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BFH-Urteil vom 6.3.1986 (I R 311/82) BStBl. 1986 II S. 757

Bei der Verschmelzung zweier ausländischer Kapitalgesellschaften, von denen die eine eine inländische Niederlassung hält, die nach der Verschmelzung beibehalten wird, fehlt es an einer Kapitalzuführung i. S. des § 2 Abs. 1 Nr. 6 KVStG 1972.

KVStG 1972 § 2 Abs. 1 Nrn. 1-4 u. 6.

Vorinstanz: FG Düsseldorf

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist die Gesamtrechtsnachfolgerin der B-AG in Wien, die zur heutigen Klägerin verschmolzen wurde.

Vor dem 1. Januar 1975 führte die B-AG im Inland eine im Handelsregister eingetragene Zweigniederlassung unter der Firmenbezeichnung "Verkaufsniederlassung X". Die Tätigkeit der Verkaufsniederlassung beschränkte sich auf die Einfuhr von in den österreichischen Werken der B-AG hergestellten Werkzeugen. Nach dem 1. Januar 1975 wurde die inländische Verkaufsniederlassung als eine solche der Klägerin mit dem bisherigen Personal, Betriebsvermögen, wirtschaftlichen Aufgaben usw. unverändert fortgeführt.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) sah und sieht in der im Ausland vollzogenen Verschmelzung den Wechsel des Eigentums an der inländischen Verkaufsniederlassung. Er ging und geht davon aus, daß infolge des Eigentumswechsels die Klägerin der inländischen Verkaufsniederlassung erneut Anlage- und Betriebskapital zugeführt habe, und setzte durch vorläufigen Steuerbescheid vom 17. Februar 1976 eine Gesellschaftsteuer fest.

Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Sein Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1983, 193 veröffentlicht.

Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung des § 2 Abs. 1 Nr. 6 des Kapitalverkehrsteuergesetzes (KVStG) 1972.

Es beantragt sinngemäß, das Urteil des FG Düsseldorf vom 8. Juli 1982 III 129/77 KpV aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 6 KVStG 1972 unterliegt die Zuführung von Anlage- und Betriebskapital durch eine ausländische Kapitalgesellschaft an ihre inländische Niederlassung der Gesellschaftsteuer. Mit dieser Regelung wollte der Gesetzgeber die inländischen Niederlassungen ausländischer Kapitalgesellschaften deren inländischen Tochterkapitalgesellschaften gesellschaftsteuerrechtlich gleichstellen. Deshalb sind die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nr. 6 KVStG 1972 erfüllt, wenn einer inländischen Zweigniederlassung Anlage- oder Betriebskapital in einer Weise zugeführt wird, die wirtschaftlich mit der Errichtung oder der Kapitalzuführung an eine inländische Tochterkapitalgesellschaft vergleichbar ist. Diese Zielsetzung steckt zugleich die Grenzen des § 2 Abs. 1 Nr. 6 KVStG 1972 ab. Die Vorschrift will nur das Fehlen mehrerer selbständiger Rechtsträger kompensieren. Im übrigen will sie nur solche Sachverhalte erfassen, die - wenn sie sich unter Beteiligung mehrerer Rechtssubjekte vollziehen würden - nach den allgemeinen Regeln des KVStG 1972 als Leistung im Sinne dieses Gesetzes anzusehen wären (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 19. April 1978 II R 67/75, BFHE 125, 201, BStBl II 1978, 469).

2. Nach § 2 Abs. 1 Nrn. 2 bis 4 KVStG 1972 unterliegen Leistungen der Gesellschaftsteuer, die der Gesellschafter als solcher gegenüber einer Kapitalgesellschaft erbringt. Eine in diesem Sinne für die Gesellschaftsteuer relevante Leistung muß in einem Tun oder Unterlassen bestehen, das auf eine echte (einseitige) Kapitalzufuhr durch den Gesellschafter gerichtet ist. Eine gesellschaftsteuerpflichtige Leistung i. S. des § 2 Abs. 1 Nrn. 2 bis 4 KVStG 1972 besteht darin, der Kapitalgesellschaft Kapital zuzuführen, und muß die Eignung haben, den Wert der Gesellschaftsrechte zu erhöhen. Als Leistungen, die diese Eignung besitzen, nennt § 2 Abs. 1 Nrn. 2 bis 4 KVStG 1972 weitere Einzahlungen, Nachschüsse, Zuschüsse, Zuzahlungen, Verzicht auf Forderungen sowie die Überlassung bzw. die Übernahme von Gegenständen über bzw. unter Wert. An diesem Rechtsgedanken ist die Auslegung des § 2 Abs. 1 Nr. 6 KVStG 1972 auszurichten, ohne daß die Frage einer Entscheidung bedarf, ob im Rahmen des § 2 Abs. 1 Nr. 6 KVStG 1972 sämtliche einschränkenden Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nrn. 2 bis 4 KVStG 1972 entsprechende Anwendung finden.

