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BFH-Urteil vom 23.9.1986 (III R 246/83) BStBl. 1987 II S. 130

Bei der Berechnung der sog. Opfergrenze (BFH-Urteil vom 4. April 1986 III R 245/83, BFHE 147, 231, BStBl II 1986, 852) ist auch dann nach Tz. 2.5.2 des Schreibens des BMF vom 27. Juli 1984 IV B 6 - S 2352 - 16/84 (BStBl I 1984, 402) vorzugehen, wenn beide Ehegatten Einkünfte bezogen und nicht dauernd getrennt gelebt haben.

EStG 1975 § 33a Abs. 1 Satz 1.

Vorinstanz: FG München

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger), ein griechisches Ehepaar, wohnten im Streitjahr 1975 mit ihren drei Kindern in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik). Sie erzielten ausschließlich Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Der Bruttoarbeitslohn des Klägers betrug 16.470 DM, der der Klägerin 13.508 DM. Im Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich 1975 machten die Kläger Aufwendungen von 9.000 DM für die Unterstützung der Eltern des Klägers und der Mutter der Klägerin im Heimatland als außergewöhnliche Belastung geltend. Im Einspruchsverfahren wiesen sie die Zahlung von 4.550 DM an die Eltern des Klägers und von 3.000 DM an die Mutter der Klägerin nach.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) anerkannte unter Hinweis auf die sog. Opfergrenze nur einen Betrag von 2.556 DM als außergewöhnliche Belastung und führte folgende Berechnung durch:

Einnahmen

   

Bruttolohn Kläger

16.470 DM

 

   

Bruttolohn Klägerin

13.508 DM

 

   

Kindergeld

2.880 DM

 

   

Sparzulage

125 DM

 

   

andere Zuflüsse

   

(z.B. Lohnsteuer-Erstat-

   

tung, steuerfreie Ein-

   

nahmen usw.)

1.102 DM

34.085 DM

 

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Ausgaben

   

Vorsorgeaufwendungen

4.545 DM

 

   

Lohn- und Kirchen-

   

steuer

3.660 DM

 

   

vermögenswirksames

   

Sparen

312 DM

8.517 DM

 

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Nettoeinkommen

 

25.568 DM

Opfergrenze (10 v. H. des Nettoeinkommens): 2.556 DM.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage zum Teil statt. Es erkannte einen Betrag von 6.000 DM als außergewöhnliche Belastung an und führte zur Begründung seiner Entscheidung aus: Die Begrenzung auf 6.000 DM ergebe sich aus der Ländergruppeneinteilung (vgl. Schreiben des Bundesministers der Finanzen - BMF - vom 26. Oktober 1979 IV B 6 - S 2365 - 85/79, BStBl I 1979, 622), die nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 20. Januar 1978 VI R 170/76 (BFHE 124, 505, BStBl II 1978, 342) auch auf das Streitjahr Anwendung finde. Die Berechnung des FA zur Ermittlung der Opfergrenze sei abzulehnen, weil sie die Zahl der unterstützten Personen im Verhältnis zur absoluten Höhe des Einkommens außer acht lasse. Aufgrund der Umstände des Einzelfalles seien den Unterhaltsverpflichteten Unterhaltsleistungen von 6.000 DM zumutbar, zumal es sich bei den Unterstützten um nahe Angehörige handle. Das FG stellte folgende Rechnung auf:

Nettoeinkommen (wie

   

FA)

 

25.568 DM

   

./. Unterhaltsleistungen

6.000 DM

 

   

./. (aufgrund des nicht

   

bekannten Lebensalters

   

der Kinder ungünstig)

   

geschätzter Lebensbe-

   

darf entsprechend

   

Sozialhilfe-Regelsätzen

   

für Kläger und drei

   

Kinder

11.000 DM

17.000 DM

 

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8.568 DM

Unter Berücksichtigung der Kosten für Unterkunft und Heizung sei in Anbetracht der bei Gastarbeitern in der Regel bescheidenen Wohnansprüche davon auszugehen, daß dieser Betrag zum Bestreiten eines sogar geringfügig über dem Niveau von Sozialhilfeempfängern liegenden Lebensaufwandes ausreiche.

