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BFH-Urteil vom 10.6.1986 (IX R 11/86) BStBl. 1986 II S. 894

1. Die Aufteilung von Kontokorrentzinsen in voll und beschränkt abziehbare Werbungskosten und Sonderausgaben richtet sich nach der Veranlassung der einzelnen über das Kontokorrentkonto abgewickelten Zahlungsvorgänge. Es gelten dieselben Rechtsgrundsätze wie für die Abgrenzung von betrieblich zu außerbetrieblich veranlaßten Kontokorrentzinsen im Rahmen der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG (vgl. BFH-Urteil vom 23. Juni 1983 IV R 185/81, BFHE 139, 56, BStBl II 1983, 723).

2. Das sog. Aufteilungs- und Abzugsverbot des § 12 Nr. 1 EStG gilt nicht für Aufwendungen, die als Kosten der Lebensführung Sonderausgaben sind.

AO 1977 §§ 162, 165 Abs. 2; EGAO 1977 Art. 97 §§ 1, 9; EStG 1965 §§ 9, 10 Abs. 1 Nr. 1, § 12 Nr. 1; EinfHausV § 2 Abs. 2; AO §§ 222, 225; BGB § 366.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wird mit seiner Ehefrau (Klägerin und Revisionsklägerin - Klägerin -) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.

Die Klägerin erzielte im Streitjahr 1966 als Eigentümerin eines Einfamilienhauses in H, S-Straße, Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes 1965 (EStG).

Dieses Einfamilienhaus hatten die Klägerin und ihre Mutter geerbt. Im Rahmen der Erbauseinandersetzung hatte die Klägerin das Gebäude zum Alleineigentum und die Mutter den lebenslänglichen Nießbrauch daran erhalten. Bis Juli 1965 hatte das Gebäude der Familie der Klägerin und deren Mutter als Wohnung gedient; anschließend vermietete es die Klägerin. Zuvor war der Nießbrauch der Mutter gelöscht worden.

Im Juni 1965 hatten die Kläger zwei Eigentumswohnungen im Haus F-Straße in H erworben. Eine Eigentumswohnung diente den Klägern, die andere der Mutter der Klägerin als Wohnung. In der Einkommensteuererklärung für 1966 erklärten die Kläger für beide Wohnungen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung nach der Verordnung über die Bemessung des Nutzungswerts der Wohnung im eigenen Einfamilienhaus (EinfHausV).

Mitte des Jahres 1965 hatte die A-Bank den Klägern einen Kontokorrentkredit in Höhe von rund 256.000 DM gewährt, zu dessen Sicherung das Einfamilienhausgrundstück S-Straße mit einer Grundschuld belastet worden war. Die Kontokorrentzinsen machten die Kläger in der Einkommensteuererklärung des Streitjahres in vollem Umfang als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung des vermieteten Einfamilienhauses geltend.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) veranlagte die Kläger antragsgemäß. Unter Ziffer IV "Erläuterungen" des Einkommensteuerbescheides 1966 vom 7. März 1968 heißt es: "Die Veranlagung erfolgt hinsichtlich der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung vorläufig."

Im Jahre 1971 wurde eine Betriebsprüfung durchgeführt, die sich auch auf die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung der Kläger erstreckte. Dabei stellte der Prüfer fest, daß der Kontokorrentkredit der A-Bank wie folgt verwendet worden war:

rd. 52.000 DM (20,5 v. H.) für das Einfamilienhaus,

rd. 15.400 DM (6 v. H.) für private Aufwendungen und

rd. 188.000 DM (73,5 v. H.) für die Finanzierung des Kaufpreises der Eigentumswohnungen.

Aufgrund dieser Feststellungen der Betriebsprüfung erließ das FA am 22. April 1975 einen gemäß § 222 Abs. 1 Nr. 1 der Reichsabgabenordnung (AO) berichtigten Einkommensteuersammelbescheid für die Jahre 1965 bis 1969. Die das Einfamilienhaus und den privaten Verbrauch betreffenden Zinsen berücksichtigte das FA weiterhin in vollem Umfang, und zwar als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung bzw. als Sonderausgaben gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG 1965; dagegen ließ es die Zinsen hinsichtlich der Eigentumswohnungen nur im Rahmen des § 2 Abs. 2 EinfHausV als Werbungskosten zum Abzug zu.

