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BFH-Urteil vom 18.12.1986 (V R 127/80) BStBl. 1987 II S. 222

Hat sich während des Revisionsverfahrens der Rechtsstreit über die Anfechtung eines Umsatzsteuervorauszahlungsbescheides nach Ergehen eines Umsatzsteuerjahresbescheides in der Hauptsache erledigt (BFH-Urteil vom 29. November 1984 V R 146/83, BFHE 143, 101, BStBl II 1985, 370), so besteht ein berechtigtes Interesse i. S. des § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO an der Feststellung, daß der Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid rechtswidrig war, wenn sich den Beteiligten in dem Rechtsbehelfsverfahren über den Umsatzsteuerjahresbescheid der zu beurteilende Sachverhalt unverändert darstellt.

FGO § 100 Abs. 1 Satz 4.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Konkursverwalter über das Vermögen der KG; das Konkursverfahren ist am 2. März 1977 eröffnet worden. Vor Konkurseröffnung hatten Lieferanten der KG Waren auf Kredit unter Eigentumsvorbehalt geliefert. Die KG hatte die ihr in Rechnung gestellte Umsatzsteuer als Vorsteuer bei der Ermittlung ihrer Umsatzsteuerschuld abgesetzt. Bei Konkurseröffnung waren die Lieferantenverbindlichkeiten noch nicht beglichen. Die Lieferanten haben nach Konkurseröffnung ihre unter Eigentumsvorbehalt gelieferten Waren zurückerhalten. Durch Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid vom 26. Oktober 1977 für das dritte Kalendervierteljahr 1977 forderte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) zusammen mit anderen, nach Konkurseröffnung entstandenen Umsatzsteueransprüchen die Umsatzsteuer zurück, die von der Gemeinschuldnerin aufgrund der Vorbehaltslieferungen als Vorsteuer abgesetzt worden war; es handelt sich dabei um einen Betrag von 10.951,42 DM. Das FA vertrat die Auffassung, daß auch insoweit eine Masseschuld nach § 59 Abs. 1 Nr. 1 der Konkursordnung (KO) vorliege.

Mit der Sprungklage hatte der Kläger beantragt, unter Abänderung des Umsatzsteuervorauszahlungsbescheides vom 26. Oktober 1977 die Umsatzsteuerschuld um 10.951,42 DM herabzusetzen, da es sich bei dem Vorsteuerrückforderungsanspruch des FA um eine zur Konkurstabelle anzumeldende Konkursforderung und nicht um einen durch Umsatzsteuerbescheid gegen ihn als Konkursverwalter geltend zu machenden Masseanspruch handle. Die Klage hatte Erfolg.

Mit der Revision hatte das FA beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Anfechtungsklage als unbegründet zurückzuweisen. Der Kläger hatte beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Während des Revisionsverfahrens erließ das FA am 12. Juni 1980 einen Umsatzsteuerjahresbescheid für 1977 gegen den Kläger, der den Voranmeldungszeitraum III/1977 umfaßt; der Vorsteuerrückforderungsanspruch wurde - wie im Vorauszahlungsbescheid - als Masseanspruch beurteilt. Über den hiergegen eingelegten Einspruch ist noch nicht entschieden.

Die Beteiligten haben durch Schriftsätze vom 11. Oktober 1985 und vom 15. Oktober 1985 unter Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 29. November 1984 V R 146/83 (BFHE 143, 101, BStBl II 1985, 370) übereinstimmend den Rechtsstreit über den Vorauszahlungsbescheid in der Hauptsache für erledigt erklärt.

Der Kläger beantragt nunmehr, festzustellen, daß der angefochtene Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid III/1977 rechtswidrig gewesen ist und demgemäß auch die Festsetzung der Vorauszahlung rechtswidrig war.

Das rechtliche Interesse an dieser Feststellung sieht der Kläger darin begründet, daß - nach Erledigung der Hauptsache - nur noch im Wege eines solchen Feststellungsantrages die von ihm von Anfang an angestrebte gerichtliche Entscheidung herbeigeführt werden könne, daß der zunächst angefochtene und nachträglich unwirksam gewordene Vorauszahlungsbescheid rechtswidrig war. Darüber hinaus beruft sich der Kläger unter Bezugnahme auf das Urteil des BFH vom 29. Mai 1979 VI R 21/77 (BFHE 128, 148, BStBl II 1979, 650) darauf, daß das Rechtsbehelfsverfahren über den Umsatzsteuerjahresbescheid noch nicht abgeschlossen sei.