Gegen das Urteil wendet sich das FA mit der vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision. Es beantragt, das Urteil des FG aufzuheben.

Die Kläger haben sich zur Revision nicht geäußert.

Entscheidungsgründe

1. Die Revision ist begründet.

Nach den Ausführungen des Senats im Urteil vom 4. April 1986 III R 245/83 (BFHE 147, 231, BStBl II 1986, 852) dürfen Unterhaltsaufwendungen im allgemeinen nur insoweit als außergewöhnliche Belastung anerkannt werden, als sie in einem angemessenen Verhältnis zum Nettoeinkommen des Leistenden stehen und diesem nach Abzug der Unterhaltsleistungen noch die angemessenen Mittel zur Bestreitung des Lebensbedarfs für sich sowie ggf. für seine Ehefrau und seine Kinder verbleiben (sog. Opfergrenze). Bei der Berechnung dieser Opfergrenze ist Tz. 2.5.2 des Schreibens des BMF vom 27. Juli 1984 IV B 6 - S 2352 - 16/84 (BStBl I 1984, 402) zu beachten.

Dies gilt auch dann, wenn - wie im Streitfall - beide Ehegatten Einkünfte bezogen und nicht dauernd getrennt gelebt haben. Daß für beide Ehegatten eine gemeinsame Opfergrenze zu ermitteln ist, läßt sich vor allem mit der zwischen den Ehegatten bestehenden Wirtschaftsgemeinschaft begründen. Diese Wirtschaftsgemeinschaft ist insbesondere gekennzeichnet durch gegenseitige Unterhaltspflichten, die durch Arbeits- oder (bzw. und) Geldleistung erfüllt werden. Bei beiderseits berufstätigen Ehegatten tritt zum gemeinsamen Verbrauch und der gemeinsamen Sorge für den Lebensbedarf der unterhaltsberechtigten Kinder noch der gemeinsame Erwerb der für den Lebensunterhalt verwendbaren Mittel. Die gemeinsame Verantwortung beider Ehegatten für den Unterhalt der Familie darf bei der Berechnung der Opfergrenze nicht unberücksichtigt bleiben. Eine für beide Ehegatten einheitlich ermittelte Opfergrenze wirkt sich zudem durch den höheren Vomhundertsatz und das zusammengefaßte Nettoeinkommen regelmäßig auch zugunsten der Ehegatten aus. Im übrigen sprechen Praktikabilitätserwägungen dafür, auf eine für beide Ehegatten gemeinsam ermittelte Opfergrenze abzustellen; andernfalls müßten die Zu- und Abrechnungen sowie die Kürzung der Vomhundertsätze für die Kinder auf die Ehegatten aufgeteilt werden.

2. Die Vorentscheidung war aufzuheben, da das FG von anderen rechtlichen Gesichtspunkten ausgegangen ist. Die Streitsache ist entscheidungsreif. Bei einem Nettoeinkommen von 25.568 DM und vier unterhaltsberechtigten Familienangehörigen (Ehefrau und drei Kinder) beträgt die Opfergrenze nach den Grundsätzen der Senatsentscheidung vom 4. April 1986 III R 245/83 5 v. H. des Nettoeinkommens, also 1.278 DM. Im Streitfall sind keine Besonderheiten ersichtlich, die es ermöglichten, von diesem Ergebnis abzuweichen. Für das Bestehen einer weiterreichenden Verpflichtung zur Unterhaltsleistung aus tatsächlichen oder sittlichen Gründen liegen im Streitfall keine Anhaltspunkte vor. Abgesehen davon gelten die Grundsätze, die vorstehend für die auf Rechtsgründen beruhende Unterhaltspflicht entwickelt worden sind, in aller Regel entsprechend für eine auf tatsächlichen oder sittlichen Gründen beruhende Verpflichtung zum Unterhalt. Die Klage war demnach abzuweisen. Wegen des Verböserungsverbots ist es dem Senat verwehrt, die außergewöhnliche Belastung mit nur 1.278 DM zu berücksichtigen.