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BFH-Urteil vom 18.9.1986 (IV R 228/83) BStBl. 1987 II S. 25

Haben ein Architekt und sein Auftraggeber vertraglich vereinbart, daß jeder Vertragspartner aus wichtigem Grund kündigen könne und in diesem Fall der Architekt die vereinbarte Vergütung nur nach Abzug ersparter Aufwendungen erhalte, ist der zur Auszahlung kommende Honorarteil keine Entschädigung i. S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG.

EStG § 24 Nr. 1a.

Vorinstanz: FG Köln

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist ein selbständig tätiger Architekt. Durch Vertrag vom 16. September 1970 übertrug ihm die Stadt X die Planung und Ausführung eines kommunalen Bauvorhabens, das aus einem Schultrakt und einer Turnhalle bestand. Die honorarfähige Auftragssumme belief sich auf knapp 21 Mio DM. Im vorbezeichneten Vertrag sind u. a. folgende Vereinbarungen getroffen:

§ 7 Ziff. 7.12 Abs. 3:

Zusätzlich erforderliche bzw. neue Teilleistungen und deren Vergütung werden zusätzlich vereinbart. Dabei bleibt dieser Vertrag weiterhin Vertragsgrundlage. Es bedarf nur eines Zusatzvertrages. Dieser wird Bestandteil des bestehenden Vertragswerkes.

§ 15 Abs. 1 und 2:

Auftraggeber und Architekt können den Vertrag nur aus wichtigen Gründen kündigen. Einer Kündigungsfrist bedarf es nicht. Wird aus einem Grund gekündigt, den der Auftraggeber zu vertreten hat, erhält der Architekt die volle Vergütung, jedoch unter Abzug der ersparten Aufwendungen; diese werden mit 40 v. H. des Honorars für die vom Architekten noch nicht geleisteten Arbeiten vereinbart. Die ersparten Aufwendungen für Leistungen nach § 3.25 werden mit 60 v. H. des Honorars für die vom Architekten noch nicht geleisteten Arbeiten vereinbart.

Im September 1971 schloß der Kläger die Planungsarbeiten ab und erhielt das insoweit fällig gewordene Architektenhonorar von 848.000 DM. Vor Baubeginn teilte die Stadt dem Kläger im Juni 1972 mit, daß sie zwar das Schulgebäude entsprechend der Planung des Klägers errichten werde, daß jedoch die Turnhalle nach Maßgabe eigener Neuplanung, der der Stadtrat bereits seine Zustimmung gegeben habe, errichtet werden solle. Der Kläger kündigte daraufhin mit Schreiben vom 31. August 1972 den Vertrag und forderte die Stadt auf, wegen der noch nicht ausgeführten Architektenleistungen (Vorbereitung der Vergabe, künstlerische Oberleitung, Überwachung der Bauausführung und Rechnungskontrolle) die in § 15 Abs. 2 des Vertrages vereinbarten Zahlungen zu leisten. Die Stadt entsprach dieser Forderung lediglich in bezug auf das Turnhallenprojekt durch Zahlung von 55.389,83 DM. Seinen weitergehenden Vergütungsanspruch bezüglich des Schultrakts machte der Kläger vor dem Landgericht geltend, das ihm einen weiteren Betrag in Höhe von 156.482,76 DM durch Teilurteil vom 26. Juni 1973 zusprach. Nach Auffassung des Landgerichts ist die Kündigung aus wichtigem Grund i. S. des § 15 Abs. 1 des Vertrages erfolgt, den die Stadtgemeinde durch ihr Verhalten in bezug auf das Turnhallenprojekt geschaffen habe; ferner errechne sich der geltend gemachte Anspruch des Klägers anhand des § 15 Abs. 2 des Vertrages bei Zugrundelegung eines Aufwendungsersparnisanteils von 60 v. H.

Der Kläger, der seinen Gewinn nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ermittelt, legte seinen Einkommensteuererklärungen 1972 und 1973 die Auffassung zugrunde, daß ihm für die Zahlungen der Stadt die Tarifbegünstigung gemäß § 24 Nr. 1 Buchst. a i. V. m. § 34 Abs. 2 EStG zustehe. Die Veranlagungen zur Einkommensteuer erfolgten zunächst erklärungsgemäß.

