| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

 

BFH-Urteil vom 15.7.1986 (VIII R 269/81) BStBl. 1986 II S. 860

Ein Vorjahresfehlbetrag aus dem Betrieb von Handelsschiffen im internationalen Verkehr muß nicht vorrangig mit in den Folgejahren erzielten gleichartigen positiven Gewerbeerträgen verrechnet werden. Er steht vielmehr ohne Einschränkung auch zur Kürzung der in den Folgejahren erzielten Gewerbeerträge aus anderen Tätigkeitsbereichen des Unternehmens zur Verfügung.

GewStG 1974 §§ 10a, 11 Abs. 1, 2, 4.

Sachverhalt

I.

Die Klägerin, Revisionsklägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betrieb im Erhebungszeitraum 1974 ein Motorschiff (MS). Durch Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 13. Februar 1980 I R 181/76 (BFHE 129, 389, BStBl II 1980, 190) wurde in der Gewinnfeststellungssache 1974 entschieden, daß die Klägerin in der Zeit vom 1. November 1974 (vor diesem Zeitpunkt fuhr das Schiff unter der Flagge von Panama) bis zum 31. Dezember 1974 Einkünfte aus dem Betrieb von Handelsschiffen im internationalen Verkehr i.S. des § 34c Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) erzielte.

Die Klägerin hatte 1974 aus dem Betrieb des MS vor Abzug von Gewerbeverlusten einen Gewerbeertrag, der wie folgt den Zeiträumen vom 1. Januar bis 31. Oktober und vom 1. November bis zum 31. Dezember zuzuordnen ist:

                                                                  1. Januar               1. November

                                         insgesamt               bis                           bis

                                                                  31. Oktober           31. Dezember

                                              DM                     DM                          DM

                                     ---------------          ----------------              -----------------

Gewinne aus

Gewerbebetrieb               2.243.101            1.946.193                   296.908

Dauerschuldzinsen             437.609               362.649                     74.960

                                       -------------             -------------                  -------------

                                      2.680.710            2.308.842                   371.868

1969 hatte die Klägerin einen bis 1973 einschließlich noch nicht abgezogenen Gewerbeverlust von 1.139.423 DM, der in (geschätzter) Höhe von 12,15 v.H. = 138.439 DM auf seit 1969 ausgeschiedene Kommanditisten entfiel.

1971 hatte die Klägerin einen Gewerbeverlust in Höhe von 219.394 DM, der voll auf Gesellschafter entfiel, die bis zum 31. Dezember 1974 noch nicht ausgeschieden waren. Die 1969 und 1971 erzielten und noch nicht abgezogenen Gewerbeverluste wurden durch den Betrieb von Handelsschiffen im internationalen Verkehr erzielt.

Die Beteiligten streiten in erster Linie darüber, von welchem Teil des Gewerbeertrags 1974, von demjenigen, der der Zeit vom 1. Januar bis zum 31. Oktober, oder von demjenigen, der der Zeit vom 1. November bis zum 31. Dezember zuzuordnen ist, die noch nicht abgezogenen Gewerbeverluste der Jahre 1969 und 1971 zuerst zu kürzen sind.

Am 25. Januar 1977 setzte der Beklagte, Revisionsbeklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) durch gemäß § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Bescheid den einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag 1974 der Klägerin fest. Dabei zog er die Gewerbeverluste 1969 und 1971 zuerst bei dem Teil des Gewerbeertrags ab, der auf die Zeit vom 1. November bis zum 31. Dezember 1974 entfiel.

Hiergegen legte die Klägerin am 17. Februar 1977 Einspruch ein, mit dem sie den vollen Abzug der Gewerbeverluste bei dem Teil des Gewerbeertrags erstrebte, der auf die Zeit vom 1. Januar bis zum 31. Oktober 1974 entfiel.

Während des Einspruchsverfahrens erließ das FA am 26. April 1978 einen gemäß § 164 Abs. 2 AO 1977 geänderten Gewerbesteuermeßbescheid und hob darin den Vorbehalt der Nachprüfung auf. Den einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag 1974 setzte es auf 77.906 DM fest. Diesen Betrag berechnete es wie folgt:

Gewerbeertrag                                                                   DM              DM

  

Gewinn aus Gewerbebetrieb                                        2.243.101

Dauerschuldzinsen                                                        437.609

                                                                                  -------------

                                                                                2.680.710

Gewerbeverluste 1969, 1971                                        1.358.817

                                                                                  -------------

Gewerbeertrag (abgerundet)                                        1.321.800

  

Steuermeßbetrag nach dem Gewerbeertrag                                       65.490

Steuermeßbetrag nach dem Gewerbekapita                                      12.416

                                                                                                      ---------

einheitlicher Gewerbesteuermeßbetrag                                              77.906

Diesen Bescheid machte das FA zum Gegenstand des Einspruchsverfahrens.

