerbin ihres Ehemannes M.

M war mit 98 v. H. am Grundkapital von 100.000 sfrs der im Jahre 1971 gegründeten und im Handelsregister mit Domizilvermerk eingetragenen Y-AG (AG) in Zürich beteiligt. Er war als Verwaltungspräsident zur Einzelunterschrift berechtigt. Dem Verwaltungsrat gehörten ferner zwei schweizerische Staatsangehörige mit Kollektivzeichnungsrecht an. Ein im vorliegenden Verfahren Prozeßbevollmächtigter der Klägerin war als Direktor der AG zur Einzelunterschrift berechtigt.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) forderte M mit Schreiben vom 11. April 1975 zur Abgabe einer Steuererklärung gemäß § 18 des Außensteuergesetzes (AStG) auf. M teilte daraufhin mit, die AG sei keine Zwischengesellschaft, da Einkünfte aus "Dienstleistungen" i. S. des § 8 Abs. 1 Nr. 5 AStG erzielt würden. Die Dienstleistungen würden "überwiegend" von Personen erbracht, die "schweizerischer Staatsangehörigkeit und auch dort wohnhaft" seien.

Mit Schreiben vom 3. Oktober 1975 erbat das FA von M zum Nachweis der Tätigkeit der AG die Vorlage von Bilanzen und Erfolgsrechnungen für die Wirtschaftsjahre 1972 bis 1974. Hierzu brachte M vor, die Vorlage erübrige sich schon deshalb, weil die AG infolge einer Ertragsteuerbelastung von mehr als 30 v. H. (§ 8 Abs. 3 AStG) keine Zwischengesellschaft sei. Zum Nachweis legte M Steuerbescheide der AG vor, denen eine solche Belastung zu entnehmen sei.

Mit Schreiben vom 14. Mai 1976 forderte das FA erneut die genannten Unterlagen an, da bei der Belastungsberechnung von einem nach deutschem Steuerrecht ermittelten Gewinn auszugehen sei. Dieser könne nur aus der schweizerischen Handelsbilanz abgeleitet werden. Gegen dieses Schreiben legte M Beschwerde ein. Die Oberfinanzdirektion (OFD) wies die Beschwerde als unbegründet zurück.

Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führt u. a. aus:

Die Anforderung von Unterlagen durch das FA sei nicht zu beanstanden. Es genüge, daß die Unterlagen benötigt würden um zu prüfen, ob die AG eine passive Tätigkeit ausübe und ob aus den - nach deutschem Steuerrecht ermittelten - Einkünften eine Niedrigbesteuerung folge. Schon die nach schweizerischem Steuerrecht ermittelten Zahlen des M ergäben eine Belastung, die nur wenig über 30 v. H. liege.

Den Einkünften seien die Verwaltungsratsvergütungen und die Steuern hinzuzurechnen (§ 12 Nr. 2 und 3 des Körperschaftsteuergesetzes - KStG - a. F.). Im Streitfall sei der Verwaltungsrat der AG mit dem Aufsichtsrat einer deutschen Aktiengesellschaft vergleichbar, weil neben dem Verwaltungsrat ein Geschäftsführungsorgan (Direktor) eingesetzt sei. Infolge dieser Hinzurechnungen ergebe sich beispielsweise für 1972 nur eine Steuerbelastung von rd. 20 v. H.

Die weitere Voraussetzung für die Annahme einer Zwischengesellschaft - eine passive Tätigkeit - sei naheliegend. Bezüglich der von der AG erbrachten "Dienstleistungen" liege die Gegenausnahme gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 5 a AStG vor. Die AG habe sich bei ihren Dienstleistungen des M "bedient", der unbeschränkt steuerpflichtig und an der AG zu mehr als der Hälfte (zu 98 v. H.) beteiligt sei.