Nachdem diese Vorgänge anläßlich einer Außenprüfung im Jahre 1977 dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) bekanntgeworden waren, erließ das FA geänderte Bescheide, mit denen es dem Kläger die von ihm begehrte Steuervergünstigung versagte. Die Einsprüche blieben ohne Erfolg.

Mit der Klage hat der Kläger geltend gemacht, bei den nach Vertragskündigung gezahlten Beträgen handle es sich um eine Entschädigung für entgangenen Gewinn i. S. des § 24 Nr. 1 EStG. Der Kläger hat beantragt, die Einkommensteuer 1972 und 1973 entsprechend dieser Rechtsauffassung festzusetzen.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage als unbegründet abgewiesen.

Mit der Revision beantragt der Kläger, das FG-Urteil aufzuheben und seinem Klagebegehren stattzugeben, hilfsweise, die Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Zutreffend hat das FG entschieden, daß die dem Kläger nach Kündigung des Architektenvertrages zugeflossenen Einnahmen keine Entschädigungen i. S. des § 24 Nr. 1 EStG darstellen und damit dem Kläger keine Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 1 und 2 EStG zusteht.

1. Nach § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG gehören zu den Einkünften i. S. des § 2 Abs. 3 EStG 1971 (ab Veranlagungszeitraum 1975 § 2 Abs. 1 EStG) Entschädigungen, die als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen gewährt worden sind. Entschädigungen in diesem Sinne sind Zuwendungen, die einen Schaden ausgleichen, den ein Steuerpflichtiger durch den Wegfall von Einnahmen erleidet. Zuwendungen dieser Art werden durch § 24 Nr. 1 EStG derjenigen Einkunftsart zugewiesen, zu der die weggefallenen Einnahmen im Falle ihrer Erzielung gehört hätten. Ihrem Charakter als Zuweisungsregelung entsprechend schließt die Vorschrift des § 24 Nr. 1 EStG die Ausweitung der Steuerpflicht über den Bereich der gesetzlich festgelegten Einkunftsarten hinaus aus.

Sie regelt vielmehr klarstellend, daß die in ihr genannten Einnahmen keine neue selbständige Einkunftsart bilden, sondern (als Surrogate) unter diejenige Einkunftsart fallen, zu der die entgangenen (bzw. künftig entgehenden) Einnahmen gehört hätten, wenn sie erzielt worden wären. Einer Klarstellung unter diesem Gesichtspunkt bedarf es jedoch insbesondere für jene Fälle nicht, in denen die Einnahmen dem Steuerpflichtigen im Rahmen seiner Geschäftstätigkeit aufgrund abgeschlossener bürgerlich-rechtlicher Rechtsgeschäfte als Erfüllungsleistung zufließen und aus diesem Grunde eine Qualifikation dieser Einnahmen als Ersatzansprüche ausgeschlossen ist (ständige Rechtsprechung; vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 25. März 1975 VIII R 183/73, BFHE 115, 472, BStBl II 1975, 634; vom 20. Juli 1978 IV R 43/74, BFHE 125, 271, BStBl II 1979, 9; vom 16. August 1978 I R 73/76, BFHE 126, 199, BStBl II 1979, 120; vom 16. April 1980 VI R 86/77, BFHE 130, 168, BStBl II 1980, 393; vom 30. März 1982 III R 150/80, BFHE 135, 488, BStBl II 1982, 552, und vom 12. September 1985 VIII R 306/81, BFHE 145, 320, BStBl II 1986, 252). Die danach maßgebliche Abgrenzung des Erfüllungsanspruchs gegen den (ihn ersetzenden) Ersatzanspruch geht davon aus, daß Einnahmen nur dann aus einem Ersatzanspruch fließen, wenn die bisherige rechtliche Grundlage für den Erfüllungsanspruch weggefallen ist. Ein solcher Fall tritt aber nicht schon dann ein, wenn die Vertragsparteien ihre bisherige vertragliche Vereinbarung durch eine andere ersetzen; dies kann auch in Gestalt eines Vergleichs geschehen, der Regelungen zur Abgeltung aller möglichen vertraglichen Ansprüche enthält (vgl. BFH-Urteil vom 27. Juli 1978 IV R 149/77, BFHE 126, 158, BStBl II 1979, 66). Sofern also der wirkliche Wegfall der vertraglichen Anspruchsgrundlage im vorbezeichneten Sinne nicht feststellbar ist, empfängt der Steuerpflichtige von der Gegenseite keinen Ersatz für die ihm vertraglich zustehende Leistung, sondern diese Leistung selbst.

