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BFH-Urteil vom 8.8.1986 (VI R 11/84) BStBl. 1987 II S. 78

Nach Art. 108 Abs. 7 GG erlassene Verwaltungsvorschriften, wie hier Abschn. 22 Abs. 2 und 3 LStR 1981, können von einzelnen Landesfinanzbehörden wirksam nur ergänzt, nicht aber geändert werden. Ansonsten wäre der Sinn und Zweck des Erlasses solcher Verwaltungsvorschriften, nämlich einen einheitlichen Gesetzesvollzug sicherzustellen, nicht gewährleistet (Ergänzung zum BFH-Urteil vom 8. August 1986 VI R 195/82, BFHE 147, 247, BStBl II 1986, 824).

GG Art. 108 Abs. 7; EStG § 9 Abs. 1 Satz 1; LStR 1981 Abschn. 22 Abs. 2 und 3.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute. Der Ehemann ist als Busfahrer im Linienverkehr der Stadt X tätig. Laut Bescheinigung seines Arbeitgebers war er im Streitjahr 1981 an 254 Tagen täglich mehr als sechs Stunden aus ausschließlich beruflichen Gründen mit dem Omnibus vom Betriebssitz abwesend. Der Kläger begehrt die Berücksichtigung eines pauschalen Verpflegungsmehraufwandes von 8 DM täglich (vgl. Abschn. 22 Abs. 2 Nr. 3 und Abs. 3 Nr. 3 der Lohnsteuer-Richtlinien - LStR - 1981). Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) anerkannte - im Einspruchsverfahren - nur einen Verpflegungsmehraufwand von 6 DM arbeitstäglich für 222 Arbeitstage, nachdem er in einem Änderungsbescheid vom 23. April 1982 für 32 Arbeitstage (für die Zeit vom 1. Januar bis 15. Februar 1981) den vollen Pauschbetrag von 8 DM anerkannt hatte. Er stützte sich dabei auf den Erlaß des Niedersächsischen Ministers der Finanzen vom 11. Januar 1983 S 2353 - 148 - 313 über Mehraufwendungen für Verpflegung bei Bus- und Straßenbahnfahrern im städtischen Linienverkehr (LSt-Kartei OFD Hannover § 9 EStG Fach Nr. 3 a).

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit im wesentlichen folgender Begründung ab: Es könne dahinstehen, ob die Regelung in den LStR 1981 deshalb nicht anwendbar sei, weil die Finanzbehörden die Schätzungsgrundlagen, auf denen die Verwaltungsregelungen beruhten, nicht offenlegten und erhebliche Bedenken dagegen bestünden, daß es sich um realistische Schätzungen handele. Wären diese Bedenken begründet, sei die Klage abzuweisen, zumal eine Verböserung nicht erlaubt sei. Griffen die Bedenken dagegen nicht durch, könne die Klage ebenfalls keinen Erfolg haben. Zwar sei in den LStR die pauschale Berücksichtigung von Verpflegungsmehraufwendungen für Berufskraftfahrer geregelt. Derartige Regelungen könnten die Länder zwar nicht einseitig ändern; sie dürften sie indessen ergänzen. Um eine solche Ergänzung handele es sich bei dem Erlaß des Niedersächsischen Ministers der Finanzen vom 11. Januar 1983. Nach der Auskunft des Niedersächsischen Ministers der Finanzen solle die bundeseinheitliche Regelung nur für Fernkraftfahrer und Fernbusfahrer, nicht aber auch für im städtischen Linienverkehr eingesetzte Kraftfahrer gelten. Über diese Auslegung könne es, das FG, sich nicht hinwegsetzen; denn es sei den FG verwehrt, zur Verwaltungsvereinfachung getroffene Regelungen über den von der Verwaltung bestimmten Regelungsbereich auszudehnen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 27. Oktober 1978 VI R 8/76, BFHE 126, 217, BStBl II 1979, 54).

Mit der Revision machen die Kläger geltend, der BFH habe wiederholt entschieden, daß Richtlinienregelungen aus Gründen der Vereinfachung und der Gleichmäßigkeit der Besteuerung zu berücksichtigen seien. Deshalb sei im Streitfall Abschn. 22 Abs. 2 Nr. 3 mit Abs. 3 Nr. 3 LStR 1981 anzuwenden. Der Erlaß des Niedersächsischen Ministers der Finanzen vom 11. Januar 1983 ändere einseitig zu Lasten von Arbeitnehmern in Niedersachsen die Regelung der LStR. Es handele sich insoweit nicht um eine Ergänzung, sondern um eine Änderung des allgemein geltenden Rechts.

