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BFH-Urteil vom 18.7.1986 (III R 178/80) BStBl. 1986 II S. 745

1. Zahlungen in Erfüllung rechtsgeschäftlicher Verpflichtungen erwachsen regelmäßig nicht zwangsläufig i. S. von § 33 Abs. 2 EStG.

2. Die Berücksichtigung von Schuldzinsen als außergewöhnliche Belastung kommt mangels Zwangsläufigkeit nicht in Betracht, wenn die Schuldaufnahme nicht durch Aufwendungen veranlaßt ist, die ihrerseits eine außergewöhnliche Belastung darstellen.

3. Kosten eines Zivilprozesses erwachsen in aller Regel nicht zwangsläufig; dies gilt unabhängig davon, ob die Prozeßkosten dem Steuerpflichtigen in der Parteistellung als Kläger oder als Beklagter entstehen.

EStG 1974 § 33.

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) beantragte bei seiner Einkommensteuerveranlagung für das Streitjahr 1974, einen Betrag von 83.000 DM als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu berücksichtigen. In dem geltend gemachten Betrag sind unter anderem enthalten 55.000 DM für Zahlungen an die geschiedene Ehefrau, 9.000 DM für Zinsen auf ein Darlehen zur Finanzierung der Leistungen an die geschiedene Ehefrau sowie 19.000 DM für Zivilprozeßkosten.

Der Kläger und seine zwischenzeitlich von ihm geschiedene Ehefrau hatten während des Bestehens ihrer Ehe (1965 bis 1971) Gütertrennung vereinbart. Nach Feststellungen in den Urteilen des Oberlandesgerichts (OLG) ... vom ... Mai 1973 und des Bundesgerichtshofs (BGH) vom ... Juli 1974 erlitt die frühere Ehefrau des Klägers Vermögenseinbußen von rund 200.000 DM und verlangte vom Kläger wegen dieser Vermögensverluste Schadensersatz. Der Kläger lehnte zunächst die Erfüllung jeglicher Schadensersatzansprüche ab. Am 10. Juli 1970 kam es dann jedoch zwischen dem Kläger und seiner Ehefrau zum Abschluß eines Vertrages, dessen Ziffer 1 wie folgt lautet: "Zweck dieser Vereinbarung ist, Frau A (geschiedene Ehefrau) den Schaden zu ersetzen, der ihr hinsichtlich eines Teiles ihres Vermögens entstanden ist. Grundsätzlich verpflichtet sich Herr A, bis zum 31. Dezember 1975 Frau A so zu stellen, daß finanziell und wirtschaftlich der gleiche Stand erreicht wird, der dann bestünde, wenn Frau A die 110.000 DM 6 %-ige Pfandbriefe zuzüglich eines Barbetrags von 30.000 DM unangetastet behalten hätte." In Ziffer 2 versprach der Kläger, jährlich 10.000 DM auf das Haushaltskonto seiner Ehefrau zu überweisen, von denen diese monatlich 700 DM ohne Anrechnung auf die unter Ziffer 1 genannten Verbindlichkeiten abheben durfte. Die Vertragsparteien gingen davon aus, daß die geschiedene Ehefrau Erträge von 10.000 DM jährlich aus ihrem Vermögen hätte erzielen können.

Im März 1971 vereinbarten der Kläger und seine Ehefrau, sich im Wege einer einverständlichen Scheidung zu trennen. Die Ehefrau verzichtete in der Scheidungsvereinbarung unabhängig von dem im Scheidungsurteil enthaltenen Schuldausspruch für die Zukunft auf Unterhaltsansprüche jeder Art gegenüber dem Kläger. An der Abmachung vom 10. Juli 1970 wurde mit der Maßgabe festgehalten, daß die festgelegte Tilgung bis zum 31. Dezember 1975 erbracht sein müsse. In der Folgezeit verweigerte jedoch der Kläger die im Vertrag vom 10. Juli 1970 vereinbarten Zahlungen mit der Begründung, der Vertrag sei sittenwidrig und damit unwirksam. Das Landgericht hat der Klage der Ehefrau auf Zahlung von 35.000 DM in Höhe eines Teilbetrags von nur 14.000 DM stattgegeben. Auf ihre Berufung sprach das OLG der Ehefrau des Klägers den ursprünglich geltend gemachten Betrag von 35.000 DM zu. Die hiergegen eingelegte Revision hat der BGH als unbegründet zurückgewiesen.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) lehnte es - auch im Einspruchsverfahren - ab, die vom Kläger geltend gemachten Aufwendungen steuerermäßigend zu berücksichtigen. Das FA vertrat die Auffassung, Aufwendungen zur Tilgung von Schulden seien nur dann als außergewöhnliche Belastung zu beurteilen, wenn die Begründung der Schulden auf außergewöhnliche Umstände zurückzuführen sei. Diese Voraussetzung habe im Streitfall nicht vorgelegen. Die Prozeßkosten seien dem Kläger nicht zwangsläufig erwachsen. Er, der Kläger, habe den Rechtsstreit selbst verursacht, da er den Vertrag vom 10. Juli 1970 nicht eingehalten habe.