2. In Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich im Streitfall, daß die Stadt mit ihren nach der Vertragskündigung (seitens des Klägers) erbrachten Zahlungen ihren vertraglichen Verpflichtungen aus diesem Vertrag genügt und damit Erfüllungsleistungen bewirkt hat. Der zwischen dem Kläger und der Stadt geschlossene Vertrag ist seinem Inhalt nach als Architektenvertrag zu beurteilen, der zivilrechtlich als Werkvertrag eingestuft wird (vgl. Urteile des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 26. November 1959 VII ZR 120/58, BGHZ 31, 224, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1960, 431, und vom 25. April 1966 VII ZR 120/65, BGHZ 45, 223; Erman / Seiler, Bürgerliches Gesetzbuch, 7. Aufl., Vor § 631 Rdnr. 12; Sörgel in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2. Aufl., § 631 Rdnrn. 39 bis 42, m. w. N.; Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 45. Aufl., Einf. v. § 631 Anm. 5). Für den Fall der Kündigung des Werkvertrages durch den Besteller ordnet § 649 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) die sich daraus ergebenden Rechtsfolgen. Die in § 15 Abs. 2 des Architektenvertrages getroffene Vereinbarung, die eine Kündigung aus wichtigem Grund sowohl dem Besteller als auch dem Auftragnehmer ermöglicht, entspricht dieser gesetzlichen Regelung in ihrem maßgeblichen Gehalt. Auch sie sieht vor, daß der Besteller im Falle der Kündigung die volle vertraglich vereinbarte Vergütung zu zahlen hat, jedoch abzüglich der ersparten Aufwendungen des Auftragnehmers. Dem Auftragnehmer verbleibt also selbst dann, wenn nicht die Gegenseite, sondern er selbst gekündigt hat, der vertragliche Anspruch auf die Gegenleistung aus dem Vertrag (Erfüllungsanspruch auf den Werklohn). Der vom Auftragnehmer hinzunehmende Abzug der ersparten Aufwendungen rechtfertigt sich aus dem Gesichtspunkt der Vorteilsausgleichung; dem gekündigten Auftragnehmer verbleibt aber mindestens der Reinertrag aus dem gekündigten Vertrag (vgl. Erman / Seiler, a. a. O., § 649 Rdnr. 7; Sörgel in MünchKomm., a. a. O., § 649 Rdnr. 10 ff.; Palandt, a. a. O., § 649 Anm. 2).

Da mithin der in § 15 Abs. 2 des Vertrages vom 16. September 1970 dem Kläger eingeräumte Anspruch als ein vertraglicher Erfüllungsanspruch zu beurteilen ist, desweiteren dieser Vertrag als typischer Architektenvertrag zu den berufstypischen Geschäften eines Architekten gehört, steht die Zuweisung der Einnahmen aus der Realisierung derartiger vertraglicher Ansprüche zur Einkunftsart der freiberuflichen Tätigkeit i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG nicht in Zweifel.

3. Der Kläger hat unter Berufung auf das Urteil in BFHE 125, 271, BStBl II 1979, 9 vorgetragen, es läge bei ihm ein Ausnahmefall vor, den der erkennende Senat im Bereich der Gewinneinkünfte für möglich erachtet habe. Der erkennende Senat habe im vorbezeichneten Urteil ausgeführt, daß in Ausnahmefällen statt vertraglicher Erfüllungsleistungen Entschädigungen gezahlt würden; es müsse sich aber bei den die Einnahmeausfälle verursachenden Ereignissen um außergewöhnliche Vorgänge handeln, die über den Rahmen einzelner, für die jeweilige Einkunftsart typischen Geschäfte hinausgehen (ebenso Urteil in BFHE 126, 158, BStBl II 1979, 66).