Das FA widersetzt sich diesem Antrag des Klägers. Er habe das rechtliche Interesse an der Fortsetzung des Rechtsstreits nicht konkret begründet. Hierzu hätte er mindestens darlegen müssen, ob das FA aufgrund der Rechtswirkungen, welche der Vorauszahlungsbescheid in der Vergangenheit ausgelöst habe, für den Kläger beschwerende Folgerungen ziehe. Das sei aber nicht der Fall.

Entscheidungsgründe

II.

Hat sich ein angefochtener Verwaltungsakt vor der Entscheidung des Gerichts durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat (§ 100 Abs. 1 Satz 4 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Der Rechtsstreit ist dann fortzuführen und durch Urteil zu beenden.

1. Der Antrag des Klägers nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO, mit dem der Kläger bei verständiger Würdigung Rechtswidrigkeit nur im Umfange des Vorsteuerrückforderungsanspruches festgestellt wissen will, ist zulässig. Infolge der - nach Ergehen des Umsatzsteuerjahresbescheides 1977 - abgegebenen übereinstimmenden Erledigungserklärungen ist der Rechtsstreit über die Anfechtung des Umsatzsteuervorauszahlungsbescheides in der Hauptsache erledigt (§ 138 Abs. 1 FGO; BFH-Urteil vom 29. November 1984 V R 146/83, BFHE 143, 101, BStBl II 1985, 370).

Der Kläger hat ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung. Zwar kommt einer gerichtlichen Entscheidung über einen Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid keine rechtliche Bindung im Verfahren über die Anfechtung des Umsatzsteuerjahresbescheides zu, weil die beiden Verfahren insoweit nach eigenen Regeln abgewickelt werden. Jedoch ist eine das Vorauszahlungsverfahren betreffende rechtskräftige gerichtliche Entscheidung für die Beteiligten in einem den betreffenden Voranmeldungszeitraum umfassenden Veranlagungsverfahren und in einem sich daran anschließenden Rechtsbehelfsverfahren aus prozeßökonomischen Gründen beachtlich, sofern sich den Beteiligten der zu beurteilende Sachverhalt - wie im Streitfall - unverändert darstellt. Dies reicht für die Annahme eines rechtlichen Interesses an einer Entscheidung gemäß § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO aus, da davon auszugehen ist, daß das FA und die Gerichte bei einer erneuten Entscheidung im Rahmen des Veranlagungsverfahrens für den gesamten Besteuerungszeitraum bei unveränderter Sachlage den gleichen Rechtsstandpunkt wie im Vorauszahlungsverfahren einnehmen werden (vgl. Urteil in BFHE 128, 148, BStBl II 1979, 650).

Die Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO wird im Streitfall auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß nicht der Kläger, sondern das FA Revision eingelegt hat (BFH-Urteil vom 23. März 1976 VII R 106/73, BFHE 118, 503, BStBl II 1976, 459).

2. Der Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid war insoweit rechtswidrig, als mit ihm die von der Gemeinschuldnerin vor Konkurseröffnung abgezogenen Vorsteuerbeträge zurückgefordert wurden. Das FA konnte den Vorsteuerrückforderungsanspruch nicht durch an den Kläger als Konkursverwalter gerichteten Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid geltend machen; der Anspruch wäre vielmehr gemäß § 251 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) i. V. m. den Vorschriften der KO zur Konkurstabelle anzumelden gewesen. Der erkennende Senat hat durch das Urteil vom 13. November 1986 V R 59/79 (BFHE 148, 346, BStBl II 1987, 226) entschieden, daß es sich bei dem Anspruch des FA aus § 17 Abs. 2 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1973 auf Rückforderung von Vorsteuerbeträgen, die der Gemeinschuldner vor Konkurseröffnung gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 UStG 1973 abgezogen hat, um eine Konkursforderung (§ 3 Abs. 1 KO) und nicht um einen gegen die Masse geltend zu machenden Anspruch handelt. Der Senat nimmt zur Begründung auf das Urteil V R 59/79 Bezug.