Der Einspruch blieb erfolglos.

Mit der Klage wurde u.a. beantragt, den Gewerbesteuermeßbetrag nach Maßgabe folgender Berechnung herabzusetzen:

       Gewerbeertrag             Steuermeßzahl            Steuermeßtrag

               DM                               v.H.                                DM

  

             7.200                             0                                    0,00

             2.400                             1                                   24,00

             2.400                             2                                   48,00

          371.868                          2,5                              9.296,70

             2.400                             3                                   72,00

             2.400                             4                                   96,00

          933.132                             5                            46.656,60

        -------------                                                           --------------

       1.321.800

       =======

Das Finanzgericht (FG) entsprach dem Klagebegehren hinsichtlich dieses Fragenbereichs (Abzug der Gewerbeverluste vom unaufgeteilten Gewerbeertrag).

Die Entscheidung des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1982, 195 veröffentlicht.

Sowohl das FA als auch die Klägerin haben gegen das Urteil des FG jeweils selbständige Revision eingelegt.

Das FA rügt die Verletzung des § 11 GewStG. Es trägt vor, daß bei Gewerbebetrieben, die wie die Steuerpflichtige neben begünstigten Schiffahrtserträgen auch andere Erträge erzielten (gemischter Betrieb), die Aufteilung des Gesamtgewerbeertrags auf die beiden Ertragsarten unerläßlich sei. Im Rahmen der Aufteilung stelle sich hier die streitige Frage, von welcher der beiden Ertragsarten vortragsfähige Gewerbeverluste abzuziehen seien. Das Gesetz lasse eine Regelung vermissen. Die vom FG aus dem Wesen des Staffeltarifs gezogene Folgerung, der Gewerbeverlust aus den Vorjahren kürze zuerst den Teil des Gewerbeertrags, der der Steuermeßzahl 5 v.H. unterliege, treffe zwar auf den Fall zu, in dem begünstigte Schiffahrtsgewinne nicht erzielt würden. Diese Folgerung könne jedoch in der Streitsache nicht gelten, da die ermäßigte Steuermeßzahl von 2,5 v.H. nicht Teil des Staffeltarifs sei. Bei einer sachgerechten Ausfüllung der Gesetzeslücke werde man den mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers dahin verstehen müssen, daß sich die Besteuerung der Schiffahrtserträge des gemischten Betriebs soweit wie möglich nach der Behandlung des Grundsachverhalts, in dem ausschließlich begünstigte Schiffahrtserträge anfallen, richten solle. Das bedeute aber, daß Fehlbeträge aus dem begünstigten Schiffahrtsbereich stets zuerst vom begünstigten Schiffahrtsertrag abzuziehen seien.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des FA ist unbegründet.

Gemäß § 11 Abs. 1 Sätze 1 und 2 GewStG ist bei der Berechnung der Gewerbesteuer nach dem Gewerbeertrag von einem Steuermeßbetrag auszugehen, der durch Anwendung eines Hundertsatzes (Steuermeßzahl) auf den Gewerbeertrag zu ermitteln ist. Der Gewerbeertrag, so wie er sich nach §§ 7 bis 10a GewStG errechnet, bildet mithin die Grundlage für die Festsetzung des Meßbetrags. Eine gesonderte Ermittlung des Gewerbeertrags nach einzelnen Unternehmensbereichen kommt nach dem System des GewStG grundsätzlich nicht in Betracht (vgl. auch Urteil des BFH vom 22. September 1976 I R 34/75, BFHE 121, 74, 77, BStBl II 1977, 251, 253). Die in § 11 Abs. 2 bis 6 GewStG enthaltenen Vorschriften legen die Berechnungsmodalitäten für die Ermittlung des Meßbetrags fest. Sie sind - bezogen auf diesen - reine Tarifvorschriften, die auf der bereits feststehenden Besteuerungsgrundlage "Gewerbeertrag" aufbauen. Dies gilt grundsätzlich auch für die Anwendung des § 11 Abs. 4 GewStG 1974, wenngleich diese Vorschrift eine eng begrenzte Ausnahme erforderlich macht.