Der Auffassung des Klägers, daß ein solcher Ausnahmefall in dem atypischen Verhalten seines Auftraggebers, einer Stadtgemeinde, gesehen werden müsse, vermag der Senat nicht beizutreten. Zum einen geht es hier um die Beurteilung von Geschäftsvorfällen, die für die Einkunftsart des Klägers typisch sind (Abschluß von typischen Architektenverträgen). Hieran ändert nichts, daß das Auftragsvolumen von nicht unbeträchtlicher Größenordnung war. Auch ein Großauftrag ist unter den hier entscheidungserheblichen Gesichtspunkten als normaler Geschäftsvorfall zu bewerten. Daß die Kündigung eines Großauftrages einen großen Honorarausfall zeitigt, ändert hieran nichts. Zum anderen kann es grundsätzlich nicht als außergewöhnlicher Vorgang angesehen werden, daß der Besteller den geschlossenen Werkvertrag kündigt. Dies berücksichtigt das Gesetz ausdrücklich in § 649 BGB. Es kann durchaus wohlerwogene Gründe auf seiten des Bestellers geben, sich vom Auftragnehmer zu trennen. Ebenso kann es für den Architekten gewichtige Gründe geben, sich aus der vertraglichen Bindung zu lösen. Eine solche Situation dürfte bei einem Großauftrag eher eintreten als bei einem kleinen Bauvorhaben. Auch dies haben die Vertragsparteien bei Vertragsabschluß durch Aufnahme des dem § 649 BGB nachgebildeten § 15 Abs. 2 des Vertrages berücksichtigt. In der getroffenen Regelung, die darauf hinausläuft, dem Auftragnehmer mindestens den Reinertrag aus dem Auftrag zu sichern, kann aber kein außergewöhnlicher Vorgang gesehen werden, der über den Rahmen typischer Architektenverträge hinausgeht. Vielmehr liegt eine derartige Sicherung der wirtschaftlichen Interessen und der rechtlichen Position des aus dem Bauvorhaben hinausgedrängten Architekten im Rahmen des Üblichen.

Der Kläger hat damit nicht dargetan, daß außergewöhnliche Vorgänge jenseits des Rahmens der Abwicklung typischer Architektenverträge vorliegen. Was er letztlich beanstandet, ist das aus seiner Sicht außergewöhnliche Vorgehen der Stadt in Vollzug des geschlossenen Vertrages. Mag dem Kläger die für ihn überraschende Mitteilung einer Neuplanung der Turnhalle durch das städtische Hochbauamt als außergewöhnlich erscheinen, so bleibt doch festzuhalten, daß sich dieses aus der Sicht des Klägers ungewöhnliche Verhalten als eine Vertragsstörung im Rahmen eines üblichen Rechtsgeschäftes des Architekten darstellt. Es kann aber nicht als ein außergewöhnlicher Vorgang jenseits der für die jeweilige Einkunftsart typischen Geschäfte angesehen werden, wenn das Verhalten des Vertragspartners nichts anderes auslöst als die sich aus Gesetz und Vertrag ergebende Verpflichtung zur Zahlung des vereinbarten Werklohns.

Keinesfalls kann der Auffassung des Klägers beigetreten werden, die gezahlten rd. 156.000 DM seien eine Entschädigung für die entgangenen Einnahmen aus der Neuplanung der Turnhalle gemäß § 7 Ziff. 7.12 Abs. 1 des Architektenvertrages. Abgesehen davon, daß der Turnhallenkomplex mit der Zahlung von 55.389,83 DM bereinigt war und es im Rechtsstreit vor dem Landgericht darum ging, ob dem Kläger ein Werklohnanspruch auch bezüglich des Schultraktes zustand, war die Stadt nicht verpflichtet, dem Kläger einen Auftrag zur Neuplanung der Turnhalle zu erteilen. Wollte sie die ursprüngliche Planung des Klägers nicht verwirklichen, standen ihr zwei Wege zu Gebote. Sie konnte entweder kündigen (was sie getan hat), um selbst oder durch einen anderen freien Architekten planen zu lassen, oder sie konnte dem Kläger einen Umplanungsauftrag erteilen, der dann eine weitere Honorarforderung des Klägers ausgelöst hätte. Wegen der Kündigung der Stadt ist es aber zu einer derartigen Zusatzvereinbarung nicht gekommen, so daß dem Kläger weitere Werklohnansprüche nicht zugewachsen sind. Da er aber keinen gesetzlichen oder vertraglichen Anspruch gegen die Stadt hatte, die Umplanung gegen zusätzliches Honorar auszuführen, sind ihm im Rechtssinne keine Honorareinnahmen entgangen, für die er von der Stadt in anderer Weise hätte entschädigt werden müssen.