Den Einspruch wies das FA zurück. Die Klage blieb ebenfalls erfolglos. Das Finanzgericht (FG) führt aus: Der angefochtene Änderungsbescheid vom 22. April 1975 sei zu Recht auf § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO gestützt worden. Das Vorbringen der Kläger, sie hätten den für die Eigentumswohnung aufgenommenen Teil des Kontokorrentkredits zunächst getilgt, rechtfertige keine von der Auffassung des FA abweichende Aufteilung der Zinsen. Mangels einer anderslautenden Vereinbarung sei davon auszugehen, daß die Kläger das Darlehen, wie sie es bei der Auszahlung verwendet hätten, später anteilig getilgt hätten.

Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung materiellen und formellen Rechts. Sie tragen u. a. vor, sie hätten den Kontokorrentkredit nicht entsprechend der Verwendung der Darlehensvaluta getilgt. Die Klägerin habe mit ihr gehörenden Geldmitteln zuerst die auf ihre Eigentumswohnung entfallende Schuld getilgt. Erst danach sei der auf die Eigentumswohnung des Klägers entfallende Teil des Kontokorrentkredits zurückgezahlt worden.

Die Kläger beantragen sinngemäß, die Vorentscheidung, den angefochtenen Änderungsbescheid vom 22. April 1975 und die Einspruchsentscheidung vom 24. November 1977 aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Im Ergebnis zutreffend hat das FG entschieden, daß das FA zur Änderung des ursprünglichen Einkommensteuerbescheids 1966 befugt war. Der angefochtene Bescheid konnte auf § 165 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) gestützt werden; denn der ursprüngliche Einkommensteuerbescheid 1966 war hinsichtlich der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung vorläufig. Im Streitfall ist § 165 Abs. 2 AO 1977 anzuwenden und nicht § 225 AO, weil über den Einspruch gegen den vor dem 1. Januar 1977 erlassenen Änderungsbescheid erst nach dem 31. Dezember 1976 entschieden wurde (Art. 97 §§ 1, 9 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung - EGAO 1977 -; Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. Februar 1982 I R 190/78, BFHE 135, 396, BStBl II 1982, 682). Unerheblich ist, daß das FA den Änderungsbescheid auf § 222 AO gestützt hat (vgl. Urteil des BFH vom 12. Januar 1966 I 269/63, BFHE 85, 51, BStBl III 1966, 230).

2. Zutreffend sind FG und FA auch davon ausgegangen, daß die Kontokorrentzinsen dem Grunde nach entsprechend der Verwendung des Kredits in voll abziehbare Werbungskosten, beschränkt abziehbare Werbungskosten und Sonderausgaben aufzuteilen sind und daß die Sicherung des Kontokorrentkredits auf dem Einfamilienhausgrundstück durch eine Grundschuld für die Zuordnung der Zinsen ohne Bedeutung ist (vgl. BFH-Urteile vom 15. Januar 1980 VIII R 70/78, BFHE 130, 147, BStBl II 1980, 348, und vom 18. November 1980 VIII R 194/78, BFHE 132, 522, BStBl II 1981, 510, 2 b und c). Die Vorentscheidung ist allerdings aufzuheben, weil die tatsächlichen Feststellungen des FG nicht ausreichen, die Rechtmäßigkeit der vom FA vorgenommenen Aufteilung zu überprüfen.

Soweit der Kontokorrentkredit für das vermietete Einfamilienhaus verwendet wurde, sind die Zinsen nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 EStG als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung voll abziehbar.