Die Kläger beantragen, weitere Verpflegungsmehraufwendungen von arbeitstäglich 2 DM (insgesamt also 8 DM) als Werbungskosten zu berücksichtigen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Auf Aufforderung des Senats ist der Bundesminister der Finanzen (BMF) dem Verfahren beigetreten. Er hat sich u. a. wie folgt geäußert: Es stehe der Bundesregierung zu, mit Zustimmung des Bundesrates zu regeln, unter welchen Voraussetzungen bei einer Berufsgruppe im allgemeinen die geltend gemachten Verpflegungsmehraufwendungen nicht zu beanstanden seien. Solche Verwaltungsanweisungen seien aus Gründen der Gleichbehandlung immer anerkannt worden und auch hier anzuerkennen. Die im Streitfall maßgebliche Verwaltungsregelung sei nicht deshalb bedenklich, weil sie eine bestimmte Berufsgruppe betreffe. Denn gerade für eine bestimmte Berufsgruppe könne eine Differenzierung geboten sein. Das treffe vorliegend besonders zu. Es bestünden keine Bedenken, bei der Eigenart der Tätigkeit von Berufskraftfahrern das Entstehen beruflich veranlaßter Verpflegungsmehraufwendungen anzunehmen. Bei der Regelung für Berufskraftfahrer in Abschn. 22 Abs. 2 Nr. 3 und Abs. 3 Nr. 3 LStR 1981 handele es sich um eine auf Erfahrung der Verwaltung beruhende Schätzung. Die festgelegten Durchschnittswerte ergäben sich aus Erfahrungen der betroffenen Tarifverbände und Berufsverbände. Diese Werte seien auch glaubhaft.

Abschn. 22 LStR 1981 gelte sowohl für Fernfahrer als auch für Busfahrer im (städtischen) Linienverkehr. Die Anwendung dieser Regelung führe grundsätzlich nicht zu einer offensichtlich unzutreffenden Besteuerung. Sie gelte bundeseinheitlich. Allerdings habe sich in einigen Bundesländern eine unterschiedliche Verwaltungspraxis herausgebildet. In Niedersachsen würden täglich allgemein nur 6 DM pauschal anerkannt. Dies beruhe auf den Darlegungen der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV).

Die Kläger haben hierauf eine Eingabe der Gewerkschaft ÖTV an den Niedersächsischen Minister der Finanzen von 7. Oktober 1982 vorgelegt. Danach entsteht auch Linienbusfahrern aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit ein Verpflegungsmehraufwand.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Kläger ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung. Die geltend gemachten Verpflegungsmehraufwendungen können ohne Einzelnachweis in Höhe von 8 DM bei mehr als sechsstündiger Abwesenheit des Klägers als Werbungskosten berücksichtigt werden.

1. Der erkennende Senat hat mit Urteil vom 8. August 1986 VI R 195/82 (BFHE 147, 247, BStBl II 1986, 824) entschieden, daß die Regelung in Abschn. 22 Abs. 2 Nr. 3 und Abs. 3 Nr. 3 LStR 1981 von den Finanzbehörden und den FG grundsätzlich zu beachten ist.

In dem vorbezeichneten Urteil hat der erkennende Senat weiter ausgeführt, daß die Richtlinienregelung auch auf Linienbusfahrer anzuwenden ist. Sie ist nur in eng begrenzten Ausnahmefällen wegen sonst eintretender offensichtlich unzutreffender Besteuerung nicht anwendbar.

Der Senat ließ sich bei der Anerkennung der Pauschbetragsregelung der LStR davon leiten, daß dadurch die Gleichmäßigkeit der Besteuerung gewährleistet werde. Die Richtlinienregelung diene auch der Verfahrensökonomie zugunsten der Finanzverwaltung und der Steuerpflichtigen. Würde die Richtlinienregelung z. B. nicht angewandt, wenn der Arbeitnehmer preisgünstige Lokale kenne oder sich teilweise selbst verpflege, würde der Vereinfachungszweck, der mit ihr erreicht werden solle, vereitelt. Denn die Finanzbehörden müßten dann jeweils prüfen, ob solche Umstände vorliegen; sie würden derartige Gegebenheiten häufig unterschiedlich beurteilen, wodurch die gewünschte Gleichbehandlung gefährdet sei.

Die Richtlinienregelung sei von ihrem Wortlaut her auch auf Linienbusfahrer anwendbar. Dafür spreche nicht zuletzt, daß der BMF sie auf diesen Personenkreis angewendet wissen wolle.