Der Umstand, daß die unbefugte Herausgabe von Unterlagen einer schweizerischen Gesellschaft nach Art. 273 des Schweizerischen Strafgesetzbuches strafbar sei, stehe dem Herausgabeverlangen nicht entgegen. M habe es aufgrund seiner Aktienmehrheit von 98 v. H. in der Hand, eine der Herausgabe zustimmende Willensbildung der Gesellschaftsorgane der AG herbeizuführen. Auch Art. 27 Abs. 2 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 11. August 1971 - DBA-Schweiz - (BGBl II 1972, 1022, BStBl I 1972, 519) stehe der Vorlagepflicht nicht entgegen, weil hierdurch weder schweizerische Verwaltungsmaßnahmen ausgelöst noch die schweizerische Souveränität, die Sicherheit der Schweiz, ihre allgemeinen Interessen oder ihr "Ordre public" berührt würden.

Das Urteil des FG wurde der Klägerin am 21. Dezember 1983 zugestellt. Der erkennende Senat hat durch Beschluß vom 19. Juni 1985 I B 8/84 die Revision zugelassen.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts.

Sie beantragt, das angefochtene Urteil des FG, den Bescheid des FA vom 14. Mai 1976 sowie die Beschwerdeentscheidung der OFD vom 31. Januar 1977 aufzuheben.

Das FA hat mitgeteilt, die Klägerin habe die Bilanzen und Erfolgsrechnungen 1972 bis 1974 mit Schreiben vom 5. Januar 1984, beim FA eingegangen am 9. Januar 1984, vorgelegt. Damit sei die Klägerin dem Verlangen des FA nachgekommen.

Das FA hat die Hauptsache für erledigt erklärt. Hilfsweise beantragt das FA, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Die Klägerin ist der Auffassung, die Sache sei nicht erledigt. Sie beantragt hilfsweise die Feststellung, daß der Bescheid des FA vom 14. Mai 1976 in Gestalt der Beschwerdeentscheidung vom 31. Januar 1977 rechtswidrig gewesen sei.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

1. Der von der Klägerin in erster Linie gestellte Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsakts kann keinen Erfolg haben. Denn der Bescheid des FA vom 14. Mai 1976 hat sich - zeitlich nach der Zustellung des FG-Urteils am 21. Dezember 1983 - dadurch erledigt, daß die Klägerin der in diesem Bescheid ausgesprochenen Verpflichtung zur Vorlage von Unterlagen am 9. Januar 1984 nachgekommen ist. Damit ist der Regelungsinhalt der Anordnung erschöpft; der Verwaltungsakt ist erledigt (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 9. Mai 1978 VII R 96/75, BFHE 125, 144, BStBl II 1978, 501; vom 5. April 1984 IV R 244/83, BFHE 140, 518, BStBl II 1984, 790; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 29. November 1979 3 C 103.79, BVerwGE 59, 148, 152).

2. Hinsichtlich des hilfsweise gestellten Antrags auf Feststellung, daß der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen sei, ist die Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 100 Abs. 1 Satz 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zu bejahen.

a) Zwar hat der erkennende Senat im Urteil vom 25. Juni 1975 I R 78/73 (BFHE 117, 4, BStBl II 1976, 42) die Auffassung vertreten, ein solcher Antrag könne nicht für den Fall hilfsweise gestellt werden, daß der Kläger mit seinem Begehren in der Hauptsache nicht durchdringe (diese Auffassung ablehnend Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 100 Anm. 16 C; Tipke/Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 100 FGO Anm. 19; Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 100 FGO Anm. 57; Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Bd. 2, Tz. 9584; zustimmend Ziemer/Birkholz, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 100 Anm. 70). An dieser Auffassung hält der Senat nicht mehr fest; dies kommt bereits in dem Urteil vom 17. Juli 1985 I R 214/82 (BFHE 144, 333, BStBl II 1986, 21) zum Ausdruck. Dieses Ergebnis entspricht auch der Rechtsprechung des BVerwG zu § 113 Abs. 1 Satz 4 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - (vgl. Urteile vom 11. Oktober 1968 VII C 139.65, Deutsches Verwaltungsblatt - DVBl - 1970, 281; vom 24. Oktober 1980 4 C 3.78, BVerwGE 61, 128, 134 f.).

