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BFH-Urteil vom 15.7.1986 (VII R 145/85) BStBl. 1986 II S. 857

Kann nicht festgestellt werden, ob aus der DDR in die Bundesrepublik verbrachte Waren DDR-Ursprung haben, so trägt der Steuerpflichtige die Feststellungslast.

FGO § 96.

Vorinstanz: FG Münster

Sachverhalt

Die Sache befindet sich im zweiten Rechtsgang.

Am 3. Mai 1976 verbrachte die staatliche Spedition der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) VEB Deutrans 998 Ballen zu je 100 m halbkunstseidenen Kettsatin in die Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik). Die Grenzkontrollstelle Helmstedt-Autobahn überwies die ihr vorgeführten Waren an das Zollamt (ZA) X, eine Dienststelle des Beklagten und Revisionsbeklagten (Hauptzollamt - HZA -). Am 4. Mai 1976 führte die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) die Waren dem ZA vor und versicherte in einer Erklärung nach der Allgemeinen Genehmigung Nr. 3(B) zur Interzonenhandelsverordnung vom 9. September 1974 - im folgenden: A G Nr. 3 (B) - (Beilage zum Bundesanzeiger - BAnz - Nr. 205 vom 31. Oktober 1974), daß die ihr bekannten Voraussetzungen der A G Nr. 3 (B) vorlägen. Zu diesen Voraussetzungen gehören nach § 1 Abs. 4 Nr. 3 Buchst. a A G Nr. 3 (B), daß die Waren im Falle des Kaufs in den Währungsgebieten der DM-Ost gewonnen oder hergestellt worden sind. Das ZA fertigte die Waren nach den Vorschriften der Verordnung über die Überwachung des Verkehrs mit Vermögenswerten zwischen dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland und der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands sowie dem Ostsektor von Berlin - Interzonenüberwachungsverordnung (IZÜVO) - vom 9. Juli 1951 (BGBl I 1951, 439; Vorschriftensammlung der Bundesfinanzverwaltung - VSF - SV 5070) ab. Mit Bescheid vom 25. Mai 1976 forderte dann das ZA von der Klägerin Zoll in Höhe von 16.959 DM und Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von 14.405,40 DM mit der Begründung nach, die bei ihm vorgeführte Ware sei in der CSSR hergestellt worden.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage im ersten Rechtsgang als unbegründet ab. Es führte aus: Die Zollschuld sei nach § 57 Abs. 1 Satz 1 des Zollgesetzes (ZG) entstanden. Waren, die aus einem Gebiet außerhalb der Bundesrepublik und der DDR, z. B. aus der CSSR, in das Gebiet der Bundesrepublik verbracht würden, seien Zollgut. Um solche Waren handle es sich im Streitfall. Das ergebe sich aus den Grundsätzen des Beweises des ersten Anscheins. Auf die Revision der Klägerin hob der erkennende Senat diese Entscheidung durch Urteil vom 29. Juni 1982 VII R 68/78 (BFHE 136, 334) auf und verwies die Sache u. a. mit der Begründung an das FG zurück, das Herstellungsland der Gewebe dürfe nicht nach den Grundsätzen des Beweises des ersten Anscheins festgestellt werden; diese Frage müsse mit Hilfe der Regeln des Indizienbeweises beantwortet werden.

Im zweiten Rechtsgang wies das FG die Klage wiederum ab. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus: Der DDR-Ursprung der Waren habe nicht festgestellt werden können und die Feststellungslast trage die Klägerin (Urteil vom 30. Mai 1985 IV 5315/82 Z, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1986, 151).

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Das FG ist in Anwendung der vom erkennenden Senat in seinem Urteil im ersten Rechtsgang in BFHE 136, 334, 342 entwickelten Rechtsgrundsätze davon ausgegangen, daß der angefochtene Steuerbescheid rechtmäßig ist, wenn die in Rede stehende Ware nicht in der DDR gewonnen oder hergestellt worden ist (= DDR-Ursprung). In tatsächlicher Hinsicht ist das FG ohne Rechtsirrtum zum Ergebnis gelangt, es sei nicht auszuschließen, daß die Ware ihren Ursprung in einem anderen Land als der DDR habe. Das FG hat zu Recht entschieden, daß die Klägerin insoweit die objektive Beweislast (Feststellungslast) trifft und die Klage daher abzuweisen war.