Nach § 11 Abs. 4 GewStG ermäßigt sich die Steuermeßzahl bei Unternehmen, soweit sie den Betrieb von Handelsschiffen im internationalen Verkehr zum Gegenstand haben, auf 2,5 v.H. Die auf den Halbsatz "soweit sie den Betrieb von Handelsschiffen im internationalen Verkehr zum Gegenstand haben" enthaltene Einschränkung besagt, daß bei Unternehmen, die neben dieser Tätigkeit noch andere gewerbliche Aktivitäten entwickeln, die zum Entstehen des Gewerbeertrags i.S. der §§ 7 bis 10a GewStG beigetragen haben, ein anteiliger - auf den Betrieb der Handelsschiffe im internationalen Verkehr entfallender - Gewerbeertrag ermittelt werden muß, auf welchen die ermäßigte Steuermeßzahl von 2,5 v.H. anzusetzen ist. Nach der Gesetzessystematik ist somit zunächst unter Anwendung der §§ 7 bis 10a GewStG der gesamte Gewerbeertrag zu ermitteln und von diesem sodann der auf den Betrieb der Handelsschiffe entfallende Anteil abzuziehen, um die Anwendung der ermäßigten Steuermeßzahl rechnerisch zu ermöglichen.

Eine Rechtsgrundlage für einen gesonderten Rechenansatz von Anteilen von Fehlbeträgen i. S. des § 10a GewStG, nämlich solchen, die durch den Betrieb von Handelsschiffen im internationalen Verkehr erwirtschaftet worden sind, enthält das GewStG dagegen nicht. Der Wortlaut des Gesetzes rechtfertigt eine Abspaltung bestimmter Fehlbetragsanteile nicht. Auch nach dem Sinnzusammenhang ist eine solche Sonderverrechnung von Fehlbetragsanteilen mit späteren Erträgen aus dem Betrieb von Handelsschiffen im internationalen Verkehr nicht geboten.

Vordergründig betrachtet erscheint es zwar schwer einsehbar, Verluste aus steuerbegünstigten Einkunftsquellen, die im Entstehungsjahr unausgeglichen geblieben sind, im Folgejahr teilweise oder vollständig mit Erträgen aus voll zu versteuernden Einkunftsquellen zu verrechnen, während die begünstigten Einkünfte des Folgejahres der ermäßigten Besteuerung zugeführt werden. Bei dieser Betrachtung wird indes die Besonderheit der Abschnittsbesteuerung übersehen, die eine gesonderte Gesamtbetrachtung im Sinne der Ermittlung eines Totalgewinns aus dem Betrieb von Handelsschiffen im internationalen Verkehr nicht zuläßt. Durch § 10a GewStG sollen - ebenso wie durch § 10d EStG - die größten Härten der Abschnittsbesteuerung gemildert werden. Hieraus kann indes nicht allgemein gefolgert werden, daß der Gesetzgeber Verlust- und Gewinnjahr in ihrer steuerlichen Auswirkung in jeder Beziehung so behandelt wissen wollte, als seien Gewinn und Verlust in demselben Besteuerungszeitraum entstanden.

Die von der Klägerin vorgenommene und vom FG bestätigte Auslegung der §§ 10a, 11 Abs. 4 GewStG führt entgegen der Auffassung des FA auch nicht zu unsachgerechten Ergebnissen. Sie kann sich je nach dem Anteil der Gewinne aus dem Betrieb von Handelsschiffen im internationalen Verkehr günstig oder ungünstig für das betroffene Unternehmen auswirken. Von einem nicht sachgerechten Ergebnis könnte allenfalls dann gesprochen werden, wenn sich nur durch das Eingreifen der Verlustübertragung in einen anderen Erhebungszeitraum eine für den Steuergläubiger ungünstige Verrechnung von Handelsschiffverlusten mit Erträgen aus andersartigen Quellen ergeben kann, d.h. wenn beim Zusammentreffen solcher verschiedenartiger Gewerbeerträge in ein und demselben Erhebunszeitraum eine Verrechnung nicht stattfinden dürfte. Dies ist indes nicht der Fall.