b) Für die Zulässigkeit des Feststellungsbegehrens nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO ist unerheblich, daß die Erledigung erst nach Abschluß des finanzgerichtlichen Verfahrens eingetreten ist (vgl. BFH-Urteil vom 23. März 1976 VII R 106/73, BFHE 118, 503, BStBl II 1976, 459; BVerwG-Urteil vom 15. November 1984 2 C 56.81, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, § 113 VwGO Nr. 145).

c) Die Klägerin hat auch ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung, wie dies § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO erfordert. Dieses Interesse ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung des BFH, nach der Ermittlungsmaßnahmen des FA mit Erfolg angegriffen worden sein müssen, um zu einem Verwertungsverbot zu gelangen (vgl. BFHE 125, 144, BStBl II 1978, 501; Beschluß vom 24. Juni 1982 IV B 3/82, BFHE 136, 192, BStBl II 1982, 659; Urteile vom 27. Juli 1983 I R 210/79, BFHE 139, 221, BStBl II 1984, 285; in BFHE 140, 518, BStBl II 1984, 790; in BFHE 144, 333, BStBl II 1986, 21; vom 14. August 1985 I R 188/82, BFHE 144, 339, BStBl II 1986, 2). Damit kann dahinstehen, ob im Streitfall auch ein sog. "Wiederholungsvorbeugungsinteresse" in Betracht käme (vgl. BVerwG-Urteil vom 24. Februar 1983 3 C 56.80, Buchholz, a. a. O., § 113 VwGO Nr. 129; BFH-Urteil vom 16. Dezember 1971 IV R 221/67, BFHE 103, 555, BStBl II 1972, 182).

3. Das hilfsweise Feststellungsbegehren ist nicht begründet. Der angefochtene Verwaltungsakt war rechtmäßig. M war verpflichtet, die angeforderten Unterlagen dem FA vorzulegen. Diese Verpflichtung folgt aus § 17 Abs. 1 AStG. Danach haben Steuerpflichtige zur Anwendung der Vorschriften der §§ 5 und 7 bis 15 AStG die dafür notwendigen Auskünfte zu erteilen (§ 17 Abs. 1 Satz 1 AStG). Auf Verlangen sind insbesondere die für die Anwendung der §§ 7 bis 14 AStG sachdienlichen Unterlagen einschließlich der Bilanzen und Erfolgsrechnung vorzulegen (§ 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AStG). Dieser Verpflichtung stehen die verschiedenen Einwendungen der Klägerin nicht entgegen.

a) Der Auffassung der Klägerin, "das Vorliegen einer Zwischengesellschaft (sei) Tatbestandsvoraussetzung für die Auskunftspflicht" und im Streitfall werde die Auskunftspflicht "zum Zwecke der Ausforschung" mißbraucht, kann nicht gefolgt werden. Die umstrittene Ermittlungsmaßnahme ging nicht "ins Blaue hinein" (vgl. Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a. a. O., § 88 AO 1977 Anm. 50). Vielmehr hatte das FA zu ermitteln, ob die ausländische Gesellschaft, an der M beteiligt war, Zwischengesellschaft ist. Der Steuerpflichtige kann die Auskunft nach § 17 Abs. 1 AStG in der Regel nicht mit dem Hinweis verweigern, es liege keine Zwischengesellschaft vor (vgl. Flick/Wassermeyer/Becker, Kommentar zum Außensteuerrecht, 4. Aufl., § 17 AStG Anm. 10).