3. Bei der Verschmelzung zweier ausländischer Kapitalgesellschaften, von denen die eine eine inländische Niederlassung hält, die nach der Verschmelzung beibehalten wird, fehlt es an einer Kapitalzuführung i. S. des § 2 Abs. 1 Nr. 6 KVStG 1972. Dies wird deutlich, wenn man die inländische Niederlassung mit einer inländischen Tochterkapitalgesellschaft vergleicht. Die Verschmelzung auf der Gesellschafterebene der Tochtergesellschaft löst keine Gesellschaftsteuerpflicht der Tochtergesellschaft (Gesellschaftsebene) aus, weil es tatbestandsmäßig an einer Leistung an die Tochtergesellschaft i. S. des § 2 Abs. 1 Nrn. 2 bis 4 KVStG 1972 fehlt. Es wechselt lediglich der Gesellschafter der Tochtergesellschaft. Auf die Fälle des § 2 Abs. 1 Nr. 6 KVStG 1972 übertragen bedeutet dies, daß der Wechsel in der Eigentümerstellung an der Zweigniederlassung keine Zufuhr von Kapital an dieselbe ist, weil es auch insoweit an einer entsprechenden Leistung fehlt. Statt dessen wird lediglich die Bindung von Kapital, das schon vor der Verschmelzung gesellschaftsteuerlich im Inland gebunden war, aufrechterhalten. Dieser Umstand löst jedoch für sich genommen keine Gesellschaftsteuer aus.

4. Zwar unterwirft § 2 Abs. 1 Nr. 1 KVStG 1972 als Haupttatbestand den Erwerb von Gesellschaftsrechten der Gesellschaftsteuer. Auch würde die Einbringung einer Niederlassung in eine inländische Kapitalgesellschaft gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 KVStG 1972 gesellschaftsteuerpflichtig sein. Jedoch läßt sich deshalb die in § 2 Abs. 1 Nr. 6 KVStG 1972 getroffene Regelung nicht aus der Sicht des § 2 Abs. 1 Nr. 1 KVStG 1972 auslegen. Besteht der Sinn des § 2 Abs. 1 Nr. 6 KVStG 1972 darin, die Besteuerung von dem Fehlen mehrerer selbständiger Rechtsträger unabhängig zu machen, so müsse die inländische Niederlassung stets mit einer inländischen Tochterkapitalgesellschaft und die ausländische Hauptniederlassung mit einem ausländischen Gesellschafter verglichen werden. Werden zwei ausländische Kapitalgesellschaften, von denen eine Gesellschafter einer inländischen Kapitalgesellschaft ist, miteinander verschmolzen, so ist § 2 Abs. 1 Nr. 1 KVStG 1972 schon deshalb unanwendbar, weil lediglich Gesellschaftsrechte an einer ausländischen Gesellschaft erworben werden. Bezogen auf eine gedachte inländische Tochterkapitalgesellschaft (Niederlassung) wird - wie ausgeführt - kein nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 KVStG 1972 gesellschaftsteuerpflichtiger Sachverhalt verwirklicht. Die Richtigkeit dieser Überlegung wird durch den Wortlaut des § 2 Abs. 1 Nr. 6 KVStG 1972 bestätigt. Danach muß gesellschaftsteuerrechtlich die Kapitalzufuhr an rechtlich selbständige und an rechtlich unselbständige inländische Niederlassungen gleichbehandelt werden. Bezüglich der rechtlich selbständigen inländischen Niederlassungen könnte jedoch kein Ersterwerb von Gesellschaftsrechten i. S. des § 2 Abs. 1 Nr. 1 KVStG 1972 stattfinden, wenn die Muttergesellschaft in einer mit dem Streitfall vergleichbaren Weise verschmolzen würde. Entsprechendes muß dann im Falle der rechtlich unselbständigen Niederlassung gelten. Der Senat folgt damit nicht der Auffassung des Reichsfinanzhofs in dessen Urteil vom 15. Juli 1931 II A 232/31 (RStBl 1931, 638).

5. Sind die Tatbestandsvoraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nr. 6 KVStG 1972 nicht erfüllt, so ist im Streitfall kein gesellschaftsteuerpflichtiger Sachverhalt verwirklicht, weshalb ein Gesellschaftsteuerbescheid nicht ergehen durfte. Das FG hat deshalb den vom FA erlassenen Steuerbescheid richtigerweise aufgehoben.