2. Alle vorstehenden Erwägungen lassen es nicht zu, die Pauschbetragsregelung des Abschn. 22 Abs. 2 Nr. 3 und Abs. 3 Nr. 3 LStR auf Linienbusfahrer in Niedersachsen nicht anzuwenden.

Nach Art. 108 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG) werden die Einkommensteuer und die Lohnsteuer durch Landesfinanzbehörden verwaltet. Die Bundesregierung kann aber mit Zustimmung des Bundesrates gemäß Art. 108 Abs. 7 GG allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen, soweit die Verwaltung von Steuern den Landesfinanzbehörden obliegt. Dadurch soll ein einheitlicher Vollzug der Steuergesetze in dem einheitlichen Wirtschaftsgebiet - der Bundesrepublik Deutschland - sichergestellt werden (vgl. Schmidt-Bleibtreu/Klein, Kommentar zum Grundgesetz, 6. Aufl., Art. 108 Rdnr. 18).

Unter anderem durch Erlaß der LStR - und also auch des hier in Rede stehenden Abschn. 22 Abs. 2 Nr. 3 und Abs. 3 Nr. 3 LStR 1981 - macht die Bundesregierung von der Möglichkeit des Art. 108 Abs. 7 GG Gebrauch, worauf auch der BMF in seiner Stellungnahme hingewiesen hat. Dadurch werden aber nicht nur die Bundesbediensteten, sondern auch die Landesbehörden und Landesbediensteten, die die Einkommensteuer und die Lohnsteuer zu verwalten haben, gebunden (vgl. Schmidt-Bleibtreu/Klein, a. a. O.). Dem entspricht die Aussage des BMF im vorliegenden Fall, daß Abschn. 22 Abs. 2 Nr. 3 und Abs. 3 Nr. 3 LStR 1981 "bundeseinheitlich" gilt.

Es widerspräche den Intentionen des Art. 108 Abs. 7 GG und auch vor allem den im BFH-Urteil VI R 195/82 dargelegten Erwägungen zur Gleichbehandlung der Besteuerung, wenn ein einzelnes Bundesland oder eine einzelne Oberfinanzdirektion (OFD) von den allgemeinen Verwaltungsvorschriften abweichende Verwaltungsverfügungen wirksam erlassen könnte. Es ist, wie das FG im Streitfall zutreffend ausgeführt hat, diesen Landesfinanzbehörden zwar erlaubt, ergänzende Verwaltungsanweisungen zu treffen. Entgegen der Auffassung des FG enthält die Ansicht des Niedersächsischen Ministers der Finanzen, wonach die bundeseinheitliche Regelung nur für Fernkraftfahrer und Fernbusfahrer, nicht dagegen für Linienbusfahrer gelte, aber eine einseitig die allgemeinen Verwaltungsvorschriften ändernde Regelung. Dadurch wird entgegen dem Wortlaut des Abschn. 22 Abs. 2 Nr. 3 und Abs. 3 Nr. 3 LStR 1981 und entgegen dem allgemeinen ("bundeseinheitlichen") Verständnis dieser Regelung für Linienbusfahrer in Niedersachsen ein einschränkendes Sonderrecht geschaffen. Dies widerspricht der durch die LStR bezweckten Gleichmäßigkeit der Besteuerung und wäre nur hinnehmbar, wenn für Niedersachsen besondere und andere Erfahrungswerte hinsichtlich der Höhe der Verpflegungsmehraufwendungen von Linienbusfahrern vorlägen (vgl. BFH-Urteil vom 16. Dezember 1981 VI R 227/80, BFHE 135, 57, BStBl II 1982, 302). Derartiges ist aber - auch aus der dem Senat vorgelegten Stellungnahme der Gewerkschaft ÖTV - nicht erkennbar.

3. Demnach ist entgegen der Auffassung des FG auch im Streitfall Abschn. 22 Abs. 2 Nr. 3 und Abs. 3 Nr. 3 LStR 1981 anwendbar. Erwägungen der offensichtlich unzutreffenden Besteuerung sprechen nicht für das Ergebnis des FG. Abgesehen davon, daß das FG seine Entscheidung nicht auf diesen Gesichtspunkt gestützt hat, wendet der Senat - wie aus dem Urteil VI R 195/82 ersichtlich - der Verwaltungsvereinfachung dienende Pauschbetragsregelungen bezüglich von Verpflegungsmehraufwendungen nur in begrenzten Ausnahmefällen nicht an. Anhaltspunkte für eine ausnahmsweise mögliche offensichtlich unzutreffende Besteuerung bei Anwendung der Pauschbeträge sind im vorliegenden Fall nicht erkennbar, zumal sie auch von keiner Seite geltend gemacht worden sind.