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BFH-Urteil vom 29.10.1986 (I R 2/83) BStBl. 1987 II S. 223

Weicht der nach § 195 Abs. 2 Satz 2 ZPO vorgeschriebene Vermerk des Tages der Zustellung auf der Sendung von dem Datumsvermerk auf der Zustellungsurkunde ab, so wird die in § 47 Abs. 1 Satz 1 FGO bezeichnete Klagefrist nicht wirksam in Lauf gesetzt (Anschluß an BVerwG-Urteil vom 7. November 1979 6 C 47.78, Buchholz, 340, § 9 VwZG Nr. 8).

FGO § 47 Abs. 1 Satz 1, § 155; VwZG § 2, § 3 Abs. 2, § 9 Abs. 2; ZPO § 195 Abs. 2, § 418.

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz

Sachverhalt

I.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) erließ gegenüber der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) einen nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Einkommensteuerbescheid 1973. Über den von der Klägerin eingelegten Einspruch entschied das FA am 10. Dezember 1981. Die Einspruchsentscheidung wurde dem damaligen Bevollmächtigten der Klägerin gemäß §§ 366 Satz 1, 122 Abs. 5 AO 1977, § 3 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG), §§ 180 bis 186 und 195 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) zugestellt. Als Zustellungsdatum ist auf der Postzustellungsurkunde (PZU) der "7. Januar 1982" beurkundet. Der Postbedienstete vermerkte jedoch auf der Sendung als Tag der Zustellung den 7. Januar 1981. Die Klägerin erhob am 9. Februar 1982 Klage, die das Finanzgericht (FG) als unzulässig abwies.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 3 Abs. 3 VwZG und des § 195 Abs. 2 ZPO.

Sie beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zwecks anderweitiger Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Gegen den von einem FA erlassenen Steuerbescheid steht dem Betroffenen unter den in §§ 40 ff. FGO genannten Voraussetzungen in der Regel die Anfechtungsklage an das zuständige FG zu. Die Frist für die Erhebung der Anfechtungsklage beträgt gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 FGO einen Monat. Sie beginnt mit der Bekanntgabe der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf (Einspruch). Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG, die mit Revisionsrügen nicht angefochten wurden und deshalb den Senat binden (§ 118 Abs. 2 FGO), ist zwar in der PZU der 7. Januar 1982 als Zustellungsdatum beurkundet. Auch folgt aus der Beurkundung (§ 155 FGO in Verbindung mit § 418 Abs. 1 ZPO) der widerlegbare Beweis dafür, daß die Zustellung an diesem Tag vorgenommen wurde. Jedoch setzte die am 7. Januar 1982 vorgenommene Zustellung die Klagefrist nur dann in Lauf, wenn alle vom Gesetz zwingend vorgeschriebenen Zustellungsvorschriften beachtet worden sein sollten. Dies gilt auch dann, wenn die Zustellung als solche wirksam war (vgl. Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluß vom 9. November 1976 GmS-OGB 2/75, BFHE 121, 1, BStBl II 1977, 275; Bundesverwaltungsgericht - BVerwG -, Urteil vom 7. November 1979 6 C 47.78, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 340, § 9 VwZG Nr. 8).

2. Im Streitfall war die laut PZU am 7. Januar 1982 bewirkte Zustellung der Einspruchsentscheidung wirksam. Dazu ist von § 2 VwZG auszugehen. Danach besteht die Zustellung in der Übergabe eines Schriftstückes in Urschrift, Ausfertigung oder beglaubigter Abschrift oder in dem Vorlegen der Urschrift. Die nach § 3 Abs. 2 VwZG vorgeschriebene Beurkundung der Zustellung und die dabei gemäß § 195 Abs. 2 ZPO zu beachtenden Formerfordernisse berühren nicht die Tatbestandsverwirklichung des § 2 VwZG, sondern nur die Beurkundung des Zustellungsvorgangs. Werden deshalb die in § 195 Abs. 2 ZPO niedergelegten Formerfordernisse nicht beachtet, so ist die dennoch bewirkte Zustellung rechtswirksam. Dies gilt sowohl dann, wenn der Postbedienstete es unterläßt, den Tag der Zustellung auf der Sendung zu vermerken, als auch dann, wenn er ein falsches Datum als Tag der Zustellung auf der Sendung vermerkt. Der erkennende Senat schließt sich der Auffassung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes in BFHE 121, 1, BStBl II 1977, 275 an.

3. Die am 7. Januar 1982 bewirkte Zustellung der Einspruchsentscheidung hat jedoch die Klagefrist des § 47 Abs. 1 Satz 1 FGO nicht wirksam in Lauf gesetzt.

a) Dazu ist von § 195 Abs. 2 ZPO auszugehen, der sich als Sondervorschrift zu § 190 ZPO darstellt. Die Vorschrift enthält zwingende Gebote an den die Zustellung Ausführenden (vgl. Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes in BFHE 121, 1 ff., BStBl II 1977, 275). Danach ist von dem zustellenden Postbediensteten eine Zustellungsurkunde aufzunehmen, in der bezeugt sein muß, daß die ihrer Anschrift und ihrer Geschäftsnummer nach bezeichnete Sendung sowie die Abschrift der Zustellungsurkunde übergeben worden sind. Die Übergabe der Abschrift der Zustellungsurkunde kann dadurch ersetzt werden, daß der Postbedienstete den Tag der Zustellung auf der Sendung vermerkt. Auch dies muß er urkundlich bezeugen.

b) Von den in § 195 Abs. 2 ZPO zwingend vorgeschriebenen Formerfordernissen sind die Rechtsfolgen zu unterscheiden, die die Nichtbeachtung der Formerfordernisse auslöst. Diese ergeben sich aus § 9 Abs. 2 VwZG. Danach ist § 9 Abs. 1 VwZG u. a. dann nicht anzuwenden, wenn das Schriftstück unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen ist und mit der Zustellung eine Frist für die Erhebung der Klage beginnt. Die Nichtanwendung des § 9 Abs. 1 VwZG besagt, daß in einem solchen Fall das Schriftstück auch nicht in dem Zeitpunkt als zugestellt gilt, in dem es der Empfangsberechtigte nachweislich erhalten hat. § 9 Abs. 2 VwZG schreibt mit anderen Worten vor, daß die Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften nicht heilbar ist, wenn mit der Zustellung u. a. eine Frist für die Erhebung der Klage beginnt. Im Ergebnis löst damit die Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften die Klagefrist nicht aus. Deshalb konnte die Klägerin noch am 9. Februar 1982 "fristgerecht" Klage erheben, weil der Postbeamte nach den Feststellungen des FG nicht den richtigen Tag der Zustellung auf der Sendung vermerkt hat und die Klagefrist nicht mit Ablauf des 7. Januar 1982 zu laufen begann. Das FG hätte daher die Klage nicht als verspätet eingelegt abweisen dürfen.

4. Die Sache ist nicht entscheidungsreif. Aufgrund der fristgerecht erhobenen Klage wird das FG die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen und gegebenenfalls die Begründetheit der Klage prüfen müssen. Um die dafür notwendigen Feststellungen in tatsächlicher Hinsicht zu treffen, war die Sache zwecks anderweitiger Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.