Die für die Finanzierung der eigengenutzten Eigentumswohnung angefallenen Kontokorrentzinsen sind als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung gemäß § 2 Abs. 2 EinfHausV nur beschränkt bis zur Höhe des Grundbetrages abziehbar. Darüber hinausgehende Zinsaufwendungen für diese Wohnung können nicht als Sonderausgaben i. S. des § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG 1965 abgezogen werden, da sie ihrem Wesen nach in vollem Umfang Werbungskosten bleiben. Nach dem Einleitungssatz des § 10 EStG kommt ein Abzug als Sonderausgaben nur für Aufwendungen in Betracht, die keine Werbungskosten sind (vgl. BFH-Urteil vom 31. Januar 1969 VI R 114/68, BFHE 94, 531, BStBl II 1969, 294).

Das gleiche gilt für die mit dem Erwerb der anderen Eigentumswohnung wirtschaftlich zusammenhängenden Kontokorrentzinsen für den Fall, daß die Mutter der Klägerin diese Wohnung nicht aufgrund einer gesicherten Rechtsposition nutzte. Auch dann ist der Nutzungswert bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung des überlassenden Eigentümers nach der EinfHausV zu erfassen (vgl. BFH-Urteil vom 29. November 1983 VIII R 215/79, BFHE 140, 199, BStBl II 1984, 366, Ziff. 2 b).

Nutzte die Mutter der Klägerin diese Wohnung aber unentgeltlich aufgrund einer gesicherten Rechtsposition, so sind die entsprechenden Kontokorrentzinsen zwar mangels Einkünfteerzielung durch die Kläger nicht als Werbungskosten zu berücksichtigen (vgl. BFH-Urteile vom 16. Oktober 1984 IX R 81/82, BFHE 143, 310, BStBl II 1985, 390, und vom 23. Oktober 1984 IX R 48/80, BFHE 143, 313, BStBl II 1985, 453). Sie sind aber in diesem Fall - ebenso wie die mit den privaten Aufwendungen zusammenhängenden Zinsen - als Sonderausgaben gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG 1965 in vollem Umfang abziehbar; denn sie stellen dann schon ihrem Wesen nach keine Werbungskosten dar (vgl. BFH-Urteil vom 21. Juli 1966 IV 170/61, BFHE 86, 684, BStBl III 1966, 646).

Die Sache wird an das FG zur Nachholung der entsprechenden Feststellungen zurückverwiesen. Bei der Aufteilung der Zinsen wird das FG die Rechtsgrundsätze zu beachten haben, die für die Abgrenzung von betrieblich zu außerbetrieblich veranlaßten Kontokorrentzinsen im Rahmen der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG gelten (vgl. Urteil des BFH vom 23. Juni 1983 IV R 185/81, BFHE 139, 56, BStBl II 1983, 723). Das bedeutet für den Streitfall, daß alle im Streitjahr über das Kontokorrentkonto abgewickelten Vorgänge einzeln darauf zu untersuchen sind, ob sie durch die Vermietung des Einfamilienhauses, durch die Eigennutzung der Eigentumswohnung - ggf. der Eigentumswohnungen - oder durch die private Lebensführung der Kläger veranlaßt sind. Diese Abgrenzung kann - sofern eine einfachere Aufteilung nicht möglich ist - mit Hilfe der Zinszahlenstaffelmethode durchgeführt werden. Sollte dies nur mit unverhältnismäßigem Arbeitsaufwand möglich sein, so sind die Zinsen im Wege einer Schätzung (§ 162 Abs. 1 AO 1977) aufzuteilen.

Für die vorzunehmende Abgrenzung sind die Einwendungen der Kläger, sie hätten den Kredit hinsichtlich der Eigentumswohnungen bzw. hinsichtlich der der Klägerin gehörenden Eigentumswohnung vorrangig zurückgezahlt, unbeachtlich. Zahlungsvorgänge bewirken im Rahmen des Kontokorrents jedenfalls dann eine anteilige Tilgung der Schuldposten, wenn - wie im Streitfall nach den tatsächlichen Feststellungen des FG - keine abweichende Vereinbarung getroffen wurde (vgl. BFH-Urteil vom 19. März 1981 IV R 169/80, BFHE 133, 383, BStBl II 1983, 721, unter Hinweis auf Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 2. November 1967 II ZR 46/65, BGHZ 49, 24, am Ende; Canaris in Großkommentar zum Handelsgesetzbuch, 3. Aufl., 1978, § 355 Anm. 68).