b) Die Ermittlungsmaßnahme des FA war auch nicht deshalb rechtswidrig, weil die Steuerbelastung der AG nach der Berechnung der Klägerin - z. T. nur wenig - über 30 v. H. (§ 8 Abs. 3 AStG) liegt. Die Vorlage von Bilanzen und Erfolgsrechnungen kann auch zur Bestimmung und zur Überprüfung einer behaupteten Niedrigbesteuerung angebracht sein (vgl. Flick/Wassermeyer/Becker, a. a. O., § 17 AStG Anm. 56). Das FA muß prüfen können, ob das - nach ausländischem Recht ermittelte - Einkommen korrekt und vollständig erklärt wurde. Deshalb kommt es für die hier umstrittene Vorlagepflicht nicht darauf an, ob die ertragsteuerliche Belastung von 30 v. H. (§ 8 Abs. 3 AStG) auf die nach den Grundsätzen des deutschen Steuerrechts zu ermittelnden Einkünfte der ausländischen Gesellschaft zu beziehen ist (vgl. den Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks VI/2883, S. 28 zu Nr. 98). Damit kann auch dahinstehen, ob die Auffassung des FG zutrifft, den nach ausländischem Recht ermittelten Einkünften seien Verwaltungsratsbezüge und Steuern hinzuzurechnen.

c) Das FA war nicht durch Art. 27 DBA-Schweiz gehindert, die umstrittenen Unterlagen zu verlangen. Entgegen der Meinung der Klägerin unterläuft § 17 Abs. 1 AStG nicht die Auskunftsklausel des Art. 27 DBA-Schweiz. Es kommt im Streitfall nicht darauf an, ob das FA entsprechende Auskünfte über diese Klausel erlangen könnte oder nicht. Denn es ist lediglich eine auf das Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) bezogene Ermittlungsmaßnahme im Streit. Im übrigen enthält das DBA-Schweiz bezüglich der Zugriffsbesteuerung nach den §§ 7 ff. AStG ausdrücklich einen Vorbehalt (vgl. Verhandlungsprotokoll vom 29. September 1971 zum DBA-Schweiz, abgedruckt in Korn/Dietz/Debatin, Doppelbesteuerung Schweiz S. 193; BFH-Urteil vom 9. November 1983 I R 120/79, BFHE 140, 493, BStBl II 1984, 468, unter 2.2). Daraus ist zu schließen, daß die Vertragsstaaten auch in einer verwaltungsmäßigen Durchführung der Zugriffsbesteuerung und in entsprechenden Ermittlungsmaßnahmen keinen Verstoß gegen DBA- Recht sehen.

d) Gegenüber dem umstrittenen Vorlageverlangen kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg auf Geschäftsgeheimnisse berufen; diese werden durch § 30 der Abgabenordnung (AO 1977) geschützt (vgl. BFH-Urteil vom 20. Februar 1979 VII R 16/78, BFHE 127, 104, BStBl II 1979, 268).

Die Klägerin kann auch nicht mit dem Einwand durchdringen, der Anforderung von Bilanzen und Erfolgsrechnungen stehe Art. 273 des Schweizerischen Strafgesetzbuches entgegen, weshalb der angefochtene Verwaltungsakt gemäß § 125 Abs. 2 Nr. 3 AO 1977 nichtig oder jedenfalls rechtswidrig sei. Es kann dahinstehen, ob der Tatbestand dieser Strafvorschrift - auch angesichts des vorgenannten Verhandlungsprotokolls vom 29. September 1971 - ernsthaft in Betracht käme. Der erkennende Senat hat im Urteil vom 16. April 1980 I R 75/78 (BFHE 133, 19, BStBl II 1981, 492) ausgeführt, etwaige Auswirkungen der schweizerischen Strafvorschrift brauche kein anderer Staat gegen sich gelten zu lassen (vgl. auch United States of America v. Vetco Inc., U.S. Court of Appeals, 9th Circuit, 5-11-81, U.S. Tax Cases 81-1, Nr. 9428, Commerce Clearing House). Im übrigen hat die Klägerin nicht vorgebracht, wegen der vom FA vorgelegten Unterlagen hätten schweizerische Behörden irgendwelche Sanktionen verhängt und vollstreckt.