Die Klage hatte keinen Erfolg.

Der Kläger rügt mit der Revision einen Verstoß der Vorentscheidung gegen § 33 EStG. Er beantragt, Einkommensteuer- und Ergänzungsabgabeschuld 1974 auf null DM festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Nach § 33 Abs. 1 EStG wird auf Antrag die Einkommensteuer ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommens- und Vermögensverhältnisse sowie gleichen Familienstandes erwachsen.

1. a) Bei den Zahlungen des Klägers an seine geschiedene Ehefrau in Höhe von 55.000 DM fehlt es an dem Tatbestandsmerkmal der Zwangsläufigkeit i. S. von § 33 Abs. 2 EStG. Nach dieser Vorschrift erwachsen einem Steuerpflichtigen Aufwendungen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn die vorstehend aufgezählten Gründe von außen (zutreffend Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 33 EStG Anm. 175 unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte) auf die Entschließung des Steuerpflichtigen in einer Weise einwirken, daß er ihnen nicht ausweichen kann. Unter rechtliche Gründe i. S. von § 33 Abs. 2 EStG fallen danach nur solche rechtlichen Verpflichtungen, die der Steuerpflichtige nicht selbst gesetzt hat. Verpflichtungen aufgrund rechtsgeschäftlicher Vereinbarungen können mithin für sich allein Zwangsläufigkeit i. S. von § 33 Abs. 2 EStG regelmäßig nicht begründen. Denn in den Fällen rechtsgeschäftlicher Verpflichtungen tritt der Zwang in aller Regel nicht von außen an den Steuerpflichtigen heran. Zwangsläufigkeit kann in derartigen Fällen nur bejaht werden, wenn zusätzlich zu der selbst begründeten Rechtspflicht eine weitere sich z.B. unmittelbar aus dem Gesetz ergebende rechtliche oder eine sittliche Verpflichtung bzw. eine tatsächliche Zwangslage zur Leistung der Aufwendungen besteht. Entsprechendes gilt, wenn die Übernahme der Rechtspflicht ihrerseits auf rechtlichen oder sittlichen Verpflichtungen bzw. einer tatsächlichen Zwangslage beruht (vgl. Kanzler, a.a.O., Anm. 188).

b) Diese Voraussetzungen sind bei den Leistungen des Klägers an seine geschiedene Ehefrau nicht erfüllt. Der Kläger hat seine Zahlungen aufgrund des mit seiner früheren Ehefrau am 10. Juli 1970 geschlossenen Vertrages und damit aufgrund einer selbstgesetzten Verpflichtung erbracht. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG - insbesondere ausweislich der von der Vorinstanz in Bezug genommenen Entscheidungen von OLG und BGH - hat der Kläger selbst stets das Bestehen einer Schadensersatzpflicht gegenüber seiner früheren Ehefrau mit der Begründung bestritten, er habe den Vermögensverlust jedenfalls nicht schuldhaft verursacht. Hat indes der Kläger bei der Herbeiführung der Vermögensverluste nicht schuldhaft gehandelt, bestand abgesehen von der vertraglichen Verpflichtung vom 10. Juli 1970 keine weitere Rechtspflicht des Klägers zur Leistung der Zahlungen an seine frühere Ehefrau. Daß für den Kläger eine tatsächliche Zwangslage zur Leistung der Zahlungen bestanden hätte, ist nicht ersichtlich. Der Kläger hat auch eine sittliche Verpflichtung zum Ersatz der von seiner geschiedenen Ehefrau erlittenen Vermögensverluste vor OLG und BGH nachdrücklich bestritten und darüber hinaus Sittenwidrigkeit der Vereinbarung vom 10. Juli 1970 geltend gemacht. Unter diesen Umständen kann - und zwar auch bei objektiver Beurteilung - nicht davon ausgegangen werden, daß die Zahlungen des Klägers an seine geschiedene Ehefrau nach dem Urteil aller Billig- und Gerechtdenkenden - also sittlich - geboten gewesen wären (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 7. Dezember 1962 VI 115/62 U, BFHE 76, 367, BStBl III 1963, 135).

Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG ergibt sich auch nichts für die Annahme, daß die Übernahme der vertraglichen Verpflichtungen am 10. Juli 1970 auf rechtlichen oder sittlichen Verpflichtungen bzw. einer tatsächlichen Zwangslage des Klägers beruht hätte.

Eine Zwangsläufigkeit der Aufwendungen des Klägers folgt auch nicht daraus, daß das OLG und der BGH in zweiter bzw. dritter Instanz dem Begehren der geschiedenen Ehefrau des Klägers stattgegeben und diesen zur Zahlung der vertraglich vereinbarten Leistungen verurteilt haben. Vor den Zivilgerichten wurde darum gestritten, ob der Vertrag vom 10. Juli 1970 aus den §§ 138, 823 und 826 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) unwirksam sei. Dadurch, daß OLG und BGH die Unwirksamkeit des Vertrags vom 10. Juli 1970 verneinten, wurden die aufgrund selbstbegründeter Verpflichtung geleisteten Zahlungen nicht zu zwangsläufig erwachsenen Aufwendungen i. S. von § 33 Abs. 2 EStG. Denn aus den genannten Entscheidungen ergibt sich nicht, daß der Kläger verpflichtet gewesen wäre, die Vereinbarung vom 10. Juli 1970 mit seiner früheren Ehefrau abzuschließen.

2. Auch die Zinsaufwendungen des Klägers wegen der Schuldaufnahme zur Tilgung der Zahlungsverpflichtungen gegenüber seiner geschiedenen Ehefrau sind nicht zwangsläufig i. S. von § 33 Abs. 2 EStG erwachsen. Nach herrschender Meinung können Schuldzinsen nur dann eine außergewöhnliche Belastung bilden, wenn die Schuldaufnahme durch Ausgaben veranlaßt ist, die ihrerseits eine außergewöhnliche Belastung darstellen (vgl. z.B. Blümich/Falk, Einkommensteuergesetz, § 33 Anm. 6 "Schuldzinsen"; Schmidt/Drenseck, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 33 Anm. 8 "Schuldzinsen"; Sunder-Plassmann in Littmann, Das Einkommensteuerrecht, 14. Aufl., § 33 EStG Anm. 96f). Entscheidend ist also nicht die Zwangsläufigkeit der Schuldaufnahme, sondern die Zwangsläufigkeit der die Schuldaufnahme verursachenden Aufwendungen. Andernfalls könnten Aufwendungen, die weder außergewöhnlich noch zwangsläufig sind, auf dem Umweg über eine Darlehensaufnahme mit Erfolg als außergewöhnliche Belastung geltend gemacht werden (vgl. z.B. Lademann/Söffing/Brockhoff, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 33 EStG Anm. 78 "Schuldentilgung"). Dies entspräche jedoch nicht dem Sinn und Zweck der Steuerermäßigung gemäß § 33 EStG. Im Streitfall war die Aufnahme der Schulden, wie oben (1.b) im einzelnen ausgeführt wurde, nicht zwangsläufig i. S. von § 33 Abs. 2 EStG. Daher scheidet eine Berücksichtigung der Schuldzinsen als außergewöhnliche Belastung aus.

3. Auch bei den Prozeßkosten, die der Kläger zur Klärung seiner Zahlungsverpflichtungen aufgewendet hat, fehlt es an dem Tatbestandsmerkmal der Zwangsläufigkeit.