Rechtsgrundlage für eine abweichende Tilgung kann auch nicht § 366 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) sein. Nach dieser Vorschrift hat der Schuldner das Recht, zu bestimmen, welche von mehreren gleichartigen Forderungen er tilgen will (Abs. 1). Diese Regelung ist aber auf das hier vorliegende Kontokorrentverhältnis nicht anwendbar (vgl. BGH-Urteil vom 11. Juni 1980 VIII ZR 164/79, BGHZ 77, 256, 261).

3. Der Senat weicht mit dieser Entscheidung nicht vom Urteil in BFHE 132, 522, BStBl II 1981, 510 ab, in dem die Aufteilung der Zinsen eines Kontokorrentkredits in einen der Einkunftsart Vermietung und Verpachtung und der privaten Lebensführung zugehörigen Bereich abgelehnt wurde. Das Urteil beruht auf dem in ständiger Rechtsprechung des BFH zu § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG vertretenen sog. Aufteilungs- und Abzugsverbot von Aufwendungen, die sowohl der Lebensführung als auch der Einkünfteerzielung dienen (vgl. Beschlüsse des Großen Senats vom 19. Oktober 1970 GrS 2/70, BFHE 100, 309, BStBl II 1971, 17, und vom 27. November 1978 GrS 8/77, BFHE 126, 533, BStBl II 1979, 213). Diese Rechtsgrundsätze greifen bei der Aufteilung von Aufwendungen, die steuerbaren Einkünften und Sonderausgaben zuzuordnen sind, nicht Platz (Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, Kommentar, 5. Aufl., 1986, § 12 Anm. 1; Offerhaus in Lademann/Söffing/Brockhoff, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 12 Anm. 10; Balke, Deutsches Steuerrecht 1982, 631, 632; Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 19. Aufl., § 10 EStG Anm. 8 a).

Nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG 1965 gehören zu den vom Gesamtbetrag der Einkünfte als Sonderausgaben abziehbaren Aufwendungen auch Schuldzinsen, wenn sie weder Betriebsausgaben noch Werbungskosten sind. Nach § 12 Nr. 1 EStG dürfen "unbeschadet der Vorschrift des § 10 weder bei den einzelnen Einkunftsarten noch vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden" die Aufwendungen für die Lebensführung. "Unbeschadet" bedeutet nach dem allgemeinen Sprachgebrauch "ohne zu gefährden" bzw. "ohne zu schmälern" (vgl. Brockhaus/Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 6. Bd., 1984, S. 385). Demzufolge soll die Vorschrift des § 10 EStG uneingeschränkt Anwendung finden und geht dem Aufteilungs- und Abzugsverbot des § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG vor.

Auch der Zweck des § 10 EStG entspricht diesem Verständnis. Sonderausgaben i. S. des § 10 EStG sind ihrem Wesen nach nichtabziehbare Kosten der Lebensführung. Der Gesetzgeber hat sich jedoch aus sozialen, steuerpolitischen und anderen Gründen entschlossen, die in § 10 EStG im einzelnen aufgezählten "Aufwendungen" in Ausnahme von den Grundsätzen des § 12 Nr. 1 EStG zum Abzug zuzulassen.

Diese Auslegung wird bestätigt durch die Neufassung des Einleitungssatzes des § 12 EStG in dem Steueränderungsgesetz vom 30. November 1978 - StÄndG 1979 - (BGBl I 1978, 1849, BStBl I 1978, 479). Kosten der Lebensführung i. S. des § 12 Nr. 1 EStG in der Fassung des StÄndG 1979 dürfen weder bei den einzelnen Einkunftsarten noch vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden, "soweit" in § 10 Abs. 1 Nrn. 1, 2 bis 7, § 10 b und §§ 33 bis 33 c nichts anderes bestimmt ist. Aus dem Wort "soweit" ergibt sich nunmehr unzweifelhaft, daß die genannten Vorschriften dem Abzugs- und Aufteilungsverbot des § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG hinsichtlich der Kosten der Lebensführung vorgehen.