Eine gesetzlich festgelegte Regel über die Verteilung der Feststellungslast fehlt für den Steuerprozeß. Nach der Rechtsprechung des BFH gilt im Regelfall, daß die Finanzbehörde die Feststellungslast für die Tatsachen trägt, die vorliegen müssen, um einen Steueranspruch geltend machen zu können, der in Anspruch genommene Steuerpflichtige dagegen für Tatsachen, die Steuerbefreiungen und -ermäßigungen begründen oder einen Steueranspruch aufheben oder einschränken. Diese Regel gilt jedoch nicht ohne Ausnahme. Die vorliegende Streitsache ist ein solcher Ausnahmefall. Es bedarf deshalb keines Eingehens auf die in letzter Zeit im Schrifttum verstärkt gestellte Frage, ob an der oben zitierten Standardformel der Rechtsprechung noch uneingeschränkt festgehalten werden kann (vgl. Urteil des Senats vom 7. Juli 1983 VII R 43/80, BFHE 138, 527, 528, BStBl II 1983, 760, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des BFH und auf das Schrifttum).

Es geht im vorliegenden Fall um die Frage, ob die streitbefangenen Waren DDR-Ursprung haben. Alle Ursprungsregelungen gehen davon aus, daß derjenige, der sich auf einen bestimmten Ursprung einer Ware beruft, entsprechende Beweismittel vorzulegen hat (vgl. z. B. Art. 9 Abs. 2 der Verordnung [EWG] Nr. 802/68 - Ursprungs-VO -, VSF Z 4005; § 28 ZG; § 22 Abs. 1 der Allgemeinen Zollordnung - AZO -; § 3 Abs. 4 2. IZH-DVO, jetzt § 5 Abs. 2 der Verordnung zur Durchführung der Interzonenhandelsverordnung vom 1. März 1979, VSF SV 5053; § 1 Abs. 4 Nr. 3 Buchst. a A G Nr. 3 (B), jetzt § 3 Nr. 3 letzter Satz A G Nr. 3 (B) neuer Fassung, VSF SV 5103; s. auch § 4 Abs. 6 des österreichischen Zollgesetzes). Diese Vorschriften treffen zwar lediglich eine Verfahrensregelung und betreffen allein die Beweisführungslast. Sie spiegeln aber die Tatsache wider, daß diese Beweisführung regelmäßig zum Verantwortungsbereich desjenigen zählt, der sich auf einen bestimmten Ursprung einer Ware beruft. Denn dieser hat im Regelfall einen weitaus stärkeren Bezug zu der Ware, um deren Ursprung es geht, als die Behörde; meist ist er der Käufer der Ware und hat daher entsprechende Verbindungen zum Verkäufer oder Hersteller. Er ist also am ehesten in der Lage, Beweismittel für den Ursprung beizubringen. Wegen dieser Beweisnähe desjenigen, der sich auf einen bestimmten Ursprung einer von ihm eingeführten Ware beruft, ist es gerechtfertigt anzunehmen, daß ihm grundsätzlich auch die Feststellungslast hinsichtlich der den Ursprung begründenden Tatsachen zur Last fällt (vgl. auch Weber-Grellet, in dubio pro quo?, Zur Beweislast im Steuerrecht, Steuer und Wirtschaft - StuW - 1981, 48, 55). Daraus ergibt sich, daß auch im vorliegenden Fall die Klägerin die Last der Unerweislichkeit ihrer Behauptung zu tragen hat, die eingebrachten Waren hätten DDR-Ursprung.

Zu Unrecht beruft sich die Klägerin darauf, daß es an einer gesetzlichen Ermächtigung für die in den letztgenannten Vorschriften des innerdeutschen Handels getroffenen Regelungen zur Feststellungslast fehlte. Diese enthalten, wie ausgeführt, keine unmittelbaren Regelungen der Verteilung der Feststellungslast, sondern sind Verfahrensregelungen. Sie können aber als Argument dafür dienen, daß die Klägerin wegen ihrer Beweisnähe die Feststellungslast für den DDR-Ursprung der Waren zu tragen hat. Der Auffassung von Horn (Erhebung von Zoll im innerdeutschen Handel?, Der Betrieb - DB - 1980, 1043, 1047), auf die sich die Klägerin beruft, folgt der Senat aus den angegebenen Gründen nicht.

Da schon die angegebenen Gründe die Richtigkeit der Vorentscheidung hinsichtlich der Beweislastverteilung ergeben, bedarf es keines Eingehens auf die Frage, ob nach dem für die Frage, ob Zoll zu erheben ist, anwendbaren Gemeinschaftsrecht die Regelung des Protokolls über den innerdeutschen Handel und die damit zusammenhängenden Fragen vom 25. März 1957 (BGBl II 1957, 984) als Sonderregelung gegenüber der allgemeinen Regelung des Gemeinsamen Zolltarifs anzusehen ist. Wäre dem so, so trüge die Klägerin die Feststellungslast für den DDR-Ursprung der eingebrachten Waren auch in Anwendung des von der Rechtsprechung des BFH entwickelten Grundsatzes, daß den Steuerpflichtigen die Last der Unerweislichkeit von Tatsachen trifft, die einen Steueranspruch aufheben oder einschränken.