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH spricht eine Vermutung gegen die Zwangsläufigkeit von Zivilprozeßkosten, weil in diesen Fällen der Steuerpflichtige das Prozeßkostenrisiko bewußt auf sich nimmt (Urteile vom 22. August 1958 VI 148/57 U, BFHE 67, 379, BStBl III 1958, 419; vom 19. Oktober 1962 VI 159/61, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Einkommensteuergesetz bis 1974, § 33, Rechtsspruch 164). Dieser Grundsatz darf nach Auffassung der Rechtsprechung allerdings nicht starr angewendet werden. Für einzelne Gruppen von Rechtsstreitigkeiten und für einzelne Prozesse kann eine andere Beurteilung geboten sein (BFH-Urteil vom 5. Juli 1963 VI 272/61 S, BFHE 77, 487, BStBl III 1963, 499). Im Anschluß an diese Rechtsprechung wird auch im Schrifttum überwiegend die Auffassung vertreten, daß die Kosten eines Zivilprozesses regelmäßig nicht als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen seien (vgl. z.B. Blümich/Falk, a.a.O., § 33 EStG Anm. 6 "Prozeßkosten"; Gericke in Hartmann/Böttcher/Nissen/Bordewin, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 33 EStG Rdziff. 21; Schmidt/Drenseck, a.a.O., § 33 EStG Anm. 8 "Prozeßkosten"; Sunder-Plassmann in Littmann, a.a.O., § 33 EStG Anm. 56 f.; ausführlich auch Seitrich, Betriebs-Berater - BB - 1985, 724 f., 725). Eine hiervon abweichende Rechtsauffassung vertritt Kanzler (Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 33 EStG Anm. 117 f.) unter Berufung auf den Wortlaut des § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG. Danach soll es allein auf die Zwangsläufigkeit der Aufwendungen und nicht der diesen zugrunde liegenden Ereignisse ankommen.

Grundsätzlich in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung im Schrifttum geht der erkennende Senat davon aus, daß die Kosten eines Zivilprozesses in aller Regel nicht als zwangsläufig anerkannt werden können. Dies ergibt sich aus der Erwägung, daß derjenige, der einen Prozeß führt, in aller Regel die Gründe für die rechtliche Pflicht zur Zahlung der Prozeßkosten selbst gelegt hat. Dies gilt im Grundsatz unabhängig davon, ob einem Steuerpflichtigen Prozeßkosten in der Parteistellung als Kläger oder als Beklagter entstehen. Auch ein Beklagter setzt die rechtliche Pflicht zur Tragung von Prozeßkosten selbst, sofern er Anlaß zur Erhebung der Klage gegeben und den Anspruch nicht sofort gemäß § 93 der Zivilprozeßordnung (ZPO) anerkannt hat. Entscheidend erscheint dabei die Erwägung, daß bei Zivilprozeßkosten ähnlich wie bei der Beurteilung von Aufwendungen aufgrund von Rechtspflichten aus rechtsgeschäftlichen Vereinbarungen nicht nur auf die - regelmäßig vorliegende - Zwangsläufigkeit der Zahlungsverpflichtung selbst abgestellt werden darf. Es muß vielmehr hinzukommen, daß der Steuerpflichtige dem Prozeß aus einer rechtlichen oder sittlichen Verpflichtung oder aus tatsächlichem Zwang nicht ausweichen konnte. Es ist also eine durch die Gegebenheiten des Einzelfalles hervorgerufene Zwangsläufigkeit von der generellen und rein rechtlichen Notwendigkeit, zur weiteren Verfolgung von Ansprüchen richterliche Hilfe in Anspruch nehmen zu müssen, zu unterscheiden. Nur wenn aufgrund der besonderen Gegebenheiten des Einzelfalles die Führung des Prozesses zwangsläufig ist, kann eine Berücksichtigung der Kosten eines Zivilprozesses als außergewöhnliche Belastung in Betracht kommen. An dieser Beurteilung ändert - entgegen Kanzler (Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 33 EStG Anm. 117 f.) - nichts der Umstand, daß Selbsthilfe nur in engen Grenzen zulässig und die Inanspruchnahme von Gerichten bei der Durchsetzung von Ansprüchen dem allgemeinen Rechtsfrieden dienen kann.

Im Streitfall liegen keine besonderen Umstände vor, die ausnahmsweise die Annahme zwangsläufig erwachsener Prozeßkosten rechtfertigen könnten. Insbesondere ist nichts dafür erkennbar, daß der Kläger den Rechtsstreit mit seiner früheren Ehefrau aus rechtlichen oder sittlichen Gründen bzw. aus einer tatsächlichen Zwangslage heraus hätte führen müssen.